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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 140  
San Francisco, den 01.11.2021
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Rundbrief


Abbildung [1]: Im Abendlicht strawanzen zwei Koyoten bei Point Reyes über eine Kuhweide.

Michael Wildtiere haben wir hier in Amerika ja zuhauf, Bewanderer der zahlreichen National- und State-Parks berichten oft über Sichtungen von Bären, Pumas, Büffeln und vielem anderen Getier mehr. Allerdings mehren sich in letzter Zeit Meldungen, nach denen Wildtiere bis weit in urbane Gegenden vordringen, und San Francisco und die drumherum liegende Bay Area machen da keine Ausnahme.

Abbildung [2]: Am Rand des Spielfelds im St. Mary's Park kommen Koyoten aus dem Gebüsch.

Abbildung [3]: Ein Warnschild, damit Herrchen Hundi nicht frei laufen lässt.

Bei unserem sonntäglichen Altherrenfußball im Stadtteil Bernal Heights zum Beispiel grenzt das Spielfeld an einen Bereich mit mannshohen Büschen, in denen eine Koyotenfamilie wohnt. Warnschilder am Eingang des Sportplatzes weisen auf die wilden Bewohner hin, und empfehlen, Hunde nur an der Leine zu führen und nicht frei laufen zu lassen. Und tatsächlich kommen die Koyoten bei sonnigem Wetter auch gerne mal hervorgekrochen, und wir sehen sie dann am Spielfeldrand mit ihren Jungen herumtollen.

Abbildung [4]: Eine Anwohnerin in unserem Viertel hat einen Koyoten beim Verspeisen einer Hauskatze gesehen.

Anders als Wildkatzen wie zum Beispiel Pumas greifen Koyoten aber keine Menschen an, außer vielleicht, wenn sie sich direkt bedroht fühlen. Es sind halt wilde Hunde, die aber recht scheu sind und nicht nur mal so herkommen. Vom Fußballfeld ist allerdings der Ball auch noch nie nach einem Fehlschuss in Richtung Koyoten geflogen, sodass ich gar nicht sagen kann, was in einem solchen Fall zu tun wäre. Den Ball da wieder rauszuholen würde sicher einigen Mumm erfordern und müsste ohne hektische Bewegungen erfolgen.

Abbildung [5]: Bei sonnigem Wetter kommt schon mal ein Koyote raus an den Rand des Fußballplatzes.

Haustiere sollte man nicht in die Nähe von Koyoten lassen, denn erstere sind unter Umständen dumm genug, die Wildhunde zu provozieren, und das geht dann sehr schnell nach hinten los. Auf dem Online-Forum Nextdoor hat neulich eine Anwohnerin darüber berichtet, dass sie beim Spazierengehen in unserem Viertel einen Koyoten beim Verspeisen einer gescheckten Katze beobachtet hat (Abbildung 4). Also Vorsicht!

Abbildung [6]: Auf Wanderwegen sehen wir schon hin und wieder Koyoten.

Als wir neulich am Labor-Day-Wochenende während unseres Kurzurlaubs im etwa 50km nördlich gelegenen Point Reyes noch einen Abendspaziergang machten, kamen wir zuerst an einer frei grasenden Kuhherde vorbei und sahen dann zwei ausgewachsene Koyoten im prallen Abendlicht in aller Seelenruhe durch die Herde trippeln (Abbildung 1). Auch die Kühe schienen keineswegs beunruhigt, also fotografierten wir in vielleicht 50 Meter Entfernung auch einfach weiter. Die Tiere waren scheinbar aneinander gewöhnt, ja, es sah so aus, als träfen sie sich schlichtweg jeden Abend.

Recalls am laufenden Band

Abbildung [7]: San Franciscos Staatsanwalt Chesa Boudin steht ein Recall bevor.

Angelika Unser Gouverneur Newsom ist noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen. Fast 62% der kalifornischen Wähler stimmten am 14. September mit "nein" zu seiner Abberufung. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte in diesen unruhigen Zeiten wohl doch keine Lust auf einen politischen Wechsel. Allerdings gibt es noch ein paar weitere mit Spannung erwartete ausstehende Abberufungsverfahren in San Francisco. Unser Staatsanwalt ("District Attorney") Chesa Boudin muss sich mit größter Wahrscheinlichkeit auch einem Recallverfahren stellen. Die nötigen Unterschriften wurden zum Stichtag Ende Oktober eingereicht und warten nun auf die Verifizierung von der zuständigen Behörde.

