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San Francisco, den 18.3.2020
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Abbildung [1]: Panikkäufer bei Trader Joe's in San Francisco.

Angelika Auch wenn der werte Herr Trump letzte Woche noch meinte, dass das Virus ein ausländisches sei und sich aufhalten ließe, indem man einen Einreisestopp aus EU-Ländern verhängt, kann keiner leugnen, dass das Virus sich auch in den USA ausbreitet. Da es aber immer noch nicht genügend Tests gibt, weiß keiner so genau, wie viele Leute eigentlich schon mit dem Virus herumlaufen. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich enorm hoch, sodass Experten vermuten, dass es hier in den nächsten Wochen zugehen wird wie in Italien. Nun versucht man endlich mit Entschlossenheit, die Zahl der Infektionen zu verlangsamen. Ein Kraftakt in einem Land, das nicht nur riesengroß ist, sondern von jeher auf individuelle Freiheit und möglichst wenig Staat setzt. Von dem unausgewogenen und sündhaft teuren Gesundheitssystem einmal ganz zu schweigen.

Abbildung [2]: Als Erstes ausverkauft: Kartoffelchipsprodukte.

Wie sieht unser Leben nun ganz konkret aus? Michael arbeitet schon seit fast zwei Wochen von zuhause. Nicht nur Apple schickte die Mitarbeiter ins heimatliche Büro, sondern auch alle anderen großen Firmen wie Facebook, Microsoft, Google usw. Das geht relativ unproblematisch für die meisten Mitarbeiter in diesen Firmen. Michael arbeitet sowieso jeden Mittwoch und Freitag von daheim. Er sagt, das sind die Tage, an denen er viel geregelt bekommt und am produktivsten ist, und natürlich kann er den ganzen Tag in der Jogginghose herum lungern und in der Mittagspause zum Surfen gehen. "Homeoffice" ist für Michael also kein Fremdwort.

Bis Freitag letzter Woche bin ich noch jeden Tag in die Schule gefahren. Dadurch dass große Techfirmen ihre Mitarbeiter aber schon von zuhause arbeiten ließen, kam ich wenigstens in den Genuss von traumhaften Verkehrsverhältnissen im dicksten Berufsverkehr. Normalerweise brauche ich bis zu 50 Minuten zur Arbeit mit dem Auto für etwas über 30 Kilometer, denn streckenweise erinnert der Freeway mehr an einen Parkplatz als eine Autobahn. Aber letzte Woche hieß es jeden Tag freie Fahrt, und ich schaffte es in unter 30 Minuten in meine Schule.

Abbildung [3]: Küchenrollen statt Klopapier, sowie Mineralwasser: Die beliebtesten Produkte zurzeit im Costco-Supermarkt.

Allerdings ist unsere Schule nun erst einmal für mindestens 3 Wochen geschlossen, denn Kinder gelten ja bekanntlich als Bazillenschleudern. Da Kinder mit dem Virus scheinbar auch kaum Symptome zeigen, haben wir eigentlich seit Wochen russisches Roulette gespielt. Unsere Schüler, die wild rumhusteten, wurden zwar nach Hause geschickt, aber da es nicht genügend Testkits in den USA gibt, werden Kindern nur sehr selten auf Corona getestet, falls sie nicht massive Symptome aufweisen. Erschwerend hinzu kommt, dass Kinder in der kälteren Jahreszeit eh ständig prusten, husten und niesen, es sich dabei aber meist um einfache Erkältungen handelt. Das Einzige, was wir machen konnten, war also darauf zu achten, dass sich unsere Racker die Hände gründlich wuschen.

Auch wurden Schreibtische und Türknöpfe ständig desinfiziert und die Kinder angehalten, in ihre Ellbogenbeuge zu husten. Wer schon mit Kindern gearbeitet oder welche großgezogen hat, weiß aber, dass das leichter gesagt als getan ist. Ich kann gar nicht zählen, wie oft mir schon ein Kind direkt ins Gesicht gehustet, genießt oder herzhaft auf sein Pult gerotzt hat. Und ich arbeite ja auch noch mit Kindern, die nicht immer ganz leicht zu handhaben sind, oder das Händewaschen trotz mehrmaliger Erinnerung dann auch schon mal vergessen oder lieber mit dem Wasser spielen, die Seife aber nicht in ihr Spiel mit integrieren. Mit allen möglichen Tricks versuchten wir es trotzdem: coole Videos zum Thema Coronavirus und Hygiene, Comics, Belohnungen, Liedern (zweimal "Happy Birthday" singen zum Beispiel während des Händewaschens).

