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  Rundbrief Nummer 146  
San Francisco, den 20.12.2022


Abbildung [1]: Angelika beim Wählen für die Kongresswahl im November 2022.

Angelika Wer amerikanischer Staatsbürger ist, darf an allen Wahlen auf lokaler, bundesstaatlicher und staatlicher Ebene teilnehmen. Aber wie geht das genau? Organisation und Durchführung von Wahlen liegen in der Obhut der einzelnen Bundesstaaten, mit individuellen Regelungen. In fast allen Bundesstaaten gilt, dass der Wahlberechtigte nur dann an der Wahl teilnehmen kann, wenn er sich als Wähler registrieren hat lassen. Als unsere Staatsbürgerschaft durch war, haben wir uns gleich zum Wählen angemeldet. In Kalifornien geht das auch Online, und Michael hat sich so ins Wählerregister eintragen lassen. Er musste seinen Namen, sein Geburtsdatum und -land, seine Führerscheinnummer und die letzten 4 Ziffern seiner Sozialversicherungsnummer sowie seine Adresse angeben. Ein paar Wochen später lag dann ein Kärtchen im Briefkasten mit seiner Wählernummer. Zu der Zeit musste ich durch Zufall meinen Führerschein verlängern und wickelte die Wahlregistrierung dabei gleich bei der kalifornischen Kraftfahrzeugmeldestelle DMV mit ab.

Auch mir wurde das Kärtchen mit meiner Nummer dann per Post zugestellt. In Kalifornien gilt, dass Wähler sich spätestens 15 Tage vor der Wahl registriert haben müssen, um an der Wahl teilnehmen zu dürfen. Ist man einmal registriert, bleibt dies bestehen und gilt für alle zukünftigen Wahlen, es sei denn, man zieht um, ändert seinen Namen oder seine Parteipräferenz (dazu gleich mehr). Dann registriert man sich neu.

Wahlberechtigte Amerikaner, die von einem anderen Bundesstaat nach Kalifornien ziehen, müssen sich ebenfalls in Kalifornien ins Wahlregister eintragen lassen. Verpasst der Wahlberechtigte die Frist, hat er trotzdem die Möglichkeit, am Wahltag in sein Wahllokal zu gehen und dort zu wählen. Die Stimmabgabe gilt dann als vorläufig, bis geprüft wurde, ob der Wähler in Kalifornien wahlberechtigt ist.

Abbildung [2]: Wer die Wahl hat, hat die Qual der Postwurfsendungen.

Wenn man sich registriert zum Wählen, wird einem die Frage gestellt, welcher Partei man sich zugehörig fühlt. Folgende stehen zur Auswahl: die demokratische oder republikanische Partei, die Grünen, die Friedens-und Freiheitspartei, die "Libertarian" Partei und die "American Independent Party". In Kalifornien darf allerdings auch angekreuzt werden, dass man sich mit keiner Partei identifiziert. Die Zuordnung zu einer Partei verpflichtet übrigens nicht zum Wählen derselben, hat aber unter Umständen bei den unterschiedlichen Vorwahlen Relevanz: Wer sich als der demokratischen Partei zugehörig registriert hat, darf auch an deren Vorwahlen zum Präsidenten teilnehmen, bei denen die Partei über den Kandidaten abstimmt, den sie ins Rennen schickt. Für Republikaner gilt analoges.

Seit der Pandemie schicken die kalifornischen Behörden jedem registrierten Wahlberechtigten automatisch Briefwahlunterlagen zu. Jeder kann also in Ruhe die Wahlunterlagen zuhause ausfüllen. Es besteht natürlich weiterhin die Möglichkeit, am Wahltag ins Wahllokal zu gehen. Entscheidet sich der Wähler für die Briefwahl, werden die Wahlunterlagen in einen dafür vorgesehenen Briefumschlag gesteckt. Der Briefumschlag wird zugeklebt und außen unterschreiben. Die Unterschrift gilt als Verifizierung, dass es sich bei dem Wähler um die richtige Person handelt. Vor der Auszählung wird erst die Unterschrift auf dem Umschlag mit der auf dem kalifornischen Führerschein des Wählers hinterlegten verglichen. Bei der Wählerregistrierung gibt der Wähler seine Einverständniserklärung dafür. Die ausgefüllten Briefwahlunterlagen können entweder mit der Post eingeschickt oder in spezielle Wahlkästen gesteckt werden, die wie Briefkästen aussehen und über die ganze Stadt verteilt sind. Wir nutzten einen solchen Kasten und warfen unsere Unterlagen in unserem Viertel ein. Interessant ist, dass man anschließend online verfolgen kann, wo sich der eigene Wahlzettel befindet, und ob und wann er mitgezählt wurde.