Boudin ist eine recht umstrittene Person in unserer Stadt. Er hat glühende Anhänger, aber auch genauso viele Gegner, die ihn am liebsten gleich aus der Stadt vertreiben würden. Staatsanwälte werden in den USA vom Volk gewählt, was auf ersten Blick vielleicht als besonders demokratisch erscheint, aber seine Tücken hat. Denn so müssen die potentiellen Staatsanwälte Wahlkampf betreiben und unter Umstände Dinge vertreten, um Wählerstimmen zu gewinnen, die später im Amt hinderlich sind. Auch besteht gerade in den USA die Tendenz, schillernde Persönlichkeiten in wichtige Positionen zu hieven, ohne eingehend darüber nachzudenken, ob diese Personen auch qualifiziert für den Posten sind. Boudin war zum Beispiel Pflichtverteidiger, hatte also Erfahrung in der Verteidigung von Angeklagten, aber nicht in deren Strafverfolgung.

Abbildung [8]: Einbrüche in San Francisco sind während Boudins Amtszeit überdurchschnittlich angestiegen.

Wer schon einmal eine typische amerikanische Krimiserie wie zum Beispiel "Law and Order" gesehen hat, weiß, dass die ermittelnde Polizei eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen arbeitet, damit es zu einer Anklage kommt, wohingegen der Verteidiger die Interessen des Angeklagten vertritt. Boudin wechselte sozusagen die Seiten, was aber auf zweiten Blick auch nicht ganz stimmt. Boudin möchte Reformen im amerikanischen Strafrechtssystem erreichen und sieht den Posten des Staatsanwalts dafür als mehr geeignet an als den des Verteidigers. Deshalb gehört er zu der Gruppe der sogenannten progressiven Staatsanwälte, die in den USA gerade in größeren Städten wie in Chicago (Kim Foxx), Philadelphia (Larry Krasner) und Los Angeles (George Gascon) im Trend liegen. George Gascon war übrigens Boudins Vorgänger, bevor er sich noch vor Ende seiner Amtszeit in den Süden Kaliforniens aufmachte.

Keiner bestreitet an sich, dass das amerikanische Strafrechtssystem mit seinen übervollen Gefängnissen, hohen Anteil an falschen Verurteilungen und teils drakonischen Strafen reformbedürftig ist. Aber wie man vernünftige Reformen erreicht, die fair sind und gleichzeitig nicht zum umgekehrten Effekt der steigenden Kriminalstatistiken führen, darüber gibt es viel Diskurs. Auf jeden Fall erhielt Chesa Boudin mit seiner Reformkampagne im liberalen San Francisco die nötigen Stimmen bei der Wahl im November 2019 und ist seit Januar 2020 im Amt. Er gewann allerdings nur mit 3000 Stimmen Vorsprung und setzte sich zum Entsetzen der Polizeigewerkschaft gegen deren Favoriten Suzy Loftus durch.

Abbildung [9]: Ein Bürger fordert, den amtierenden Staatsanwalt abzusetzen.

Boudins Lebenslauf ist recht interessant. Beide seiner Eltern saßen jahrelang im Gefängnis, weil sie der linken radikalen Gruppe "Weather Underground" angehörten, die Ende der 60er Jahre an der Universätät Michigan gegründet wurde. Bei einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter, bei dem Mitglieder der Gruppe und auch Boudins Eltern beteiligt waren, kamen zwei Polizisten und ein Sicherheitsbeamter ums Leben. Boudins Mutter erhielt eine Gefängnisstrafe von 20 Jahren, die Strafe seines Vaters war auf ein Minimum von 75 Jahren angesetzt. Allerdings erlaubte der scheidende Gouverneur des Bundesstaates New York Andrew Cuomo vor kurzem, dass eine Anhörung für Boudins Vater David Gilbert stattfand, um über seine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu beraten. Letzte Woche gab das dafür zuständige Gremium sein Okay. Ende November wird er nach 40 Jahren auf Bewährung aus der Haft entlassen. Boudin war übrigens erst 14 Monate alt, als seine Eltern verhaftet wurden. Ihn zog deshalb das Ehepaar Bill Ayres und Bernardine Dohm groß. Auch sie standen der "Weather-Underground-Organization" nahe. Nun kann Boudin nichts für die Straftaten seiner Eltern, aber die Erfahrung prägte ihn sehr. Er erzählt oft in Interviews, wie es für ihn als Kind war, seine Eltern im Gefängnis zu besuchen.

