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Angelika/Mike Schilli |
Kündigen bei Apple
Krankenversichert mit Cobra
Der Tag X
Wählen in Amerika
Point Buchon
Was kostet Strom in Amerika?
Durian-Stinkfrucht
Toppservice: Post am Sonntag auf
Fotoausstellung
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Michael Na, das hat wohl keiner vorhergesehen: im Oktober 2022 habe ich mich dazu entschieden, meinen Job bei Apple an den Nagel zu hängen. Zugegeben, das Gehalt war astronomisch, aber die Arbeit hat mir keinen Spaß mehr gemacht, und ich hatte kaum noch Zeit für meine wie immer zahlreich sprudelnden Ideen und Privatprojekte. Also war's Zeit für eine Umorientierung.
Wie geht das eigentlich, bei einer amerikanischen Firma zu kündigen, und was hat das für Folgen? Das musste ich mir natürlich alles Monate im voraus überlegen, schließlich ist man in Amerika stark abhängig vom Arbeitgeber: Der zahlt nicht nur den Löwenanteil der horrend teuren Krankenversicherung, sondern oft auch die Rechnung fürs Mobiltelefon und ist deswegen Eigentümer der Handynummer. Oft gehört auch das Telefon selbst sowie der Laptop der Firma, und beides muss der Arbeitnehmer beim Ausscheiden zurückgeben.
Besonders kritisch ist die Krankenversicherung, denn die ist in den USA stark an den Arbeitgeber gekoppelt. Wer nicht mehr arbeitet, hat auch keine Krankenversicherung. Das ist natürlich Wahnsinn, denn eine gesetzliche Krankenversicherung, in die jeder im Zweifelsfall reinfällt, gibt's in Amerika nicht. Man steht also tatsächlich unversichert da, und falls man krank wird, muss man alles aus eigener Tasche zahlen, was schon viele in den Ruin getrieben hat.
Michael Joblose haben auf Bundesebene Anspruch auf das sogenannte Cobra-Gesetz ("Consolidated Omnibus Budget Reconciliation Act") Rundbrief 11/2004), und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aufgekündigt hat. Cobra gewährt jedem Arbeitnehmer das Recht, nach dem Ausscheiden aus dem Job die Krankenversicherung, die er über die Firma hatte, bis zu 18 Monate selbständig weiterzuzahlen. Der Vorteil: Man erhält die gleichen Leistungen und muss sich nicht um Aufnahme in eine private Krankenversicherung bemühen. Der Haken: Man zahlt etwa 5x soviel wie zu Zeiten, an denen man noch angestellt war, da die Firma typischerweise etwa 80% der Kosten übernimmt und nur 20% als Obulus vom Arbeitnehmer fordert. In konkreten Zahlen: Ein Apple-Angestellter zahlt für sich und Ehepartner im Monat zusammen etwa 380 Dollar an Kranken-, Zahnarzt- und Augenarzt-Versicherung (in Amerika alles getrennt), ein ausgeschiedener Mitarbeiter hingegen insgesamt 1.600 Dollar. Netto, ohne die Möglichkeit, es von der Steuer abzusetzen.
Zur Cobra-Fortsetzung der Mitgliedschaft in der Krankenkasse gilt es allerdings, einen Hindernispark quer durch den schlimmsten amerikanischen Bürokratiewahnsinn zu durchqueren. Hier sind nämlich drei verschiedene Parteien im Spiel: der Arbeitgeber, der Cobra-Verwalter und die Krankenkasse. Am sinnvollsten wäre es ja, noch vor dem Ausscheiden Bescheid zu geben, um seine Krankenkasse gegen Bezahlung einfach weiter zu behalten. Aber so einfach geht das nicht, denn der Arbeitgeber meldet das Ausscheiden des Mitarbeiters direkt der Krankenkasse, die die Nachricht per Post empfängt und ein paar Tage später mit sofortiger Wirkung ruckartig alle eingehenden Arztrechnungen mit einem Datum nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses zurückweist.
