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  Rundbrief Nummer 39  
San Francisco, den 17.09.2002


Abbildung [1]: Surfer-Dude in San Diego

Angelika: Als Michael sich, wie jedes Jahr, AOL-gesponsert zur Perl-Konferenz ins rund 1000 Kilometer südlich von San Francisco liegende San Diego aufmachte, dachte ich mir: San Diego ist nett, der Ozean im Juli schön warm zum Schwimmen und schwupps packte ich meine Koffer und fuhr mit.

Abbildung [2]: Skater-Dude in San Diego

San Diego verkörpert das, was sich jeder Tourist unter Kalifornien vorstellt: Die Sonne scheint fast immer und das Surfboard wird einem schon in die Wiege gelegt. Sucht ihr nach der legeren, kalifornischen Lebensart, fahrt nach San Diego und mietet euch in einem Hotel am Strand ein. Genau das taten wir.

Während Michael in Konferenzsälen herumtobte, hopste ich in den Wellen herum und beobachtete braungebraunte, durchtrainierte, mit dem einen oder anderen Tatoo versehene Jungens und Mädels, immer auf der Suche nach der besten Welle. Baywatch lässt grüßen. San Diego ist bekanntlich nicht nur ein Surferparadies, sondern liegt ganz nah an der mexikanischen Grenze. Ein Tagesausflug in den mexikanischen Grenzort Tijuana stellt also kein Problem dar. Und für uns frischgebackene Greencard-Besitzer schon gar nicht.

Natürlich darf man auch mit einem amerikanischen Visum nach Mexiko und wieder zurück in die USA einreisen. Bloß wählen diesen Weg häufig Leute, bei denen das Visum (in der Regel das Touristenvisum) bald abläuft, in der Hoffnung, sich einen erneuten sechsmonatigen Aufenthalt in den USA zu ergattern. Das weiß natürlich auch die amerikanische Einwanderungsbehörde und überprüft Visainhaber deshalb häufig auf Herz und Nieren. Und nach dem 11. September wurden die Grenzkontrollen an der mexikanischen und kanadischen Grenze sowieso verschärft.

Aber ich greife vor: Von San Diego nach Mexiko zu kommen, ist supereinfach. Man geht zur Straßenbahnhaltestelle, wo ein freundlicher Bediensteter dem öffentliche Verkehrsmittel scheuenden Amerikaner erklärt, wie man vier Dollar für Hin- und Rückfahrkarte in einen Automaten einwirft (danke!). Dann steigt man in die "Trolley" genannte Straßenbahn nach San Ysidro ein, dem letzten Ort auf der amerikanischen Seite.

Abbildung [4]: Mit der Straßenbahn nach Mexiko

Abbildung [5]: Durchquerung der Grenzmauer

Hält die Straßenbahn schließlich nach etwa einer Stunde, steigt man aus und geht zu Fuß durch einen Betontunnel, der wie eine stinknormale Fußgängerüberführung aussieht, auf die mexikanische Seite. Wir passierten ein Drehkreuz und standen vor einem großen Schild: "Mexico". Irgendwo standen auch zwei Grenzbeamte herum, aber keiner fragte uns nach irgendwelchen Papieren.

Abbildung [6]: Über die Begrenzungsanlagen nach Mexiko

Abbildung [7]: Drehkreuz und Absperrung an der Grenze

Von der Grenze kann man problemlos in die Stadt laufen. Schilder weisen den Weg. Aber natürlich will jeder ein Geschäft mit den Touristen und Grenzgängern machen. Deshalb stießen wir schon gleich nach der Grenze auf ein Heer von gelben Taxis. Die Taxifahrer saßen dabei nicht etwa gelangweilt in ihren Taxis herum, sondern gingen wild gestikulierend auf die Touristen zu, um mit Festpreisen einen Kunden in ihr Taxi zu locken. Aus der Broschüre des Tourismusbüros wußten wir, dass es üblich ist, den Preis vor Besteigen des Taxis auszuhandeln. Aber, wie gesagt, wir gingen eh zu Fuß.

Lustigerweise hatte es gerade einige Tage zuvor einen nicht so freundlichen Vorfall mit den Taxifahrern gegeben, wie ich in der lokalen San Diego Zeitung las: Einige wütende Taxifahrer stellten ihre Taxis vor einem amerikanischen Tourbus quer und bewarfen die Windschutzscheiben mit Steinen, da ihrer Meinung nach die Tourbusse, die von der amerikanischen Seite kommen, ihr Geschäft kaputt machen. Die Zeitung versicherte aber, dass derartige Vorfälle recht selten sind.