Abbildung [4]: Die Toilettenpapierpreise auf Ebay erreichen astronomische Höhen.

Natürlich ist es keine leichte Entscheidung, Schulen zu schließen, denn wo sollen die Kinder denn hin, wenn die Eltern zur Arbeit müssen, vom Unterrichtsausfall ganz zu schweigen. Auch bedeutet zur Schule gehen Struktur und Kontinuität, was gerade für die Kinder, mit denen ich arbeite, von enormer Wichtigkeit ist. Unsere Schule hat sich deshalb entschlossen, die Kinder online zu unterrichten ("remote learning"). Die meisten unserer Familien sind technisch gut ausgerüstet, bei anderen schickten wir die Kinder mit den schuleigenen Chromebooks (Google Laptop) nach Hause. Wir arbeiten in unserer Schule sowieso schon viel mit den neuen Technologien. Schulhefte und Bücher gab es natürlich auch mit auf den Weg. Meine Kollegin, die ja die ausgebildete Grundschullehrerin in der Klasse ist, schickt ab nächste Woche unseren Schülern jeden Tag Lernstoff, den sie täglich erarbeiten müssen.

Neben anderen Programmen nutzen wir dazu die nicht kommerzielle Website der Khan Academy. Die Seite stellt kostenlos Unterrichtseinheiten mit Youtube-Videos und Übungen zur Verfügung, die sich an Lehrpläne anlehnen. Der Lehrer kann jedem Schüler bestimmte Unterrichtseinheiten zur Bearbeitung zuordnen und sieht nicht nur, wie lange der Schüler dafür braucht, sondern auch wie erfolgreich er war. Salman Khan gründete 2009 das Portal, das sich aus Spendengeldern finanziert. Google spendete 2010 zum Beispiel 2 Millionen Dollar. Die Idee für Khan Academy entstand, weil Khan das Internet mit Hilfe von "Yahoo Doodle Images" nutzte, um seinem Cousin Nachhilfe in Mathe zu geben. Andere Cousins fanden die Erklärungen ebenfalls klasse und Khan fing an, seine Videos auf YouTube zu stellen. Wir sind gespannt, wie das Ganze von unseren Kindern angenommen wird und ob die Lauser auch wirklich bereit sind, selbständig zu lernen. Wir sind da alle etwas skeptisch, denn schon Hausaufgaben regelmäßig erledigen klappt meist nicht so recht.

Da ich ja als verhaltenstherapeutische Kraft in der Klasse arbeite und eher dafür zuständig bin, den Kindern mit ihrem Sozialverhalten zu helfen, ist es für mich schwieriger, dieses zu beeinflussen, wenn die Kinder nicht vor Ort in der Schule sind. Zur Zeit ist geplant, dass wir Berichte schreiben und andere Verwaltungsaufgaben übernehmen und dann natürlich unsere Unterrichtseinheit "Sozial Emotionales Lernen" ("Social Emotional Learning"), vorzubereiten, die wir Verhaltenstherapeuten jeden Tag in unseren Klassen unterrichten. Es ist noch nicht klar, was passiert, falls wir länger schließen sollten. Unser Gouverneur Gavin Newsom tönte heute schon, dass es durchaus sein könnte, dass die Schulen in Kalifornien unter Umständen bis zu den Sommerferien nicht wieder aufmachen. Ein Wahnsinn! Übrigens kann zwar im Notfall der Gouverneur anordnen, alle öffentlichen Schulen in Kalifornien zu schließen, aber in der Regel hält er sich da lieber zurück und lässt den einzelnen Schulbezirken (= school district) die Freiheit, darüber zu entscheiden. Es gibt schlappe 977 Schulbezirke in Kalifornien. 922 davon haben zur Zeit ihre Schulen wegen des Virus in Kalifornien geschlossen, teilweise aber unterschiedlich lang. Das Übertragen der Entscheidungsbefugnisse auf die lokale Ebene macht die Situation nicht gerade einfacher in Krisenzeiten. Das ist dann oft noch komplexer als in Deutschland, wo die Hoheit über die Schulen ja bei den einzelnen Bundesländern liegt.