Abbildung [10]: Dieser Herr berichtet von zwei Einbrechern in seine Wohnung, die Herr Boudin einfach wieder freiließ.

In der Kritik steht Boudin in San Francisco vor allen Dingen deshalb, weil er sehr lax mit Wiederholungstätern umgeht und oft nicht bereit ist, diese anzuklagen, sondern auf Bewährung frei lässt. Dies führte zu mehreren tragischen Todesfällen. Ende Dezember 2020 tötete zum Beispiel der mehrfach Vorbestrafte Troy Ramon McAlister zwei Fußgänger, als er mit einem gestohlenen Auto unterwegs war, weil er sie an einer Straßenkreuzung überfuhr. Er war bereits im November und Dezember verhaftet worden wegen Autodiebstahls und Drogendelikten, aber sofort wieder auf freien Fuß gesetzt worden, trotz drei vorherigen Verurteilungen vor dem Jahr 2015. Mittlerweile haben mehrere Staatsanwälte, die für Boudin arbeiteten, das Handtuch geworfen, und stimmten ebenfalls für das Abberufungsverfahren. Auch ein Richter in San Francisco machte seinem Unmut öffentlich Luft und bemängelte vor allen Dingen das Chaos unter Boudin und die mangelnde Bereitschaft, seinen Job auszuüben und Straftäter anzuklagen.

Abbildung [11]: Seit Diebe straffrei ausgehen, ist Paketdiebstahl ein echtes Problem geworden.

Viele Leute in San Francisco haben es mittlerweile satt, wie lässig der Verantwortliche für Verbrechensbekämpfung mit Straftaten wie Einbrüchen in Häuser und Autos, sowie Ladendiebstahl umgeht. Diese Straftaten haben in San Francisco inflationär zugenommen. Ladendiebstahl ist mittlerweile so weit verbreitet hier, dass Supermärkte wie "Safeway" ihre Ladenöffnungszeiten abends verkürzen oder Drogeriemärkte wie der "Walgreens" gleich mehrere Filialen schließen, nachdem mittlerweile mehrmals am Tag die Regale von Dieben ausgeräumt werden. Fairerweise muss allerdings erwähnt werden, dass diese Situation auch mit der sogenannten Proposition 47 zusammen hängt. Die Wähler in Kalifornien stimmten nämlich 2014 dafür, dass Diebstahl von Waren im Wert von weniger als $ 950 nur noch als minderes Vergehen ("Misdemenor") zu bewerten ist (Rundbrief 06/2016) und selbst reformresistente Wiederholungstäter nicht ins Gefängnis müssen.

Abbildung [12]: Vereinzelt sieht man noch hartnäckige Anhänger des vielleicht bald abgesetzten District Attorney.

Falls es zur Abwahl Boudins kommen wird, bestimmt übrigens nicht der Wähler, wer neuer Staatsanwalt wird, sondern unsere Bürgermeisterin London Breed setzt einen neuen Staatsanwalt ihrer Wahl ein, der dann bis zum Ende der Amtsperiode des Abgesetzten dessen Verantwortung übernimmt.

Und das ist noch nicht alles. Im nächsten Rundbrief werde ich darüber berichten, wer bei der Schulbehörde in San Francisco seines Amtes enthoben werden soll. Ihr seht, es geht kunterbunt zu bei uns!

Zu Coronazeiten von USA nach Deutschland und zurück

Abbildung [13]: Ein fatzenleerer Flug von San Francisco nach München.

Michael Da wir in den letzten Monaten das zweifelhafte Vergnügen hatten, mehrmals zwischen den USA und Deutschland hin- und herzufliegen, wollte ich euch schnell erklären, welche bürokratischen Hürden hierzu heutzutage wegen Corona zu überwinden sind.

Wer zur Zeit von den USA nach Deutschland fliegt, muss der Fluggesellschaft vor dem Abflug einen Impfnachweis vorlegen. Des weiteren verlangt der deutsche Zoll eine Anmeldung auf einreiseanmeldung.de, die bei der Einreise ausgedruckt (!) vorzulegen ist. Während des 10-12 Stunden langen Fluges muss der Reisende die gesamte Zeit eine Maske tragen. Medizinische Masken sind erlaubt, und bei einigen Fluggesellschaften sogar Stoffmasken. Während des Essens oder Trinkens darf die Maske abgenommen werden. Verschiedene Fluggesellschaften kontrollieren das unterschiedlich streng, Lufthansa ist sehr auf Zack, United eher luschig.

