Angelika/Mike Schilli |
(Angelika) Als Michael sich, wie jedes Jahr, AOL-gesponsert zur Perl-Konferenz ins rund 1000 Kilometer südlich von San Francisco liegende San Diego aufmachte, dachte ich mir: San Diego ist nett, der Ozean im Juli schön warm zum Schwimmen und schwupps packte ich meine Koffer und fuhr mit.
San Diego verkörpert das, was sich jeder Tourist unter Kalifornien vorstellt: Die Sonne scheint fast immer und das Surfboard wird einem schon in die Wiege gelegt. Sucht ihr nach der legeren, kalifornischen Lebensart, fahrt nach San Diego und mietet euch in einem Hotel am Strand ein. Genau das taten wir.
Während Michael in Konferenzsälen herumtobte, hopste ich in den Wellen herum und beobachtete braungebraunte, durchtrainierte, mit dem einen oder anderen Tatoo versehene Jungens und Mädels, immer auf der Suche nach der besten Welle. Baywatch lässt grüßen. San Diego ist bekanntlich nicht nur ein Surferparadies, sondern liegt ganz nah an der mexikanischen Grenze. Ein Tagesausflug in den mexikanischen Grenzort Tijuana stellt also kein Problem dar. Und für uns frischgebackene Greencard-Besitzer schon gar nicht.
Natürlich darf man auch mit einem amerikanischen Visum nach Mexiko und wieder zurück in die USA einreisen. Bloß wählen diesen Weg häufig Leute, bei denen das Visum (in der Regel das Touristenvisum) bald abläuft, in der Hoffnung, sich einen erneuten sechsmonatigen Aufenthalt in den USA zu ergattern. Das weiß natürlich auch die amerikanische Einwanderungsbehörde und überprüft Visainhaber deshalb häufig auf Herz und Nieren. Und nach dem 11. September wurden die Grenzkontrollen an der mexikanischen und kanadischen Grenze sowieso verschärft.
Aber ich greife vor: Von San Diego nach Mexiko zu kommen, ist supereinfach. Man geht zur Straßenbahnhaltestelle, wo ein freundlicher Bediensteter dem öffentliche Verkehrsmittel scheuenden Amerikaner erklärt, wie man vier Dollar für Hin- und Rückfahrkarte in einen Automaten einwirft (danke!). Dann steigt man in die "Trolley" genannte Straßenbahn nach San Ysidro ein, dem letzten Ort auf der amerikanischen Seite.
Hält die Straßenbahn schließlich nach etwa einer Stunde, steigt man aus und geht zu Fuß durch einen Betontunnel, der wie eine stinknormale Fußgängerüberführung aussieht, auf die mexikanische Seite. Wir passierten ein Drehkreuz und standen vor einem großen Schild: "Mexico". Irgendwo standen auch zwei Grenzbeamte herum, aber keiner fragte uns nach irgendwelchen Papieren.
Von der Grenze kann man problemlos in die Stadt laufen. Schilder weisen den Weg. Aber natürlich will jeder ein Geschäft mit den Touristen und Grenzgängern machen. Deshalb stießen wir schon gleich nach der Grenze auf ein Heer von gelben Taxis. Die Taxifahrer saßen dabei nicht etwa gelangweilt in ihren Taxis herum, sondern gingen wild gestikulierend auf die Touristen zu, um mit Festpreisen einen Kunden in ihr Taxi zu locken. Aus der Broschüre des Tourismusbüros wußten wir, dass es üblich ist, den Preis vor Besteigen des Taxis auszuhandeln. Aber, wie gesagt, wir gingen eh zu Fuß.
Lustigerweise hatte es gerade einige Tage zuvor einen nicht so freundlichen Vorfall mit den Taxifahrern gegeben, wie ich in der lokalen San Diego Zeitung las: Einige wütende Taxifahrer stellten ihre Taxis vor einem amerikanischen Tourbus quer und bewarfen die Windschutzscheiben mit Steinen, da ihrer Meinung nach die Tourbusse, die von der amerikanischen Seite kommen, ihr Geschäft kaputt machen. Die Zeitung versicherte aber, dass derartige Vorfälle recht selten sind.
Tijuana ist übrigens eine typische Grenzstadt. Wer das wirkliche Mexiko sucht, kehrt enttäuscht zurück. Tijuana ist modern, ziemlich groß (1.8 Millionen Einwohner) und gehört zu den reicheren mexikanischen Städten. Wo sich die Touristen aufhalten, gibt es unzählige kitschige Souvenirläden sowie Restaurants und Kneipen, in denen sich junge Amerikaner vollaufen lassen, denn in Mexiko kommen die 18-Jährigen schon an Alkohol, während man auf der anderen Seite der Grenze auf seinen 21. Geburtstag warten muss.
An jeder Ecke sprachen (übrigens auf Englisch) uns die Ladenbesitzer und Straßenhändler an. Wir hörten vorher Horrorgeschichten, dass diese nicht von einem ablassen. Wir machten aber die Erfahrung, dass ein freundliches "No, thank you!" oder ein Kopfschütteln reichte, um die Verkäufer loszuwerden. Gezahlt wird natürlich in US-Dollar; mexikanische Pesos sollte der Tourist tunlichst nicht aus seiner Tasche ziehen. Michael und ich schlenderten auf jeden Fall vergnügt durch die Straßen und genossen das Treiben und die bunten Farben. Lachend beobachteten wir die Touristen, die sich auf einem Podest, das hinter einem Esel aufgebaut war, fotografieren ließen. Warum der Esel wie ein Zebra angemalt war, konnten wir bis heute nicht in Erfahrung bringen.
Pharmakonzerne können Medikamente in Mexiko wegen der geringen Kaufkraft des Pesos nur zu angepassten Preisen verkaufen, deswegen kriegt man dieselbe Arzneimarke dort oft viel billiger als in den USA. In Tijuana gibt es deswegen auffällig sauber aussehende Apotheken, die billige Markenmedikamente anbieten.