Abbildung [8]: Hunde laufen rum

Abbildung [9]: Straßenhändler verkaufen bunte Sachen

Tijuana ist übrigens eine typische Grenzstadt. Wer das wirkliche Mexiko sucht, kehrt enttäuscht zurück. Tijuana ist modern, ziemlich groß (1.8 Millionen Einwohner) und gehört zu den reicheren mexikanischen Städten. Wo sich die Touristen aufhalten, gibt es unzählige kitschige Souvenirläden sowie Restaurants und Kneipen, in denen sich junge Amerikaner vollaufen lassen, denn in Mexiko kommen die 18-Jährigen schon an Alkohol, während man auf der anderen Seite der Grenze auf seinen 21. Geburtstag warten muss.

Abbildung [10]: Amis lassen sich in Saufhallen zulaufen

An jeder Ecke sprachen (übrigens auf Englisch) uns die Ladenbesitzer und Straßenhändler an. Wir hörten vorher Horrorgeschichten, dass diese nicht von einem ablassen. Wir machten aber die Erfahrung, dass ein freundliches "No, thank you!" oder ein Kopfschütteln reichte, um die Verkäufer loszuwerden. Gezahlt wird natürlich in US-Dollar; mexikanische Pesos sollte der Tourist tunlichst nicht aus seiner Tasche ziehen. Michael und ich schlenderten auf jeden Fall vergnügt durch die Straßen und genossen das Treiben und die bunten Farben. Lachend beobachteten wir die Touristen, die sich auf einem Podest, das hinter einem Esel aufgebaut war, fotografieren ließen. Warum der Esel wie ein Zebra angemalt war, konnten wir bis heute nicht in Erfahrung bringen.

Abbildung [11]: Als Zebra angemalter Esel für Touristen

Pharmakonzerne können Medikamente in Mexiko wegen der geringen Kaufkraft des Pesos nur zu angepassten Preisen verkaufen, deswegen kriegt man dieselbe Arzneimarke dort oft viel billiger als in den USA. In Tijuana gibt es deswegen auffällig sauber aussehende Apotheken, die billige Markenmedikamente anbieten.

Abbildung [12]: Billige Medikamente

Auf unserem Programm stand auch ein gehobeneres Fischrestaurant, das der Reiseführer lobpreiste. Michael jammerte zwar erst herum, dass die Idee, in Mexiko Fisch zu essen, vielleicht nicht so schlau wäre, aber der Fisch war frisch und super lecker sowie die Rechnung US-Standard und deswegen für mexikanische Verhältnisse gesalzen. Dafür aßen wir zwischen Mexikanern und nicht in einer Touristenhochburg. Ich fragte mich natürlich schon, ob die Einheimischen andere Preise zahlten als wir.

Abbildung [13]: Karrenschieber

Abbildung [14]: Absurd buntes Spielzeug wird abgeladen

Nach einigen Stunden machten wir uns wieder auf den Rückweg nach San Diego. Wir folgten einfach den blauen Schildern mit der Aufschrift U.S.A. Wir hofften natürlich auf eine schnelle Abwicklung an der Grenze, aber als wir dort ankamen, sahen wir schon die riesige Schlange von Fußgängern. Die Autofahrer hatten es nicht besser: Der Stau vor den Grenzposten war beachtlich.

Abbildung [15]: Tijuana: Hier geht's zurück in die USA

Netterweise gab es für die Fußgänger eine kleine Überdachung, die wie eine Mansarde aussah, damit einem beim stundenlangen Warten nicht der Hitzschlag trifft. Während wir geduldig in der Schlange standen, beobachteten wir schmunzelnd, mit welchen innovativen Geschäftsideen die Mexikaner aufwarteten, um noch ein paar Dollar zu verdienen, bevor wir wieder auf der amerikanischen Seite verschwanden. Straßenverkäufer gingen mit Souvenirs und Leckereien durch die Autoschlangen. Busse standen bereit und gewitzt versicherte man uns, dass wir in Windeseile über der Grenze wären, wenn wir nur in den Bus einstiegen, während wir in der Fußgängerschlange mindestens drei Stunden bräuchten. Am besten gefielen uns aber die so genannten "Border Bikes" ("Grenzfahrräder"). Gegen eine Leihgebühr bekamen die willigen Touristen ein Fahrrad ausgehändigt, das wie ein Klappfahrrad aussah, und überquerten die Grenze damit.

