Angelika/Mike Schilli |
Kalifornisches Chaos - Der Recall
Oahu
Platte des Monats
Eine Ode auf das Internet
Queer Eye for the Straight Guy
Die Uni ruft: Schule auf Amerikanisch (2. Teil)
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(Angelika) Wieso glaubt jeder dahergelaufene Schauspieler in Amerika, die Hollywood-Erfahrung befähige ihn dazu, ein politisches Amt zu bekleiden? Diese Frage quält mich, seitdem Muskelmann und Filmstar Arnold Schwarzenegger in das Rennen um den kalifornischen Gouverneurs-(Ministerpräsidenten)-posten eintrat.
Gestern, am 7. Oktober fiel die Entscheidung, dass die kalifornischen Wähler sich von dem amtierenden Gouverneur Gray Davis im Abwahlverfahren ("Recall") verabschiedeten und statt dessen "Arnie" an die Schalthebel ließen. Es ist kaum zu glauben: Die fünftgrößste Wirtschaftsnation der Welt und der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA wird nun von einem politisch völlig unerfahrenen Hollywood-Star mit österreichischen Akzent geführt.
Ist den Kaliforniern die viele Sonne zu Kopf gestiegen? Vieles hängt damit zusammen, wie in Amerika der Wahlkampf läuft. Detailierte Informationen über das politische Programm der einzelnen Kandidaten gibt es kaum. Hingegen laufen im Fernsehen permanent kurze Wahlspots von den politischen Spitzenreitern. Mehr als Platitüden erfährt man dabei allerdings nicht. Arnolds Aussage war einfach: Die Politiker haben uns im Stich gelassen.
Cruz Bustamante, einziger demokratischer Kandidat sowie seines Zeichens Latino und deshalb bei der spanischsprechenden Bevölkerung beliebter amtierender Vizegouverneur, saß hingegen verkrampft lächelnd und eingerahmt von seiner Familie vor der Kamera. Er hatte es auch nicht ganz leicht, seinen Wahlslogan an den Mann zu bringen, denn er wollte, dass die Wähler gegen die Abberufung von Gray Davis stimmen und im zweiten Schritt für ihn, um sicherzustellen, dass Kalifornien nicht in die Hände eines republikanischen Gouverneurs fällt. Ich erwähnte das Wahlverfahren im letzten Rundbrief: Ein Wähler durfte selbst dann für einen Kandidaten stimmen, wenn er sich im ersten Schritt des Wahlverfahrens gegen den Rücktritt von Davis ausgesprochen hatte.
In der Fernsehnation Amerika gibt es übrigens keine Wahlplakate, wie man sie in Deutschland kennt. In ganz San Francisco hang kein einziges. Dafür aber gab es die obligatorische Fernsehdebatte mit den wichtigsten Kandidaten, in der es dann tatsächlich auch um politische Konzepte ging. In Kalifornien wartete alles gespannt auf diese Debatte, denn die Wähler wollten vor allen Dingen sehen, wie Arnold sich macht, ohne einstudierte Sätze von sich zu geben. Nur leider enttäuschte das Format der Debatte. Die Diskussionsthemen wurden vorher bekannt gegeben, was unüblich ist, so dass die Kandidaten sich darauf vorbereiteten und die Teilnehmer durften sich gegenseitig unterbrechen. Viele ärgerte, dass die Veranstalter den amtierenden Gouverneur Gray Davis nicht einluden. Nur die Kandidaten, die in Umfragen Zustimmungsnoten von 10 Prozent (ganze fünf an der Zahl) vorwiesen, standen auf der Gästeliste und Gray Davis durfte nicht kandidieren.
Bei solchen Debatten fällt natürlich nicht nur ins Gewicht, was der Einzelne von sich gibt, sondern wie er sich verkauft. Das muss man Schwarzenegger lassen: Sich zu vermarkten, hat der Mann gelernt und das nötige Kleingeld besitzt er auch noch dazu. Natürlich kam ihm zugute, dass bei 135 Kandidaten vor allem die politischen Nicht-So-Bewanderten danach lechzen, ein bekanntes Gesicht zu entdecken und die Presse sich wie Geier auf ihn stürzte.
Denn es gilt allgemein im amerikanischen Wahlkampf: Wer sich nicht medienwirksam zur Schau stellt, hat schon verloren. Arnold weiß um dieses Gesetz wie kein zweiter. So hielt er sich zunächst sehr bedeckt und rückte nicht damit heraus, ob er überhaupt kandidiert, nur um dann mit Fahnen und Trompeten in Jay Lenos Talkshow (ähnlich wie Harald Schmidt) sein Vorhaben zu verkünden, der nächste Gouverneur von Kalifornien zu werden.
