Angelika/Mike Schilli |
(Angelika) Präsident Bush bevorzugt es, die liberale Hochburg San Francisco zu ignorieren. Auf seiner amerikanischen Landkarte existieren wir nicht. Diese Woche rang er sich allerdings gleich mehrmals durch, die Stadt an der Bay öffentlich zu erwähnen. Denn unser frisch amtierender Bürgermeister Gavin Newsom erschütterte Bush in seinen konservativen Grundfesten.
Newsom erließ Mitte Februar die Order, Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern zu erlauben. Es begann mit der Umformulierung der Heiratsurkunden. Es heißt nicht mehr "Mann und Frau" sondern "lebenslange Ehepartner" ("spouses for life"). Pünktlich zum Valentinstag fanden die ersten Hochzeiten im Rathaus statt. In den ersten Tagen standen Hunderte von gleichgeschlechtlichen Paaren begleitet vom San-Francisco-Schwulenchor und Jubelrufen von Schaulustigen geduldig Schlange, um das heißbegehrte Ehezertifikat zu erhalten. Das Rathaus öffenete daraufhin sogar am Wochenende die Türen, um dem Andrang Herr zu werden. Städtische Bedienstete pfiffen auf ihre wohlverdiente Freizeit und arbeiteten unentgeldlich am für Behörden gemeinhin heiligen Samstag und Sonntag, um möglichst viele zu verheiraten.
Die ehemalige Hippie-Stadt des "Summer of Love" befand sich für Tage in einer Kombination aus euphorischem Liebesrausch und dem Nervenkitzel des zivilen Ungehorsams. Doch sobald das erste gleichgeschlechtliche Paar ihr Eheversprechen sprach, kamen die Konservativen aus ihren Löchern hervorgekrochen und versuchten per richterlicher einstweiliger Verfügung, die Stadt an ihrem Vorgehen zu hindern. Doch der Richter befand, dass keine unmittelbare Gefahr im Verzug sei. Die Hochzeitsglocken klingen also weiter. Mittlerweile hat San Francisco um die 3400 Heiratsurkunden an gleichgeschlechtliche Paare ausgehändigt.
Auch unser aller Terminator und Gouverneur Arnold Schwarzenegger rügte San Francisco, denn das kalifornische Familengesetzbuch definiert eine Ehe als zwischen Mann und Frau bestehend. Und das Volksbegehren "Proposition 22", das über 60 Prozent der kalifornischen Wähler im Jahr 2000 befürworteten, zitierte Arnie auch gleich, denn es besagt, dass Kalifornien nur die Ehe zwischen Mann und Frau anerkennt (Rundbrief 03/2000).
Das mag euch jetzt als ein und derselbe Sachverhalt erscheinen. Aber da gibt es feine Unterschiede. Die "Propostion 22" baut vor, dass eventuell andere Bundesstaaten die gleichgeschlechtliche Ehe ("same-sex marriage") legalisieren, was Kalifornien ohne den erwähnten Zusatz anerkennen müsste. Schwarzenegger reitet nun darauf herum, dass Newsoms Vorgehen gegen kalifornische Gesetze verstößt. Er behauptet, nur dieser Sachverhalt interessiere ihn als Gouverneur. Natürlich will er weder seinen republikanischen Partei- noch seinen homosexuellen Hollywood-Freunden vor den Kopf stoßen.
Newsom argumentiert hingegen, dass das Verbot, Heiratsurkunden an gleichgeschlechtliche Paare auszugeben gegen den Gleichheitsgrundsatz der kalifornischen Verfassung verstößt, also Diskriminierung ist. Und die Verfassung steht über jedem Volksbegehren und dem Familiengesetzbuch. Den Anstoß für Newsoms Entscheidung gab übrigens Bushs Rede zur Lage der Nation ("State of the Union") Anfang diesen Jahres. In der besagten Rede phrophezeite unser aller Präsident den Untergang der Zivilisation, sollte die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern legalisiert werden, was Newsom rebellieren ließ. Eine Entscheidung des obersten Gerichtshof in Massachusetts befügelten Newsom dann, fröhlich und frech aufzubegehren. Die Richter dieses kleinen Bundesstaates an der Ostküste genehmigten gleichgeschlechtliche Ehen mit der Begründung, dass der Gleichheitsgrundsatz ihrer Verfassung nichts anderes zulässt. Ab Mitte Mai wird es in Massachusetts die Homo-Ehe mit allen Rechten und Pflichten, die auch heterosexuelle Paare in ganz Amerika genießen, geben. Nur noch eine Änderung der bundesstaatlichen Verfassung von Massachusetts, was einige Politiker dort anstreben, könnte den Prozess stoppen.
Auch in Kalifornien bereitet sich jeder auf einen langwierigen Rechtsstreit vor. San Francisco reichte zunächst Klage wegen Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren gegen den Staat Kalifornien ein. Hingegen versucht der Staat Kalifornien, vertreten durch den obersten Staatsanwalt Bill Lockyer, den obersten kalifornischen Gerichtshof dazu zu bringen, San Francisco an der Ausgabe der begehrten Heiratsurkunden zu hindern und die bereits ausgegebenen für ungültig zu erklären, weil sie gegen bestehendes Recht in Kalifornien verstoßen. Eins ist sicher: Irgendwann endet der Fall vor dem "California Supreme Court" (= kalifornischer oberster Gerichtshof). Die Frage ist nur wann, denn das Gericht beschäftigt sich in der Regel erst dann mit den Fällen, wenn sie die untergeordneten Gerichte durchlaufen haben. Am 5. März wissen wir mehr, denn dann findet eine zweite Anhörung vor dem California Supreme Court statt.