Auf unserem Programm stand auch ein gehobeneres Fischrestaurant, das der Reiseführer lobpreiste. Michael jammerte zwar erst herum, dass die Idee, in Mexiko Fisch zu essen, vielleicht nicht so schlau wäre, aber der Fisch war frisch und super lecker sowie die Rechnung US-Standard und deswegen für mexikanische Verhältnisse gesalzen. Dafür aßen wir zwischen Mexikanern und nicht in einer Touristenhochburg. Ich fragte mich natürlich schon, ob die Einheimischen andere Preise zahlten als wir.
Nach einigen Stunden machten wir uns wieder auf den Rückweg nach San Diego. Wir folgten einfach den blauen Schildern mit der Aufschrift U.S.A. Wir hofften natürlich auf eine schnelle Abwicklung an der Grenze, aber als wir dort ankamen, sahen wir schon die riesige Schlange von Fußgängern. Die Autofahrer hatten es nicht besser: Der Stau vor den Grenzposten war beachtlich.
Netterweise gab es für die Fußgänger eine kleine Überdachung, die wie eine Mansarde aussah, damit einem beim stundenlangen Warten nicht der Hitzschlag trifft. Während wir geduldig in der Schlange standen, beobachteten wir schmunzelnd, mit welchen innovativen Geschäftsideen die Mexikaner aufwarteten, um noch ein paar Dollar zu verdienen, bevor wir wieder auf der amerikanischen Seite verschwanden. Straßenverkäufer gingen mit Souvenirs und Leckereien durch die Autoschlangen. Busse standen bereit und gewitzt versicherte man uns, dass wir in Windeseile über der Grenze wären, wenn wir nur in den Bus einstiegen, während wir in der Fußgängerschlange mindestens drei Stunden bräuchten. Am besten gefielen uns aber die so genannten "Border Bikes" ("Grenzfahrräder"). Gegen eine Leihgebühr bekamen die willigen Touristen ein Fahrrad ausgehändigt, das wie ein Klappfahrrad aussah, und überquerten die Grenze damit.
Allerdings konnten die Fahrradfahrer auch nicht einfach mit den Autofahrern bei den Grenzhäuschen durchbrausen. Sie reihten sich zwischen Fußgängern und Bussen auf und es ging nur schleppend voran. Am Anfang waren die Fahrradfahrer vielleicht etwas schneller, aber bei der Durchleuchtungsmaschine, die sich in einem Gebäude befand, trafen wir sie wieder und vor dieser hatten die Radler einen Nachteil, denn es stellte sich als recht umständlich heraus, mit Sack, Pack und Fahrrad durch die Sicherheitskontrolle zu zingeln. Es überraschte uns übrigens sehr, dass die amerikanischen Grenzbeamten den Fahrradspuk dulden.
Für uns Fußgänger lief die ganze Geschichte wie folgt ab: Zunächst warteten wir draußen in der Schlange. Langsam rückten wir zum Gebäude vor. Grenzbeamte ließen immer nur eine bestimmte Anzahl von Leuten ins Gebäude rein. Wir wurden durchleuchtet und gefragt, ob wir Waffen dabei hätten. Dann ging es durch einige Gänge weiter zur nächsten Schlange. Schließlich kamen wir an einen der Schalter der Einwanderungsbehörde. Wir legten unsere Greencard (übrigens nur diese) vor. Der Beamte fragte uns, was wir in Mexiko eingekauft hatten und konnte es erst gar nicht glauben, dass wir "Garnix!" sagten. Und schwupps, standen wir nach ca. eineinhalb Stunden Wartezeit wieder in San Ysidro, wo wir in die Straßenbahn stiegen.
Hört sich einfach an, oder? Ist es auch, wenn man als Amerikaner oder Tourist über die Grenze geht. Für die Mexikaner sieht das ganz anders aus, vor allen Dingen für diejenigen, die versuchen, illegal die Grenze zu überwinden. Um den Strom illegal einwandernder Mexikaner einzudämmen, riefen die zuständigen Behörden 1994 die so genannte "Operation Gatekeeper" ins Leben: Die Grenze um San Diego herum wurde hermetisch abgeriegelt und die Grenzbeamten mit allerlei technischen Firlefanz, z.B. Infrarot-Kameras, ausgestattet, um Menschen, die die Grenze illegal passieren, schneller zu finden und umgehend wieder nach Mexiko zurückzuschicken.
Dadurch dass die Grenze bei San Diego jetzt besser bewacht ist, versuchen viele ihr Glück weiter im Landesinneren, was in der Regel lange Fußmärsche durch die Wüste bedeutet. Es kommt dabei immer wieder zu Todesfällen, weil die Menschen an Erschöpfung und Austrockung sterben oder bei Flußüberquerungen ertrinken. In dem Dokumentarfilm "Death on a Friendly Border" (="Tod an der freundlichen Grenze"), den ich neulich in einen meiner Kurse sah und in dem es genau um den beschriebenen Grenzabschnitt ging, hieß es, dass dort durchschnittlich ein Mensch pro Tag sein Leben lässt.
Interessanterweise gibt es eine Gruppe von Freiwilligen, die auf der amerikanischen Seite so genannte Wasserstellen jedes Wochenende auf eigene Rechnung und in ihrer Freizeit mit Gallonen von Trinkwasser bestückt, um zu verhindern, dass Menschen, die illegal die Grenze überschreiten, in der Wüste verdursten. Die Wasserstellen sind mit blauen Fahnen gekennzeichnet. Es besteht das "Gentlemen Agreement", dass Grenzbeamte die Wasserstellen nicht antasten und niemanden in deren Nähe aufgreifen. Ich wollte, dass hier nur einmal erwähnen, um zu zeigen, dass nicht alle Amerikaner die knallharte Cowboymasche an den Tag legen. Viele Mexikaner, einschließlich des mexikanischen Präsidenten Fox, erhofften sich noch vor gut einem Jahr Grenzerleichterungen. Man sprach von der Erhöhung der Anzahl der Arbeitsvisa für Mexiko und von einer möglichen Amnestie für die Mexikaner, die illegal in den USA leben, d.h. die Möglichkeit legalen Status zu erlangen - alles auf Eis gelegt nach den Terroranschlägen.