Um sein schlechtes Image bezüglich der Behandlung von Frauen - gilt er doch als Frauenheld und "Busengrapscher" - aufzubessern, nistete er sich mit seiner Frau Maria Shriver bei der schwarzen Talkmasterin Oprah Winfrey ein und gab sich als fürsorgender Vater von vier Kindern sowie als liebevoller und aufmerksamer Ehemann. Dieser Auftritt brachte ihm sicherlich viele weibliche Wählerstimmen ein, denn die Sendung "Oprah" erzielt nicht nur traumhafte Einschaltquoten, sondern gilt auch bei vielen Frauen als "Gesetz".
Getrübt wurde dieser PR-Erfolg aber dadurch, dass die Los Angeles Times nur einige Tage vor der Wahl die Geschichte von sechs Frauen veröffentlichte, die bestätigten, dass Schwarzenegger sie begrapschte, woraufhin Arnie sich zerknirscht für sein früheres flegelhaftes Benehmen vor laufender Kamera entschuldigte.
Die New York Times setzte gleich noch eins drauf und zitierte einige dümmliche Bemerkungen Schwarzeneggers: Er hatte sich in den Siebzigern einige Male bewundernd über Hitlers Aufstieg und dessen Redekünste geäußert. Frauenbelästiger und Nazi -- das kommt in Amerika nicht gut an. Nur wissen die Wähler auch, dass es zu jedem amerikanischen Wahlkampf gehört, schmutzige Wäsche zu waschen. Außerdem lieben Amerikaner jede Art von Verschwörungstheorie. So vermutete man gleich nach der Veröffentlichung des Artikels in der Los Angeles Times, dass hinter dieser Geschichte nur der politische Gegner stecken könne, der den "Terminator" damit kurz vor dem 7. Oktober in die Knie zwingen wollte, weil dieser in den Meinungsumfragen vorne lag.
Aber vergessen wir einmal diese Seifenopern-Dramen und konzentrieren uns auf das Politische: Arnold Schwarzenegger zählt zum moderaten Flügel der republikanischen Partei (Bitte nicht mit der deutschen republikanischen Partei verwechseln!!!). Er befürwortet nämlich das bestehende Abtreibungsrecht, in Amerika kurz "Pro Choice" genannt, um sich von der Bewegung der Abtreibungsgegner "Pro Life" abzugrenzen.
Er ist für die Kontrolle von Waffenbesitz und tritt für die Rechte von Homosexuellen ein. Alles Themen, hinter denen auch die große Mehrheit der kalifornischen Bevölkerung steht. Er kommt mit diesem liberalerem Gedankengut durchaus an demokratische Politiker heran. Auf der anderen Seite propagiert er, dass Kalifornier zu hoch besteuert werden und schwört, das kalifornische Haushaltsdefizit nicht mit Steuererhöhungen zu stopfen, was fast unmöglich erscheint, wenn man die Größe des Loches bedenkt.
Umweltschützer und Pazifisten hassen, dass er einen so genannten "Hummer" fährt, einen für den normalen Straßenverkehr umgerüsteten Militärjeep (genau wie der Krakeelfußballer Stefan Effenberg).
Immigranten, von denen es in Kalifornien gar viele mit amerikanischen Pass und somit Wahlrecht gibt, mögen, dass Schwarzenegger wie kein anderer den amerikanischen Traum verkörpert: Ein Niemand aus Österreich macht sich nicht nur als Bodybuilder einen Namen, sondern wird ein berühmter Filmstar trotz seines fürchterlichen Akzents und scheffelt Millionen. Zur Krönung heiratet er dann auch noch in den Kennedy-Clan ein, der wohl bekanntesten Familie in Amerika.
Dummerweise beging Gray Davis den Fauxpax, über Arnolds Akzent zu witzeln, indem er bemerkte, dass niemand Governeur werden sollte, der das Wort "Kalifornien" nicht richtig aussprechen kann. Da hatte er wohl kurzfristig vergessen, dass er einem Bundesstaat mit einer hohen Prozentzahl von Einwohnern vorsteht, die Englisch nicht als Muttersprache sprechen. Aber auch Schwarzenegger stapfte vor allen Dingen bei den mexikanischen Einwanderern ins Fettnäpfchen. Denn er prangerte ein neues kalifornisches Gesetz an, das Gray Davis just unterschrieben hat. Es erlaubt illegalen Einwanderen, den kalifornischen Führerschein zu erwerben.
