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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 14  
San Francisco, den 01.04.1999
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Rundbrief


Hallo, ihr lieben Daheimgebliebenen!

Abbildung [1]: Zwei glückliche Ausländer

Da Michael dieses Wochenende seinen turboteuren Laptop aus dem Geschäft mit nach Hause gebracht hat, will ich mich gleich hinsetzen und in die Tasten hauen, damit endlich wieder ein neuer Rundbrief zu euch gelangt.

Fremder im eigenen Land

(Angelika) Viele von euch habe ich ja während meiner "Deutschlandtournee" im Januar und Februar gesehen oder wenigstens am Telefon gesprochen. Es war schön, einmal wieder die Gelegenheit zu haben, mit euch ausführlich und von Angesicht zu Angesicht zu reden, auch wenn die Zeit nur so gerast ist. Viele haben mich gefragt, ob sich viel verändert hat in Deutschland bzw. ob ich Deutschland jetzt anders erlebe und wahrnehme. Fakt ist einfach, dass man, wenn man für längere Zeit im Ausland lebt, ein besonderes Auge für die Eigenarten der Heimat hat. Wenn man in den Frankfurter Flughafen-Toiletten z.B. das Schild mit dem Hinweis findet, "Das Benutzen der Toiletten ist gebührenfrei!", weiß man gleich, dass man wieder in deutschen Landen weilt. Fairerweise sei erwähnt, dass das Schild wenigstens in vier verschiedenen Sprachen war; man gibt sich dann doch weltoffen. Auch das Rauchen auf dem Frankfurter Flughafen oder in den Restaurants fiel mir sofort auf. Wie wir ja schon öfter berichtet haben, darf man in Kalifornien weder in öffentlichen Gebäuden noch in Restaurants, Kneipen, Bars, etc. rauchen. Es ist schon erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt. Unserer Freund Peter, der auch in San Francisco wohnt und seines Zeichens Bayer und starker Raucher ist bzw. war, war bei seinem Deutschlandbesuch letztes Jahr so entnervt von der Qualmerei in Gastätten und Kneipen, dass er das Rauchen gleich völlig aufgegeben hat -- bis auf den heutigen Tag.

Doppelte Staatsbürgerschaft

(Angelika) Auch die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft erschien mir "typisch deutsch". Ich habe nämlich nicht so ganz verstanden, warum es eine Katastrophe ist, wenn man zwei Pässe hat. Das Argument, das ich am meisten gehört habe, war, dass man sich schließlich entscheiden muss, was man sein will. Daß man vielleicht beides sein will, scheint für viele nur schwierig nachzuvollziehen zu sein. Selber im Ausland lebend, kann ich gut verstehen, dass man nicht so einfach seine Staatsbürgerschaft abgeben will. Man möchte sich immer irgendwie noch die Tür offenhalten, ohne Probleme jederzeit zurück zu können, auch wenn man dies vielleicht nie in die Tat umsetzt. Das ist mehr eine psychologische Geschichte. Die doppelte Staatsbürgerschaft spiegelt eigentlich genau wieder, wie man sich fühlt, wenn man für viele Jahre in einem anderen Land lebt. Man ist ein Stück beides. Schade, dass es jetzt nur zu einem Kompromiss gekommen ist in Deutschland.

Amerika kennt übrigens im allgemeinen die doppelte Staatsbürgerschaft auch nicht. Nur die Behörde, die dafür sorgen müsste, den alten Pass einzuziehen, geht dem nicht nach, so dass viele eben doch zwei Pässe haben. Wird ein Kind auf amerikanischem Boden geboren und hat ausländische Eltern, erhält das Kind die amerikanische Staatsbürgerschaft und in der Regel auch die Staatsbürgerschaft seiner Eltern und muss sich dann bei Erreichen der Volljährigkeit für eine entscheiden. Ansonsten kann man als Ausländer erst dann amerikanischen Staatsbürger werden, wenn man fünf Jahre lang in Besitz einer amerikanischen Greencard ist und während dieser fünf Jahre konstant im Land war. Außerdem muss man nachweisen, dass man einigermaßen Englisch kann und die Grundlagen der amerikanischen Geschichte und den Aufbau der Regierung kennt. Das Ganze findet dann als Test statt. Fragen sind z.B.: Welche Farben sind die Farben unserer Flagge? Wieviele Sterne sind drauf? Wieviele Streifen? Für was stehen die Sterne? Für was die Streifen? Wer ist gerade Präsident? Wer ist gerade Vize-Präsident? Wieviele Repräsentanten sitzen im Kongress? Da kommt so mancher ins Grübeln. Die Anworten lauten freilich rot/weiß/blau, 50, 13, die Bundesstaaten, die 13 Bundesstaaten zur Gründung der USA, Bill Clinton, Al Gore, 435. Ist doch logisch! Natürlich darf man nichts ausgefressen haben bzw. darf nicht dabei erwischt worden sein, wenn man amerikanischer Staatsbürger werden will. Ihr seht schon, die Staatsbürgerschaft wird einem auch nicht gerade hinterhergeschmissen. Fünf Jahre hören sich zwar auf den ersten Blick nicht allzu lange an, man darf aber nicht vergessen, dass man die Greencard haben muss und diese ist auch nicht mehr so einfach zu bekommen. Außerdem hat natürlich nicht jeder die Greencard. Wir z.B. haben nur ein ordinäres Visum.

