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  Rundbrief Nummer 20  
San Francisco, den 09.03.00


Internetanschluss im Weltraumzeitalter

Im Internetzeithalter gibt es natürlich kein Rasten oder Zaudern -- da muss man der Konkurrenz immer einen Schritt vorauseilen. Und aus Europa (genaugenommen von einem Herrn aus der Schweiz) vernahm ich leichten Spott, was meine Internetverbindung betraf. Weil ich immer noch ein normales Modem nutzte, wo man doch heutzutage (Grüße nach Oldenburg: Auch ISDN ist Steinzeittechnologie!) entweder Kabelmodem oder DSL hat. "Genug!", schrie ich und rief bei unserer Telefongesellschaft "Pacific Bell" an. Nachdem ich 20 Minuten in der Leitung gehangen hatte, nahm eine freundliche Dame meinen Auftrag für DSL entgegen. Als ich dann allerdings sagte, dass ich die Internetverbindung keineswegs unter Windows 98 sondern auf dem Mega-In-Betriebssystem Linux haben wolle, kam sie ein wenig ins Schleudern, fragte bei einem Spezialisten nach, der aber bestätigte, das sei kein Problem. Dazu muss man sagen, dass Linux derzeit als echte (und kostenlose!) Alternative zu Microsoft-Produkten wie Windows 95 oder 98 oder was auch immer im Gespräch ist. Kein Tag vergeht, ohne dass es in der Zeitung oder in den Fernsehnachrichten auftaucht. Das Phänomen: Dieses Teil wurde von Leuten auf dem Internet in ihrer Freizeit entwickelt und der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt -- noch hat es Ecken und Kanten, aber dieses Modell der Software-Entwicklung, dass man sich nämlich in seiner Freizeit hinsetzt und für die "Community" (die Gemeinschaft des Internet) seinen Beitrag leistet, dringt bis in die Presse vor. Nebenbei sei erwähnt, dass der Autor dieser Zeilen Linux seit ungefähr 8 Jahren nutzt und selbst in seiner Freizeit Sachen entwickelt, die er, ohne dafür Geld zu verlangen, an die "Community" rausgibt. Doch genug Hype! Jedenfalls ist Linux noch immer nicht so bekannt wie Windows -- aber die Frau von Pac Bell sagte, das ginge in Ordnung. In 14 Tagen käme jemand vorbei, ich durfte mich entscheiden, ob ich vormittags (8-12) oder nachmittags (12-5) auf den Mechaniker warten wollte. Dazu muss man sagen, dass "Pac Bell" hier in Kalifornien ungefähr denselben Klang hat, wie wenn man in Deutschland "Siemens" sagt. Huch, ich wollte natürlich sagen: "Deutsche Bundespost". Aber ich hörte, dass die auch privatisiert wurde. Egal, ihr wisst, was ich meine. Eine Woche später, an einem Freitag, hieß es dann plötzlich, am Montag schon käme jemand vorbei. Ich durfte am Montag von zu Hause aus arbeiten und konnte so auf den Servicemenschen warten. Der kam dann auch um 2 Uhr nachmittags und hatte zwar schon von "Linux" gehört, aber sagte, ihm fehle es an Erfahrung, darauf DSL zu installieren. Gut, sagte ich, dann eben auf Windows, das ich als zweites Betriebssystem auf meiner Maschine fahre. Das ging dann auch problemlos -- fast, denn er verletzte sich am Finger, als er ein Kabel abzwickte, zum Glück hatte ich Pflaster und Desinfektionsmittel im Haus, er wurde an Ort und Stelle verarztet. Ich bekam ein Modem, das aussieht, wie ein Warp-Generator aus dem Raumschiff Enterprise, und durch die normale Telefonleitung kommt nun sowohl ein Datensignal für den Computer neben dem normalen Telefonverkehr -- kurz: Man kann telefonieren, während der Computer Online ist. Da wir noch eine zweite Telefonleitung haben, könnten jetzt sogar zwei Leute gleichzeitig telefonieren und einer im Internet herumbrausen! Und man surft ungefähr 50 mal so schnell wie mit einem Modem durchs Internet. Das ist wirklich beeindruckend: Man klickt irgendwo hin und -- zack! -- ist die Seite da. Das liegt natürlich auch daran, dass die wichtigsten Teile des Internet hier in Kalifornien beheimatet sind und z.B. Yahoo nur ein paar Meilen um die Ecke liegt. Ach ja: Mit Hilfe des Internet konnte ich dann das Ganze auch noch auf Linux nachziehen, kein Problem. Natürlich weil mir Leute auf dem Internet geholfen haben. Kostenlos. Wenn es irgendwo eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gibt, dann hier. Im Cyberspace. Übrigens entsteht dieser Rundbrief auf Linux. Und auch alle meine Zeitschriftenbeiträge und Bücher. Zurück zum DSL-Anschluss: Ich musste einen Einjahresvertrag abschließen, 49 Dollar im Monat kostet der Spaß. Naja, ich kann's ja von der Steuer absetzen. Übrigens nicht von der normalen Einkommenssteuer, da dem Herrn Amerikaner die Werbungskosten für den Beruf fremd sind, sondern wegen meiner Autorentätigkeit, deren bescheidene Einnahmen ich auch hier in den USA versteuern muss, aber das nur nebenbei.

Einige Tage später, ich war zwischenzeitlich glücklich mit Höchstgeschwindigkeit im Internet herumgebraust, hörte ich auf der Autofahrt von Mountain View nach San Francisco im Radio eine Werbemitteilung von Pacific Bell: Als Schlagerangebot wäre DSL jetzt für nur 39 Dollar im Monat (10 Dollar weniger!) erhältlich, wenn man es bis 30. April bestellte. Wutentbrannt rief ich am nächsten Tag bei Pacific Bell an, schließlich ist dies Amerika. "This is America!" ist der Spruch, mit dem man klarmacht, dass hier Sachen gehen, die in Deutschland nur Stirnrunzeln hervorrufen würden: "Have it your way" (Du kriegst was du willst) ist einer dieser Grundsätze. In der Gaststätte begreift man die Speisekarte nur als gutgemeinten Vorschlag, bestellt aber nach Gusto: "Ich hätte gerne das Steak, aber statt dem Kartoffelbrei lieber Pommes Frites und als Salat nur Tomaten auf einem separaten Teller, Blue-Cheese-Dressing, und außerdem noch Roggenbrot dazu". In der Suppenküche, dem deutschen Lokal in San Francisco, erlebte ich einmal einen Amerikaner, der zu irgendeinem Wurstgericht noch Semmelknödel auf einem Extra-Teller bestellte, weil der einen solchen schon mal irgendwo gegessen hatte. Man stelle sich diese Szene im Schwabinger Weißbierhaus zu München vor -- die Bedienung würde Tango tanzen. "This is America" heißt auch, dass man alles und jedes mit den fadenscheinigsten Ausreden umtauschen darf. Man sagt: "Meiner Frau gefällt der neue Videorecorder nicht" und schon wird dieser anstandslos zurückgenommen und der Kaufpreis zurückerstattet. Und "This is America" heißt auch, dass ich am nächsten Tag bei Pacific Bell anrief und sagte, dass ich es überhaupt nicht einsehen würde, dass ich 49 Dollar berappen müsste, während alle Neukunden 39 Dollar zahlen würden -- und schwupps erklärte die Telefondame, sie werde meinen Vertrag sofort auf 39 Dollar umändern. Na, da haben wir ja alle nochmal Glück gehabt.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012