Das ganze "Recall"-Verfahren lässt sich übrigens als etwas typisch Kalifornisches charakterisieren, obwohl dieser politische Mechanismus auch in anderen Bundesstaaten zulässig ist. Kalifornien gibt sich gern als radikal demokratisch, frei nach dem Motto: Das Volk bestimmt. Und was könnte demokratischer sein als einen Politiker, der seinen Job nicht vernünftig macht, abzuwählen?
Nur ist das Ganze etwas kurzsichtig gedacht. Wenn ein Politiker immer in der Angst Entscheidungen trifft, dass ein Abrufverfahren auf ihn zukommt, stagniert irgendwann alles. Schon jetzt schwirren Drohungen herum, dass der nächste "Recall" Arnold Schwarzenegger droht.
Auch bremst das politische Geschehen in Kalifornien eine Variante in der kalifornischen Verfassung, von der ihr in Deutschland wahrscheinlich noch nichts gehört habt. Die Wähler können direkt mit Hilfe eines Volksbegehrens ("Initiative" genannt), Gesetze verabschieden oder wieder rückgängig machen ("Referendum" genannt). So gibt es hier andauernd irgendwelche Volksbegehren, die wenig durchdacht und kaum zu finanzieren sind -- außerdem widersprechen sie sich oft gegenseitig.
Eines der berühmtesten Volksbegehren, die so genannte Proposition 13, verabschiedeten die Wähler 1978, mit dem Ziel die "Property Tax" (vergleichbar mit der Grundsteuer in Deutschland) niedrig zu halten: Die "Property-Tax-Rate" ist seitdem auf 1 Prozent des geschätzten Besitzwertes begrenzt. Ihr werdet sagen: ein Traum für jeden Hausbesitzer. Nur muss man wissen, dass die rapide Verschlechterung der kalifornischen öffentlichen Schulen auf das Konto von Proposition 13 geht, denn örtliche Schulen werden zum Großteil durch die "Property Tax" finanziert. Und so schließt sich der Kreis: Weil Kaliforniens Haushalt durch Proposition 13 stärker von den Einnahmen der kalifornischen Einkommenssteuer abhängt, traf die allgemeine Verschlechterung der amerikanischen Wirtschaftslage und das Platzen der Dotcom-Blase Kalifornien besonders hart. Firmenschließungen, Entlassungen und die fehlenden Steuereinnahmen von verkauften Mitarbeiter-Aktienoptionen ließen das Haushaltsdefizit kräftig anwachsen, welches eines der Hauptargumente für den "Recall" war.
Aber zurück zu Arnold: Ich bin ja nur froh, dass der Mann nicht auch noch Präsident werden kann, denn in der amerikanischen Verfassung steht, dass man dafür in Amerika geboren sein muss. Bloß gibt es schon seit geraumer Zeit Vorstöße von einigen Politikern, die Verfassung diesbezüglich zu ändern. Der folgende Vorschlag des republikanischen Senators Orrin Hatch aus Utah, angeblich ein Freund Schwarzeneggers, kursiert zur Zeit: Ein amerikanischer Staatsbürger, der schon seit 20 Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, sollte sich auf das Präsidentschaftsamt bewerben dürfen. Und ratet mal, wann Arnold Schwarzenegger seinen österreichischen Pass gegen den amerikanischen eintauschte. Vor 20 Jahren!!! Ein Elend!
(Michael) Um dem dummen Fernsehgeschwätz des österreichischen Dorftrottels zu entfliehen, zogen wir uns im September für zwei Wochen auf Hawaii zurück. Auf dem Flug dorthin fiel uns auf, dass aufgrund von neuen FAA-Sicherheitsbestimmungen der Vorhang zwischen erster und zweiter Klasse entfallen musste - was haben wir gelacht! Wer also den dreifachen Flugpreis zahlt oder sich mittels Flugmeilen an eine Fluggesellschaft kettet, damit er einmal einen "Upgrade" ergattert, hat nun nicht einmal mehr ein Anrecht auf Schutz vor dem gemeinen Pöbel in der Economy-Class, der dann auch noch frech und unerlaubterweise auf die Toilette der ersten Klasse rennt - unerhört! Gerüchtehalber fliegt ja nicht einmal Bill Gates erster Klasse, weil er nicht einsieht, für den geringfügigen Bequemlichkeitsunterschied horrende Summen hinzulatzen. Wohl einer der wenigen Bereiche, in denen Bill Gates und ich einer Meinung sind.