Bush scheint hingegen von der Angst verfolgt, dass Massachusetts und San Francisco sich durchsetzen und propagierte letzte Woche, die amerikanische Verfassung zu ändern, und zwar durch den Zusatzartikel ("Amendment"), dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau Gültigkeit hat. Nun reagieren Amerikaner im allgemeinen allergisch, wenn man an ihrer Verfassung herumschrauben will.
Sie gilt vielen als unantastbar. Selbst eingefleischte Gegner der "Homo-Ehen" üben deshalb Kritik an Bushs Vorschlag. Hinzukommt, dass Amerikaner, eben gerade auch konservative, die Eigenständigkeit der Bundesstaaten hochhalten. Zuviel Einmischung aus Washington wird nicht gern gesehen. Eine Verfassungsänderung auf Bundesebene gilt aber als weisend für die einzelnen Bundesstaaten, d.h. sie könnten nicht mehr ihre eigenen Regelungen bezüglich der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern aufrecht erhalten. Um ein so genanntes Amendment durchzusetzen, braucht es eine Zweidrittelmehrheit im amerikanischen Kongress und die Ratifizierung durch dreiviertel der Bundesstaaten.
Die in Amerika ziemlich bekannte Schauspielerin/Showmasterin Rosie O'Donnell erboste das Vorpreschen von Bush gleich so, dass sie mit ihrer langjährigen Lebenspartnerin von New York nach San Francisco flog, um diese im Rathaus von San Francisco zu heiraten. O'Donnell ließ kein gutes Haar an Bush. Viele meinen auch, dass Bush nur an seinen Wahlkampf denkt und mit seinem obermoralischen Auftreten die religiöse Rechte, die ihm viele Wahlkampfgelder spendet, besänftigen will.
Wer hätte gedacht, dass unser schnieke aussehender Bürgermeister, der nur knapp die Stichwahl gegen Matt Gonzalez gewann und den böse Zunge während des Wahlkampfes in einen Topf mit Bush und Schwarzenegger warfen, sich als Vorreiter einer neuen Bürgerrechtsbewegung (so sehen es viele politische Aktivisten) etabliert (Rundbrief 12/2003). Hut ab! Ah, wer wollte in einer anderen Stadt leben? Überhaupt zeigt Newsom Rückgrat. Als eine seiner ersten Amtshandlungen setzte er eine Frau (die erste in Amerika) als Chef der städtischen Feuerwehr ein. Mittlerweile folgten einige andere Bürgermeister Newsoms Beispiel: Im Sandoval County im Bundesstaat New Mexico heirateten kurzfristig einige gleichgeschlechtliche Paare. Der Landkreis wurde aber ziemlich schnell am Ausgeben der Heiratsurkunden gehindert. In dem kleinen Ort New Paltz im Bundesstaat New York dauern die Eheschließungen aber an, denn der oberste Staatsanwalt sah keinen rechtlichen Anlass, dies zu stoppen. Auch der Stadtrat in Oakland (Stadt auf der anderen Seite der San Francisco Bay) überlegt Hochzeiten zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren zuzulassen.
Übrigens gibt es in Kalifornien und auch in anderen Bundesstaaten schon seit längerem die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft. Das entspricht ungefähr dem derzeitigen deutschen Modell. Durch Eintrag erhält das gleichgeschlechtliche Paar einige der Rechte, die auch verheiratete Heterosexuelle genießen, z.B. das Besuchsrecht im Krankenhaus oder auch medizinische Entscheidungen im Namen des Partners zu treffen, wenn dieser dies nicht mehr kann. Andere wichtige Rechte bleiben dem Paar allerdings nach wie vor verwehrt, weil diese meist auf Bundesgesetzen beruhen oder die Rechte von eingetragenen Partnerschaften nicht weit genung gehen: das Recht eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben, Rentenansprüche nach dem Tod eines Partners zu beziehen, Erbschaftssteuerfreiheit beim Erben von Grundbesitz, der dem Partner gehörte und die Möglichkeit als Ausländer eine Greencard zu erwerben, weil der eingetragene Partner Amerikaner ist, nicht ganz unerheblich in dem Einwanderungsstaat Kalifornien. Wir halten euch auf dem Laufenden, wie's weiter geht.
(Michael) Wer kauft schon gerne im Supermarkt ein! Wenn ich allerdings einmal im Monat zum Super-Supermarkt "Costco" darf, erwacht in mir das Kind im Manne. Denn Costco, in den man nur mit Mitgliedskarte (die $45 im Jahr kostet) rein darf, hat nicht nur Lebensmittel. Ich kann stundenlang durch die Gänge flanieren und mir die irrsten Sachen ansehen: Ein Laser-Einparksystem für's Auto! Einen Feuerlöscher! Ein beleuchtetes Neon-Schild, das "Open" schreibt! Einen neuen Anti-Spar-Duschkopf, mit dem man leicht Elefanten im Zirkus duschen könnte! Die Anzahl der Artikel ist, ähnlich wie beim deutschen Aldi (der übrigens schon bis zur Ostküste der USA vorgedrungen ist) stark beschränkt. Es gibt meist nur eine Marke von irgendwas, aber fast immer den Marktführer.
