09.03.2000   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 20  
San Francisco, den 09.03.2000


Bürgermeisterwahlen und Homo-Ehe

(Angelika) Denn besonders den politischen Themen will ich mich heute widmen: Der Bürgermeister von San Francisco heißt auch weiterhin Willie Brown -- der Kandidat Tom Ammiano verlor die Stichwahl am 14. Dezember (siehe November-Rundbrief). Ich finde das sehr schade. Tom Ammanio als Bürgermeister hätte mir besser gefallen. Es ist eben ein Elend, wenn man selber nicht wählen darf. Da merkt man erst, was wählen zu dürfen für ein Privileg ist. Ich bin ja schon lange dafür, dass Ausländer, die für längere Zeit in einem bestimmten Land leben, zumindestens auf lokaler Ebene wählen dürfen. Und das meine ich jetzt nicht nur auf die USA bezogen, sondern ganz generell. Auch bin ich der festen Überzeugung, dass Wahlen in den USA völlig anders ausgehen würden, wenn alle Greencard-Besitzer (amerikanische dauerhafte Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung) wählen dürften (nur noch einmal schnell zur Erinnerung: auch in den USA dürfen nur amerikanische Staatsbürger wählen).

Aber das nur so am Rande. Zurück zu Tom Ammanio: Man vermutet, dass er sich bei der Wahl nicht durchsetzen konnte, da für viele Wähler dann doch zu viel war, dass er sich ganz offen zu seiner Homosexualität bekennt. So nach dem Motto: Wir sind ja liberal, aber ein homosexueller Bürgermeister geht dann doch ein bisschen zu weit. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt, denn San Francisco ist ja bekanntlich die Hochburg der homosexuellen Bewegung und Tom Ammiano bekleidet eh schon ein hohes politisches Amt im Stadtparlament, was er auch weiterhin inne hat. Auf der anderen Seite liest und hört man in letzter Zeit leider wieder häufiger über diskriminierende Attacken gegen Homosexuelle. Vor allem die amerikanische politischte Rechte (und ich beziehe mich hier nicht auf Rechtsradikale), die stark von den verschiedensten amerikanischen Kirchen unterstüzt wird, hat der homosexuellen Bewegung den Kampf angesagt. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sich Konservative extrem bedroht fühlen, da Homosexuelle plötzlich das Recht auf Ehe und Familie einfordern. Über Jahre ging es der homosexuellen Bewegung in San Francisco und anderswo stärker darum, zwar toleriert und akzeptiert zu werden -- aber sich auch von der spießbürgerlichen Gesellschaft abzugrenzen. Mittlerweile wollen immer mehr gleichgeschlechtliche Paare heiraten oder haben sich entschieden, Kinder durch Adoption oder künstliche Befruchtung zu bekommen, d.h. wollen ganz normale Familien gründen. In diesem Licht ist auch die sogenannte "Knight-Initiative" zu sehen. Wie ihr vielleicht wisst, wird noch dieses Jahr ein neuer Präsident in Amerika gewählt. Deshalb finden zur Zeit Vorwahlen in den verschiedenen Bundesstaaten statt. Am 7. März ist Kalifornien dran. Nun nutzt man dieses Datum nicht nur für die Vorwahlen, sondern auch um über sogenannte "Propositions" (vergleichbar mit Volksbegehren) abzustimmen. Propositions werden der Abkürzung halber durchnumeriert, man sieht überall Schilder, die für "No on 5" und "Yes on 42" werben. Die Knight-Initiative ("Proposition 22") wurde von dem Senator mit dem Namen Knight ins Rennen gebracht. Knight möchte, dass die Wähler befürworten, dass folgender Satz in die kalifornischen Gesetzesbücher aufgenommen wird: "Only marriage between a man and a woman is valid or recognized in California." ("Nur die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ist gültig oder anerkannt in Kalifornien.")

Abbildung [1]: Werbung für die Proposition 22 im Vorgarten eines Amerikaners

Nun muss man wissen, dass weder in Kalifornien noch in einem anderen amerikanischen Bundesstaat die gleichgeschlechtliche Ehe zur Zeit legalisiert ist, d.h. der Satz ist eigentlich überflüssig. Deshalb glauben Kritiker auch, dass hinter der Knight-Initiative zwei ganz andere Gedankengänge stehen. Einmal befürchtet man, dass andere Bundesstaaten eventuell in nächster Zeit die gleichgeschlechtliche Ehe legalisieren könnten (im Bundesstaat Vermont könnte dies durchaus geschehen) und dann wäre Kalifornien nach jetziger Rechtslage verpflichtet, die z.B. in Vermont geschlossene Ehe zwischen zwei Homosexuellen anzuerkennen. Deshalb die Idee der Knight-Initiative, noch einmal explizit aufzuführen, dass nur eine Ehe zwischen Frau und Mann in Kalifornien Gültigkeit hat. Zweitens befürchten viele, dass die Knight-Initiative sozusagen durch die Hintertür Errungenschaften bekämpfen will, die gleichgeschlechtliche Paare in den meisten Städten Kaliforniens auch ohne staatliche Eheschließung haben, z.B. die Möglichkeit der Adoption von Kindern, oder dass der gleichgeschlechtliche Partner bei der Krankenversicherung wie ein verheirateter Ehepartner gilt (gängige Praxis in allen Firmen des Silicon-Valleys und in San Francisco) sowie Besuchsrechte in Krankenhäusern, d.h. als Familienangehöriger betrachtet zu werden usw. Knight hat übrigens selber einen Sohn, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, und öffentlich die Initiative seines Vaters bekämpft. Und da kommt dann schon der Verdacht auf, dass der Vater mit der Tatsache nicht umgehen kann, dass der eigene Sohn homosexuell ist. Sehr traurig, das Ganze. Die Knight-Initiative wird finanziell übrigens heftig unterstüzt von der mormonischen Kirche (neben anderen), die bekanntlich in den USA ja sehr wohlhabend ist. Geld spielt nämlich eine entscheidene Rolle, um Volksbegehren durchzubringen. Dieses finanzielle Einmischen kann übrigens durchaus Folgen haben, da die Kirchen weitesgehend der Steuerfreiheit unterliegen. Sie dürfen also nicht aktiv politische Initiativen mit ihren Kirchengeldern finanzieren. Aber das nur so am Rande. Man kann nur hoffen, dass die kalifornischen Wähler gegen die Knight-Initiative stimmen. Wir werden es euch, in unserem nächsten Rundbrief wissen lassen. (Anmerkung der Redaktion: Kurz vor der Drucklegung des Rundbriefes stimmten die Wähler mit 60% für und 40% gegen den Vorschlag. Der Satz wird also in den Gesetzestext aufgenommen.)

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