Aber zurück nach Hawaii: Diesmal nahmen wir uns vor, das urbane Hawaii zu erkunden. Schließlich werden wir auch nicht jünger und müssen schon mal mögliche Rentendomizile auskundschaften. Als alte Hasen wohnen wir mittlerweile natürlich auf Hawaii nicht mehr in Hotels, sondern mieten immer kleine Häuslein von Privatleuten.
Wir erforschten auch hässliche Seiten Hawaiis: Die Hauptinsel Oahu mit der Hauptstadt Honolulu zeigt schon einige schwere Bausünden. Honolulu erinnert mich immer an San Jose, eine typische amerikanische Großstadt, aus dem Boden gestampft in den 50ern und 60ern ohne historischen Kontext. Dann sieht schnell mal eine ganze Stadt wie die Landsbergerstraße in München aus.
Fährt man aber raus in den Osten oder hoch an die Nordküste, verschwinden die Betonburgen und man ist wieder im Surferparadies. Man hängt an Stränden rum, an denen hauptsächlich Einheimische abhängen und aus dem Berufsleben ausgestiegene Surfertypen aus aller Welt. Das ist schon faszinierend: Einerseits eine Hütte am Strand zu haben, andererseits einen Riesensupermarkt wie "Costco" in Reichweite, bei dem man einen 20er-Packen Garnelen für 8 Dollar kaufen kann, die man ruckzuck auf den selbstverständlich vor der Hütte aufgestellten Gasgrill wirft und flugs verspeist. Aahh!
(Michael) Um diese Scheibe zu empfehlen, habe ich erstmal ein paar Monate gewartet, denn manchmal kommt es vor, dass mir etwas gefällt, was hinterher entsetzlich peinlich wird. Aber nach eingehendem Studium lasse ich's raus: "So long, Astoria" von "The Ataris". Ein Haufen so 18-jähriger Bengels, die genau so spielen, wie man sich das für 18-jährige Bengels vorstellt, so eine Art leicht ernsthaften Fun-Punk. Auf's Konzert kann ich natürlich nicht gehen, da würd' ich als Opa sofort rausgeschmissen. Ich darf zitieren: "Being grown up isn't half as fun as growing up". Ach ja, die Jugend! (Nein, ich habe keine Midlife-Crisis).
(Michael) Als ich noch ein kleiner Bub war, war es unfassbar schwierig bis unmöglich, Antworten auf simple Fragen zu bekommen. Ich hatte ein 24-bändiges Lexikon von irgendeinem Buchclub, das die wichtigsten Wörter erklärte und interessante Ausführungen zu geschichtlichen Ereignissen enthielt, aber meine Fragen lauteten anders: "Wie heißt das Lied, das gerade im Radio läuft?" "Warum ist der Himmel blau?" "Wieso hat der Stack auf dem HP-41CV nicht mehr als vier Register?" Niemand wusste Antwort darauf.
Mit dem Internet ist jetzt plötzlich alles da. Weil's irgendwo immer irgendjemanden gibt, der genau das weiß, was man sucht. Allerdings ist das Internet typisch amerikanisch: ein Haufen Chaos und die Hälfte stimmt nicht. Aber Google schlägt dem ein Schnippchen, indem es mit schlauen Algorithmen Informationen bevorzugt, die mehr Leute gut finden.
So löst das Internet heute Probleme, die früher schwer zu lösen waren: Ein Anbieter, der seine Kunden bescheißt, ist innerhalb von Tagen erledigt. Gut informierte Verbraucher bereiten zwielichtigen Anbietern flugs den Garaus. Oder nehmt Ebay: Dieses System der gegenseitigen Selbstkontrolle macht's tatsächlich möglich, mit Leuten per Post Geschäfte abzuwickeln, die man noch nie im Leben gesehen hat und wohl auch nie treffen wird.
Oder als ich neulich den hervorragenden Film "Crouching Tiger, Hidden Dragon" sah, und ich mich fragte, ob ich die dort wirkende Schauspielerin Zhang Ziyi nicht schon im Jackie-Chan-Kung-Fu-Film "Rush Hour 2" gesehen hätte. Früher hätte niemand derartige Fragen recherchieren können. Heute geht's in 20 Sekunden. Die Antwort lautet: Ja!
Und oft kommt es vor, dass ich den Text von Liedtexten nicht verstehe. Was war das früher für ein Aufwand! Ich kann mich noch genau an das stundenlange Hin- und Herspulen erinnern, um auch noch den letzten Fetzen Inhalt zu erhaschen. Heutzutage ist das kein Problem mehr: Man gibt einfach die Satzfetzen, die man versteht, ins Suchfeld von "google.com" ein und schon bringt der Suchmotor dutzendfach Verweise auf Webseiten, auf denen fleißige Helfer genau diesen Plattentext akkurat abgetippt haben. Neulich rätselte ich über das Wort "Shucklak" im Text des Songs "Mic Check" von "Rage Against The Machine". Kein Problem: Auf dem Internet stand der genaue Liedtext und auch eine Erklärung des Wortes fand ich über Google: Das ist das Geräusch, das eine Pistole beim Durchladen macht.
