04.11.2009   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 82  
San Francisco, den 04.11.2009


Abbildung [1]: Zack! die Kreditkartenfalle schnappt zu!

Michael Neulich ging Obama gehörig mit der Kreditkartenindustrie ins Gericht. Die teilweise nur ausgebildeten Rechtsanwälten verständlichen, in beinahe unlesbar kleinen Lettern geschriebenen Monsterkartenverträge, die beinahe jeder Amerikaner ungelesen akzeptiert, müssen die Kartenfirmen von nun an in klarem Englisch formulieren. Außerdem verpflichteten sich die Firmen, einige der dreisteren Methoden einzustellen, mit denen sie Leuten das Geld mittels schwer durchschaubarer Klauseln aus der Tasche ziehen.

Neue Kartenangebote werben zum Beispiel üblicherweise damit, dass man Schulden auf Karten der Konkurrenz kostenlos auf die neu angebotene Karte übertragen kann. Bei diesem sogenannten "Balance Transfer" bekommt man den übertragenen Betrag dann eine festgesetzte Zeit lang zu äußerst vorteilhaften Bedingungen. Während sonst Zinssätze von 15% - 20% üblich sind, werben Übertragsangebote oft mit 7% oder bieten über einen begrenzten Zeitraum gar zinsfreie Darlehen.

Die Verbraucherverbände raten aber, die neue Karte dann keinesfalls zum Einkaufen zu verwenden. Warum? Begleicht der Kunde am Monatsende seine Einkäufe, rechnet die Kartenfirma den zurückgezahlten Betrag keineswegs auf die offene Rechnung an, sondern auf die günstig transferierte Kartenschuld. Die laufende Rechnung bleibt offen, und sammelt horrende Schuldzinsen an, normalerweise so um die 20%. Werden also zum Beispiel $10.000 transferiert und der Kunde kauft im ersten Monat für $100 ein, zahlt er 20% Zinsen auf die $100 bis zum Sanktnimmerleinstag, oder bis er die $10.000 abbezahlt hat. Damit ist nun Schluss.

Auch der Trick, das Zahldatum auf einen Feiertag zu legen, ist sehr beliebt. In Amerika schickt die Kartenfirma dem Kunden ja eine Rechnung per Post, die dieser dann, ebenfalls per Post, mit einem Scheck bezahlt. Schickt der Kunde die Zahlung dann so ab, dass sie pünktlich zum Fälligkeitsdatum eintrifft, stellt sie die Post wegen des Feiertags natürlich nicht zu und würde auch sonst von der Kreditkartenfirma nicht bearbeitet, sondern erst am nächsten Arbeitstag. Zack, kommt ein saftiger Säumniszuschlag auf die Rechung! Nicht pünktlich gezahlte Rechnungen werfen absurd hohe Strafgebühren auf und veranlassen die Kartenfirmen oft dazu, den Zinssatz des Kunden wegen erhöhten Leihrisikos in die Höhe zu treiben. Obamas neue Vorschriften verbieten diesen Trick nicht nur, sondern zwingen die Kartenfirmen, die Rechnung auch rechtzeitiger an die Kunden abzuschicken, damit diese genügend Zeit haben, die Zahlung in die Wege zu leiten.

Dieses Raubrittergebaren der Kartenindustrie ist eine relativ neue Erscheinung. Ursprünglich reglementierten die Bundesstaaten Zinssätze und Gebühren mit eiserner Hand. Die sogenannten "Usury Laws" (Wuchergesetze) der Bundesstaaten legen zum Beispiel unterschiedliche Maximalzinssätze fest, im Mittel etwa 18%. In den siebziger Jahren kam aber der etwas abseits gelegene und wirtschaftlich zurückgebliebene Bundesstaat South Dakota auf die Idee, Kartenfirmen, die dort ihren Firmensitz anmeldeten, freie Hand bei der Zinssatz- und Mahngebührengestaltung zu lassen. Prompt kamen praktisch alle großen Kartenfirmen nach South Dakota in den Ort mit dem lustigen Namen "Sioux Falls", von wo aus sie auch Kunden in allen anderen Bundesstaaten bedienten. Noch heute tragen die meisten Kreditkartenrechnungen diesen Poststempel.

Abbildung [2]: Die Citybank verlegte ihr Kreditkartencenter in den Ort "Sioux Falls" im Bundesstaat South Dakota, um die Wuchergesetze zu umgehen.

Der amerikanische Kongress darf nun zwar den Handel zwischen den Bundesstaaten regulieren, doch 1978 entschied das oberste Bundesgericht ("Supreme Court") im Verfahren "Marquette v. First Omaha Service Corp.", dass bundesweit tätige Banken sich nicht an die Regeln des Staates halten müssen, in dem sie ihre Kunden bedienen. Vielmehr dürfen sie sich die für sie günstigste Regel aus irgendeinem Bundesstaat aussuchen, in dem sie eine Niederlassung haben, um diese dann in allen Staaten zu praktizieren. Durch diesen Trick waren mit einem Schlag alle "Usury Laws" für bundesweit operierende Banken null und nichtig. Auch heute noch hat zum Beispiel die Citybank ihren Hauptsitz in New York, aber eine Niederlassung in South Dakota, von wo aus sie Rechnungen mit saftigen Zinsen bis zu 30% in die ganzen USA verschickt. Ein später folgendes Bundesgerichtsurteil stellte dann übrigens auch noch lokale Banken auf die gleiche Stufe, sodass auch für sie keine Wuchergesetze mehr gelten.