Abbildung [5]: Panikkäufer belegen nun schon an Wochentagen alle Parkplätze des Riesensupermarktes Costco.

Hamsterkäufe des obligatorischen Klopapiers und allen möglichen Desinfektionsmitteln hat es hier natürlich auch gegeben. Die Supermärkte sind voll mit Menschen und einige Regale leer. Ihr wisst schon: Nudeln und Tomatensoße, Reis, Mehl, Konserven. Lustigerweise waren hier auch die Knabbersachen ziemlich ausgedünnt und alle gefrorenen Fertiggerichte wie Tiefkühlpizza. Beim Costco (vergleichbar mit Metro in Deutschland) ist der Ansturm enorm und an manchen Tagen kaum Herr zu werden. Die Schwester eines Mitarbeiters in meiner Schule arbeitet beim Costco und berichtete, dass letzten Freitagmorgen schon 2000 Menschen bei ihrem Costco aufgetaucht wären, eine absolut irre Zahl, selbst für diesen Megamarkt. Sie erzählte auch, dass schon mehrmals die Polizei gerufen wurde, da sich Kunden um Produkte stritten oder an der Kasse herumschrien, weil der Verkauf von einigen Produkten begrenzt wurde. Wir haben die Supermärkte zwar voll erlebt, aber noch keine tumultartigen Szenen. Allerdings meiden wir Läden, bei denen sich schon vor der Ladentür eine Schlange bildet. Wir haben sowieso immer Vorräte daheim trotz wenig Stauraum in der Wohnung, damit wir gegen Erdbeben gewappnet sind. Michael ist bei uns der Einkäufer und der achtet immer akribisch darauf, dass nichts ausgeht und immer genug von allem da ist. Ich habe deswegen schon oft geschimpft, denn manchmal weiß ich gar nicht, wo ich die ganzen Sachen unterbringen soll. Jetzt bin ich aber froh darüber.

Shelter in Place

Video: Governor Gavin Newsom verkündet die Ausgangssperre per Telemarketer-Anruf

Angelika Seit heute (17. März) sind wir im Ausnahmezustand in San Francisco und in der Bay Area, und dazu aufgefordert, in unseren Wohnungen und Häusern zu bleiben und nur rauszugehen, falls es absolut notwendig ist. So will die Regierung die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen. Das betrifft zur Zeit fast sieben Millionen Menschen in der Bay Area. Unsere Bürgermeisterin in San Francisco, London Breed, kündigte die "Shelter in Place" genannte Maßnahme gestern an. Am Abend bekamen wir dann eine automatische Nachricht per Telefon, von unserem Gouverneur Gavin Newsom gesprochen, dass die Anordnung ab Mitternacht gilt.

Es ist noch keine Ausgangssperre, denn wir bauchen noch keine Genehmigung, um das Haus zu verlassen, aber es gilt als Ordnungswidrigkeit, wenn ein Bürger ohne triftigen Grund auf der Straße herumspringt. Die meisten Geschäfte und Betriebe sind zu, und nur Läden, die absolut notwendige Dienste oder Güter zur Verfügung stellen, haben auf. Dazu gehören Lebensmittelläden und Wochenmärkte, Arztpraxen und Krankenhäuser, Apotheken und Drogerien, Banken und die Post, Waschsalons, Tankstellen und Autowerkstätten. Lustigerweise sind auch Heimwerkerläden wie der Home Depot auf. Auch wichtige Behörden wie die Führerscheinstelle ("DMV") haben ihre Schalter noch nicht geschlossen, raten aber dringend, nur persönlich aufzutauchen, wenn es unbedingt sein muss und die Dinge online oder per Post zu erledigen, wann immer möglich.