Und genau wie wir mit den Rundbriefen unseren Beitrag zu dieser Revolution leisten und die ungeschminkte Wahrheit über Amerika verkünden, tun dies hundertausende Andere auch über ihre Fachgebiete. Wer wollte in einer anderen Zeit leben!
(Michael) Der schlechte Geschmack der Amerikaner ist ja legendär. Ob man sich Wohnungseinrichtungen ansieht oder wie sich die Leute kleiden: Abgesehen von einigen Mega-Metropolen (New York, San Francisco etc.) liegt das gesamte Land modetechnisch brach. Karl Lagerfeld würde die Augen rollen, heftig mit seinem Fächer wedeln und dann in Ohnmacht fallen, streunte er mal durch eine typische Kleinstadt im mittleren Westen.
Viele sehen das auch gerne ein und holen sich professionellen geschmackstechnischen Rat -- am liebsten kostenlos in so genannten "Makeover"-Fernsehsendungen. Davon gibt es mittlerweile etwa ein Dutzend und das Strickmuster geht so: Freunde verpetzen Modemuffel oder Besitzer schlampig eingerichteter Wohnungen beim Fernsehen. Die schicken dann ein Einsatzteam von Wohnungsdesignern, Handwerkern, Friseuren, Kosmetikern, Modefachleuten, Tanzlehrern oder Kochspezialisten vor Ort, um alles umzumodeln und dann detailliert mit Vorher-Nachher-Effekt im Fernsehen auszustrahlen.
In "While you were out" wird dazu das Opfer für einige Zeit unter einem Vorwand aus der Wohnung gelockt, die es dann anschließend wunderbar renoviert wiederfindet. In "Trading Spaces" (eine Sendung, die lustigerweise ursprünglich aus Großbritannien kam, wo ähnliche Geschmacksdürre herrscht) tauschen zwei Nachbarn für 48 Stunden ihre Wohnung und bringen dann die Räume mit Hilfe von Designern und viel Eigeneinsatz auf Hochglanz. Aus meiner privaten Statistik kann ich euch mitteilen, das 95% aller erfolgreich Behandelten "Oh my Gosh!" schreien, wenn sie die Neuerungen erblicken. In fast allen Fällen hüpfen sie vor Freude, nur ganz selten gibt es lange Gesichter, weil der Designer den Bogen ein bisschen überspannt hat.
Zur Zeit schlägt eine neue Sendung alle Rekorde: "Queer Eye for the Straight Guy". Statt das zu wörtlich zu übersetzen, sage ich euch lieber, worum es geht: Ein Quintett von hippen, jungen, schwulen Großstadt-Männern, die so genannten "Fab 5", fahren als mobiles Einsatzkommando zu Problemfällen aller Art. Meist handelt es sich um Junggesellen, die in total heruntergekommenen Apartments mit verkrusteter Badewanne wohnen, Pizza essen und Dosenbier trinken, Jeans und Holzfällerhemden tragen und lebenslange Nichttänzerpässe besitzen.
Da schwule Männer sich häufiger mit Geschmacksfragen, Mode, Stil, Kunst und Körperpflege befassen als ihre heterosexuellen Artgenossen, ist das meist ein voller Erfolg, denn das Quintett zeigt dem "Slob" (Schlumper) dann ausgiebig, wie man sich bei Tisch benimmt und zum Beispiel einen Hummer verspeist, die Angebetete in die Disco schleppt und danach in das total neurenovierte Apartment einlädt. Dabei gibt's keine Tabus: Da werden behaarte Gesellen schon mal zum Kosmetiksalon geschleppt, wo ihnen die Rückenhaare abge"wax"t werden oder mit dem brandneuen Nasenhaarschneider von Norelco die "Nose Hair Situation" beseitigt.
Dabei spielen die "Fab 5" bewusst mit schwulen Klischees, besonders der Modefachmann benimmt sich manchmal echt tuntig. Aber es ist klar, dass das nicht ernst gemeint ist, sondern meist nur dazu dient, eventuell vorhandene kleinste homophobische Tendenzen beim "Straight Guy" hervorzukitzeln und ihn in Verlegenheit zu bringen. Die Sendung kommt auch in schwulen Kreisen sehr gut an, alle unsere Freunde sind begeisterte "Fab 5"-Fans. Und selbst das prüde Amerika außerhalb von San Francisco findet die Sendung toll.