(Angelika) Mit Spannung verfolgen wir hier den deutschen Wahlkampf. Schmunzelnd beobachteten wir die Amerikanisierung des Wahlkampfes: Fernsehduelle, eine deutsche Zeitung schlägt vor, welche Partei der Leser am besten wählt -- das gibt es sonst nur in den USA. Erstaunlich ist, wie unreflektiert solche amerikanischen Traditionen auf Deutschland übertragen werden.
Ich wage zu behaupten: Deutschland ist nicht Amerika. Zunächst einmal sind die Wahlen zum amerikanischen Präsidenten Personenwahlen. In Deutschland dachte ich bisher doch, dass es mehr um das Programm der einzelnen Parteien geht (bitte nehmt mir nicht meine Illusionen). Und die amerikanischen Fernsehduelle der Präsidentschaftskanditaten bekommen hier deshalb solches Gewicht, weil das für das Gros der Amerikaner die einzige Informationsquelle ist. Somit entscheiden oft die Fernsehduelle, wer letztlich Präsident wird.
Aber ich wollte eigentlich etwas ganz anderes berichten, nämlich wie Deutsche, die im Ausland leben, ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgeben können. Bei der letzten Bundestagswahl 1998 glaubte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn noch, dass ich einfach zur deutschen Botschaft in San Francisco gehen könnte, um meine Briefwahlunterlagen abzuholen. Falsch gedacht. Zunächst musste ich einen Antrag bei der Stadt stellen, in der ich zuletzt in Deutschland gemeldet war (sprich München), um ins Wählerregister aufgenommen zu werden. 1998 war ich prompt zu spät dran. Dieses Mal passte ich aber wie ein Fuchs auf. Bedingt durch die Segnungen des Internets konnte ich den Antrag zum Eintrag ins Wählerregister auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes bekommen, den ich dann postwendend nach München schickte. Ca. vier Wochen vor der Wahl trudelten doch tatsächlich die Briefwahlunterlagen in San Francisco ein.
Lalala, ich habe schon gewählt und hoffe inständig, dass mein Stimmzettel es gut über den großen Teich schaffte. Auslandsdeutsche können übrigens nur an der Bundestagwahl (und, wenn ich richtig informiert bin, an der Europawahl) teilnehmen. Und hier für alle, die es genau wissen wollen (ich liebe Beamtendeutsch): "Wahlberechtigt sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, die das 18.Lebensjahr vollendet haben und nach dem 23.05.1949 mindestens drei Monate ununterbrochen in den heutigen Grenzen Deutschlands gelebt haben. Unbefristet wahlberechtigt sind Deutsche, die in einem Mitgliedsstaat des Europarates leben. Für die Dauer von 25 Jahren seit ihrem Fortzug aus dem Bundesgebiet sind diejenigen Deutschen wahlberechtigt, die in einem sonstigen ausländischen Staat leben. Wichtig ist die rechtzeitige Eintragung in das Wählerverzeichnis (bis zum 21. Tag vor der Wahl)."
(Angelika) Michael sehnte diesen Tag seit Jahren herbei: Mit unserer neuen Greencard darf ich wieder arbeiten. Bislang lag ich zwar auch nicht auf der faulen Haut, nur bezahlen durfte mich keiner für mein Engagement. Das Tenderloin Childcare Center, in dem ich fünf Jahre lang zweimal die Woche ehrenamtlich tätig war, bot mir sofort eine Ganztagesstelle an. Ich lehnte allerdings dankend ab, denn die Bezahlung in der Kinderbetreuung ist in Amerika mehr als bescheiden und eine Vollzeitstelle hätte mir keine Zeit mehr für meine Fotografie und diverse andere Aktivitäten gelassen. Aber Springkraft bin ich dort jetzt. Ich kann soviel oder so wenig arbeiten, wie ich will und werde in Gruppen eingesetzt, denen eine Vollzeitkraft aus den verschiedensten Gründen fehlt (Urlaub, Krankheit usw.). Die Einrichtung befindet sich allerdings gerade im Umbruch, denn im August bezog sie ein neues Gebäude im gleichen Viertel. Wir nehmen jetzt nicht nur mehr Kinder auf, sondern stellen auch Plätze für Babys zur Verfügung.