Unsere U-Bahn, die BART, sowie Busse, Straßenbahnen und Taxis, sowie Dienste wie Lyft und Uber dürfen wir nutzen, um notwendige Dinge zu erledigen, wie zum Beispiel eine Arztpraxis zu besuchen. Routinearzttermine sollte man aber absagen. Restaurants sind nur offen, um das Essen entweder zum Mitnehmen zu verkaufen oder per Lieferdienst nach Hause zu schicken. Hinsetzen und dinieren kann man nirgends mehr. Viele Restaurants in unserem Viertel hatten schon vorher ihre Tore zwangsweise geschlossen, weil einfach keine Kunden mehr kamen. Etablissements wie Friseursalons, Nagel- und Fitnessstudios, Klamottenläden, Kaufhäuser oder auch Geschenkeartikelläden sind alle bis mindestens zum 7. April geschlossen. Wir wissen jetzt schon, dass dies viele kleine Geschäfte und auch Restaurants in San Francisco in den Ruin treiben wird, denn schon vor Corona hatten viele aufgegeben, wegen der hohen Mieten und Kosten in der Stadt.

Abbildung [6]: Am hellichten Dienstag Nachmittag gehen die Leute jetzt am Strand spazieren.

Rausgehen darf, wer nicht von zuhause arbeiten kann und zur Arbeit muss. Auch Wege zum Supermarkt und zur Apotheke sind erlaubt. Joggen, Radfahren und Spazierengehen, um sich zu bewegen und frische Luft zu schnappen ist erlaubt. Das begrüßen die Verantwortlichen sogar, solange man entweder alleine geht oder mit den Menschen, mit denen man eh zusammen wohnt. Ansonsten gilt es, mindestens 6 Fuß (1.8m) Abstand zu anderen Spaziergängern zu halten. Wir fragen uns allerdings, wie lange das noch so bestehen bleibt, denn als wir heute spazieren waren, war Gott und die Welt unterwegs. Soziale Distanz ist in Ballungsgebieten gar nicht so einfach.

Abbildung [7]: Um den Hüttenkoller zu vermeiden, gehen die beiden Rundbriefschreiber während der Ausgangssperre jeden Tag wandern.

In diesen Zeiten leisten uns unsere Wanderschuhe treue Dienste, denn sie symbolisieren ein Stück Freiheit und Frieden. Verlässlich tragen sie unsere Füße durch die Landschaft. Da es immer noch erlaubt ist, an die frische Luft zu gehen, haben wir bis jetzt jeden Tag unsere Wanderschuhe gezückt und sind raus in die Natur. Oft ging es an den Ozean, wo wir uns die salzige Luft um die Ohren haben wehen lassen und auch um dem Lake Merced in San Francisco sind wir schon gelaufen. Gestern war der Pazifische Ozean so friedlich und die Sonne ließ das Wasser so herrlich glitzern, als ob die Natur uns sagen wollte, dass alles schon wieder gut wird.

Döner in der Döner-Diaspora

Abbildung [8]: Döner gibt es in San Francisco nur als Spezialanfertigung.

Michael Türkische Imbisse in Amerika kann man nicht mit türkischen Imbissen in Deutschland vergleichen. Hier in Kalifornien gibt es sogar eine stattliche Anzahl von Etablissements, die türkisches Essen herstellen und verkaufen, aber irgendwie schmeckt es völlig anders. Meist handelt es sich nicht um rein türkische Spezialitäten, sondern mehr mediterran oder nahöstlich angehauchte Gerichte. So ist es nicht ungewöhnlich, dass hier ein türkisches Restaurant ohne mit der Wimper zu zucken griechisches "Gyros" verkauft oder nahöstliches "Falafel". Undenkbar in Deutschland, politische Unruhen brächen aus!

Als bei uns um die Ecke ein türkischer Schnellimbiss aufmachte, begab ich mich natürlich als einer der ersten Kunden dorthin und verlangte einen Döner, den es allerdings dort so nicht gab. Ich erfuhr von der original aus der Türkei kommenden Verkäuferin, dass Amerikaner generell Probleme hätten, das in von der Semmel zusammengehaltene Fleisch beim Verspeisen vom Herausfallen abzuhalten, und deshalb jeder Imbiss sogenannte "Wraps" verkaufe, in denen das vom Kebab-Spieß abgeschnittene Fleisch mit Salat in einer Rolle aus einem dünnen Fladenpfannkuchen eingewickelt wird. Schmeckt natürlich völlig anders als das getoastete Korianderbrot aus deutsch-türkischen Imbissen!