Nach getaner Arbeit schließlich sitzen die Fünf jedesmal stilvoll bei einem Glas Wein zusammen und sehen sich live per Fernsehübertragung an, wie sich ihr neuer Schützling allein für einen gepflegten Abend zurechtmacht und die Freundin ausführt, die sich dann natürlich beim Heimkommen vor Freude über die neumodische Wohnung fast überschlägt. Natürlich lästern die Fünf auch ausgiebig und rollen die Augen, wenn dann jemand das vorgeschlagene Haargel nicht richtig appliziert, den Hummer mit den Händen zerreißt oder herumliegende Klamotten in der frischaufgeräumten Wohnung statt in den Schrank schnell unters Bett stopft.
Die Fernsehbilder zeigen die "Fab 5" nur bei Oprah Winfrey, die die Burschen wegen ihres bahnbrechenden Erfolgs in ihre Mega-Show eingeladen hat. Die Sendung "Queer Eye for the Straight Guy" kommt nämlich auf einem Kabelkanal, den ich vor kurzem wegen Gebührenerhöhung kurzfristig abbestellt habe. Sicher ruft bald wieder jemand bei uns zu Hause an, um ihn uns wieder zum Sonderangebot anzubieten -- aber bis dahin müssen wir darben.
(Angelika) Im letzten Rundbrief kam ich bis zum High-School-Abschluss. Danach heißt es für viele, die Schulbank in einer amerikanischen Universität oder einem College zu drücken. In Deutschland höre ich oft die Frage, was eigentlich der Unterschied zwischen einer Universität und einem College sei. Der Begriff "College" ist in den USA der gängige Sammelbegriff für beides. Das "College" im klassischen Sinn umfasst vier Jahre und führt zum Abschluss des "Bachelor" (Bakkalaureat = amerikanischer akademischer Grad). An den Universitäten bezeichnet man verschiedene Fachbereiche häufig als College und findet in der Regel eine medizinische Hochschule und Forschungsabteilungen. Desweiteren bietet die Universität Studienprogramme nach dem Erwerb des "Bachelor's Degree" an, um einen höheren akademischen Abschluss, das so genannte "Master's Degree" (= Magisterabschluss) oder, für ganz Lernwütige, den Doktor zu erwerben.
Nach einer Statistik des U.S. Bureau of Labor besuchten 65 Prozent der amerikanischen Schüler mit High-School-Abschluss im Jahr 2002 ein College. Die Prozentzahl kommt euch vielleicht etwas hoch vor, aber ihr müsst bedenken, dass Amerika kein dreigliedriges Schulsystem kennt. Während Abiturienten in Deutschland sich gleich für ein bestimmtes Fach an der Universität einschreiben, dienen in der Regel die ersten zwei Jahre auf einem amerikanischen Vierjahres-College der Allgemeinbildung, u.a. in den Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften, Kunst, Sprachen, sowie Mathematik. Nachdem der Student die allgemeinbildenden Pflichtkurse abgeschlossen hat, intensiviert er sein Studium in ein oder zwei Fächern ("Majors"). Abhängig von dem gewählten Hauptstudienfach wird ihm dann nach weiteren zwei Jahren der "Bachelor of Arts" (B.A. = Bakkalaureat der Philosophie) oder "Science" (B.S. = Bakkalaureat der Naturwissenschaften) verliehen.
Gängig ist auch der "Bachelor of Business Administration" (B.B.A. = Bakkalaureat der Wirtschaftswissenschaften). Das Vierjahres-College lässt sich vielleicht am besten als eine Kombination von Abitur und Vordiplom im deutschen System beschreiben. Viele College-Absolventen stürzen sich zunächst ins Arbeitsleben, wenn sie ihren "Bachelor" in der Tasche haben und gehen zu einem späteren Zeitpunkt für zwei bis drei Jahre zurück an die Hochschule, um ein "Master's Degree" zu erwerben. Auch treffen wir in Amerika häufig Leute, die in einem Beruf arbeiten, der nur noch wenig mit ihrem eigentlichen "Bachelor's Degree" gemein hat. Ein Wechsel des eigenen Berufes oder Berufsziels gilt in Amerika nicht als Stigma.