Manche Arbeitgeber zahlen die Beiträge übrigens für den Ex-Angestellten noch bis zum Ende des laufenden Monats weiter, weshalb es oft günstig ist, zum Monatsanfang zu kündigen. Apple stoppt allerdings die Krankenkasse sofort am Ende des letzten Arbeitstags. Genau an dem Tag gehen mit der Post zwei Briefe raus, einer an den Cobra-Verwalter (eine Drittfirma), und einer an die Krankenkasse. Nach Erhalt stoppt die Krankenkasse wie gesagt alle Zahlungen. Der Cobra-Verwalter hingegen schreibt per Post den ausgeschiedenen Arbeitnehmer an. In dem Brief erfährt der Ex-Angestellte, wie er sich Online beim Cobraverwalter für Cobra anmelden kann. Bezahlt der Ex-Angestellte dann die erste Monatsrate per Bankeinzug, ist er rückwirkend (!) seit seinem Ausscheiden aus der Firma krankenversichert.
Nun wusste ich in meinem Fall ja schon Monate vorher, dass ich kündigen wollte, und hatte mir schon Gedanken darüber gemacht, was denn wohl passieren würde, wenn ich zum Beispiel in den ersten zwei Wochen nach dem Ausscheiden aus der Firma zum Arzt ginge. In diesem Zeitfenster führt die Krankenkasse den Ex-Arbeitnehmer als nicht versichert, und weiß noch nichts von einer etwaigen Cobra-Verlängerung. Online fand ich zu dem Thema nur Wischi-Waschi-Aussagen, aber richtig probiert hat das anscheinend noch niemand. Und wie der Zufall es wollte, hatten sowohl Angelika als auch ich feste Arzttermine kurz nach dem Tag X, und da ich von Natur aus neugierig darauf bin, was in Grenzfällen passiert, legten wir die Termine nicht um, sondern nahmen sie einfach wahr. Bei einer sechsfachen Bypass-Operation in Millionenhöhe hätte ich es mir vielleicht anders überlegt, aber es handelte sich nur um normale Besuche, die zwar in Amerika schnell mal 400 Dollar kosten, aber das sollte mir der Spaß wert sein.
Am 31.10. war mein letzter Arbeitstag, am 1. November hatte Angelika einen Zahnarzttermin. Lustigerweise bezahlte unsere Versicherung die Rechnung anschließend anstandslos. Die Bezahlung meines Arzttermins eine Woche später lehnte die Krankenversicherung allerdings mit der Begründung "nicht versichert" ab und der Arzt schickte statt dessen die Rechnung an mich. Die ließ ich vorerst auf dem Schreibtisch liegen, und in der dritten Novemberwoche kamen auch schon die Cobra-Unterlagen per Post an. Ich meldete mich Online beim Cobra-Verwalter an und beglich sofort die erste Rechnung für November per Bankeinzug. Das ist zwar in Amerika höchst unüblich, weil alles mit Kreditkarte bezahlt wird, aber es war in diesem Fall die einzige Option. Die Webseite war sehr rustikal, und ich erhielt keinerlei Bestätigungs-Email. Von einigen Ex-Kollegen wusste ich aber, dass mit dem Bezahlen der Prämie der Versicherungsschutz beginnt, und zwar rückwirkend. Als ich mich allerdings tags darauf beim Online-Portal der Krankenkasse anmeldete, stand dort immer noch "nicht versichert". Da braucht man Nerven wie Drahtseile. Die Überweisung an den Cobra-Verwalter ging zwei Tage darauf vom Konto ab, aber noch immer wusste die Krankenkasse anscheinend noch nichts von meiner Zahlung. Daraufhin rief ich tags darauf beim Kundenservice der Krankenkasse an und die Dame im Callcenter rief sogar beim Cobraverwalter durch und meldete mir schließlich nach 20 Minuten, dass ich noch 24 Stunden warten solle, dann wäre die Webseite der Krankenkasse aktualisiert.
So war es dann auch, also rief ich am nächsten Tag beim Doktor an, um die Sache mit der von der Krankenkasse abgelehnten Rechnung zu klären. Wenn man nicht arbeitet, hat man ja Zeit. Ich schlug der Abrechnungsdame vor, die Rechung an die Krankenkasse einfach noch einmal einzureichen, wofür die Dame am Telefon auch eine Menüoption in der Abrechnungssoftware fand. Das Ganze dauere 30-45 Tage, sagte sie, ich solle in der Zwischenzeit alle eingehenden Rechnungen und Mahnungen ignorieren. Na, wenn das mal gut geht! Im Notfall kann man die Rechnung natürlich auch privat begleichen und später als Patient bei der Krankenkasse zur Wiedererstattung einreichen, aber das erzeugt nur unnötigen Papierkram.