Weiter muss man wissen, dass der Döner eine rein deutsche Spezialität ist, die von türkischen Einwanderern ins Land geholt wurde. Was man in Deutschland "Döner" nennt, gibt es in dieser Form, mit der getoasteten Koriander-Semmel und dem knusprig am Spieß gebratenen Kalbfleisch (neuerdings in München auch Pute) und gewürztem Salat -- außerhalb Deutschlands nur ganz, ganz selten auf der Welt. Das ist auch der Grund, warum ich, wenn ich alle Schaltjahre mal in München aufschlage, sofort die nächstbeste Dönerbude aufsuche und gierig einen Döner verschlinge.

Abbildung [9]: Dieser türkische Imbiss bei uns im Viertel serviert auf Wunsch meinen Spezial-Döner.

Nun machte kürzlich schon wieder ein türkisches Restaurant in unserer Nähe auf, es heißt "Shish Ke Baba" und ist an der Ecke 30ste Straße an der San Jose Avenue im Stadteil Bernal Heights. Ich erklärte der freundlichen Dame an der Kasse die Situation und ihr Mann in der Küche erklärte sich sofort bereit, mir einen Döner "German Style" aus einem Fladenbrot zu machen, das ihre Spezialität sei, nicht ganz das Korianderbrot aus deutsch-türkischen Imbissen, sondern mehr wie eine französische Brioche, aber immerhin. Sie wiesen mich noch darauf hin, das Ganze vorsichtig aus der Alufolie auszupacken und anzubeißen, weil der Inhalt sonst aus der Semmel fiele, aber da lachte ich nur und sagte, da hätte ich Übung drin. Der Spaß war nicht ganz billig, weil es das Gericht nur zusammen mit einem extra Salat gibt, aber ich zahlte so ungefähr 15 Dollar und war sehr zufrieden mit dem Döner.

Abbildung [10]: Diese türkische Gewürz verleiht dem Döner die richtige Schärfe.

Was noch fehlte, war das typische Dönergewürz. Wenn der Mann in deutschen Dönerbuden "Willst Scharffe??" fragt und man das bejaht, streut er eine rötliche Substanz hinein, was, wie ich über Amazon herausgefunden habe, das türkische Gewürz "Aleppo-Pfeffer" (25) ist. Flugs orderte ich es für kleines Geld online, und wenn ich nächstes Mal meinen Döner "German Style" ordere, werde ich ihn daheim heimlich schärfen. Vielleicht gibt's ja doch noch mal einen richtigen Döner in unserer Döner-Diaspora!

Mann, Frau, und Unbestimmt

Abbildung [11]: Auf Formularen gibt es neuerdings immer öfter ein drittes Geschlecht.

Michael Wer ein Formular ausfüllt, kreuzt üblicherweise bei "Geschlecht" entweder "männlich" oder "weiblich" an. Allerdings sind Geschlechterrollen neuerdings eher fließend definiert, jeder kann alles sein oder auch keines von beiden. Hippe Betriebe und linksaffine Behörden bieten seit einer Weile ein drittes Kasterl namens "non-binary" ein, wenn jemand weder männlich noch weiblich sein will. Das Wort ist Computerfritzen ein Begriff, denn "binär" heißt ein Wert dann, wenn er zwei mögliche Zustände hat, und entweder den einen oder den anderen annimmt.

Nun ist das aber nicht so einfach, wenn jemand weder männlich noch weiblich ist, denn wie redet man eine Non-Binary-Person an, als "er" oder als "sie"? Wenn ein Kollege zum Beispiel herausstellen möchte, dass eine Non-Binary-Person gut arbeitet, spricht er dann von "ihren Leistungen" oder "seinen Leistungen"? Geht man zur Besprechung in "sein" Büro oder "ihr" Büro? Mittlerweile ist es nicht ungewöhnlich, dass Mitarbeiter im Firmentelefonbuch bestimmen können, was ihre "personal pronouns" (Personalpronomen) sind. Ein Mann schreibt dann "he, him, his" hinein, eine Frau "she, her, hers". Das erste Pronoun findet Verwendung, falls die Person das Subject eines Satzes ist ("He finished the project"), das zweite, falls die Person das Objekt ist ("Management speaks greatly of him"), und das dritte, falls der Satz ein Possessivpronom braucht ("The backpack I found was his").