Abbildung [16]: Von links nach rechts: Fußgängerschlange, Border Bikes, Busse

Allerdings konnten die Fahrradfahrer auch nicht einfach mit den Autofahrern bei den Grenzhäuschen durchbrausen. Sie reihten sich zwischen Fußgängern und Bussen auf und es ging nur schleppend voran. Am Anfang waren die Fahrradfahrer vielleicht etwas schneller, aber bei der Durchleuchtungsmaschine, die sich in einem Gebäude befand, trafen wir sie wieder und vor dieser hatten die Radler einen Nachteil, denn es stellte sich als recht umständlich heraus, mit Sack, Pack und Fahrrad durch die Sicherheitskontrolle zu zingeln. Es überraschte uns übrigens sehr, dass die amerikanischen Grenzbeamten den Fahrradspuk dulden.

Für uns Fußgänger lief die ganze Geschichte wie folgt ab: Zunächst warteten wir draußen in der Schlange. Langsam rückten wir zum Gebäude vor. Grenzbeamte ließen immer nur eine bestimmte Anzahl von Leuten ins Gebäude rein. Wir wurden durchleuchtet und gefragt, ob wir Waffen dabei hätten. Dann ging es durch einige Gänge weiter zur nächsten Schlange. Schließlich kamen wir an einen der Schalter der Einwanderungsbehörde. Wir legten unsere Greencard (übrigens nur diese) vor. Der Beamte fragte uns, was wir in Mexiko eingekauft hatten und konnte es erst gar nicht glauben, dass wir "Garnix!" sagten. Und schwupps, standen wir nach ca. eineinhalb Stunden Wartezeit wieder in San Ysidro, wo wir in die Straßenbahn stiegen.

Abbildung [17]: Was man kaufen kann. Soll man das kaufen?

Hört sich einfach an, oder? Ist es auch, wenn man als Amerikaner oder Tourist über die Grenze geht. Für die Mexikaner sieht das ganz anders aus, vor allen Dingen für diejenigen, die versuchen, illegal die Grenze zu überwinden. Um den Strom illegal einwandernder Mexikaner einzudämmen, riefen die zuständigen Behörden 1994 die so genannte "Operation Gatekeeper" ins Leben: Die Grenze um San Diego herum wurde hermetisch abgeriegelt und die Grenzbeamten mit allerlei technischen Firlefanz, z.B. Infrarot-Kameras, ausgestattet, um Menschen, die die Grenze illegal passieren, schneller zu finden und umgehend wieder nach Mexiko zurückzuschicken.

Abbildung [18]: Grenzstau und mexikanische Verkäufer

Abbildung [19]: Salut an der Grenze für die drei Wahrzeichen: McDonald's, Kalifornien, USA

Dadurch dass die Grenze bei San Diego jetzt besser bewacht ist, versuchen viele ihr Glück weiter im Landesinneren, was in der Regel lange Fußmärsche durch die Wüste bedeutet. Es kommt dabei immer wieder zu Todesfällen, weil die Menschen an Erschöpfung und Austrockung sterben oder bei Flußüberquerungen ertrinken. In dem Dokumentarfilm "Death on a Friendly Border" (="Tod an der freundlichen Grenze"), den ich neulich in einen meiner Kurse sah und in dem es genau um den beschriebenen Grenzabschnitt ging, hieß es, dass dort durchschnittlich ein Mensch pro Tag sein Leben lässt.

Interessanterweise gibt es eine Gruppe von Freiwilligen, die auf der amerikanischen Seite so genannte Wasserstellen jedes Wochenende auf eigene Rechnung und in ihrer Freizeit mit Gallonen von Trinkwasser bestückt, um zu verhindern, dass Menschen, die illegal die Grenze überschreiten, in der Wüste verdursten. Die Wasserstellen sind mit blauen Fahnen gekennzeichnet. Es besteht das "Gentlemen Agreement", dass Grenzbeamte die Wasserstellen nicht antasten und niemanden in deren Nähe aufgreifen. Ich wollte, dass hier nur einmal erwähnen, um zu zeigen, dass nicht alle Amerikaner die knallharte Cowboymasche an den Tag legen. Viele Mexikaner, einschließlich des mexikanischen Präsidenten Fox, erhofften sich noch vor gut einem Jahr Grenzerleichterungen. Man sprach von der Erhöhung der Anzahl der Arbeitsvisa für Mexiko und von einer möglichen Amnestie für die Mexikaner, die illegal in den USA leben, d.h. die Möglichkeit legalen Status zu erlangen - alles auf Eis gelegt nach den Terroranschlägen.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012