Mit einer Einkaufsliste für ein Kochrezept wäre man allerdings im Costco fehl am Platz. Die Hälfte der Produkte gibt es nicht (z.B. keinen Meerrettich oder Joghurt) und andere Artikel nur in Riesenmengen. Wer braucht schon ein Kilo Senf, 52 Kugelschreiber oder eine Packung mit 36 Batterien?
Das Erfolgsgeheimnis von Costco ist aber, dass es dort Spitzenqualität zwar nicht billig, aber zu vernünftigen Preisen gibt. "Costco doesn't sell crap" (Costco verkauft keinen Scheiß) - das ist der Lieblingsspruch des Costco-Geschäftsführers, der neulich mal im Money-Magazin interviewt wurde.
Nehmt meine Taschenlampe: In den USA ist die Stromversorgung bekanntlich in den Händen von Kasperlköpfen -- und dass am Abend für einige Zeit das Licht ausgeht, ist für uns schon Routine: Zappt's mal wieder, gehen wir seelenruhig zu unserem "Kabuff" genannten Wandschrank und holen die Taschenlampe raus. Welche Taschenlampenmarke? Natürlich "MagLite". Das ist die teuerste Taschenlampe der Welt. Aber wer schon mal eine "MagLite" in der Hand gehalten hat, womöglich in einer undurchsichtigen Situation, in der die Nachbarn aufgescheucht mit flickernden Billigtaschenlampen durch den Hausflur rannten, der wird das kalte geschwärtzte Stahlgehäuse einer "MagLite" mit ihrem knallweißen Lichtkegel zu schätzen wissen. Mit dieser Taschenlampe könnte man notfalls eine Fensterscheibe einschlagen, einen Nagel in die Wand hauen oder die Wohnung gegen Einbrecher verteidigen. Wer einmal die Qualität dieser Taschenlampe gefühlt hat, wird sich nie wieder mit weniger zufrieden geben. Natürlich ist sie nicht ganz billig: So 20 Dollar muss man schon hinlegen. Wo gekauft? Bei Costco natürlich, in einem Set mit einer Mini-Maglite für's Auto und einem Satz Batterien, für, na? Genau: 20 Dollar.
Costco gibt's mittlerweile übers ganze Land verstreut. Und sogar bis Japan haben sie sich vorgearbeitet. Und obwohl ich eigentlich dagegen bin, dass es in jeder Stadt mittlerweile dieselben Kaufhaus-, Kaffeehaus- und Fastfoodketten gibt, stellt sich sofort ein Heimatgefühl ein, wenn ich irgendwo in der Pampa einen Costco entdecke. Und auch die geringfügigen lokalen Unterschiede sind fantastisch: Im Costco auf Oahu/Hawaii habe ich zum Beispiel einmal Autositzbezüge mit polynesisch angehauchten Mustern gekauft -- megacool!
Costco spekuliert damit, dass die Leute gigantische Mengen kaufen, wenn es Spitzenqualität zu günstigen Preisen gibt. Die Einkaufwagen dort sind überdimensional groß. Obdachlose, die gerne ihre Habseligkeiten herumschieben, schätzen einen "Costco" wie einen Mercedes Benz. Auch gibt es bei Costco an der Kassse keine "Express Checkout Lane", wie sonst in amerikanischen Supermärkten üblich, wo man sich nur anstellen darf, wenn man bis z.B. fünf oder zehn Artikel hat und schnell, also bar oder mit ATM-Karte zahlt.
Ich bin ein Costco-Fan und scheue mich auch nicht, das öffentlich zuzugeben. Wenn Costco mal eine Anzeigenkampagne mit berühmten Leuten startet und mich auf einem Poster will, sage ich sofort zu. Ich nehme sogar die völlig unamerikanischen Ladenschlusszeiten dieser Kette in Kauf, obwohl ich das total unmöglich finde: Die machen am Sonntag doch glatt schon um 5:00 Uhr nachmittags zu!
(Michael) In unserem Supermarkt um die Ecke stellte ich vor einiger Zeit verwundert fest, dass es sogar Pfanni-Kartoffelknödelmischungen zu kaufen gibt. Allerdings heißen die nicht "Pfanni" sondern "Panni", wohl weil der Amerikaner das "Pf" nicht richtig aussprechen kann und "Fanni" sagen würde, was "lustig" (funny) heißt. Und die Zubereitung warf ungeahnte Schwierigkeiten auf: Man musste die in der Packung gelieferte Knödelmasse nämlich in "2 1/8 Cups" Wasser auflösen. Mit Hilfe des Internets kommt man dergleichen schnell auf die Spur: Auf convertalot.com steht zum Beispiel, dass 1 Cup genau 8 Flüssigkeitsunzen (Fluid Ounces) entspricht. Eine Unze sind knapp 30 Milliliter, ein Cup sind 237ml, also ungefähr ein Viertel Liter.
Die Flüssigkeits-Unzen darf man nicht mit Gewichtsunzen verwechseln, die 28.35 Gramm entsprechen. Beim Metzger kann man unmöglich 200g Wurst bestellen. Ich bestelle üblicherweise "Half a pound", wobei das amerikanische Pfund mit 453g etwas weniger als das deutsche wiegt.