Das bringt uns zur Fragestellung zurück, wie es ist, im Ausland zu leben, und wie man aufgrund dieser Erfahrung sein eigenes Land beurteilt. Am ehesten läßt es sich vielleicht so beschreiben, dass man in beiden Ländern die Vor- und Nachteile sieht, beiden Ländern kritisch gegenüber steht, anderes aber auch mehr zu schätzen lernt.

Seitdem ich wieder hier bin, verbringe ich viel Zeit in der Dunkelkammer der Uni Berkeley, da ich dieses Semester zwei Fotokurse belegt habe. Ich wurde schon mit dem Titel "Queen of the Darkroom" (Königin der Dunkelkammer) belegt, übrigens nicht von Michael, sondern von einem Mitstreiter, der schon einmal einen Kurs mit mir zusammengemacht hat. Mein Zertifikatprogramm "Children and the Changing Family" habe ich ja letztes Semester abgeschlossen und, siehe da, schon trudelte per Post das Zertifikat ins Haus. Das sieht richtig schick aus: Stempel, Wappen der Uni usw. Da der Amerikaner praktisch denkt, hat das Zertifikat gleich eine bilderrahmenfreundliche Größe. Das Ganze sieht auf jeden Fall besser aus als mein Abitur- und Unizeugnis.

Feuerwehrfrau Angelika

Abbildung [2]: Angelika, die Erdbebenhelferin

(Angelika) Letzte Woche habe ich dann gleich noch eine rahmenswerte Urkunde erhalten und zwar von der Feuerwehrbehörde in San Francisco. Vielleicht fragt ihr euch jetzt, ob ich völlig übergeschnappt bin und mich zur Feuerwehrfrau habe ausbilden lassen. Weit gefehlt! Ein Erdbebentraining habe ich gemacht. Wie ihr ja wisst, ist San Franciscos einziger Nachteil, dass es hochgradig erdbebengefährdet ist. Da wir ja schon mehrere kleine erlebt haben und die mir schon Angst genug eingejagt haben, haben unser Freund Anthony und ich beschlossen, etwas dagegen zu tun und uns zu dem besagten Training angemeldet. Es ging über sechs Wochen und wurde von Feuerwehrmännern und -frauen geleitet. Wir haben gelernt: Was man macht, wenn die Erde anfängt zu wackeln, Erste Hilfe, den Katastrophenplan der Stadt San Francisco, wie man ein Gebäude durchsucht, wie man beurteilt, wie stark beschädigt das Gebäude ist, wie man das Gas und Wasser abstellt usw. Bei dem Training geht es zunächst einmal darum, sich selbst zu helfen, aber auch in der Nachbarschaft, da sicher ist, dass die Rettungsdienste völlig überlastet sein werden, wenn ein großes Erdbeben kommt. Das Training hat dann auch den schönen Namen "NERT" (Neighborhood Earthquake Response Team, was so viel heißt wie Erdbebennachbarschaftsteam), d.h. die Feuerwehrleute geben das Training in den verschiedenen Wohngegenden, damit sich feste Teams bilden können, die dann im Falle eines Erdbebens helfen. Man bekommt deshalb sogar eine kleine Ausrüstung, nämlich einen Bauarbeiterhelm (alle hatten natürlich auf einen echten amerikanischen Feuerwehrhelm gehofft) und ein orange Weste (Michael hat sich über mein Outfit köstlich amüsiert). Anmerkung von Michael: "NERD" heißt auf englisch übrigens "Idiot". Wollte ich nur mal so einstreuen!

Letzte Woche fand dann das sogenannte "Disaster Scenario" statt, sozusagen eine praktische Übung und auch hier war die Durchführung hollywoodmäßig aufgezogen. So mussten wir z.B. einen Raum mit Verletzten durchsuchen. Um alles möglichst echt zu machen, waren die Opfer (Freiwillige) professionell geschminkt und mit unechtem Blut ausgestattet. Das sah so echt aus, dass mir gleich ganz anders wurde. Die Opfer haben so realistisch gestöhnt und geschrien, dass eine Frau in meinem Team nur immer gemurmelt hat: "Ich ziehe weg aus dieser Stadt!" Dann war da noch eine Puppe (sie war eine Tote). Die sah so realistisch aus, dass mehrere (mich eingeschlossen) erst nach einiger Zeit gemerkt haben, dass es sich um eine Puppe handelt. Da fangen einem schon die Knie zu wackeln an, vor allen Dingen, wenn die Feuerwehrleute dann noch in Einzelheiten schildern, dass es schon nach relativ kurzer Zeit zu riechen anfängt, wenn man die Opfer nicht früh genug herausholt. Ein Alptraum!