In der umgekehrten Richtung, also von Deutschland in Richtung USA, verlangen die Amerikaner von den Fluggesellschaften, dass die Passagiere das negative Ergebnis eines Corona-Schnelltests ausgedruckt oder auch auf dem Handy als Foto mit sich führen, das nicht älter als drei Tage ist. Die Uhrzeit spielt keine Rolle, wer also den Test am Montag um neun Uhr morgens macht, darf auch am Donnerstag abend damit fliegen. Den Test kann man in Deutschland bei Apotheken und Testzentren relativ problemlos buchen und ist dann meist der einzige Patient -- seit der Test echtes Geld kostet, macht ihn in Deutschland praktisch niemand mehr.

Abbildung [14]: Fliegen in Zeiten von Corona erfordert Nerven wie Drahtseile.

An deutschen Flughäfen kommt es übrigens wegen zusätzlicher Kontrollen in letzter Zeit oft zu sporadischen Gate-Änderungen und stundenlangen Verspätungen, weil die Passagiere ihr Gate unverschuldet nicht rechtzeitig erreichen. Am Münchner Flughafen mussten die Passagiere nach San Francisco neulich über eine Stunde in einer Schlange warten, bis sie ans Gate in Richtung USA durchgelassen wurden. Da heißt es, Ruhe zu bewahren. Wenn die anderen Leute in der Schlange ebenfalls auf den gleichen Flug wollen, wird der Pilot warten, bis alle an Bord sind, egal wie spät es wird.

Abbildung [15]: Je nach Flugzeit lassen sich unter Umständen gute Deals ergattern.

Teilweise sind die Flüge fatzenleer. Ich war neulich auf einem Lufthansa-Flug mit vielleicht 50 Passagieren, und das in einem Airbus 350-900, der 350 Leute fasst. Bei volleren Flügen sind Premium Economy und Business dann teilweise praktisch ausgebucht, während die Billigflieger in Economy sich über Dreierreihen ausstrecken dürfen, und sogar Passagiere aus den teureren Bereichen nach hinten tigern, um einige Stunden Schlaf im Liegen in komplett freien Reihen zu ergattern. Aber das klappt nicht immer, es kommt wirklich darauf an, wie realitätsfern der Flug am Ziel landet. Wenn kein normaler Mensch (dem es auf verschwendete Urlaubstage oder Business-Meetings ankommt) einen solchen Flug buchen würde, dann stehen die Chancen hoch, mit einem Sitz in der Holzklasse einen Super-Deal zu landen. Mit einsetzenden Lockerungen im Reiseverkehr und dem Ferienanfang in Deutschland werden die Flüge aber bald wieder ausgebucht sein. Trotzdem viel Glück!

Postpakete auf Endlosreise

Abbildung [16]: Dieses Postpaket aus Deutschland war fast 12 Monate nach San Francisco unterwegs.

Angelika Mittlerweile spricht jeder von den pandemiebedingten Lieferkettenproblemen und auch über die Containerschiffe, die im Stau stehen, haben wir schon mal geschrieben. Damals haben wir auch davon berichtet, dass wir immer noch auf ein Weihnachtspaket von Michaels Schwester warteten, das sie per Schiff verschickt hatte (Rundbrief 04/2021). Wohlgemerkt, das Paket ging Ende Oktober 2020 auf die Reise, als es in Augsburg bei der Post abgegeben wurde. Wir dachten alle, dass es verloren gegangen wäre. Aber siehe da, knapp ein Jahr später, im September 2021, stellte es unser treuer Briefträger Jose zu. Der konnte es kaum fassen, als Michael ihm erzählte, dass das Paket solange unterwegs gewesen war, denn es war weder beschädigt noch vom Zoll geöffnet worden. Auch die Adresse war gut lesbar. Wir fragten uns dann schon, was die Post mit dem Paket gemacht hat und welche Abenteuer das Paket wohl auf seiner großen und langen Reise erlebt hat. Laut Trackingnummer bei DHL ist das Paket noch gar nicht bei der Post abgegeben worden. Auf jeden Fall freuten wir uns sehr, als es ankam.