Wenn nun aber eine Non-Binary-Person ein Projekt fertiggestellt hat, darf man nicht "he" oder "she" sagen, aber "it" klänge auch irgendwie komisch. Eine gängige gewählte Kombination ist "they, them, theirs", also sagt man "they finished the project", was eigentlich andeutet, dass es sich um mehrere Personen handelt, aber das muss der Sprecher dann irgendwie durch Zusatzinformationen auflösen. Gar nicht so einfach, wenn man es allen recht machen will.

Wie immer bei Neuregelungen können unerwartete Nebenwirkungen auftauchen. Zum Beispiel kenne ich einen Herrn, der gerne bei öffentlichen Dauerläufen mitrennt und im Ziel immer einen der vorderen Plätze belegt. Aus Jux und Tollerei kreuzte er bei der Registrierung aber einmal nicht "männlich" oder "weiblich" an, sondern "non-binary". Am Wettkampftag lief er überragend, kam als einer der ersten ins Ziel, und wunderte sich anschließend, dass er seinen Namen gar nicht auf dem Ergebniszettel fand: Der listete nämlich Männer und Frauen getrennt mit ihren Zielzeiten auf, und eine Ergebniskategorie "Non-Binary" kannte das Computersystem schlichtweg noch nicht.

Einen weiteren Beleg für den Gender-Wirrwarr fand ich neulich in einer Zeitungsmeldung über eine Schule in Harford im Bundesstaat Connecticut, nach der sich weibliche Schulathleten dort darüber erbosten, dass in ihren Disziplinen nun auch Transgender-Männer zugelassen seien, die die Wettbewerbe dominierten. Die Frauen beschwerten sich, dass wegen der körperlichen Überlegenheit der Ex-Männer das Ergebnis von vorneherein feststehe und der Frauenwettbewerb zur Farce verkomme.

Konservativ gestimmte Bürger erkennen das Problem natürlich jetzt als gleich zweifach süffisant, denn der Widerspruch zwischen der Geschlechtertrennung beim Wettbewerb einerseits und der Aufweichung der Geschlechterrollen andererseits besteht ein unauflösbarer Widerspruch. Je nun, die Linksliberalen, die das System durchgeboxt haben, werden vielleicht noch eine Lösung finden, ganz ausgegoren ist das Ganze offensichtlich noch nicht. Tipp vom Fachmann: Es zahlt sich üblicherweise aus, sorgfältig zu planen und Nebenwirkungen zu bedenken, bevor man roboterhaft immer demjenigen Recht gibt, der am lautesten schreit.

Hunde im Lebensmittelladen

Abbildung [12]: Dieses Kalb von Hund hat eigentlich im Lebensmittelladen "Trader Joe's" nichts zu suchen.

Michael Eigentlich legt Kalifornien im Kapitel 8 des "Health und Safety Code" eisern fest, dass in Etablissements, die Essen verkaufen, also Restaurants oder Lebensmittelgeschäfte, keine Hunde rein dürfen. Allerdings sind Kalifornier geradezu vernarrt in ihre Hunde und nehmen es mit Gesetzen nicht so genau. In letzter Zeit fällt mir immer öfter auf, dass sich Hundebesitzer nicht an die Vorschrift des Gesundheitsamtes halten, und das anwesende Geschäftspersonal nicht den Mut hat, die Übertreter zurechtzuweisen. Anscheinend drohen den Läden auch keine Konsequenzen, sonst wären sie so streng wie beim Ausschank von Alkohol oder dem Verkauf von Zigaretten, wo sie sich geradezu mit absurder Kratzfüßigkeit überschlagen, um alle Regelungen einzuhalten, die verhindern, dass Jugendliche Bier oder Rauchwaren einkaufen. Gerade in Lebensmittelgeschäften mit Hipster-Boy und Yoga-Girl-Klientel trifft man zumindest in Kalifornien oft Menschen mit Riesenhunden an, die ungeniert an den im Kühlregal ausliegenden Wurstwaren schlecken. Die Strafen vom Ordnungsamt scheinen lächerlich zu sein, sonst würde das Management den Angestellten, denen das natürlich zehn Meter am Arsch vorbeigeht, gehörig den Marsch blasen.