Dazuzusagen gilt es noch, dass es vor Obamacare ein äußerst riskanter Schachzug gewesen wäre, in meinem doch schon fortgeschrittenen Alter den Job zu kündigen. Denn nach 18 Monaten läuft Cobra aus, und der ehemalige Arbeitnehmer muss sich eine private Krankenversicherung suchen, was mit zunehmendem Alter und diversen Wehwehchen sehr teuer bis unmöglich sein kann. Obama hat damals im Jahr 2010 mit dem Kongress im "Affordable Care Act" (ACA) unter anderem durchgepaukt, dass Krankenversicherungen jeden aufnehmen müssen und wegen "Pre-existing Conditions" keine höheren Beiträge mehr verlangen dürfen. Seitdem kann man für eine zweiköpfige Famile schon für um die $400 monatlich eine recht ordentliche Krankenversicherung (wenngleich mit hoher Selbstbeteiligung) erhalten, für Niedriglöhner schießt der Bundesstaat Kalifornien sogar noch etwas zu.
Wie kündigt man nun den Job? Man kann bei Apple wie bei vielen anderen amerikanischen Firmen mit sofortiger Wirkung kündigen, und einfach nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Für einen geordneten Abgang sollte man aber schon zwei Wochen vor dem Ausscheiden aus der Firma Bescheid geben. Kann man per Email an den Chef machen, der diese dann an die HR-Abteilung weiterleitet, aber ich bin altmodisch und habe meinen Manager per Videocall angerufen und dann die Email mit dem Datum geschickt. Einen Papierbrief braucht es nicht. Länger als zwei Wochen vorher zu kündigen kann man auch machen, ist aber meiner Ansicht nach unklug, denn dann hängt man wochenlang herum wie ein Zombie. In zwei Wochen kann man alles abwickeln, Projekte übergeben, Nachfolger einarbeiten, und wegen der kurzen Frist vertrödelt keiner sinnlos Zeit. Alle waren ziemlich geschockt, aber ich blieb hartnäckig, hat man den Weg der Kündigung eingeschlagen, gibt es kein zurück mehr, sonst macht man sich bloß lächerlich. Schließlich gingen wir noch ein paarmal zusammen in die Cafeteria zum ausgedehnten Mittagessen auf der privaten Terasse des "Results Way"-Campus und dann war auch schon der Tag des Abschieds da. Wir stehen immer noch in Kontakt, mit einigen Ex-Kollegen texte ich mittlerweile noch mehr als zu meiner aktiven Zeit bei Apple.
Die Telefonnummer meines Handys, die ich auch privat nutzte, durfte ich auf einen von mir neu eingerichteten und aus eigener Tasche bezahlten Mobilvertrag übertragen. Im Mitarbeiter-Shop kaufte ich mir einen neuen Laptop. Den Firmen-Laptop musste ich abgeben. Mein Cubicle räumte ich nach und nach aus, jetzt stehen bei uns zuhause ein Fahrrad und zwei Skateboards herum.
Nun genieße ich gerade meine neue Freiheit bereits im zweiten Monat. Vor allem ist genial, dass ich jetzt die Zeit habe, jahrelang aufgeschobene Arbeiten zu erledigen. Ob das nun das Neubeziehen der Esszimmerstühle ist oder den Stöpsel des Waschbeckens zu richten, der nicht mehr richtig schloss, oder ein paar Videos über meine Kochrezepte zu drehen oder endlich mal wieder in Ruhe Rundbrief zu schreiben: jeden Tag hake ich mindestens eine Aufgabe von einer hunderte Einträge langen Liste ab. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Und Zeit zum Surfen bleibt natürlich auch noch.
