Arbeitsbedingungen in den USA
(Michael) Nun zu etwas ganz anderem: Was ich schon immer mal loswerden wollte zu den Arbeitsbedingungen hier: Bekanntlich begnügt sich der Herr Amerikaner ja mit lausigen zwei Wochen Urlaub im Jahr. Und, da es hier -- anders als in Deutschland -- keine Staatsreligion gibt (stichel! stichel!), sondern ein kunterbuntes Durcheinander an Kulturen, darf jeder zu den paar staatlichen Feiertagen im Jahr (Neujahr, Martin-Luther-King-Day, Thanksgiving, Lincoln's Birthday, Independence Day, President's Day, Labor Day fallen mir auf Anhieb ein) zusätzlich drei neue definieren. So können die Chinesen ihren Neujahrstag irgendwann im Februar feiern und jede der vielen Religionen, Mormonen, Baptisten, Scientologen und was es sonst noch alles gibt -- jeder kommt zu seinem Recht. Vor diese Frage gestellt, würde ich natürlich den 19. Februar wählen -- den Todestag von Bon Scott, dem Sänger meiner Lieblingsgruppe AC/DC, aber meist nehme ich irgendeinen Freitag oder Montag, um ein Wochenende zu verlängern. Und, was die Wochenstunden betrifft: Meine Arbeitskollegen lachen sich regelmäßig krank, wenn ich erzähle, dass in Deutschland die 35-Stunden-Woche eigentlich die Regel ist. In Computerläden wie AOL gibt's zwar keine Stechkarte, aber jeder trägt die Stunden, die er an einem Projekt arbeitet, in ein Computerprogramm ein, das es der Firma nicht nur erlaubt, festzustellen, wieviel ein Projekt kostet, sondern auch wieviele Stunden der Einzelne in der Woche arbeitet. Stehen da mal nur 40 Stunden drin, kann man damit rechnen, dass der Chef vorbeigeschneit kommt und mal vorsichtig nachfragt, ob man denn noch zufrieden sei mit der Arbeit und so. Die Regel ist vielmehr, dass da 50 und manchmal 60 Stunden drinstehen -- und Überstunden werden natürlich nicht bezahlt, das ist nur ein Zeichen dafür, wie gerne man arbeitet. So ist es auch kein Thema, mal bis um drei Uhr nachts zu arbeiten, wenn gerade ein schlimmer Fehler im System ist oder ein Wochenende dranzuhängen, falls ein Projekt am Montag fertig sein muss -- ganz normal, ey! Wenn's brennt, wird gelöscht, und dann einfach heimzugehen, wäre ein absoluter Faux-pas und unkollegial. Andererseits muss man natürlich auch sehen, dass es in Deutschland wohl kaum ein Arbeitgeber erlauben würde, dass ich zwei Tage pro Woche zuhause arbeite und auch sonst ins Büro komme wann ich will. Im Büro herrscht übrigens immer gute Laune, "genervt" zu sein oder zu schimpfen, gilt als völlig unmöglich. "No problem!" oder "That's ok!" heißt die Standard-Antwort auf "Sorry". Das ist übrigens für alle Lebenslagen wahr: Selbst wenn einem jemand aus Versehen einen Eimer Wasser über den Kopf stülpte, hieße die Antwort immer noch "Don't worry, that's ok!", alles andere wäre eine grobe Unhöflichkeit. "Socialising" im Arbeitsleben wird großgeschrieben, man redet mit Leuten, die man noch nicht kennt, ein paar Takte, erkundigt sich, woran sie gerade arbeiten und macht vielleicht ein paar Witzchen, auch wenn man sie nur kurz sieht. Eine Sache, die mir bei Besuchern aus Deutschland immer wieder auffällt: Man sagt nicht einfach "Yes" oder "No", immer hängt man was dran. Wenn die Bedienung in der Wirtschaft fragt, ob man noch einen Kaffee will, heißt es nicht "No", sondern "No, thanks, I'm just fine". Oder nicht einfach "Yes", sondern man sagt irgendetwas Originelles wie "Yeah, sounds great!" oder "Coffee'd be awesome, dude!". Letzteres natürlich nur, wenn man wie ein Snowboarder gekleidet ist :). In der Arbeit gilt auch: Wenn jemand etwas fragt, hilft man, auch wenn man eigentlich keine Zeit hat. Das kann total nerven, wenn man nämlich an etwas arbeitet und dauernd jemand angebraust kommt und irgendetwas Dussliges wissen will. Und wenn man, wie ich, in einem Stellwandquadrat arbeitet, ist man eigentlich nie allein, dauernd gibt's irgendwas. Nachdem jeder seinem Cubicle eine eigene Note verleiht, plane ich, demnächst einen Sessel reinzustellen, damit sich meine Besucher gemütlich hinsetzen können. Ohne Schmarr'n! Den Sessel habe ich schon daheim, muss ihn nur noch ins Büro schaffen.