Abbildung [13]: Auch dieser Fifi dürfte eigentlich nicht in den Lebensmittelladen rein.

Eine Ausnahme besteht in Restaurants mit Tischen an der frischen Luft: In diesen Außenbereichen dürfen Hunde bei ihren Besitzern unterm Tisch sitzen. Wir haben allerdings auch schon gesehen, dass Hundenarren ihnen dann ihre Teller zum Abschlecken gereicht haben. Guten Appetit, liebe Gäste!

Abbildung [14]: Auch beim Chinesen an der To-Go-Theke hat der Hund nichts verloren.

Hundebesitzer könnten ihren Fiffi natürlich auch zum Service-Hund für Behinderte deklarieren, allerdings geht das nicht ganz so einfach, wie den Airlines vorzulügen, der Hund wäre ein "Emotional Support Animal", ohne das der Reisende sofort einen Nervenzusammenbruch erlitte. Echte Service-Hunde tragen spezielle Geschirre und der Besitzer führt entsprechenden Papierkram mit. Ich sage aber voraus, dass das Hundeverbot letzten Endes in Vergessenheit geraten wird, weil es niemand durchsetzt, genau wie das Campen auf Gehwegen in San Francisco und das Einschlagen von Autoscheiben zur Sicherung des Lebensunterhalts von Obdachlosen mittlerweile als normal gelten und die Täter straffrei ausgehen.

Abbildung [15]: Der Costco-Supermarkt verkauft Lebensmittel, also dürfte der Hund eigentlich nicht rein.

Abbildung [16]: Michael kraxelt auch im hohen Alter noch auf Felsen herum.

Michael Über die Feiertage am Jahresende buchte Angelika für uns einen Kurzurlaub in der Wüstenstadt Scottsdale in Arizona. Am Flughafen in Phoenix angekommen, standen wir zunächst etwas ratlos an der Autovermietung herum, denn zur Auswahl stand nicht wie üblich ein breites Sortiment aus japanischen und amerikanischen Fahrzeugen, sondern nur Einheitsautos: fünf Ford Mustangs Cabrio und ein normaler Ford Mustang. Da Cabrios die allerletzten Touristenkutschen sind, die Verbrecher auch noch gern aufschlitzen, entschieden wir uns zähneknirschend für den 2020er Mustang mit normalem Dach. Das Wägelchen stellte sich dann sogar als relativ ordentlich heraus, beschleunigte zügig, bei guter Kurvenlage, und trotz seiner 310 PS schluckte es nur knapp 8 Liter Normalbenzin auf 100 km. Ich bin ja kein Freund amerikanischer Autos, aber der Karren fuhr nicht schlecht.

Abbildung [17]: Im Urlaub darf man auch mal ein amerikanisches Wägelchen fahren.

Scottsdale selbst besteht aus einer touristischen "Old Town" mit Klamotten-, Kosmetik- und grauenvoll kitschigen Galerieläden. Das könnte man sich auch sparen. Der Rest der Stadt ist groß aber dünn besiedelt, mit laaangen Straßenblocks. Scottsdale bietet relativ eintönige Shopping Malls und endlose Siedlungen mit Bungalows, ähnlich wie Phoenix. Die Auswahl an innovativen Restaurants ist aber erstaunlich gut, die allerdings gesalzene Preise verlangen, fast schon auf San-Francisco-Niveau. Zum Wandern trieb es uns zum "Granite Mountain Trail" im 40 Meilen nördlich gelegenen "McDowell Sonoran Conservancy" und zum anderthalb Stunden entfernten "Saguaro National Park", von dem weder Angelika noch ich jemals gehört hatten. In der Wüste Arizonas wachsen ja diese riesigen Kakteen, schon auf dem Weg vom Flughafen in Phoenix nach Scottsdale kann man sie auf beiden Seiten der Autobahn bestaunen.