Angelika Wer amerikanischer Staatsbürger ist, darf an allen Wahlen auf lokaler, bundesstaatlicher und staatlicher Ebene teilnehmen. Aber wie geht das genau? Organisation und Durchführung von Wahlen liegen in der Obhut der einzelnen Bundesstaaten, mit individuellen Regelungen. In fast allen Bundesstaaten gilt, dass der Wahlberechtigte nur dann an der Wahl teilnehmen kann, wenn er sich als Wähler registrieren hat lassen. Als unsere Staatsbürgerschaft durch war, haben wir uns gleich zum Wählen angemeldet. In Kalifornien geht das auch Online, und Michael hat sich so ins Wählerregister eintragen lassen. Er musste seinen Namen, sein Geburtsdatum und -land, seine Führerscheinnummer und die letzten 4 Ziffern seiner Sozialversicherungsnummer sowie seine Adresse angeben. Ein paar Wochen später lag dann ein Kärtchen im Briefkasten mit seiner Wählernummer. Zu der Zeit musste ich durch Zufall meinen Führerschein verlängern und wickelte die Wahlregistrierung dabei gleich bei der kalifornischen Kraftfahrzeugmeldestelle DMV mit ab.
Auch mir wurde das Kärtchen mit meiner Nummer dann per Post zugestellt. In Kalifornien gilt, dass Wähler sich spätestens 15 Tage vor der Wahl registriert haben müssen, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen. Ist man einmal registriert, bleibt dies bestehen und gilt für alle zukünftigen Wahlen, es sei denn, man zieht um, ändert seinen Namen oder seine Parteipräferenz (dazu gleich mehr). Dann registriert man sich neu.
Wahlberechtigte Amerikaner, die von einem anderen Bundesstaat nach Kalifornien ziehen, müssen sich ebenfalls in Kalifornien ins Wahlregister eintragen lassen. Verpasst der Wahlberechtigte die Frist, hat er trotzdem die Möglichkeit, am Wahltag in sein Wahllokal zu gehen und dort zu wählen. Die Stimmabgabe gilt dann als vorläufig, bis geprüft wurde, ob der Wähler in Kalifornien wahlberechtigt ist.
Wenn man sich registriert zum Wählen, wird einem die Frage gestellt, welcher Partei man sich zugehörig fühlt. Folgende stehen zur Auswahl: die demokratische oder republikanische Partei, die Grünen, die Friedens-und Freiheitspartei, die "Libertarian" Partei und die "American Independent Party". In Kalifornien darf allerdings auch angekreuzt werden, dass man sich mit keiner Partei identifiziert. Die Zuordnung zu einer Partei verpflichtet übrigens nicht zum Wählen derselben, hat aber unter Umständen bei den unterschiedlichen Vorwahlen Relevanz: Wer sich als der demokratischen Partei zugehörig registriert hat, darf auch an deren Vorwahlen zum Präsidenten teilnehmen, bei denen die Partei über den Kandidaten abstimmt, den sie ins Rennen schickt. Für Republikaner gilt analoges.
Seit der Pandemie schicken die kalifornischen Behörden jedem registrierten Wahlberechtigten automatisch Briefwahlunterlagen zu. Jeder kann also in Ruhe die Wahlunterlagen zuhause ausfüllen. Es besteht natürlich weiterhin die Möglichkeit, am Wahltag ins Wahllokal zu gehen. Entscheidet sich der Wähler für die Briefwahl, werden die Wahlunterlagen in einen dafür vorgesehenen Briefumschlag gesteckt. Der Briefumschlag wird zugeklebt und außen unterschreiben. Die Unterschrift gilt als Verifizierung, dass es sich bei dem Wähler um die richtige Person handelt. Vor der Auszählung wird erst die Unterschrift auf dem Umschlag mit der auf dem kalifornischen Führerschein des Wählers hinterlegten verglichen. Bei der Wählerregistrierung gibt der Wähler seine Einverständniserklärung dafür. Die ausgefüllten Briefwahlunterlagen können entweder mit der Post eingeschickt oder in spezielle Wahlkästen gesteckt werden, die wie Briefkästen aussehen und über die ganze Stadt verteilt sind. Wir nutzten einen solchen Kasten und warfen unsere Unterlagen in unserem Viertel ein. Interessant ist, dass man anschließend online verfolgen kann, wo sich der eigene Wahlzettel befindet, und ob und wann er mitgezählt wurde.