Vielleicht habt ihr euch schon einmal gefragt, was der Arbeitnehmer in Amerika braucht, um einer (legalen) Arbeit nachzugehen: Es gibt nämlich keine Lohnsteuerkarte. Aber jeder Arbeitnehmer füllt das so genannte W-4-Formular aus, mit dem die Höhe des Steuerabzugs vom Bruttogehalt ermittelt wird. Im Fragebogenstil gilt es, die Anzahl der "Exemptions" (= Befreiungen) für den Arbeitnehmer zu ermitteln. "Exemptions" gibt es z.B. für Kinder, dafür, dass man verheiratet ist und noch eine erhält man oben drauf, wenn der Ehepartner nicht arbeitet. Je mehr "Exemptions" sich zusammen addieren, je niedrigerer wird der persönliche Steuersatz. Dann braucht jeder eine "Social Security Number" (=Sozialversicherungsnummer), denn es gibt Pflichtabgaben (z.B. staatliche Rentenzahlungen), die der Arbeitgeber an die entsprechende Behörde, genannt "Social Security Administration", abführt. Ich berichtete ja vor langer Zeit einmal, dass ich meine amerikanische Sozialversicherungsnummer erhielt, als ich meinen amerikanischen Führerschein erwarb. Problem war nur, dass auf meiner Sozialversicherungskarte "Not valid for employment" ("Nicht gültig für eine Beschäftigung") stand. Nachdem unsere Greencard durch war, musste ich also zur "Social Security Administration", und siehe da, der Computer wusste über unseren Greencard-Status Bescheid. Die Sachbearbeiterin zeigte sich übrigens äußerst verwirrt, dass ich mit meinem alten Visum überhaupt eine Sozialversicherungsnummer erhalten hatte. Mittlerweile geht das nämlich nicht mehr. Nur noch Leute mit Arbeitsvisa erhalten die begehrte Nummer. Das führt für viele mit "Rockzipfelvisum" zu großen Problemen, denn die Sozialversicherungsnummer braucht man, wie gesagt, um den Füherschein zu erwerben, ein Konto bei der Bank zu eröffnen usw.
Vierzehn Tage später schickte mir die Behörde eine neue Karte mit der gleichen Nummer, aber ohne Einschränkungen bezüglich einer Beschäftigung, zu. Auch Michael durchlief die gleiche Prozedur, denn seine Karte hatte unter Visastatus den Passus "Valid for work only with INS-Authorization" ("Nur gültig für eine Beschäftigung, wenn die Genehmigung der Einwanderungsbehörde vorliegt."). Mit Greencard ist auch er vogelfrei, denn er darf jetzt für jeden beliebigen Arbeitgeber arbeiten, ohne Zustimmung der Einwanderungsbehörde.
Desweiteren füllte ich das Formular I-9 "Employment Eligibility Verification" (Verifikation der Beschäftigungsberechtigung) aus, das jeder amerikanische Arbeitgeber sowohl von den amerikanischen Staatsbürgern als auch "dem sonstigen Fußvolk" vorliegen haben muss. Man versichert praktisch, dass man auch wirklich berechtigt ist zu arbeiten und der ist, der man vorgibt zu sein. Die Versicherung durch Unterschrift reicht allerdings nicht aus, der Arbeitgeber ist verpflichtet, sich die entsprechenden Dokumente vorlegen zu lassen, z.B. Führerschein mit Lichtbild oder den Pass sowie Greencard und Sozialversicherungskarte.
Und weil ich mit Kindern arbeite, schreibt der Staat Kalifornien weiter vor, dass meine Fingerabdrücke abzunehmen sind, um zu prüfen, ob ich nicht irgendwo wegen Kindesmißhandlung vorbestraft bin.
(Angelika) Falls ihr demnächst als Tourist, Student oder auch als Geschäftsreisender in die USA einreist und zusäzlich die Kriterien eines potentiellen Terroristen erfüllt, wundert euch nicht, wenn die Einwanderungsbehörde euch eure Fingerabdrücke abnimmt, Lichtbilder macht und euch auffordert, regelmässig den Behörden mitzuteilen, wo ihr euch genau in den USA aufhaltet und was ihr dort macht. Obwohl die Behörden die genauen Kriterien, aufgrund derer sie bestimmte Leute für diese Sonderbehandlung rauspicken, nicht preisgeben, kann ich 1+1 zusammen zählen und mir vorstellen, dass es vorwiegend jüngere Männer aus bestimmten islamischen Ländern treffen wird. Erste Bürgerrechtsgruppen protestieren, dass diese Vorgehensweise gegen Muslime diskriminiert. Ich prophezeihe folgendes: Hin und wieder wird der über 60-jährige deutsche Tourist oder Geschäftsmann bzw. die fünfköpfige Familie zum Abnehmen der Fingerabdrücke herausgezogen werden, damit die Einwanderungsbehörde als "politisch korrekt" dasteht. Die Fingerabdrücke werden übrigens sofort in den Computer gespeist, um zu prüfen, ob etwas vorliegt gegen die betreffende Person.
Bahn frei für Michael!
(Michael) Neuerlich flatterte ein Brief vom "San Francisco Superior Court" ins Haus, dem höchsten Gericht der Stadt. Angelika wurde darin barsch aufgefordert, als Juror an einem Gerichtsverfahren teilzunehmen. Wie ihr wahrscheinlich aus amerikanischen Fernsehserien wisst ("Law und Order" zum Beispiel), bestimmt in Amerika in einem Strafprozess nicht der Richter darüber, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht, sondern eine zwölfköpfige zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Laien.
Da schreien die Wirtschaft/Recht-Lehrer unter euch: Haha, aber in Deutschland gibt's auch Schöffen! Richtig, meine Lieben, aber habt ihr schonmal in der Zeitung gelesen, dass ein Fall von einem Schöffen rumgerissen wurde? Theoretisch sind die deutschen Laienrichter ja dem Vorsitzenden ebenbürtig und bei manchen Verfahren sogar imstande, den Richter zu überstimmen. In Deutschland gibt's allerdings laut "Ehrenamt Schöffe" nur 61.000 Schöffen -- also unter 1500 Bürgern jeweils nur einen einzigen. Anzunehmen, dass da meist nur "Ja, Herr Richter!"-Sager drankommen. Außerdem ist es für professionelle Richter leicht, Laien mit schwer verständlichem Gesetzes-Mumbo-Jumbo zu erschlagen.
