07.12.2003   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 47  
San Francisco, den 07.12.2003


Abbildung [1]: Die beiden Bürgermeisterkandidaten in den CBS News, links Gonzalez, rechts Newsom

(Angelika) Nachdem wir uns gerade erst von dem Schock erholt hatten, dass "Mr. Terminator" den Staat Kalifornien regiert, brach in San Francisco der Wahlkampf aus. Die Stadt sucht einen neuen Bürgermeister, denn Willie Brown, der acht Jahre lang die Geschicke der Stadt lenkte, muss abdanken, so schreiben es die Wahlgesetze vor. Nun ist San Francisco von jeher eine Insel im amerikanischen Meer: liberal, ein wenig ausgeflippt, fest in demokratischer Hand, sozusagen eine Bush-freie Zone.

Das spiegelte sich auch in den Kandidaten wider. Von den aufgestellten sechs gehörte nur einer der republikanischen -- also konservativen -- Partei an und bekam prompt die wenigsten Stimmen. Matt Gonzalez, ein Grüner, der erst in letzter Minute in das Rennen um den Bürgermeisterposten einstieg, gilt hingegen als Kandidat mit dem linkesten Gedankengut. Gavin Newsom, Umfragen zufolge der Favorit, ist Demokrat, aber böse Zungen in San Francisco beschreiben ihn häufig als verkappten Republikaner - eine etwas überspitzte Charakterisierung. Der wohlhabende Geschäftsmann Newsom sieht sich selbst als Anhänger der politischen Mitte ("centrist") und vertritt vor allen Dingen die wirtschaftlichen Interessen der Firmen und Geschäfte in San Francisco.

Ins deutsche Parteiensystem übertragen wirkt er auf mich eher wie ein dynamischer FDP-Mann. Aber auch Newsom ergatterte am 3. November nicht die 50% der verlangten Stimmen, um die Wahl zu gewinnen. Da Gonzalez auf Platz 2, allerdings deutlich hinter Newsom (40000 Stimmen) landete, kommt es am 9. Dezember zur Stichwahl und seitdem scheint sich die Stadt in das Gonzalez- und das Newsom-Lager zu spalten.

Abbildung [2]: Newsom-Werbung

Gonzalez, der erst vor drei Jahren von der demokratischen Partei zu den Grünen wechselte, erinnert mich immer an Joschka Fischer in seiner Sturm-und Drangphase, als er noch in Turnschuhen und Jeans im Bundestag saß und jeder in Deutschland grüne Politiker belächelte. Die Grünen haben es nach wie vor schwer in Amerika, nur 1% der Wähler bekennen sich zu ihnen. In San Francisco sind's drei Prozent. Es käme also einer Sensation gleich, wenn San Francisco, einer an der Westküste nicht unbedeutenden Stadt, demnächst ein grüner Bürgermeister vorstände.

Ich glaube allerdings, dass für die Leute in San Francisco das grüne Parteibuch in den Hintergrund tritt. Es zählt allein die Zukunft der Stadt. Natürlich stehen durchaus "grüne" Ideen auf Gonzalezes Programm, z.B. verspricht er, zur Freude Michaels und der anderen eingefleischten Fahrradfahrer von San Francisco (eine durchaus nicht zu unterschätzende Truppe), die Fahrradwege, so genannte "bike lanes", in San Francisco flächendeckend auszuweiten. Die MUNI, der öffentlicher Verkehrsbetrieb, der Straßenbahnen, Busse und Cable Car unter sich vereint, soll nach Gonzalez von nun an für Senioren, Jugendliche und Behinderte nichts mehr kosten. Er setzt sich dafür ein, dass große Ladenketten aus San Franciscos Vierteln fernbleiben, ein heißes politisches Thema in dieser Stadt. Und er will größere Unternehmen stärker besteuern.