Die Wahlbeteiligung in den USA ist übrigens oft niedrig (im Schnitt etwas über 60% bei Präsidentschaftswahlen und ca. 50% bei Kongresswahlen). Seitdem ich hier selber wählen darf, wundert mich das ehrlich gesagt nicht mehr. Da ist zunächst einmal die oben erwähnte verpflichtende Registrierung, die zwar schnell geht, aber doch eben nicht automatisch passiert. Dann füllten Michael und ich bei den letzten Wahlen im November ungelogen über eine Stunde lang unsere Wahlzettel aus, denn wir waren nicht nur aufgerufen, für die Kongresskandidaten unsere Stimme abzugeben, sondern über zig Volksbegehren abzustimmen. Gott sei Dank konnten wir das an unseren Esstisch zu Hause machen und standen dafür nicht in einer Wahlkabine.
Gerade in Kalifornien haben diese Volksbegehren mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass der Wähler sich durch meterlange Wahlzettel arbeiten muss und andauernd irgendwelche Wahlen anstehen deswegen. Obwohl wir erst seit Februar 2022 unsere amerikanische Staatsbürgerschaft haben und somit wahlberechtigt sind, haben wir schon an drei Wahlen teilgenommen. Im November hatten wir schlappe fünf Wahlzettel, die beidseitig bedruckt waren, abzuarbeiten. Wir sind beide nun wirklich nicht uninformiert, ganz im Gegenteil, aber bei vielen Dingen, über die wir entscheiden mussten, hätte man wochenlang den Sachverhalt studieren müssen, um eine objektive Entscheidung zu treffen. Da fragten wir uns dann schon, was eigentlich die Politiker noch machen, denn dafür wählt man ja eigentlich einen geeigneten Vertreter. Wir erhielten zwar Informationsmaterial in Form eines telefonbuchdicken Bandes, aber richtig hilfreich sind die Informationen nicht, denn es mangelt an Neutralität.
Jedes Volksbegehren ("Proposition") listet ein Dafür und Wider auf, aber jeder darf in San Francisco diese Abhandlungen schreiben und einreichen und dementsprechend manipulativ kommen sie oftmals daher. Dann gibt es Verbände und Organisationen sowie Politiker, die bestimmte Volksbegehren sponsern und ihre Namen dafür hergeben. Deshalb flatterten so viele Pamphlete vor den Wahlen ins Haus und in unseren Briefkasten. Eine Verschwendung von Papier sondersgleichen. In San Francisco gibt es allerdings den relativ neuen politisch motivierten Verein GrowSF.org, der zum Beispiel einen Wählerratgeber herausgibt, der sogar als Orientierung ganz nützlich ist. Sachin Agarwal gründete GrowSF im Jahre 2020, mit dem Ziel, politische Lösungen für San Francisco zu finden, die auf Pragmatismus und gesunden Menschenverstand beruhen. Allgemein ist es schlichtweg aussichtslos, als Wähler alle Sachverhalte genau zu kennen. Dass einige frustriert aufgeben bei dem Wahlzettelwust kann ich gut nachvollziehen. Das sollte dringend einmal reformiert werden.
Michael Ende November machten wir eine Woche Urlaub und fuhren runter nach Cayucos in der Nähe von San Luis Obispo. Wir wohnten in einem AirBnb, und ich durfte surfen. Wir wanderten auch viel und stießen eines Tages auf einen Weg, der erstaunlich hohe bürokratische Hürden aufwarf: Erst versuchten wir, von der Südseite her über Avila Beach an die Küstenlandschaft heranzukommen, wurden aber darüber belehrt, dass der Weg über Privatgelände des kalifornischen Energieerzeugers PG&E führe, weshalb man nicht einfach am Eingang parken und dann wandern könne, sondern mit einem Tourbus aufs Gelände fahren und dann einem firmeneigenen Tour-Guide folgen müsse. Daraufhin versuchten wir es von der Nordseite her. Dort stießen wir auf ein verschlossenes Tor mit einem Schild, auf dem stand, dass PG&E an allen Tagen außer dienstags und mittwochs bis zu 250 Wanderer auf den Trail lässt. Da gerade Mittwoch war, Donnerstag Feiertag, kamen wir Freitag morgens wieder und wurden zu einer Hütte vorgelassen.