In den USA entscheidet statt dem Richter tatsächlich "das Volk". Laut Verfassung ist das eine Gruppe von "Peers", also Gleichgestellten. Das finde ich eine der beeindruckensten Errungenschaften Amerikas. Das Volk hat so ein letztes Einspruchsrecht bei der Anwendung von Gesetzen. Freilich wirft das eine ganze Reihe von Problemen auf: So führen Staats- und Rechtsanwälte bei Gerichtsverfahren regelmäßig regelrechte Theaterstücke auf, um Herrn und Frau Normalverbraucher aus der Jury für sich zu gewinnen. Während Richter in anderen Rechtssystemen kaum Kontrolle erfahren und dementsprechend ihren Geltungsdrang voll ausleben können, leitet ein Richter hier in den USA zwar das Verfahren, bestimmt, was an Zeugen und Beweisen zugelassen wird, muss sich aber in der Regel dem "schuldig/nicht-schuldig"-Urteil der Jury beugen. Das Strafmaß darf er dann wieder selbständig bestimmen.
Nach den einführenden Worten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden der Jury die Fakten vorgeführt. Nur was während des Gerichtsverfahrens explizit von Zeugen oder Experten gesagt wird, zählt. Auch wenn der Fall schon im Fernsehen war und zum Beispiel ein Video vom Tathergang existiert, ist dies noch lange kein Beweismaterial. Entscheidet der Richter zum Beispiel auf Protest der Verteidigung hin, dass die Tatwaffe mit den Fingerabdrücken des Angeklagten nicht als Beweismaterial zählt (z.B. weil sie mit unsauberen Polizeimethoden ergattert wurde), dann muss die Jury deren Existenz aus dem Gedächtnis streichen. Oder einer auf dem Zeugenstand antwortet auf die Frage: "Wo war der Angeklagte zur Tatzeit?" des Staatsanwalts mit "Bei mir zu Hause. Wir haben eine erstaunliche Waffensammlung.", dann schreit der Verteidiger "Objection, non-responsive!", denn Zeugen dürfen nur direkt auf Fragen des Staatsanwalts oder des Verteidigers antworten und nichts Eigenes hinzufügen. Sagt der Richter darauf "Sustained!", wird der Nachsatz mit der Waffensammlung gestrichen und die Jury vom Richter instruiert, so zu verfahren, als ob sie ihn nie gehört habe. Oder der Verteidiger fragt den Zeugen "Ist es nicht richtig, dass der Angeklagte ein Engel ist, der keiner Fliege etwas zuleide tut?", dann schreit der Staatsanwalt "Objection, leading!" (der Zeuge wird "geführt", ihm also eine Antwort in den Mund gelegt) und der Richter höchstwahrscheinlich "Sustained!" und weist den Zeugen an, die Frage nicht zu beantworten und die Jury, aus der Frage keinerlei Schlüsse zu ziehen. Sagt der Richter hingegen "Overruled", wird die Frage zugelassen und der Zeuge muss antworten. Das kann ein monatelanges Verfahren mit hunderten von Einwürfen, die entweder abgeschmettert oder stattgegeben werden, ganz schön komplizieren -- besonders für Joe Sixpack auf der Jurybank, der sich merken muss, was zählt und was verworfen wurde.
Will die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung eine Behauptung beweisen, muss sie jemanden auffahren, der vor Gericht darüber aussagt. Es gilt nicht, dass ein Brief von einem staatlich anerkannten Sachverständigen vorliegt, oder etwas allgemein bekannt ist, z.B. dass auf der Autobahn 101 um sechs Uhr abends der Teufel los ist. Im letzteren Fall kommt ein Polizist zum Gericht und sagt unter Eid aus: "Auf dem 101 war am Montag den siebten März abends um sechs der Teufel los.". Sonst gildet's nicht.
Auch wenn ein Juror etwas aus der Zeitung weiß, ein Fachmann für Verbrechen ist oder den Täter als miesen Gauner kennt, darf er dieses Wissen nicht zur Urteilsfindung heranziehen. Juroren dürfen nur berücksichtigen, was sie während des Verfahrens erfahren. Deswegen werden sie bei medienträchtigen Schauprozessen (wie dem Fall mit O.J. Simpson vor einigen Jahren) regelrecht einkaserniert (sequestered jury), damit sichergestellt ist, dass sie nicht fernsehen oder Zeitung lesen. Das kommt bei einem monatelang dauernden Prozess einer Gefängnisstrafe gleich.
Auch führt das Jury-System manchmal zu überzogenen Schadensforderungen. Vor einiger Zeit ging's in einem Prozess mal darum, dass ein Autohersteller den Benzintank aus Kostengründen an einer unsicheren Stelle plaziert hatte. Prompt ging bei einem Unfall ein Auto deswegen in Flammen auf und mehrere Leute verbrannten. Die Wut der Angehörigen über die Geschäftsmethoden der Firma ist klar zu verstehen, sie klagten auf Schadensersatz.
Auch die Mitglieder der Jury sahen das so und wollten die Firma schmoren sehen. Nach dem Motto "Kost' ja nix" stimmten sie zu, dass die Firma irgendwie 65 Milliarden (!) Dollar zahlen sollte. Das ist, glaube ich der Verteidungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland. Oder die Frau, die sich am Kaffee von McDonald's verbrannte und einige Millionen erhielt, weil McDonald's nicht "Vorsicht, heiß!" auf den Kaffeebecher geschrieben hatte. Da dachten sich die Jury-Mitglieder wahrscheinlich: Da sitz' ich jetzt schon den ganzen Tag blöd im Gericht rum, machen wir's doch mal so richtig spannend! Später wird übrigens manchmal die Summe reduziert oder das Urteil vollends aufgehoben, der Richter darf das, wenn's gar zu dusslig ist, zumindest in Kalifornien.