Ich habe auch schon in Lokalen ein Bier bestellt, worauf der Ober fragte "12 oder 16 Unzen"? Da in Amerika sowieso nur Kindergrößen serviert werden, kann man gefahrlos immer die größere Menge ordern. 12 Flüssigkeits-Unzen sind übrigens eine kleine Getränkedose, 16 Unzen entsprechen einem "Pint", also etwas weniger als einem halben Liter (0.473l). Zwei Pints sind ein "Quart", 4 Quarts entsprechen einer Gallone, also 3.78 Litern.
Einmal wollte ich in einem Heimwerkerladen einen neuen Gummistöpsel für unsere Badewanne kaufen, legte kurz unser Inch-Metermaß an und stellte fest, dass der Abfluss etwa zweieinhalb Inch breit war. Ein Inch (Zoll) sind etwa 2.54cm, doch das nur am Rande. Im Laden angekommen, fand ich allerdings heraus, dass es Stöpsel in zwei Größen gab, zweieinhalb Inch und 2 3/8 Inch. Zwischen 2.5 und 2 3/8 besteht nur ein Unterschied von 1/8 Inch, also 3mm und ich fuhr fluchend zurück nach Hause, um genauer Maß zu nehmen.
Und auch im alltäglichen Umgang muss man sich umstellen: Erklärt man jemandem den Weg und sagt "nach 400 Metern links", versteht das niemand. "After a quarter mile" hingegen kapiert jeder. Bei kürzeren Entfernungen verwendet man "Feet", 30,49cm lange Einheiten. In dem Satz "könnten Sie ihre großkotzige Benzinschleuder vielleicht einen Meter zurücksetzen, damit ich ausparken kann" muss man die Längenangabe mit "3 feet" angeben, damit's nicht zu Verwirrungen kommt. Und hier nochmal alle Längenmaße im Verhältnis: 12 "Inches" ergeben einen "Foot" (30,49cm), 3 "Feet" sind ein Yard (91,4cm) und eine Meile sind 1760 Yards oder 5280 Feet (1.609 Kilometer).
Und nun die Rundbrief-Quizfrage: Wieviel verbraucht ein Wagen, der mit "25 Miles per Gallon" angepriesen wird? Der Amerikaner rechnet nämlich nicht damit, wieviel Liter Benzin ein Auto auf 100 Kilometer verbraucht, sondern wieviele Meilen es mit einer Gallone Benzin fährt. Ein hoher Wert indiziert also niedrigen Benzinverbrauch. Wer weiß es? Die Auflösung steht auf unserer Webseite.
(Michael) Wie schon oft im Rundbrief erwähnt, lassen sich amerikanische Käufer im Gegensatz zum deutschen Kunden nicht vom Einzelhandel zum Affen machen. Die Geschäfte haben auf, wenn der Kunde Zeit zum Einkaufen hat und nicht wenn es der hehren Verkäuferschar beliebt, sich in die Arbeit zu schwingen. Wenn einem eine Ware nicht gefällt, tauscht man sie um -- da werden keine dummen Fragen gestellt oder Theater mit Gutscheinen aufgeführt, sondern das Geld zurückgezahlt und fertig ist der Lack.
Doch damit nicht genug. Neulich ging nach vollen fünf Jahren schwerster Abnutzung mein Rucksack kaputt. Jeden Werktag stopfte ich ihn mit Laptop und Büchern voll, und schleifte ihn per Fahrad und Zug zwischen Mountain View und San Francisco hin und her. Er war auf allen Reisen dabei, von Hawaii bis Japan, von Washington bis San Diego. Und irgendwann platzte der Reißverschluss auf. Aber, ich erinnerte mich, dass die Herstellerfirma des Rucksacks, Briggs & Riley, damals eine lebenslange Garantie auf das Teil angeboten hatte.
Nun gab es diesen Rucksack schon gar nicht mehr im Programm, aber ich rief einfach die auf dem aufbewahrten Garantiekärtchen angegebene kostenlose 1-800-Nummer an. Und, siehe da, der Kundenservice erklärte sich freudig bereit, das Teil kostenlos zu reparieren -- ich sollte den Rucksack nur per Post nach Half Moon Bay zum Reparaturservice schicken. Das kostete irgendwie 4 Dollar und ein paar Tage später kam der Rucksack einwandfrei repariert und kostenlos mit neuem Reißverschluss zurück. Ein wirklich guter Laden, dieser Briggs & Riley!
(Michael) Wie in Deutschland zahlt man in Amerika auf Glas- und sogar manche Plastikflaschen Pfand im Laden. Allerdings würde niemand auf die Idee kommen, das Leergut wieder zurück in den Laden zu tragen, um das Geld wieder einzukassieren. Vielmehr wirft man die Flaschen in eine blaue Kiste, stellt sie an einem bestimmten Wochentag für den städtischen Altglaseinsammler auf die Straße und lässt das Geld sausen.