Auf jeden Fall haben dann alle, die das Training absolviert haben, eine Urkunde und einen Händedruck vom Chef der Feuerwehr erhalten. Natürlich wurde auch betont, wie wichtig wir alle sind usw. Ich finde übrigens, dass der Amerikaner ein unnachahmliches Talent hat, zu motivieren und jedem das Gefühl zu geben, der Größte zu sein. Bei Kursen jeglicher Art ist wichtig, dass der Einzelne Spaß hat, da kann das Thema noch so ernst sein wie z.B. bei dem Erdbebentraining. Manchmal hat man das Gefühl, dass alles eine große Show ist. Auf der anderen Seite machen Kurse wirklich viel mehr Spaß und sind in der Regel nicht so trocken wie in Deutschland.

Produkthaftung

(Angelika) Noch etwas typisch Amerikanisches konnte ich bei dem Erdbebentraining erleben. Bevor es losging, mussten wir ein zweiseitiges Papier unterschreiben, dass wir die Feuerwehrbehörde nicht verklagen, wenn wir uns bei dem Training verletzten sollten. Hierzu muss man wissen, dass es in Amerika die absurdesten Haftpflichtklagen gibt. Die Regel ist, dass dann geklagt wird, wenn man glaubt, etwas rausholen zu können, d.h. hat man kein Geld, braucht man sich über Haftpflicht keine Sorgen machen, hat man hingegen Geld, schließt man besser eine gute Versicherung ab. Diese Haftpflichtspolitik ist übrigens auch der Grund dafür, dass Mc Donalds einer Frau vor einigen Jahren einen Millionenbetrag zahlen musste, weil sie sich mit dem Kaffee im Kaffeebecher verbrannt hatte und auf dem Kaffeebecher kein Hinweis stand, dass man Vorsicht walten lassen sollte, weil der Inhalt heiß ist. Wenn ihr einmal wieder in Amerika seid, könnt ihr ja mal darauf achten. Auf fast jedem Papier- oder Plastikbecher prangt jetzt diese Aufschrift. Allgemein hat diese Haftpflichtshysterie dazu geführt, dass auf Packungsbeilagen und Gebrauchsanweisungen die absurdesten Vorsichtsmaßnahmen stehen, z.B. dass es nicht gesund ist, die Katze in der Mikrowelle zu trocknen (stimmt echt), oder man bei Ärzten unterschreiben muss, dass man sich im Falle eines Haftplichtfalles außergerichtlich einigt.

Um nocheinmal auf das Erdbebentraining zurückzukommen: Damit wir nicht aus der Übung kommen, gibt es zweimal im Jahr einen sogenannten "Drill" (so etwas wie eine Reserveübung). Diese Jahr ist die erste am 17. April. Man darf gespannt sein, wie das wird.

So, nun kommt Michael dran:

"Perl Power" in Stanford gesichtet

(Michael) Nachrichten von der Bücherfront: Mein Schinken "Perl Power" ist endgültig im Buchladen der Uni Stanford aufgetaucht. Auf dem Bild oben ist der glückliche Autor abgebildet, der sehr gerührt sein Werk in seinem Lieblingsbuchladen in den Händen hält. Hurra! Damit wäre mein Lebensziel erreicht, huch das ging aber schnell! Schnell ein neues finden ... hmm ... hmm ... grummel ... aha, hier kommt's: ein roter Ferrari F355. Mal seh'n vielleicht klappt das ja auch noch.

Abbildung [3]: Endlich: Mein Buch im Buchladen der Uni Stanford!

Snowboarden in Tahoe

(Michael) Was ich schon immer mal erzählen wollte: Seit über zwei Jahren liegen unter unserem Bett ein Paar Skier. Die haben wir damals mit unseren Möbeln hier rüberschiffen lassen, weil ich dachte, dass ich hier auch mal zum Skifahren käme, doch das war wohl nix. Bisher habe ich es nicht geschafft, ins nahegelegene Lake Tahoe zu fahren, ein recht großes Ski-Gebiet im Sierra-Gebirge. Nun fragten mich eines Freitags meine Arbeitskollegen Chris und Larry, ob ich nicht Lust hätte, am Samstag nach Sugar Bowl nahe Lake Tahoe zu fahren, um dort mit ihnen einen Snowboard-Kurs zu machen. Da ich ja zu dieser Zeit ein Jungesellen-Dasein fristete, da Angelika in Deutschland weilte, sagte ich natürlich sofort zu, und ab ging's am nächsten Tag um halb sechs in der Frühe mit Chris' 4-Rad Explorer, um neun kamen wir an, zahlten 55 Dollar für eine Liftkarte, Leih-Snowboard und Schuhe und einen zweistündigen Anfängerkurs -- superstark! Nun besteht ja zwischen Skifahren und Snowboardfahren ein gewaltiger Unterschied, wer das eine kann, kann das andere noch lange nicht, Snowboarden ist wie wenn man auf einem Skateboard oder Surfbrett festgeschnallt wäre und ohne Kurs kommt man keinen Meter weit, ohne aufs Gesicht zu fallen.