Abbildung [3]: Selbst für städtische Kacki-Beseitiger müssen Wähler abstimmen.

Die Wahlbeteiligung in den USA ist übrigens oft niedrig (im Schnitt etwas über 60% bei Präsidentschaftswahlen und ca. 50% bei Kongresswahlen). Seitdem ich hier selber wählen darf, wundert mich das ehrlich gesagt nicht mehr. Da ist zunächst einmal die oben erwähnte verpflichtende Registrierung, die zwar schnell geht, aber doch eben nicht automatisch passiert. Dann füllten Michael und ich bei den letzten Wahlen im November ungelogen über eine Stunde lang unsere Wahlzettel aus, denn wir waren nicht nur aufgerufen, für die Kongresskandidaten unsere Stimme abzugeben, sondern über zig Volksbegehren abzustimmen. Gott sei Dank konnten wir das an unseren Esstisch zu Hause machen und standen dafür nicht in einer Wahlkabine.

Abbildung [4]: Der offizielle telefonbuchdicke Wahlratgeber.

Gerade in Kalifornien haben diese Volksbegehren mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass der Wähler sich durch meterlange Wahlzettel arbeiten muss und andauernd irgendwelche Wahlen anstehen deswegen. Obwohl wir erst seit Februar 2022 unsere amerikanische Staatsbürgerschaft haben und somit wahlberechtigt sind, haben wir schon an drei Wahlen teilgenommen. Im November hatten wir schlappe fünf Wahlzettel, die beidseitig bedruckt waren, abzuarbeiten. Wir sind beide nun wirklich nicht uninformiert, ganz im Gegenteil, aber bei vielen Dingen, über die wir entscheiden mussten, hätte man wochenlang den Sachverhalt studieren müssen, um eine objektive Entscheidung zu treffen. Da fragten wir uns dann schon, was eigentlich die Politiker noch machen, denn dafür wählt man ja eigentlich einen geeigneten Vertreter. Wir erhielten zwar Informationsmaterial in Form eines telefonbuchdicken Bandes, aber richtig hilfreich sind die Informationen nicht, denn es mangelt an Neutralität.

Abbildung [5]: Angelika wirft ihre Wahlunterlagen in den Wahlbriefkasten.

Jedes Volksbegehren ("Proposition") listet ein Dafür und Wider auf, aber jeder darf in San Francisco diese Abhandlungen schreiben und einreichen und dementsprechend manipulativ kommen sie oftmals daher. Dann gibt es Verbände und Organisationen sowie Politiker, die bestimmte Volksbegehren sponsern und ihre Namen dafür hergeben. Deshalb flatterten so viele Pamphlete vor den Wahlen ins Haus und in unseren Briefkasten. Eine Verschwendung von Papier sondersgleichen. In San Francisco gibt es allerdings den relativ neuen politisch motivierten Verein GrowSF.org, der zum Beispiel einen Wählerratgeber herausgibt, der sogar als Orientierung ganz nützlich ist. Sachin Agarwal gründete GrowSF im Jahre 2020, mit dem Ziel, politische Lösungen für San Francisco zu finden, die auf Pragmatismus und gesunden Menschenverstand beruhen. Allgemein ist es schlichtweg aussichtslos, als Wähler alle Sachverhalte genau zu kennen. Dass einige frustriert aufgeben bei dem Wahlzettelwust kann ich gut nachvollziehen. Das sollte dringend einmal reformiert werden.

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