Leute wie wir, die ihre Kreditkartenrechnungen stets am Ende des Monats mit der Präzision eines Uhrwerks bezahlen und nie auch nur einen Cent stehenlassen, sind freilich ein Dorn im Auge der Kartenfirmen. Zwar zahlen Händler, die Kreditkarten akzeptieren, den Kartenfirmen bei jeder Transaktion zwischen 2% und 5% Gebühren, aber diese Gewinne nehmen sich lächerlich aus im Vergleich zu den Zinsen, die Leute zahlen, die ihre Kreditkarten als Finanzierungsvehikel mit durchschnittlich 15% bis 20% Zinsen nutzen und jedesmal nur das geforderte Minimum von 2% der Schuldsumme zurückzahlen. So bleibt die Schuld praktisch ewig bestehen und der Kartenhalter zahlt auch in 10 Jahren noch Zinsen auf einen einmaligen Spontankauf. Ein paar Zahlen aus dem Jahr 2004: 145 Millionen Amerikaner besaßen Kreditkarten, 55 Millionen zahlten die Schuld jeden Monat ab, 90 Millionen ließen etwas stehen. Und davon zahlten 35 Millionen, also ein Drittel nur das geforderte Minimum von durchschnittlich 2% zurück!

In den letzten Jahren verschwanden deshalb die Jahresgebühren für die meisten Karten für Normalbürger, die zuvor noch mit etwa $50 pro Jahr zu Buche schlugen. Manche Karten geben dem Kunden inzwischen sogar zwischen 1% und 3% Rabatt auf umgesetzte Beträge zurück, man spart also sogar Geld, wenn man die Karte nutzt. Der Rabatt wird oft in dubiosen Punkten ausgezahlt, die man dann für bestimmte Waren oder Dienstleistungen wie Flüge einlösen muss. Schlaue Kunden suchen sich aber Karten aus, die den Rabatt in bar zurückerstatten. Unsere Karte von American Express wirft zum Beispiel 3% auf Restaurantrechnungen und 2% auf Reiseausgaben ab, und den im Laufe eines Jahres angesammelten Betrag zahlt der Riesensupermarkt Costco uns dann aus. Da man in Amerika bereits als verrückt gilt, wenn man $100 in bar in der Tasche hat, kann man sich gut vorstellen, wie ungläubig die Kassierer dort guckten, als ich dort mit meinem Riesenrabattscheck aufkreuzte. Sie mussten tatsächlich einen Laufburschen zum Safe schicken, um meine Erstattung auszuzahlen.

Aber das ist noch nicht alles, weitere Schmankerln warten auf den Kartennutzer: Mietet man mit bestimmten Karten ein Auto, ist eine Vollkaskoversicherung enthalten. Geht ein gerade gekaufte Vase zu Bruch, oder ein Dieb schnappt sich den neuen Fotoapparat, erstattet die Kartenfirma den Verlust.

Abbildung [3]: Kreditkarten eignen sich nicht als Finanzierungsmittel für schlechte Zeiten.

Wer mit Kreditkarte zahlt, nutzt nicht nur den Vorteil einer bargeldlosen Transaktion, sondern hält gegenüber dem Händler auf einmal einen gewaltigen Hebel in der Hand. Haut der einen nämlich übers Ohr, wäre es äußerst nervenaufreibend und zeitintensiv, per Anwalt rechtliche Ansprüche zu formulieren und eventuell durchzusetzen. Hat man allerdings mit Kreditkarte gezahlt, ruft man einfach deren Hotline an, schildert den Fall, und ratz-fatz wird dem Händler das Geld entzogen und dem Kunden zurückerstattet, auch wenn der Händler vor Wut Tango tanzt. Zwar kann der dann anschließend wiederum gerichtlich gegen den Kunden vorgehen, aber die Beweislast liegt nun bei ihm und er wird sich genau überlegen, bevor er gerichtliche Schritte, eventuell im "Small Claims Court" unternimmt. Neulich habe ich übrigens gelesen, dass der Kaufbetrag mindestens $50 betragen muss und das Geschäft nicht weiter als 150 Meilen vom Wohnsitz des Kartenhalter entfernt sein darf, sonst kann es sein, dass die Kreditkartenfirma nicht hilft.

Als Finanzierungsvehikel für schlechte Zeiten eignet sich die Karte allerdings nicht. Verliert man den Arbeitsplatz oder erleidet finanzielle Verluste, schraubt die Kartenfirma sofort die verfügbare Kreditsumme nach unten und die Zinsen in astronomische Höhen. Über den Credit-Report, das amerikanische Äquivalent zur Schufa, weiß sie jederzeit über die Finanzlage des Kunden Bescheid. Im Fall eines "Universal Default", also einer prekären finanziellen Lage des Kartenkunden, passiert dies sogar dann, wenn der Kunde pünktlich die Rechnungen der Karte bezahlt.

Mit Obamas vorgeschlagenen neuen Regeln für die Kartenindustrie, die inzwischen vom Kongress abgesegnet wurden, munkelt man, dass die atemraubenden Gewinne zurückgehen und sich die rosigen Bedingungen für uns sogenannte "Revolver" (von der Kartenindustrie so genannt wegen dem ständigen Abbezahlen einer rotierenden Schuld) verschlechtern. Vielleicht kommen auch wieder Jahresgebühren, wer weiß? Ich kann euch jedenfalls eine weiterbildende Fernsehsendung zum Thema empfehlen: Die Dokumentation "The Secrect History of the Credit Card" des Senders PBS. Außerdem steht auf Wikipedia ein ausführlicher Artikel zum Credit CARD Act of 2009 und das Fact Sheet des Weißen Hauses zur Kreditkartenreform fasst die Fakten zusammen.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012