Der Richter erklärt den Juroren am Ende des Verfahrens in relativ allgemeinverständlichem Englisch und sehr detailliert, was ihre Aufgabe ist und was sie in die Waagschale werfen dürfen. So ist zum Beispiel alles, was der Staatsanwalt oder der Verteidiger sagten, irrelevant -- nur Zeugen- und Expertenaussagen zählen. Der Auftrag der Jury lässt sich kurz zusammenfassen: Sie befindet, ob es dem Staatsanwalt gelungen ist, die Schuld des Angeklagten "beyond reasonable doubt", also wasserdicht zu beweisen. Beim geringsten Zweifel muss das Urteil "nicht schuldig" lauten. Die Mitglieder der Jury ziehen sich, nachdem sie dem gesamten Gerichtsverfahren beiwohnten (Juroren dürfen keine Fragen stellen, nur zusehen) und vom Richter über ihre Aufgabe belehrt wurden, hinter verschlossene Türen zurück, um zu einem einstimmigen Urteil zu kommen (zumindest in Kalifornien, in anderen Bundesstaaten gelten zum Teil andere Regelungen). Gelingt das nicht, weil sich einer querstellt, kommt es zur "Hung Jury" und das Verfahren muss wiederholt werden.
Die Jury muss sich auf eine Urteilsfindung aufgrund der bestehenden Gesetzeslage beschränken. Ein Juror kann nicht sagen: "Dieses Gesetz passt mir nicht, also sage ich 'nicht schuldig', obwohl der Halunke klar gegen dieses bizarre Gesetz verstoßen hat". Der Richter wird die Jury auch darüber belehren, dass das in Aussicht stehende Strafmaß nicht in die Entscheidung 'schuldig' oder 'nicht schuldig' hineinspielen darf.
Aber natürlich helfen alle Belehrungen nicht gegen festgefahrene Vorurteile der Juroren. So geschehen im Falle Rodney King, einem Schwarzen, der in Los Angeles brutal von weißen Polizisten verprügelt wurde. Die Jury war rein weiß und sprach die Polizisten frei, obwohl ein Videoband die Szene detailliert zeigte. Allerdings war die Strategie der Staatsanwaltschaft, die nicht einmal Rodney King in den Zeugenstand rief, auch etwas hohl. Tags darauf brachen in Los Angeles Rassenunruhen aus.
Andererseits wurde der schwarze Footballspieler O.J. Simpson des Mordes an seiner Frau freigesprochen, obwohl die Fakten eigentlich überwältigend für eine Verurteilung sprachen. Nach dem Urteilsspruch salutierte ein schwarzes Jurymitglied dem Angeklagten mit dem "Black Power"-Gruß.
Richter werden hier übrigens direkt vom Volk gewählt, man sieht öfter Wahlplakate mit Aufschriften wie "Wählt Richter Smith!" während das in Deutschland über Vitamin B zur Landesregierung läuft, die entweder ihre Sozi-Spezln oder Anti-Abtreibungs-Wüteriche nominiert.
Auch lädt das Gericht immer viel mehr Jury-Mitglieder ein, als tatsächlich gebraucht werden. Denn sowohl Anklage als auch Verteidigung dürfen beliebig viele Leute aus berechtigten und eine beschränkte Anzahl auch nur aus taktischen Gründen ablehnen. Dies findet vor dem Verfahren, im so genannten "Voir Dire" statt. Wenn zum Beispiel in einem Verfahren die Todesstrafe ansteht, lautet die erste Frage an einen potentiellen Juror: Sind Sie gegen die Todesstrafe? Lautet die Antwort "ja", fliegt die entsprechende Person sofort raus. Das ist im Verfahrensordnung ein "berechtigter Grund" -- allerdings bedeutet das, dass in solchen Prozessen nur 65-70% der Bevölkerung vertreten sind, weil der Rest gegen die Todesstrafe ist. Auch versuchen Anwälte immer Leute mit starker Persönlichkeit rauszuwählen, da diese unter Umständen eine Gruppendynamik erzeugen und unliebsame Überraschungen auslösen können. Das sind strategische Gründe.
In dem ausgezeichneten Buch "Last Chance for Justice" von Laurence Geller und Peter Hamenway steht genau beschrieben, wie's geht und was für Konflikte sich ergeben. Normalerweise findet das Verfahren immer in der Nähe des Ortes des Verbrechens statt. Sieht's aber so aus, als wäre wegen örtlicher Voreingenommenheit kein faires Verfahren möglich, kann es kurzer Hand woanders hin verlagert werden. So zum Beispiel das Verfahren um das unsympathische Hundebesitzerduo in San Francisco, deren Kampfköter eine Hausbewohnerin totbiss. Beinahe jede zwölfköpfige Gruppe von Einwohnern der Stadt San Francisco hätte die beiden Hohlköpfe zur Höchststrafe verurteilt, weil der Fall solche Empörung hervorrief. Um ein nach der amerikanischen Verfassung gerechtes Verfahren zu gewährleisten, wurde der Fall jedoch nach Los Angeles verlagert. Die Kampfköterknaller wurden trotzdem verurteilt.
Da es einen Haufen laufender Verfahren gibt, werden ständig Leute bestimmt, die im nächsten Verfahren in der Jury sitzen. Und die Wahl erfolgt wirklich zufällig -- vom Punk bis zum Firmenchef ist da alles dabei. Einmal ausgewählt, kann man sich kaum entziehen. Es ist an der Tagesordnung, dass in der Firma jemand gerade nicht da ist, weil er "Jury-Duty" zu erfüllen hat, bei AOL ist das ein Kästchen zum Ankreuzen, wenn man einen Urlaubsschein ausfüllt. Der Arbeitgeber ist im allgemeinen nicht verpflichtet, den Lohn weiter zu zahlen, darf den seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachkommenden Arbeitnehmer jedoch nicht deswegen rauswerfen. Je nach Bundesstaat gibt's vom Staat einen Ausgleich, allerdings meist nicht mehr als ein paar Dollar am Tag. Und dass ein derartiger Mammut-Prozess natürlich das "Aus" für eine gerade hoffnungsvoll begonnene Karriere bedeuten kann, sollte klar sein.