Dort mussten wir einen Schrieb durchlesen, auf dem stand, dass wir keine Haftungsansprüche hätten, und dann durfte wir uns auf eine Liste eintragen und loswandern. Der Weg ging an der Küste entlang, an der gewaltige Wellen gegen Steilwände und Steinformationen im Wasser rappelten, dass es nur so schäumte. Tausende von brütenden Vögeln sammelten sich auf Felsen im Wasser. In der Luft lag ein Hauch von Vogeldünger und Pferdemist, denn anscheinend reiten auch Pferdeenthusiasten auf diesem Weg.
Nach etwa fünf Kilometern trafen wir auf eine Farm samt kleiner Kuhherde, marschierten hindurch, und der schöne Weg war zu Ende. Das heißt, vielmehr er wäre wohl noch weiter gegangen, aber es standen überall Schilder, die die Pfade als Privatwege der Ranch auswiesen, deren Betretung untersagt sei. Und wir trauten unseren Augen nicht: Man sah zwei busenförmige Kuppeln in der Ferne, und ein Schild wies darauf hin, dass dies die Kühltürme des Atomkraftwerks "Diablo Canyon" sind, das dort in einer einmalig malerischen Landschaft steht.
Weitere Recherchen ergaben, dass das AKW Diablo Canyon 1987 erstmals ans Netz ging, und bis heute etwa 8.6% des kalifornischen Stroms liefert! Zwar gab es bei der Baugenehmigung einige Bedenken, weil das Teil in einer erdbebengefährdeten Gegend liegt, und noch dazu direkt am Pazifik, wodurch es eventuell heranbrausenden Tsunami-Wellen ausgesetzt ist. Angeblich wird aber PG&E die Meiler 2024/2025 abschalten, weil sich der Betrieb wegen staatlicher Regulierungen nicht mehr rentiert, und Kalifornien auf grüne Energien setzt. Hier lernt man noch was dazu!
Michael Ihr in Deutschland wurdet ja in letzter Zeit ziemlich an die Kandare genommen, was die Haushaltskosten für Strom und Gas betrifft. Vergleichen wir doch mal: Wieviel zahlen Bürger in Amerika für die Energieversorgung ihrer Privathaushalte? Um es kurz zu machen, wir haben im September für 400 Kilowattstunden 108 Dollar gezahlt, also etwa 27 Cent pro Kilowattstunde. Aber, wie ihr euch denken könnt, variieren Strompreise stark nach Bundesstaat, unser Gewährsmann in Florida hat neulich erzählt, dass er für 811 kWh dort nur 133 Dollar gezahlt hat, also fast die Hälfte, 14 Cent pro kWh.
Wie schon mal an dieser Stelle erörtert (Rundbrief 05/2017) kommt unser Strom in der San Francisco Bay Area von einer privaten Firma namens PG&E, also "Pacific Gas and Electric", die im Umkreis von mehreren hundert Kilometern das Strommonopol hat. Nun ist PG&E eine ziemliche Tandlerfirma, die von einer katastrophalen Krise in die nächste schlittert. Ihre Stromtrassen sprühen Funken und lösen Waldbrände aus, und deswegen schaltet PG&E im Sommer teilweise in ländlichen Gegenden mit viel Wald einfach den Strom ab. PG&E betreibt eine so veraltete und total marode Infrastruktur, dass sie den Energiebedarf der Bay Area nicht decken kann, wenn jeder seine Verbraucher einschaltet, bricht alles zusammen. Das zeigt sich im Sommer, wenn die Bewohner des heißen Silicon Valleys den ganzen Tag ihre Wohnungen mit Klimaanlagen kühlen. Da bricht schon mal die Versorgung zusammen und ganze Landstriche bleiben tagelang ohne Strom. Vorsorglich schaltet PG&E hier mittels sogenannter "Rotating Outages" in manchen Städten unten im Silicon Valley einfach reihum den Strom ab. Das muss man sich mal vorstellen, da wohnt jemand direkt neben der historischen Stelle, an der das iPhone erfunden wurde und hat wie in der dritten Welt tageweise nicht mal Strom. Zwar können nicht kränkliche Bürger auch ein paar Tage ohne Klimaanlage leben, aber wenn die Lebensmittel in Kühlschrank und Tiefkühltruhe vermodern, hört der Spaß endgültig auf.