Abbildung [17]: Containerschiffe warten auf der San Francisco Bay aufs Entladen.

Corona dient ja mittlerweile oft als Ausrede dafür, dass Vieles nicht läuft und nicht klappt. Mit der deutschen Post habe ich da ein besonderes Hühnchen zu rupfen, denn sie erhebt frecherweise einen heftigen Aufschlag auf Warensendungen, die per Luftpost in die USA versandt werden. Normale Briefe sind von dem Aufpreis ausgeschlossen, aber will man ein Paket per Luftpost schicken, gibt es nur die Variante bis 5 kg, die dann aber mit Prämie über 50 Euro Porto kostet. Es besteht zwar die Option, kleinere Päckchen und auch Pakete per Schiff zu schicken, ohne den Aufpreis, aber das kann schon mal ein Jahr dauern, wie ihr jetzt wisst. Außerdem geht das nur, wenn der Kunde die Frankierung Online erledigt, was ja okay ist, wenn dem Kunden das auch gesagt wird. Leider ist das nicht immer der Fall, oder es wird am Schalter versprochen, dass das Luftpaket innerhalb von spätestens 14 Tagen da sein wird, weshalb der Kunde ja mehr zahlt, damit das Paket schneller transportiert wird. Das trifft aber nach unseren persönlichen Erfahrungen nicht zu. Sechs bis acht Wochen Laufzeit war eher Standard im letzten Jahr für die Pakete von Deutschland in die USA per Luftpost.

Klar, man versteht schon, dass in einer weltweiten Pandemie alles länger dauert, aber dann sollte der Kunde vielleicht nicht noch extra zur Kasse gebeten werden. Die amerikanische Post erhebt übrigens keinen solchen Aufpreis für Päckchen und Pakete von den USA nach Deutschland, und die Laufzeiten sind wesentlich kürzer. Ganz zu verstehen ist das nicht, aber einer schiebt die Schuld auf den anderen.

Unser Herbst mit Corona

Abbildung [18]: Die irische Kneipe um die Ecke lässt nur Gäste mit Impfung rein.

Angelika Als nach dem Sommer der Herbst ins Land zog, erließ San Francisco einige verwirrende Maskenbestimmungen. Laut letztem Rundbrief waren Masken für Geimpfte in Innenräumen ja empfohlen, aber noch nicht wieder verpflichtend (Rundbrief 07/2021). Das änderte sich allerdings am 3. August. Egal ob geimpft oder ungeimpft, es galt Maske auf in allen öffentlichen Innenräumen, wie in Supermärkten, Museen, Kirchen und Fitnessstudios. Am 15. Oktober wurde diese Vorschrift jedoch wieder gelockert. Ist man geimpft, braucht man in San Francisco im Büro, im Gottesdienst, im Fitnesscenter oder während anderer Zusammenkünfte keine Maske zu tragen. Allerdings nur, falls der Impfstatus am Eingang kontrolliert wird. In Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften, Arztpraxen und Krankenhäusern herrscht weiterhin Maskenpflicht. Desweiteren gilt seit dem 20. August in San Francisco, dass nur Geimpften der Besuch der Innenräume von Bars, Restaurants, Fitnessstudios und Museen erlaubt ist. Bescheinigungen werden am Eingang geprüft. Ein negativer Coronatest genügt nicht mehr, um Einlass zu erhalten. Kinder unter 12 sind von dieser Regel ausgenommen, da sie noch nicht geimpft werden können.

Abbildung [19]: Das Restaurant in unserer Straße bewirtet nur geimpfte Gäste.