Das ist ein Phänomen in Amerika: Es gilt als spießig, sich über Cent- oder kleine Dollarbeträge zu kümmern. Es gibt zwar das Sprichwort "A Penny saved is a Penny earned" aber fast jeder wirft sein Münzgeld dem nächsten Bettler in den Becher. An der Kasse im Geldbeutel rumkramen und das lästige Kleingeld zum Bezahlen krummer Beträge nutzen tun nur alte Omas mit schmaler Rente. Junge Leute fischen Geldscheine aus der Hose und deponieren jegliches Münzgeld sofort im "Tip-Jar", einem häufig selbst in Coffee-Shops und kleinen Läden aufgestellten Trinkgeldgefäß an der Kasse -- obwohl solche Läden eigentlich keine Trinkgeld-erfordernen Serviceleistungen erbringen.
Die kupfernen Cents mag absolut niemand -- sogar die Bettler nicht. Dafür gibt es an Ladenkassen manchmal die so genannte "Give a Penny, take a Penny"-Box. Wenn man Pfennige rauskriegt, wirft man sie dort hinein und wenn man einen Betrag wie "Zehn Dollar und 3 Cents" schuldet, gibt man dem Kassierer einfach einen Zehndollarschein und die 3 Cents holt der sich dann aus der Penny-Box. Ausnahmen sind die großen Supermarkt- und Fastfood-Ketten: Bei McDonald's oder Safeway wird genau abgerechnet und niemand nimmt ein Trinkgeld an. Die Uniformen der McDonald's-Mitarbeiter haben nicht ohne Grund keine Hosen- und sonstige Taschen.
Aber zurück zum Altglas: Die in den blauen Kisten auf dem Gehweg positionierten Flaschen und Dosen schnappen sich oft aufgeweckte Obdachlose, die übervoll bepackte Supermarktseinkaufswägen durch die Straßen rollen und mit dem Leergut beladen (Abbildung 7). An den an manchen Supermärkten stehenden Rückgabeautomaten fahren sie damit vor und kassieren für jede Dose oder Flasche ein paar Cent. Übrigens ist die Erstattung abhängig vom Bundesstaat. In Michigan kriegt man komischerweise etwas mehr als sonstwo. In einer Episode der Komödie "Seinfeld" versuchen zwei der Darsteller deswegen, einen ganzen Lieferwagen voll Altglas von New York nach Michigan zu kutschieren.
(Michael) Unsere Fernsehkasten-Hilfe Tivo (Rundbrief 05/2001) hat mal wieder heimlich in den Kanälen herumgestöbert und eine Sendung entdeckt, die mir gefällt: Die Sendung "Mythbusters" (Mythen-Zerstörer) auf dem Discovery-Channel.
Es gibt ja diese urbanen Legenden: Sensationelle Gerüchte, meist frei erfunden, die sich aber hartnäckig in den Köpfen der Leute festsetzen und die irgendwann jeder blind glaubt. Zum Beispiel, dass ein vom Empire State Building heruntergeworfener Penny (1-Cent) jemanden, der unten auf der Straße steht, schwer verletzen kann. Oder dass ein Handy, wenn es beim Tanken klingelt, eine Tankstellenexplosion auslösen kann. Oder dass ein Mikrowellenherd explodiert, wenn man etwas Metallisches reinlegt. Oder dass ein über Nacht in Cola eingelegtes Fleischstückchen sich auflöst. Oder dass der Drogentest positiv ausfällt, wenn man Mohnkuchen gegessen hat.
Solchen Gerüchten durch knallharte Laborexperimente auf den Grund zu gehen, und dabei möglichst viele Utensilien medienwirksam in die Luft zu sprengen, das ist das erklärte Ziel der beiden "Mythbusters"-Moderatoren Adam Savage und Jamie Hyneman. Der Ablauf der Sendung ist immer derselbe: Die beiden Moderatoren stöbern eine "Urban Legend" auf und ziehen sich dann in ihre mit allerlei Höllenmaschinen ausgestattete Bastelwerkstatt zurück, um das Problem zu simulieren. Im Falle des vom Empire-State-Buildings fliegenden Cent-Stücks ermittelten sie einfach experimentell die Endgeschwindigkeit eines fallenden Pfennigs und bastelten dann aus einem industriellen Tacker-Automaten eine Spezialkanone, die Pfennige genauso schnell auf einen mit Gel umschlossenen Totenschädel schießt. Das Ergebnis: Alles Bogus. Höchstens eine leichte Schramme könnte man abkriegen.
Oder ein Löffel in der Mikrowelle: Der wird höchstens heiß. Eine zu einem Bällchen zusammengeknüllte Alufolie sprüht allerdings böse Funken.
Oder der Fall mit der Tankstelle: Selbst wenn ein Handy in einem mit Benzindampf vollgepumpten Glaskasten klingelt, explodiert nichts. Auch ein dort agierender Roboterarm, der mit einem Synthetikstoff statische Elektrizität erzeugte, konnte nichts ausrichten. Erst ein künstlich mittels Hochspannung erzeugter elektrischer Funke vermochte die ersehnte Explosion einzuleiten und den Versuchsaufbau zum Vergnügen der beiden Moderatoren in die Luft zu jagen.
Und da die Sendung aus San Francisco kommt, darf natürlich eines nicht fehlen: Die Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz in der Mitte der Bay aufs Festland. In einer Mythbusters-Episode leimten sich die beiden Forscher ein dreieckiges Floß aus Gummiregenmänteln mit Gefängniskleber zusammen -- genau wie die drei berühmt-berüchtigten Sträflinge, die 1962 flohen, aber nie gefunden wurden, und um die sich seit dem unzählige Legenden ranken. Ich hätte das nie geglaubt, so stürmisch und kalt wie das Baywasser ist: Aber die zwei Moderatoren und ein Freiwilliger schafften es tatsächlich, ihr Floß mitten in der Nacht mit aus Brettern zusammengenagelten Rudern ans Nordende der Golden Gate Bridge zu manövrieren und an Land zu gelangen. Myth busted!