Abbildung [3]: Matt Gonzales auf Chinesisch mit Blick auf Alkatraz

Beliebt machte er sich beim hartarbeitendem Mann dadurch, dass er in seiner Funktion als amtierender Stadtrat das Volksbegehren unterstützte, den Mindestlohn in San Francisco auf $8.50 (zum Vergleich: der Mindestlohn in Kalifornien beträgt zur Zeit $6.75) heraufzusetzen, was die Wähler am besagten 3. November mit großer Mehrheit annahmen. Seine arbeitnehmerfreundliche Einstellung bringt ihm auch bei den in der Mission lebenden südamerikanischen Einwanderen Zustimmung ein. Außerdem spricht er spanisch, denn er ist in einem zweisprachigem Haushalt (spanisch - englisch) aufgewachsen, in der texanischen Stadt McAllen, die vier Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt liegt. Später studierte er Jura an der renommierten Universität Stanford und arbeite als Pflichtverteidiger in San Francisco. Durch Zufall klickte ich neulich einmal durch die diversen Fernsehkanäle und blieb gebannt bei einer eigentlich langweiligen Stadtratssitzung hängen. Einer der Stadträte fiel durch seine charmanten, intelligenten, substanzhabenden Diskussionsbeiträge auf. Ihr habt es erraten: Ich war auf Matt Gonzalez gestoßen. Selbst seine politischen Gegner bemerken stets bewundernd, dass Gonzalez nicht käuflich ist, eine erfrischende Abwechslung, denn Willie Browns Vetternwirtschaft erlangte Berühmtheitsstatus während seiner Zeit als Bürgermeister.

Abbildung [4]: Ein kleines Wahlplakat im Fenster für Matt Gonzalez

Aber nocheinmal zurück zu Newsom: Es gibt nur ein Thema, das die Gemüter in dieser Stadt mehr erhitzt, als die Unzuverlässigkeit der MUNI: das Obdachlosenproblem. Bis jetzt versprach noch jeder Bürgermeisterkandidat, dieses Problem auf Dauer zu lösen und jeder scheiterte (einschließlich Willie Brown) kläglich daran. Newsom ging dieses Problem, schon liebäugelnd mit dem Bürgermeisteramt, in seiner Funktion als Stadtradt an mit seiner blumigen Kampagne "Care not Cash" (Frei übersetzt: Fürsorge statt Bargeld.), die die Stadt völlig polarisierte. Hinter der Kampagne verbirgt sich die Idee, für obdachlose Sozialhifeempfänger Bargeldauszahlungen drastisch zu reduzieren und durch Anspruch auf Hilfsleistungen wie Unterkunft, Essen, Drogenentzug zu ersetzen -- also sicherzustellen, dass das Bargeld nicht in Drogen und Alkohol umgesetzt wird.

Nun mag die Idee zunächst vernünftig klingen, bloß gibt es in San Francisco schon jezt nicht genug Obdachlosenheime geschweige denn günstigen Wohnraum oder Therapieplätze, vor allen Dingen für den hohen Anteil psychisch Kranker, die auf San Franciscos Straßen leben. Um es kurz zu machen: "Care not Cash" gelangte als Volksbegehren "Proposition N" im November 2002 vor die Wähler, erhielt fast 60% und endete gleich darauf in den Gerichtssälen. Dort gab es Schelte für Newsom, denn der Richter befand, nur der Stadtrat (und nicht ein Volksbegehren) könne darüber entscheiden. Nach einem ewigen juristischen Gezerre stimmte der Stadtradt erneut über "Care not Cash" ab - und zwar dagegen.

In Amerika stößt man übrigens in jedem Wahlkampf auf die so genannten "Endorsements" (= Befürwortung, Unterstützung). Zeitungen z.B. bekunden kurz vor der Wahl offen und sehr direkt in ihren Leitartikeln, für wen ihre Leser wählen sollen. Die Vorstellung, dass die Süddeutsche Zeitung hier schreiben könnte, "Wählt Schröder!", amüsiert mich dabei stets köstlich. Aber nicht nur Zeitungen "endorsen" bestimmte Kandidaten, sondern auch Gewerkschaften und alle möglichen anderen Interessengruppen. Zum wichtigen Teil eines jeden Wahlkampfes wird deshalb, wer wem die Zustimmung ausspricht. Al Gore und Willie Brown unterstützen z.B. Newsom, was viele Wähler ohne Frage beeinflusst. Wen ich "endorse", interessiert mal wieder niemand. Ein Elend! Ich will einen grünen Bürgermeister!

Aber egal ob es am 9. Dezember Newsom oder Gonzalez schafft, San Franciscos Bürgermeister wird ein junger Spund: Newsom ist 36 und Gonzalez 38.

Grüße aus der Stadt, die jung hält:

Michael und Angelika

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