Auch die Diskussion um die Covid-Auffrischimpfung lief aus dem Ruder, nachdem Präsident Biden ohne Absprache mit seinen zuständigen Behörden vorgeprescht war und jedem den sogenannten "Booster" im Herbst versprach. Das verärgerte viele Wissenschaftler, da die Datenlage noch nicht eindeutig war bezüglich einer Auffrischimpfung. Mittlerweile gelten die folgenden Empfehlungen in den USA: Alle, die über 65 Jahre alt sind, sollten den Booster erhalten. Gleiches git für über 18-jährige, die mit Risikofaktoren wie Krebs, Diabetes und chronischen Erkrankungen der Leber, der Nieren, der Lunge oder des Herzens leben, sowie diejenigen, die aus anderen Gründen ein angeschlagenes Immunsystem haben. Die dritte Booster-Gruppe ist die der über 18-Jährigen, die in Berufen arbeiten, bei denen sie einem erhöhten Covidrisiko ausgesetzt sind, weil sie auf viele Menschen (auch ungeimpfte) bei der Arbeit treffen. Das gilt für Lehrer, Polizisten, Feuerwehrleute, Postbeamte, Busfahrer oder Angestellte in Restaurants und Supermärkten. In diese dritte Kategorie falle ich, und ich habe bereits einen Termin für den dritten Pieks ausgemacht. Ich werde dann davon berichten. Mittlerweile dürfen für den "Booster" übrigens auch verschiedene Impfstoffe kombiniert werden, womöglich bald nach dem Motto: "Welchen Impfstoff hätten Sie denn heute gerne?".

Baustelle "Ocean Beach"

Abbildung [20]: Die beauftragte Baufirma kündigt am Stadtstrand "Ocean Beach" eine Sandumlagerung an.

Michael Unser Stadtstrand zur Pazifikseite ist ja berühmt-berüchtigt. Am sogenannten "Ocean Beach" kann jedermann kostenlos meilenweit spazierengehen und die atemraubende Aussicht genießen. Wanderer sehen dabei allerhand Meeresgetier, wie Albatrosse, Delfine, Robben oder Wale. Der Strand zieht sich ewig, von San Franciscos mittlerweile geschlossenem Cliff-House im Norden bis runter in den Vorort Daly City. Bei Stürmen im Winter brechen vor der Küste 10 Meter hohe Monsterwellen, die selbst die verwegensten Surfer meiden, an warmen Sommertagen hören Spaziergänger nur Geplätscher, und Lustwandler genießen sagenhafte Sonnenuntergänge. Wir spazieren dort ein paarmal im Monat, und sind sicher schon tausend Meilen abgeschritten.

Abbildung [21]: Vorher: Felsen und viel Platz bis zur Wasserline.

Allerdings holt sich der kalte und tückische Ozean jedes Jahr ein paar Leichtsinnige, die sich, oft alkoholisiert, zu nah ans Wasser wagen, und dann von plötzlichen "Sneaker Waves" gepackt und hineingezerrt werden. Ohne Wetsuit ist dann wegen des kalten Wassers nach wenigen Minuten "Game Over", denn die Muskeln versagen den Dienst und selbst wer sonst gut schwimmt sackt ab und ertrinkt. Ich bin schon mal dort gesurft, muss aber sagen, dass ich das Anfängern nur bei Babywellen raten würde, und die enorme Strömung, die einen je nach Tageszeit Richtung Bay hochzieht oder nach Süden wegschwemmt, erfordert gute Handpaddeltechnik auf dem Board, eine trainierte Rückenmuskulatur -- und Nerven wie Drahtseile.

Abbildung [22]: Nachher: Neu aufgeschichteter Sand als Todesfalle für nichtsahnende Touristen.

Der Strand grenzt an die Uferstraße "Great Highway", dessen Befestigung, wie schon einmal berichtet (Rundbrief 08/2012), teilweise aus alten Grabsteinen des ehemaligen Stadtfriedhofs von San Francisco besteht. Im Laufe der Jahre hat sich der Ozean aber nun immer mehr Sand vom Strand einverleibt, sodass die Stadtväter wohl Angst bekamen, dass er auch die Straßenbefestigung wegspülen könnte. Kurzer Hand starteten sie ein Bauprojekt, das mit Hilfe einer im Ozean verankerten Barke Sand auf den Strand pumpte, um diesen dort mit schweren Baumaschinen aufzuschütten (Abbildung 20).

Abbildung [23]: Während der Bauarbeiten war der Strand gesperrt.

Gesagt, getan! Nach einigen Monaten Bauzeit steht nun eine zwei bis drei Meter hohe Sandschicht zwischen den an den Strand schlagenden Wellen des Ozeans und der Befestigung der Uferstraße. Was die Bauherren aber anscheinend außer Acht gelassen haben, ist, dass bei auflaufendem Wasser für Spaziergänger zwischen der Sandmauer und dem Wasser eine sehr schmale Todeszone entsteht, aus der es kein leichtes Entrinnen gibt, niemand kann schließlich eine Sandmauer hochklettern. Wir sind neulich dort bei 3/4-Flut spazieren gegangen und wären beinahe schon von den hochkriechenden Wellenausläufern naß geworden. Bei einer hohen Flut sage ich voraus, dass es brenzlig wird. Hoffentlich schreitet das weiter nördlich stationierte Rettungspersonal im Notfall rechtzeitig ein.