Ich hätte hingegen gerne einen anderen Mythos geklärt: Auf langen freiliegenden Überlandstraßen, an denen die Polizei beim besten Willen keinen Wagen zur Radarmessung abstellen könnte, den man nicht schon fünf Kilometer weit sähe, findet man manchmal Schilder, die vor "Radar Patrol by Aircraft" warnen. Flugzeuge, die die Geschwindigkeit von Autos messen? Das ist doch ein Ammenmärchen! Wie soll das funktionieren? Außerdem wär's viel zu teuer. Hoffentlich entlarven die Mythbusters diesen Schmarr'n auch bald!
(Angelika) Ha, keiner hat es gemerkt, dass ich euch noch den letzten Teil in meiner Triologie "Das amerikanische Schulsystem" schuldig bin. Es fasziniert mich immer wieder, was man sich für ein Halbwissen durch den jahrelangen Genuss von amerikanischen Fernsehsendungen bezüglich amerikanischer Schulen aneignet. So weiß jeder aus der Teenie-Serie "90210", dass Verabredungen in der Highschool stets vor den obligatorischen "Lockern" getroffen werden.
"Locker" sind Stahlschränke, in denen die Schüler ihre Bücher und andere Habseligkeiten verschließen (= to lock), was ja eigentlich recht praktisch ist, denn so brauchen die Schüler nicht jeden Tag ihre schweren Bücher hin- und herzuschleppen. Auch der soziale Kalender der Highschool erscheint uns vertraut und dann irgendwie doch nicht, denn wir sind nie in den Genuss gekommen, bestimmte Aktivitäten live zu erleben.
Zwei große Ereignisse stehen jedes Jahr auf dem Highschool-Kalender: die "Prom" und das "Homecoming". Hinter "Prom" verbirgt sich ein pompöser Schulball, an dem sich die Jungs und Mädels in Festtagsroben schmeißen und das Tanzbein schwingen. In der Sendung "90210" spielten sich auf der Prom immer allerlei Dramen ab. Die Bälle (nicht Feten) stiegen dabei teilweise gar nicht im Schulgebäude sondern in Hotels oder Ähnlichem.
Das "Homecoming" hingegen findet man sowohl an amerikanischen Highschools als auch an Colleges/Universitäten. Die Footballmannschaft kommt zum ersten Heimspiel "nach Hause". Neben dem Footballspiel gibt es oft eine Parade und eine Party. Eine Schülerin und ein Schüler werden zur "Homecoming-Queen" bzw. "-King" (so etwas wie eine Schönheitskönigin bzw. ein -könig) gewählt.
Klasse gefallen mir auch die amerikanischen Schulbusse. Sie erinnern mich immer an ein Kinderbuch, das ich im zarten Alter besaß. Der Schulbus in dem Buch erlebte tausend Abenteuer und sah genauso aus wie die amerikanischen. Wenn ich hier so einen gelben Schulbus sehe, denke ich immer, gleich spricht er mit mir, denn die Vorderseite des Busses hat fast menschenähnliche Gesichtszüge. Aber ich schweife ab.
Kinder, die auf öffentliche Schulen in Amerika gehen, fahren in der Regel mit dem Schulbus. Kaum jemand gelangt zu Fuß oder gar mit dem Fahrrad zur Schule. Obwohl ich gestehen muss, dass es in sicheren Gegenden San Franciscos durchaus vorkommt, dass Kinder zur Schule laufen. Mit dem Fahrrad sieht das schon schlechter aus in dieser hügeligen Stadt. Und in dünner besiedelten Gegenden braucht es Schulbusse natürlich auch deshalb, weil der Weg zur Schule oft sehr weit ist.
Das soziale Experiment des so genannten "Bussing" kam in den 70iger Jahren auf und wird kaum noch angewendet. Hinter "Bussing" verbirgt sich die Idee, Schüler mit Hilfe der Schulbusse in andere Schulen zu karren, um die Schulen bunt gemischter zu machen. Zu verhindern galt es, dass Schulen sich hauptsächlich aus einer schwarzen oder weißen Schülerschaft zusammensetzten.
Mittlerweile steht das Konzept der "Affirmative Action" hoch in Kurs. Dahinter verbirgt sich eine ganz besondere Art der Quotenregelung zugunsten benachteiligter Minderheiten. Die Idee ist, dass Minderheiten in Amerika oft finanziell und sozial schlechter dastehen und somit ihre Bildungschancen geringer sind. Universitäten dürfen bei der Zulassung eines Studenten also deren ethnische Zugehörigkeit als einen Faktor berücksichtigen und ihn bevorzugen. Dadurch soll es mehr Chancengleichheit geben. Natürlich gibt es heftige Kritik an dieser Praxis. Die Verabschiedung der Propostion 209 in Kalifornien im Jahr 1996 schränkte die bis dahin gängige Praxis der "Affirmative Action" zum Beispiel stark ein.