Neben dem "Bachelor's Degree" gibt es noch einen weiteren unteren akademischen Grad und zwar das so genannte "Associate Degree", das der Studierende nach zwei Jahren auf einem "Junior College" oder "Community College" u.ä. erhält. Diese Institutionen bieten die allgemeinbildenden Kurse der ersten beiden Jahre der vierjährigen College-Programme an und setzen zusätzlich häufig spezializierte berufsbezogene Schwerpunkte wie zum Beipiel Krankenpflege, Wirtschaft oder Technik. Möchte man später auf ein Vierjahres-College überwechseln, stellt das in der Regel kein Problem dar, denn die erworbenen Qualifikationen werden anerkannt.
Viele Studenten wählen ein Community College wegen der erschwinglicheren Studiengebühren, die in Amerika oft astronomisch hoch sind. Das City College of San Francisco, seines Zeichens Community College und Anbieter von unzähligen Bildungsprogrammen, die sowohl der Fortbildung, der persönlichen Entfaltung (im Stil der deutschen Volkshochschulen) und des Erwerbs von diversen Abschlüssen dienen, kostet zum Beispiel pro Einheit ("Unit") 18 Dollar für kalifornische Einwohner (als kalifornischer Einwohner gilt derjenige, der seit mehr als einem Jahr in Kalifornien lebt).
Die meisten Kurse bestehen aus drei Einheiten pro Semester. Das ergibt also für einen Kurs 54 Dollar. Belegt der Student z.B. fünf solcher Kurse, zahlt er 270 Dollar für das entsprechende Semester. Da viele Community-College-Studenten nebenbei arbeiten, schreiben sie sich nicht als Vollzeitstudenten ein. Viele nutzen das Community College als zweiten Bildungsweg. Vielleicht erinnert ihr euch, dass auch ich in den ersten Monaten unseres San-Francisco-Aufenthaltes brav ins City College getrabt bin, um Englisch zu pauken.
Für bestimmte Berufsfelder, u.a. Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Jura, Theologie muss man in den USA zunächst das "Bachelor's Degree" erwerben, um sich dann in ein weiterführendes Studienprogramm zum Erwerb des "Master's Degree" (=Magister) einzuschreiben. Zahnärzte drücken nach ihrem "Bachelor's Degree" noch einmal vier Jahre die Schulbank, Juristen immerhin drei Jahre. Arzt zu werden ist auch in den USA langwierig: An den "Bachelor" schließen sich vier Jahre Studium an, gefolgt von einem einjährigen klinischen Praktikum, auf die dann die Facharztausbildung (=Residency) folgt, die je nach Fachrichtung ein bis acht Jahre dauern kann.
Das amerikanische Studentenleben spielt sich auf dem "Campus" ab. Während sich in Deutschland Universitätsgebäude der verschiedensten Fakultäten oft über die ganze Stadt verteilen, ist in Amerika alles zentral an einem Fleck: Unterrichtsgebäude, Forschungsstätten, Studentenwohnheime, Bibliothek und studentischer Buchladen, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Studentenvereinigungen und die Cafeteria.
Der Campus der renommierten privaten Stanford University in Palo Alto -- ca. 45 Minuten per Auto von San Francisco entfernt -- wirkt dann auch wie eine eigene kleine Stadt. Viele Studenten wohnen auf dem Campus in Studentenwohnheimen ("Dorms"), da sie sich wegen der hohen Studiengebühren kaum etwas Anderes leisten können.
Ihr kennt die Situation sicher aus amerikanischen Fernsehsendungen: Ein Zimmer teilen sich häufig zwei oder drei Studenten. Wie man da jemals zum Lernen kommen soll, bleibt mir ein Rätsel. Einzelzimmer gibt es in der Regel erst für höhere Semester. Es gilt als normal, für sein Studium Schulden zu machen. An einer Elite-Uni kommen da 100.000 Dollar schnell zusammen.
Jeder Bundesstaat und einige größere amerikanische Städte haben ihre eigenen öffentlichen Universitäten. In Kalifornien ist das die "University of California" mit der weltberühmten, bei uns vor der Haustür liegenden "University of California Berkeley". Das College oder die Universität, egal ob öffentlich oder privat, verlangen in den USA Studiengebühren. Dabei sind öffentliche Hochschuleinrichtungen, wie die University of California, oft preisgünstiger -- zumindest für die Studierenden, die als Einwohner des entsprechenden Bundesstaates gelten. Die Finanzierung dieser Einrichtungen erfolgt stärker durch öffentliche Mittel. Die Universität Berkeley verlangt zur Zeit (Stand: 2003) pro Semester $2135 reine Studiengebühren für kalifornische Einwohner (Einjahresregel, siehe oben), aber satte $9240 für Nicht-Einwohner. Für die private Nobel-Uni Stanford berappt man zum Vergleich $9520 pro Semester in Studienprogrammen, die zum "Bachelor's Degree" führen. Medizinstudenten zahlen hingegen $11572. Wie gesagt, ich spreche hier nur von Studiengebühren, d.h. das, was der Student für seine Kurse zahlt. In der Summe sind weder Kosten für ein Zimmer, Bücher, Krankenkasse, die Pflicht an vielen Unis ist, noch diverse andere Gebühren (z.B. für die Einschreibung) eingeschlossen. Die "University of California Berkeley" hat ihre Gebühren übrigens gerade um schlappe 30% erhöht (in der oben angegeben Zahl bereits reflektiert), da durch die kalifornische Haushaltsmisere öffentliche Zuschüsse drastisch gestrichen wurden.