Abzocke am Flughafen: 8 Dollar für einen Gepäckwagen

Abbildung [24]: Der Flughafen von San Francisco nimmt allen Ernstes acht Dollar für einen Gepäckwagen.

Michael Immer wenn wir aus Deutschland kommend nach San Francisco zurückfliegen, reisen wir mit schwerem Gepäck. Oft sind das vier große Taschen, vollgepfropft und sorgfältig austariert, bis das Maximalgewicht erreicht ist. Nach der Landung und dem anschließenden Aufnehmen des Gepäcks vom Fließband stellt sich allerdings dann das Problem, die Koffer circa 500 Meter weit (und im Aufzug hoch) zur Taxihaltestelle zu bugsieren. Jeder Flughafen dieser Welt hält für seine Fluggäste hierfür Gepäckkarren vor, an beliebten Umsteigepunkten auch gern gegen ein geringes Entgelt, in Frankfurt zum Beispiel kostet das Ausleihen des Karrens einen Euro.

Abbildung [25]: Für jeden dieser Wagen hat ein Fluggast für zehn Minuten Benutzung acht Dollar hingeblättert.

Dies war bis vor kurzem auch am SFO, dem internationalen Flughafen von San Francisco so, nur dachte sich die Karrenbetreiberfirma "Smarte Carte" dort offenbar: "Warum nicht mal kräftig abkassieren und den Preis in die Höhe schrauben, was wollen die Fluggäste denn sonst machen, vielleicht ihr Gepäck tragen?!" und in meiner Fantasie brechen die verhärmten Gestalten der Vorstandsetage im Sitzungsaal daraufhin in schallendes böses Gelächter aus, ähnlich wie die Schergen von Dr. Evil im Film "Austin Powers".

Gut, man könnte natürlich weniger Gepäck mitführen, und pro Person einfach einen Rollkoffer rollen, aber wer wie wir gern einkauft, hat diese Option leider nicht. Ganz so wie ein offensichtlich aus Großbritannien stammender Herr, der, mühevoll drei Koffer ohne Gepäckwagen im Aufzug nach oben zum Taxistand balancierend, mir zuraunte: "I can't believe they're taking 8 Dollars for a cart!" und ich musste ihm mit "Yep, it's ridiculous!" zustimmen. Denn von den 8 Dollars bekommt der Fluggast exakt Null Dollar zurück, wenn er den Karren wieder abgibt. Ein Laufjunge der Firma sammelt die Wagen wieder ein, bringt sie zurück zum Automaten und pro Karren gehen 8 Dollar an die Betreiberfirma von Dr. Evil. Aber offensichtlich steht der Bürgermeisterin von San Francisco, London Breed, nicht der Sinn danach, dafür zu sorgen, dass sich ankommende Touristen nicht schon am Flughafen über die unhaltbaren Zustände an ihrem Urlaubsziel ärgern. Dazu bietet ihnen die alptraumhaft heruntergekommene Innenstadt später schließlich Gründe genug!

Toppprodukt: Atul Gawande "Sterblich sein"

Abbildung [26]: Das Buch "Being Mortal" von Atul Gawande

Angelika Eigentlich ist Michael ja immer die Rubrik des Toppprodukts vorbehalten, aber heute bin ich einmal dran. Ich lese ja für mein Leben gern und habe eines der besten Sachbücher, das ich seit langem gelesen habe, diesen Monat verschlungen. Der amerikanische Arzt Atul Gewande beschäftigt sich in seinem Werk "Being Mortal" (deutscher Titel: "Sterblich sein") mit dem Sterben und wie die moderne Medizin kläglich versagt, diesen Prozess würdevoll zu begleiten. Es geht darum, was am Ende eines Lebens wirklich zählt. Anhand vieler persönlicher Geschichten (u.a. die seines eigenen Vaters) stellt Gewande dar, wie oft am Menschen vorbei therapiert und behandelt wird und sucht nach Auswegen dieser Misere. Unbedingt zu empfehlen!

Als Hobo mit dem Frachtzug reisen

Abbildung [27]: Stobe springt auf einen fahrenden Frachtzug auf.