PG&E hält die Leute dazu an, weniger Strom zu verbrauchen, nur so reicht die Kapazität für groß und klein. Als womöglich einzige Privatfirma der Welt betreibt PG&E sogar Werbung dafür, dass Verbraucher von ihrem Produkt, dem Strom, weniger kaufen! Aus diesem Grund staffeln sie auch ihre Preise. Wer mehr verbraucht als der Durchschnitt, zahlt höhere Kilowattpreise. Wir liegen mit unserem Verbrauch etwas über dem Durchschnitt, und haben so einen Deal abgeschlossen, dass der Strommix teilweise aus erneuerbarer Energie kommt, und zahlen, wie gesagt, im Schnitt etwa 27 Cent pro Kilowattstunde. Wie setzt sich das genau zusammen?
In Abbildung 20 seht ihr, dass wir im Beispielmonat genau 400 kWh verbraucht haben, davon kostet die Stromlieferung (Delivery) für die ersten 225 kWh 24 Cent/KWh und die restlichen 175 kWh 30 Cent/kWh. Davon zieht PG&E noch den "Generation Credit" von 47.01 Dollar ab, schlägt aber die "Power Charge Indifference Adjustment" drauf und 25 Cent "Franchise Fee Surcharge". Wie sich diese 75.12 Dollar zusammensetzen, versucht die Tabelle "Your Electric Charges Breakdown" (Abbildung 21) zu erklären, mit allen möglichen Einzelposten, die kein Mensch versteht. Abgesehen davon, dass der Betrag vorher per KWh ermittelt wurde und hier einfach Fixkosten stehen, aber okay. Später kommt noch die Erzeugungsgebühr ("Generation Charge") drauf, die bei 400 kWh mit 32.94 Dollar zu Buche schlägt (Abbildung 22). Abzüglich des vorher abgezogenen "Generation Credits", wohlgemerkt. Kurzum: Keiner versteht, wie sich die Kosten zusammensetzen, man zahlt halt, was oben auf der Rechnung steht.
Wir zahlen die monatliche Stromrechnung übrigens nicht per Bankeinzug, sondern traditionsgemäß per Hand. Bis vor wenigen Jahren hat Angelika jeden Monat die uns von PG&E per Post zugestellte Papierrechnung aufgemacht, das Scheckbuch rausgeholt und einen Scheck über den geforderten Betrag ausgestellt, unterschrieben, und im Kuvert per Post an PG&E geschickt. Irgendwann fand ich heraus, dass man den Betrag auch per Handy-App überweisen kann, und seitdem zeichne ich dafür verantwortlich, dies jeden Monat gewissenhaft zu erledigen.
Da Strom anscheinend nicht irgendeine Ware, sondern ein Gut ist, ohne das niemand leben kann, schaltet PG&E auch nicht einfach den Strom ab, falls man mal eine Rechnung nicht zahlt. Das habe ich durch ein Versehen herausgefunden, denn einmal zahlte ich zwar die Rechnung, aber nur die "Delivery Charges" statt den höheren Gesamtbetrag. Die Lichter blieben an! Einen Monat später flatterte die nächste Rechnung ins Haus, und kommentarlos war dort einfach der fehlende Betrag hinzuaddiert worden. Unter leise vor mich hin gemurmelten Entschuldigungen zahlte ich wie verlangt.
Neuerdings kostet bei uns der Strom sogar unterschiedlich nach Tageszeit. Nach der Tabelle des Stromanbieters zahlen wir zwischen 16:00 und 21:00 höhere Kilowattpreise als während der restlichen Zeit des Tages. Das ist wahrscheinlich das Zeitfenster, in dem viele Leute in San Francisco den Herd anstellen, um Abendessen zu kochen. Wer sparen will, muss erst nach 21:00 Essen kochen oder den Tesla aufladen!