Um das sündhaft teure Studium zu finanzieren, bieten sich dem amerikanischen Studenten folgende Möglichkeiten: 1) Er hat steinreiche Eltern, die sich nicht scheuen, das Geld mit beiden Händen auszugeben. 2) Die Eltern verfügen über eiserne Disziplin und haben seit der Geburt des Sohnemanns oder des Töchterleins fürs College gespart. 3) Er ist superschlau, talentiert oder eine Sportskanone und ergattert ein Stipendium ("Scholarship"). Allerdings gibt es häufig nur Teilstipendien, die nicht alle Kosten abdecken, aber immerhin muss er ein Stipendium nicht zurückzahlen. 4) Er arbeitet nebenbei und braucht dann halt etwas länger für sein Studium. 5) Er besitzt ein Arsenal von Kreditkarten mit hohem Kreditrahmen. 6) Er beantragt ein Studentendarlehen.
Viele unserer Freunde und Bekannten haben ihr Studium durch ein Studentendarlehen finanziert. Wie hoch das Darlehen ist, richtet sich nach den Vermögensverhältnissen der Eltern. Studentendarlehen erfreuen sich staatlicher Unterstützung, deshalb fallen keine Zinszahlungen während des Studiums an. Die Summe, die später zurückgezahlt werden muss, enthält dann aber Zinsen, allerdings ist der Zinssatz niedrig. Die meisten leisten ihre Rückzahlungen in Form von monatlichen Beiträgen über den Zeitraum von vielen Jahren.
Da Amerika das Abitur nicht kennt oder einen anderen Abschluss, der automatisch die College-Türen öffnet, setzen viele Hochschuleinrichtungen ihre eigenen Aufnahmebedingungen. Zunächst zählt der Notendurchschnitt des High-School-Abschlusses, der für diese Zwecke numerisch ausgedrückt wird und nicht im sonst üblichen Buchstabensystem. Die Skala geht von O bis 4.0 -- je grösser die Zahl, je besser der Durchschnitt.
Auch einen so genannten SAT-Wert wollen die meisten sehen. Hinter SAT (Scholastic Aptitude Test) verbirgt sich ein standardisierter Test, der verbale und mathematische Fähigkeiten prüft. Der Test geht über drei Stunden und die meisten Highschool-Schüler absolvieren ihn. Bitte verwechselt den SAT aber nicht mit einer Prüfung im Sinne des Abiturs. 200 bis 800 Punkte pro Teil (verbal und mathematisch) kann der Schüler im SAT erreichen. Der Schüler darf an dem Test übrigens teilnehmen so oft er will, um eventuell seinen SAT-Wert aufzubessern. Natürlich bietet der freie Markt auch diverse Vorbereitungskurse an, damit man bessere Ergebnisse im SAT erzielt.
Für seine College-Bewerbung muss der zukünftige Student in der Regel auch ein Essay (Aufsatz) verfassen, Empfehlungsschreiben einreichen, eine Gebühr abdrücken. Außerdem kommt soziales Engagement immer gut an. Hier zwei Beispiele für Essaythemen, die ich auf einer Webseite fand: "Why is XYZ a good college choice for you?" (Warum ist XYZ eine gute College-Wahl für dich?) "How would you describe yourself as a human being?" (Wie würdest du dich als Mensch beschreiben?). Auf dem Internet kursiert auch ein ausgefallenes weil humorvolles Beispiel eines Essays für die Uni-Bewerbung. Aber einen Platz in einem College oder einer Universität mit gutem Ruf zu ergattern ist nicht einfach.
Im nächsten Rundbrief folgt der letzte Teil über das amerikanische Bildungssystem. Ich werde euch dann einige Kuriösitäten verraten, wie z.B. eine interessante Form der Quotenregelung ("Affirmative Action").
Aus dem Land unter der Knute Schwarzeneggers grüßen:
Angelika und Michael
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