Michael Aus amerikanischen Wildwestfilmen kennt man ja die Szenen, in denen Mittellose in leeren Güterzugwaggons mit der Eisenbahn quer durch halb Amerika fahren. Kilometerlange Züge mit hunderten von Waggons zuckeln hier teilweise mit nur 10 oder 20 km/h durch die endlose Prärie, und oft ist auf einem Wagen keine Fracht oder in einem leeren Viehwagon noch Platz für einen anspruchslosen Fahrgast. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nutzten vor allem fahrende Landstreicher, sogenannte Hobos, diese kostenlose, wenngleich weder bequeme noch ganz ungefährliche Art des Personentransportes. Zwar versucht die Bahnpolizei durch Präsenz in den Verladestationen, unautorisierte Fahrgäste vom Mitfahren abzuhalten, aber da die Züge teilweise nur Schleichtempo fahren, springen Hobos oft einfach auf offener Strecke auf die fahrenden Waggons auf.

Auch heute ist das Mitfahren auf Güterzügen, das sogenannte Freighthopping, selbstverständlich strengstens untersagt. Die Bahnpolizei wacht sorgfältig darüber, dass sich niemand in die teilweise festungsartig gesicherten Verladestationen für Güterzüge einschleicht. Aber ein paar verwegene Gestalten wagen das Abenteuer auch heute noch. So zum Beispiel die Youtube-Persönlichkeit "Stobe the Hobo", der nicht nur ganz Amerika in Güterzügen abgefahren hat, sondern auch noch in hinreißenden Videos auf Youtube darüber berichtet. In denen sieht man Güterzüge im prallen Sonnenschein langsam durch die endlosen Weiten des Landes rauschen, während der Protagonist sich selbst und seinen Kumpel "Wingman" dabei abfilmt, wie sie in den offenen Waggons campieren und die Fahrt genießen.

Abbildung [28]: Dass das nur die Eisenbahnpolizei nicht sieht!

Die Videos untermalt Stobe mit selbstgespielter Klaviermusik, meist klassische Interpretationen örtlicher Rock-Bands. In einer Episode im Nordwesten bei Seattle spielte er zum Beispiel Stücke von Nirvana, einmal habe ich das Werk "Heathens" der Band "Twentyone Pilots" erkannt. Das Ganze ist so heiter und gleichzeitig so beruhigend aufgemacht, dass mancher in den Youtube-Kommentaren schon eingeräumt hat, die Videos als Einschlafhilfe zu gebrauchen. Als Einstiegsdroge empfehle ich euch die Episode "The Pacific Northwest", und ich garantiere euch, dass ihr anschließend nicht mehr aufhören könnt, bis ihr mehrere Dutzend Folgen gesehen habt.

Abbildung [29]: "Stobe the Hobo" in Wartestellung, billiges Dosenbier trinkend.

Da die Güterzüge nach einem geheimen Fahrplan fahren, den nur die Eisenbahner kennen, muss der Hobo allerdings oft stundenlang, manchmal sogar tagelang in der Nähe von Streckenkreuzungen abhängen, bis sich wieder eine Gelegenheit zum Mitfahren in die gewünschte Richtung bietet. "Stobe the Hobo", oder James Stobie, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, campt dann als Obdachloser unter Brücken, und geht regelmäßig seiner Obsession, dem Erwerb von Unmengen billigen Biers in den lokalen Supermärkten nach. Seine erklärten Feinde sind übrigens die nerdigen Eisenbahn-Freaks, sogenannte Foamer, die, in Ausübung ihres erklärten Hobbies, den ganzen Tag mit umgeschnalltem Fotoapparat an Bahnstrecken abhängen, Züge ablichten und Hobos bei der Eisenbahngesellschaft verpfeifen, falls sie einen bei der Ausübung illegaler Aktivitäten entdecken.

Abbildung [30]: Stobe the Hobo in seinem Element auf einem Güterzug.

Dass das Aufspringen auf fahrende Güterzüge tatsächlich lebensgefährlich ist, musste "Stobe the Hobo" übrigens leider am eigenen Leib erfahren: Im Jahre 2017 kam er bei einem Bahnunfall ums Leben. Das traurige Ende eines großen Mannes, aber in seinen Youtube-Videos wird er ewig weiterleben. Peace out!

Grüße aus den unendlichen Weiten des Landes:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 08-Nov-2021