Die Vorladung weist übrigens darauf hin, dass ordentliche Kleidung erwünscht ist. Es wird davon abgeraten, Tank Tops (deutsch: Sonnentops), kurze Hosen oder Badeschlapper anzuziehen. Wer jetzt Angelika schon im nächsten Mordprozess à la O.J. Simpson sah, und vielleicht schon auf eine Fernsehübertragung spekulierte, den muss ich leider enttäuschen: Nur amerikanische Staatsbürger sind berechtigt, diese Pflicht auszuüben. Dass Angelika trotzdem eine Vorladung erhielt, liegt daran, dass es in den USA keine Meldepflicht gibt, die Stadt San Francisco also keine Ahnung hat, wer dort wohnt. Deswegen zapft sie die Führerscheinstelle an, und schickt Vorladungen an alle Führerscheininhaber ohne Strafregister. Da darunter auch viele "Resident Aliens" (also sesshafte Ausländer ohne Staatsbürgerschaft) sind, kommt mit der Vorladung ein Formular, auf dem man ankreuzen kann, dass man in diese Kategorie fällt (Abbildung 26). Genau das hat Angelika auch gemacht. Schade eigentlich! Wär' tolles "Rundbrief-Material" gewesen!
Da selbst die Rundbriefreporter nicht im Gerichtssaal fotografieren dürfen, haben wir die Bilder einfach Angelikas Lieblingsfernsehserie "Law & Order" entnommen, die, wie uns mal ein Anwalt auf einer Party erzählt hat, ziemlich realitätsnah wiedergibt, wie's so in typischen Strafprozessen zugeht.
Ganz wie in "Law & Order" kommt's in Wirklichkeit auch selten zum Prozess, denn meist machen Staatsanwalt und Verteidiger einen so genannten "Plea Bargain", der Staatsanwalt schlägt also eine Strafe vor, typischerweise leicht unter dem üblichen Strafmaß, die der Angeklagte samt Verteidiger annehmen, weil's mittlerweile so irre strenge Gesetze gibt, dass die Jury nach der Rechtslage meist gar keine Wahl hat, als zu verurteilen.
So gilt zum Beispiel in Kalifornien zum Beispiel das "Three-Strikes"-Gesetz: Ganz wie im Baseball, wo "Three Strikes" das Aus für den Mann mit dem Knüppel bedeuten, gilt für jemanden, der schon zweimal rechtskräftig wegen mittelschwerer oder gewalttätiger Verbrechen verurteilt wurde (es reicht, nur in ein Privathaus einzusteigen), beim dritten Mal automatisch: Lebenslänglich. Dabei spielt es keine Rolle, ob die dritte Straftat belanglos war. Es gibt in Kalifornien tatsächlich einen Fall, bei dem jemand lebenslänglich eingesperrt wurde, weil er beim dritten Mal eine Pizza geklaut hatte. Das sind mindestens 25 Jahre!
Zwei Millionen Gefangene sitzen in amerikanischen Gefängnissen. Das sind 1% der Bevölkerung! Ich glaube, das ist beinahe Weltrekord. Die Vollzugsanstalten liegen übrigens meist in abgelegenen Gegenden. Auf unseren Exkursionen sind wir schon ein paarmal an welchen vorbeigekommen. Man merkt das auf der Autobahn daran, dass plötzlich Schilder auftauchen, nach denen man keine Anhalter mehr mitnehmen soll.
(Michael) Neben Becks hält der Amerikaner übrigens auch die Marke "St. Pauli Girl" für deutsches Bier. Nur mit Mühe konnte ich einen Arbeitskollegen vom Gegenteil überzeugen. Leider verlor ich deswegen auch noch eine Wette, denn das Gesöff wird laut Webpage (http://stpauligirl.com) anscheinend tatsächlich in Bremen (ist das wirklich Deutschland?) gebraut. Zu kaufen sah ich es allerdings in deutschen Landen noch nirgendwo. Es schmeckt außerdem grauenhaft, deswegen glaube ich nicht, dass es in Deutschland jemand kaufen würde.
Neulich fiel mir in einer einschlägigen Kneipe ein kleines Reklametäfelchen auf, auf dem zwei turtelnde Herren doch tatsächlich für ein Bier warben! Die großen amerikanischen Bierhersteller befinden sie sich in einer Zwickmühle: Die Gay-Community in San Francisco feiert nicht nur gern, trinkt gerne Bier, sondern hat im Durchschnitt auch ziemlich viel Geld dafür übrig. Eine Gruppe, die man bewerben muss, zweifellos. Andererseits wollen sie nicht an traditionellen Werten rütteln. Der Döspaddl aus Texas darf auf keinen Fall glauben, dass ist irgendwie "schwul" ist, Miller-Bier zu trinken -- sonst könnte er nie mehr mit seinen Football-liebenden Trinkbrüdern ungezwungen Miller in sich reinschütten. Folglich schalten die großen Bierkonzerne einschlägige Reklamen nur in Gegenden, in denen die Zielgruppe überproportional vertreten ist. Ich warte auf den Tag, an dem die Plakateure per Zufall die Anzeigen für San Francisco und Houston/Texas durcheinanderbringen.
(Michael) Das "Rundbrief-Top-Produkt" sind heute die Nasenschnuller von Biore. Nasenschnuller? Hä? Das kommt davon, wenn man als Paar jahrelang im Ausland lebt und keinerlei Korrektiv in der täglichen Umgangssprache erfährt: Man erfindet neue deutsche Worte für Dinge, die man bislang noch nicht kannte. Wie nennt man klebrige Papperl, die man sich auf die Nase klebt, damit es die Mitesser aus den Poren rauszieht? Seht ihr, dafür kennt ihr sicher auch kein Wort. Von der französischen Firma Biore gibt's hier in den USA diese praktischen Papperl, die man sich auf die angefeuchtete Nase klebt, zehn Minuten wartet, sie dann abzieht und darauf die herausgezogenen Mitesser bewundert.