Es fasziniert mich immer, dass gute Schüler in Amerika nicht gleich in die Kategorie "Streber" fallen. Denn wie könnte man sonst die Praxis der "Honor Roll" (=Ehrenliste) an amerikanischen Schulen erklären: Schüler können durch herausragende Leistungen eine Platzierung auf der Liste erhalten. Oft beobachten wir hier Aufkleber an Autos, mit denen Eltern damit protzen, dass ihr Sprössling zu den Ehrenkandidaten gehört ("My child is an honor student"). Also ich hätte mich ja zu Tode geschämt, wenn meine Eltern so einen Aufkleber an unser Auto angebracht hätten. Auch das Tragen von Schuluniformen wäre nicht mein Ding gewesen. Allerdings stopft man in Amerika nicht jeden Schüler in eine solche. Private Schulen zeichnen sich oft durch die Schuluniformpflicht aus. An vielen öffentlichen Schulen gibt es das nicht.
Und zum Schluß ein Zuckerl aus dem amerikanischen Schulalltag. In einem meiner zahlreichen Fotokurse erfuhr ich von der Institution der Militärkurse an amerikanischen Highschools. Ich hielt das erst für einen Witz, aber dann sahen wir nicht nur Fotos von Schülern in Uniformen sondern eine militärische Formationsübung. Die so genannten JROTC-Kurse (JROCT steht für Junior Reserve Officer Training Corps) lassen sich in vielen Highschools in Amerika finden. Das Verteidigungsministerium sponsort sie und stellt die Textbücher, die Uniformen und den Lehrer, in der Regel ein pensionierter Militärangehöriger, bereit. Schüler sollen in den freiwilligen Kursen Disziplin, Verantwortung und Führungsqualitäten im Militärstil erlernen. Böse Zungen behaupten dann auch, dass es sich hierbei nur um ein Rekrutierungsprogramm der amerikanischen Armee handelt, was nicht von der Hand zu weisen ist, denn 40 Prozent der Schüler, die ein JROTC-Programm durchlaufen, verpflichten sich später für das Militär. Sachen gibt's die gibt's gar nicht.
(Angelika) Trotz der hartnäckigen Propaganda der Bush-Administration, dass Amerika sich im Aufschwung befindet, finden immer noch Entlassungen bzw. kaum Neueinstellungen in San Francisco und im Silicon Valley statt. Der neuste Trend ist, dass Firmen nicht nur ihre Produktionen in Billigländer auslagern sondern auch ihre Entwicklungsabteilungen, denn in Indien zahlen die Firmen den Programmierern einen Bruchteil des Gehalts, was hier berappt werden müsste. Viele Firmen, durchaus finanzkräftige große, streichen ihre Krankenkassenprogramme zusammen.
Aber auch die mittelständischen Betriebe bluten. Gehen wir die 24te Straße, die Haupteinkaufsstraße in unserem Viertel, hoch, begegnen uns auf Schritt und Tritt Schilder in den Schaufenstern, die Räumungsverkauf und Geschäftsaufgabe ankündigen. Obwohl wir hier nun schon über sieben Jahre leben, begreife ich nicht, warum es in Amerika nicht zur Revolution kommt. Da gibt es Leute, die zwei oder drei Jobs haben, nur um über die Runden zu kommen und trotzdem sich keine Krankenversicherung leisten können. Gleichzeitig senkt Bush die Steuern für die Superreichen. Die Staatsverschuldung wächst täglich und dann kündigt der oberste Finanzguru Greenspan letzte Woche an, dass auf lange Sicht mit der Kürzung der Renten ("social security benefits") zu rechnen ist, um das Haushaltsloch zu stopfen, was natürlich die Geringverdiener am härtesten trifft. Der amerikanische Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" stirbt einfach nicht in den Köpfen der Leute. Der Optimismus (einschließlich Michaels) ist ungebrochen.
Ende des letzten Jahres spürte ich gleich am eigenen Leib die Auswirkungen der Wirtschaftsmisere. Die "University of California Berkeley Extension" beschloss, ihren Gebäudekomplex an der Laguna Street wegen Finanzschwierigkeiten zu schließen. Renovierungen standen an, um den großen, aber schon in die Jahre gekommenen Gebäudekomplex erdbebensicher und behindertengerecht zu machen. Das Geld fehlte in der Kasse, denn UC Berkeley Extension hatte in den Boomjahren fleißig expandiert und sich verkalkuliert.
Außerdem gingen die Kurseinschreibungen zurück, denn viele konnten sich die teuren Kursgebühren nicht mehr leisten. Das Extension-Programm, was sich grob als Erwachsenenbildung definieren lässt, ist zwar mit der renommierten Uni Berkeley verbandelt, muss aber eigenständig Profit abwerfen.
Der aufmerksame Rundbriefleser weiß, dass das Gebäude an der Laguna Street wie mein zweites Zuhause war, denn hier besuchte ich nicht nur unzählige Fotokurse sondern es befand sich dort auch "meine" Dunkelkammer. Wegrationalisiert! Es werden zwar noch Kurse in einem anderen Gebäude in der Stadt und in Berkeley angeboten, aber das Fotografieprogramm und Kunstangebote im allgemeinen schrumpften erschreckend zusammen und für die Dunkelkammer gibt es keinen Ersatz. "Brotlose Künste", befand der Dekan. Wir protestierten, sammelten Unterschriften, schrieben Briefe, diskutierten mit dem Dekan. Es half alles nichts. Jetzt steht das Gebäude traurig und verlassen da und wartet auf den Abriss. Man munkelt, dass Investoren neue Wohnungen auf dem heißbegehrten Grund bauen wollen.