Michael Bekanntlich schrecke ich ja vor keinem Gericht der Welt zurück, und so war es nur eine Frage der Zeit bevor ich Durian, die berühmt-berüchtigte Stinkfrucht aus Malaysia, probieren musste. Arbeitskollegen hatten mir jahrelang vorgeschwärmt, was für ein komplexer Geschmacksruck beim Genuss dieser Frucht durch den Gaumen führe, und dass amerikanische und europäische Weicheier niemals über den unappetitlichen Gestank hinwegkämen. Natürlich lächerlich, ich probiere alles.
Ja, ihr habt richtig gelesen, es gibt tatsächlich Früchte auf dieser Welt, die unappetitlich riechen und gleichzeitig gut schmecken. Wer jemals einen Spitzenwein konsumiert hat, weiß, dass Nase und Gaumen unter Umständen widersprechende Urteile abgeben. Bei der Stinkfrucht ist das Phänomen recht ausgeprägt, denn sie riecht etwa wie Zwiebelreste im Mülleimer, den man zwei Tage vergessen hat, auszulehren. Nicht gerade appetitanregend, aber beileibe nicht so brechreizauslösend wie die vielen Youtube-Videos insinuieren, die amerikanische Touristen in theatralischen Posen auf malaysischen Fruchtmärkten zeigen.
Nun begab es sich, dass unser Megasupermarkt Costco eines Tages das bereits aus der Riesenfrucht extrahierte und eingefrorene Mark zum Schlagerpreis von 27 Dollar pro 400g anbot. Da musste ich natürlich zuschlagen. Todesmutig probierte ich die frisch aufgetaut mangoartig in der Packung liegenden Stücke. Den Geruch von vermodernden Zwiebeln muss man dabei natürlich ausblenden, und man kann die Frucht auch nicht im Kühlschrank aufheben ohne die ganze Wohnung zuzustinken, selbst durch doppelte Plastiktüten bahnt der Gestank sich seinen Weg. Der Geschmack ist ... interessant. Sicher mangoartig, aber auch nussig, und auch noch mit einem benzinartigen Einschlag, sodass man nicht weiß, ob sie wirklich gut mit dem Verdauungstrakt harmoniert. Und in der Tat wälzte ich mich nach dem Genuss der Frucht des nachts etwas hin und her. Auch Angelika probierte ein Stück, hielt sich aber beim Nachschlag auffallend zurück. Fazit: Probieren sollte man's, aber eine gute reife Mango ist mir ehrlich gesagt lieber.
Angelika Die amerikanische Post muss oft herbe Kritik aushalten. Das Defizit des Unternehmens ist groß und die Kundenbetreuung ist, wie bei einer Behörde wenig überraschend, leicht schleppend und mittelalterlich. Aber vor Weihnachten staunten wir nicht schlecht, denn gleich mehrere Postämter in San Francisco haben nun die Sonntage vor Weihnachten vormittags ihre Schalter geöffnet, damit der Kunde seine Weihnachtspakete auf den Weg bringen kann. Ich nutzte diesen Service gleich zweimal und war erstaunt, wieviele Leute doch davon wussten, obwohl er kaum publik gemacht wurde. Die Leute waren begeistert und voll des Lobes.
Angelika Ich bin ja schon seit Jahrzehnten in einem Fotokollektiv in San Francisco. Ein Höhepunkt ist immer wieder, wenn wir eine gemeinsame Gruppenausstellung veranstaltten. Dieses Jahr im Oktober war es wieder soweit. Ich zeigte zwei meiner Collagen. Das Thema der Ausstellung war "The New World" (= "Die neue Welt"). Sandra Phillips, die jahrelang im San Francisco Museum of Modern Art als Kuratorin in der Fotografieabteilung gearbeitet hatte, suchte das Thema aus und stellte aus unseren Werken eine Show zusammen. Das Thema war, wie sich die Welt durch Covid verändert hat. Die Show war vom 22. Oktober bis 19. November zu sehen und zwar in einer Galerie des "Minnesota Street Projects", einem Konglomerat verschiedener Galerien unter einem Dach, die sich im sogenannten "Dogpatch"-Viertel in San Francisco befinden. Meine Collagen gestaltete ich, indem ich alte Fotos, die ich aufgenommen hatte, auseinander schnitt und wieder neu zusammen setzte.
Grüße aus San Francisco:
Angelika und Michael
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