Abbildung [18]: Diese Kakteen haben spitze Stacheln

Abbildung [19]: Michael gibt vor, die Stacheln des Kaktus zu berühren.

Wir wanderten jeden Tag, ohne uns zu verausgaben, meist so acht bis zwölf Kilometer, bei vielleicht maximal 300 Metern Höhenunterschied, und die Aussicht von den erklommenen steinigen Wüstenhügeln war gewaltig. Dabei kommt der Wanderer nebenbei an gigantischen Kakteen vorbei, die teilweise bis zu acht Meter in die Höhe ragen. An Wetter hatten wir alles, von prallem Sonnenschein, über leicht tröpfelnden Regen, bis zu einigen Schneeflocken, alles auf ein und demselben Trail, bei leichten Plusgraden. Im Sommer ist es dort mit über 40 Grad so heiß, dass man die ungeschützten Trails in der Mittagshitze nicht gehen kann.

Abbildung [20]: Angelika hinter einem riesigen Kaktus auf dem Granite Trail.

Abbildung [21]: Angelika fotografiert auf Teufel komm raus.

Die Straßen im Saguaro Nationalpark sind größtenteils ungeteert, und an den Wanderwegeingängen finden jeweils nur ein paar Autos Platz. Teilweise parkt man halbwild auf der Sandpiste, oder fährt ein paar Meilen im Staub, bis man den Wagen an der nächsten Ausbuchtung abstellen kann. Es waren nicht viele Leute da, aber Parkplätze gab es kaum noch welche, wer statt im tiefsten Winter in einer wärmeren Jahreszeit dort hinfährt, kann sich wohl auf ein Verkehrschaos gefasst machen. Bekanntlich fahren Amerikaner gerne im Kreis oder warten in zweiter Reihe, nur um direkt vor dem Loch zu parken. Zu Fuß vom Auto zum Startpunkt einer Aktivität zu laufen ist verpönt, auch wenn es sich um ein Fitnessstudio oder einen Wanderweg handelt.

Abbildung [22]: Riesige Kakteen im Saguaro-Nationalpark

Abbildung [23]: Ein vergammelnder Kaktus, so sieht er von innen aus.

Die teilweise bestimmt acht Meter hohen Kakteen direkt an den Wanderwegen waren dann auch echt die Schau, sie wachsen selbst noch an steilen Hängen auf teilweise sehr steinigem Boden und kommen scheinbar ohne Wasser aus. Sie fühlen sich pudelwohl, und man sieht wirklich Hunderte prächtiger Exemplare. Auch allerhand Viehzeug springt herum, wir sahen einen herumstreunenden Coyoten und die allgegenwärtigen Erdhörnchen. Klapperschlangen soll es auch zuhauf geben, allerdings klapperte auf unseren Wegen Gott sei Dank nichts.

Abbildung [24]: Auf dem Wanderweg kommt man sich vor wie in einem botanischen Garten.

Abbildung [25]: Die Kapelle aus Breaking Bad

Weil wir schon mal da waren, fuhren wir auch noch an der Mission San Xavier del Bac bei Tucson vorbei, die 1692 von den Spaniern gegründet, 1770 von Apache-Indianern demoliert und 1783 wieder aufgebaut wurde. Die Gebäude sind auch heute noch gut erhalten und der Geschenke-Shop wird nicht nur als "affordable" angepriesen, sondern verkauft auch preisgünstige Pilgerwaren. Von einer kleinen Seitenkapelle (Abbildung 25), in der es wegen hunderten von angezündeten Kerzen richtig heiß war, erfuhren wir, dass das Gebäude mit den zwei Glockentürmchen angeblich in einer Episode der Fernsehserie von Breaking Bad zu sehen war, als Pilgerort für die beiden mexikanischen Gangster mit den Cowboystiefeln, die in extremer Pilgermanier durch den Staub auf die Kapelle zukrochen.

Liebe Grüße

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 17-Apr-2020