Im Februar begab ich mich also auf die Suche, um eine neue Dunkelkammer zu finden. Das "Harvey Milk Photo Center" kam als Retter in der Not. Es handelt sich um eine große Gruppendunkelkammer, die die Stadt San Francisco betreibt. Man zahlt einen geringen Obolus, um die Dunkelkammer zu nutzen. Ich kannte das Zentrum schon, weil wir uns in deren anderen Räumlichkeiten mit meinem Fotokollektiv regelmässig treffen. Nun hoffe ich nur, dass Harvey Milk erhalten bleibt, denn San Franciscos Haushalt fehlt es auch an allen Ecken und Enden.
(Michael) Am Montag, den 22.12. um elf Uhr morgens arbeitete ich im Büro, als plötzlich das AOL/Netscape-Gebäude in einer wellenförmigen, durchaus harmonischen Bewegung anfing, etwa einen halben Meter hin- und herzuschwingen. Wir waren gerade in neue Räumlichkeiten im dritten Stock umgezogen und ich dachte zuerst, jemand schöbe einen schweren Schrank den Flur entlang. Als das Ganze anhielt und auch der Kollege, der gerade an meinem Cubicle-Eingang stand und sich mit mir unterhielt, verwundert dreinsah, schaute ich schnell im Internet nach, und siehe: Ein 6.5er auf der Richterskala.
Zwar gewöhnt man sich im Laufe einiger Jahre in einem seismisch aktiven Gebiet an kleinere Ruckler, doch 6.5 auf der nichtlinearen Skala ist eine ernstzunehmende Größenordnung -- da stürzen schon mal schlecht gebaute Gebäude ein, und darunter begraben zu werden, ist kein Spaß. Tatsächlich kamen im Ort Paso Robles, das nahe am Epizentrum lag, drei Leute ums Leben, als ein Gebäude zusammenfiel. Sofort rief ich Angelikas Handy an, doch leider ging niemand ran. Zuhause hinterließ ich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Nach einer Weile machte ich mir Sorgen und suchte die Nummer der Foto-Dunkelkammer im Keller (!) der UC-Berkeley-Extension, in der sich die Dame mal wieder aufhielt -- zum Glück hatte niemand dort das Beben bemerkt und wäre so auf die Idee gekommen, Kontakt aufzunehmen. Puh!
(Michael) Wir leiden ja bekanntlich unter dem neuen "Governator", wie Arnie Schwarzenegger in den Zeitungen genannt wird. Die Wortneuschöpfung setzt sich aus "Governor" (Gouverneur) und "Terminator" (der Film) zusammen. Als eine seiner ersten Aktionen im Amt setzte er die von seinem Vorgänger Gray Davis erhöhte Kraftfahrzeugsteuer wieder runter. Nun ist die in Amerika eh nicht der Rede wert und für unseren 13 Jahre alten "PERL MAN" zahlten wir nach der Erhöhung etwa $80 im Jahr, vorher waren es $40. Prompt flatterte kürzlich ein Erstattungsscheck von der Kraftfahrzeugbehörde ins Haus, um uns die zuviel gezahlten $41.07 zu ersetzen.
Die Kehrseite ist freilich, dass dieses Geld nun für durchaus vernünftige Vorhaben, wie Schulen, fehlt. Aber für Arnies republikanische Sponsoren, die benzinverprassende "Hummer"-Geländewagen fahren und "Umwelt? Schnickschnack!" rufen, war diese Aktion wohl wichtig. Dümmer geht's nimmer.
(Michael) Kurz vor Weihnachten letzten Jahres räumte AOL die letzten Gebäude auf dem ehemaligen Netscape-Campus. Von 800 Leuten wurde etwa 500 sofort gekündigt und etwa 100 erhielten ein Angebot, an die Ostküste, nach Dulles ins Hauptquartier von AOL zu ziehen. "Sofort gekündigt" hieß dabei, um zehn Uhr Bescheid zu kriegen, bis 12:00 mittags das Gebäude zu verlassen. Ein hektisches Treiben setzte ein, private Dinge aus Cubicles wurden geräumt, Verabschiedungsszenen überall, ein trauriger Tag. Die Firma ließ sich nicht lumpen und zahlte jedem 4 Monate "Severance Package", also Gehalt plus Krankenversicherung.
Glücklicherweise hat's mich nicht erwischt, aber leider sind 90% meiner Kollegen nun weg. Interessant war, dass sofort nach Bekanntwerden der Entlassungen einige Konkurrenzfirmen wie Yahoo oder Ebay so genannte "Open Houses" veranstalteten, speziell für die bei AOL Gekündigten, wohl um die Besten aufzuschnappen. Wir stehen nach wie vor über Mailinglisten in Kontakt, und manche haben schon einen neuen Job gefunden, aber die Arbeitsmarktlage ist nicht so rosig.
Aber es geht aufwärts. Und im Gegensatz zu Deutschland, wo ich den Eindruck habe, dass wirklich alles den Bach runtergeht und jeder nur jammert, gibt sich der Amerikaner positiv: Das wird schon wieder. Und glaubt mir: Es hilft.
Grüße aus der Talsohle:
Angelika und Michael
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