Tatsache ist doch: Hin und wieder kriegt man einen Pickel auf der Nase. Das ist ärgerlich und schmerzhaft. Pappt man aber alle zwei Monate einen Biore-Nasenschnuller drauf und entfernt so wirksam mittels des inhärenten Biore-Superklebstoffs die Mitesser, kommt's erst gar nicht so weit. Gute Laune wegen Biore Nasenschnuller. Wär' ich nur im Nobelpreiskommitee ...
(Michael) Eigentlich hätte ich ja gedacht, es gäbe in meinem Leben keine interessanten Krimiserien mehr. Über "Law and Order" oder "NYPD Blue" kann ich nur lachen, das ist typischer Amiquatsch, der einen alten Hund wie mich nicht mehr hinterm Ofen hervorholt. Wenn Angelika die ansieht, höre ich meist mit Kopfhörer Musik.
Doch neulich machte mich ein Kollege bei AOL auf "The Shield" aufmerksam. Ich sagte es dem TiVo, der's mir aufzeichnete und, was soll ich sagen, ich war so elektrisiert und geschockt, dass ich die Sendung ohne Unterbrechung von Anfang bis Ende verschlang. Die Sendung ist der Wahnsinn, brutal und unberechenbar. Sie spielt in einem Polizeirevier in Los Angeles, dessen Chef Aceveda ein Latino ist, der sich hochgearbeitet hat, sich als Politiker etablieren will und nach außen eine super-weiße Weste trägt. Hinter den Kulissen geht's allerdings zur Sache: Die "Strike-Force", bestehend aus dem glatzköpfigen Schläger Vic Mackey, dem unscheinbaren Gang-Klopfer Curtis Lemansky und dem wahnsinnig-depperten Südstaatler Shane Vendrell löst zwar hartnäckige Fälle, aber meist mit illegalen Methoden: Da werden schon mal Vernommene zusammengeschlagen, beschlagnahmtes Kokain gemopst oder üblen Gangtypen, die man legal nicht drankriegen kann, eine gerade abgeschossene Waffe untergejubelt. Außerdem werden natürlich Rassenkonflikte voll ausgelebt und Minderheiten fertiggemacht, wie auf jedem Polizeirevier der Welt. Das in den USA zu thematisieren ist unerhört!
Das faszinierende an der Sendung ist aber, dass die Sympathie des Zuschauers bei den Schlägern hängt, da bei diesen unter der rauhen Schale ein weiches Herz schlägt: Sie nehmen schon mal das Baby einer drogensüchtigen Prostituierten für eine Nacht auf oder lassen Beweisstücke verschwinden, die jemanden belasten, der eigentlich unschuldig ist. Der Polizeichef dreht natürlich jedesmal durch, wenn er von derartigen Aktionen erfährt und will die Chaostruppe entfernen, aber irgendwie schafft es der mit allen Wassern gewaschene Vic immer wieder, Dienstaufsichtsbeschwerden abzuwenden oder Untersuchungskommissionen an der Nase herumzuführen, weil er seine Augen und Ohren überall hat und mit der Unterwelt auf du und du steht.
Außerdem spielen noch weitere liebevoll entwickelte Charaktere mit, wie der als Weichling und Schreibtischhengst verachtete Detektiv Wagenbach, der allgemein "Dutch" genannt, aber auch schon mal wegen seines Namens als "Nazi" beschimpft wird. Oder der Schwarze Julien Lowe, der ein "ehrlicher" Polizist sein will, aber seine Homosexualität verheimlicht und deswegen von Vic gemein erpresst und daran gehindert wird, gegen die Schlägertruppe auszusagen.
(Michael) Letzten Monat hatte ich ja angekündigt, die neue von den Red Hot Chili Peppers zu besprechen. Diese Band kommt aus Los Angeles und ist für mich der Inbegriff Kaliforniens. Nicht das Todesstrafen-Kalifornien oder das Weißenviertelvorort-Doppelgaragen-Kalifornien, sondern das Kalifornien chaotischer Städte wie Los Angeles oder San Francisco, wo es noch durchgeknallte Leute wie die Red Hot Chili Peppers gibt, die sich um nichts scheren und neue Ideen versprühen. Nach meiner Lieblingssendung "Behind the Music" hat ihr Bassist "Flea" mal bei einem Konzert auf seinen Bass eingehämmert, bis er ein Loch in seinem Daumen hatte! Und aus der Reihe "Behind the Perl" vertraue ich euch heute an, dass ich unter (fast ausschließlichem) Einfluss des Albums "Blood, Sugar, Sex, Magik" damals, vor langer, langer Zeit "Effektives Programmieren mit Perl5" geschrieben habe. Jetzt ist es raus!
Doch was musste ich feststellen? In der deutschen Hitparade war die Platte auf Platz Eins und sogar die Bildzeitung, die ich zu Angelikas Entsetzen regelmäßig online lese, hat sie besprochen! Einen Nachtrag habe ich allerdings noch, das werdet ihr aus deutschen Medien wohl nicht erfahren: "On Mercury", das 13. Lied auf der Platte, hat mexikanische Einflüsse. Mexikanische Volksmusik ist ziemlich vergleichbar mit der deutschen Umpa-Umpa-(=Bierzelt)-Musik und gehört zu Kalifornien wie Döner zu Bayern. Im Stadtviertel "Mission" in San Francisco sieht man öfter mal mexikanische Straßengang-Autos (übrigens bevorzugt aufgemotzte Acura Integras wie unser unaufgemotzer PERL MAN) vorbeicruisen, aus denen Umpa-Umpa tönt und coole Gestalten den Ellbogen aus dem Fenster hängen lassen. Der Kreis schließt sich.
Gruß aus'm Westen!
Angelika und Michael
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