Der Skilehrer zeigte uns dann geduldig, wie man zuerst nur einen Fuß festschnallt und dann wie auf einem Skateboard mit dem anderen Fuß anschiebt und das Ding in die Kurve legt. Schnallt man dann beide Schuhe auf dem Board fest, kann man zunächst nicht mal mehr aufstehen, und kommt man endlich soweit, fällt man gleich wieder um, das ist immer wieder für einen Lacher gut. Aber nach zwei Stunden hatten wir's alle raus und begannen, die Hänge -- freilich immer noch Anfängerhügel -- hinunterzusurfen, und es ging besser und besser, und immer wieder fuhren wir mit dem Lift nach oben und konnten gar nicht genug kriegen, obwohl ich schätzungsweise 50 Mal reingebrettert bin, der Muskelkater am nächsten Tag war nicht in den Beinen, wie sonst beim Skifahren üblich, sondern in den Armen vom vielen Wiederaufstehen nach Schneekontakt.

Abbildung [4]: Die fröhlichen Snowboarder Larry, Chris und Michael

Arbeitsbedingungen in den USA

(Michael) Nun zu etwas ganz anderem: Was ich schon immer mal loswerden wollte zu den Arbeitsbedingungen hier: Bekanntlich begnügt sich der Herr Amerikaner ja mit lausigen zwei Wochen Urlaub im Jahr. Und, da es hier -- anders als in Deutschland -- keine Staatsreligion gibt (stichel! stichel!), sondern ein kunterbuntes Durcheinander an Kulturen, darf jeder zu den paar staatlichen Feiertagen im Jahr (Neujahr, Martin-Luther-King-Day, Thanksgiving, Lincoln's Birthday, Independence Day, President's Day, Labor Day fallen mir auf Anhieb ein) zusätzlich drei neue definieren. So können die Chinesen ihren Neujahrstag irgendwann im Februar feiern und jede der vielen Religionen, Mormonen, Baptisten, Scientologen und was es sonst noch alles gibt -- jeder kommt zu seinem Recht. Vor diese Frage gestellt, würde ich natürlich den 19. Februar wählen -- den Todestag von Bon Scott, dem Sänger meiner Lieblingsgruppe AC/DC, aber meist nehme ich irgendeinen Freitag oder Montag, um ein Wochenende zu verlängern. Und, was die Wochenstunden betrifft: Meine Arbeitskollegen lachen sich regelmäßig krank, wenn ich erzähle, dass in Deutschland die 35-Stunden-Woche eigentlich die Regel ist. In Computerläden wie AOL gibt's zwar keine Stechkarte, aber jeder trägt die Stunden, die er an einem Projekt arbeitet, in ein Computerprogramm ein, das es der Firma nicht nur erlaubt, festzustellen, wieviel ein Projekt kostet, sondern auch wieviele Stunden der Einzelne in der Woche arbeitet. Stehen da mal nur 40 Stunden drin, kann man damit rechnen, dass der Chef vorbeigeschneit kommt und mal vorsichtig nachfragt, ob man denn noch zufrieden sei mit der Arbeit und so. Die Regel ist vielmehr, dass da 50 und manchmal 60 Stunden drinstehen -- und Überstunden werden natürlich nicht bezahlt, das ist nur ein Zeichen dafür, wie gerne man arbeitet. So ist es auch kein Thema, mal bis um drei Uhr nachts zu arbeiten, wenn gerade ein schlimmer Fehler im System ist oder ein Wochenende dranzuhängen, falls ein Projekt am Montag fertig sein muss -- ganz normal, ey! Wenn's brennt, wird gelöscht, und dann einfach heimzugehen, wäre ein absoluter Faux-pas und unkollegial. Andererseits muss man natürlich auch sehen, dass es in Deutschland wohl kaum ein Arbeitgeber erlauben würde, dass ich zwei Tage pro Woche zuhause arbeite und auch sonst ins Büro komme wann ich will. Im Büro herrscht übrigens immer gute Laune, "genervt" zu sein oder zu schimpfen, gilt als völlig unmöglich. "No problem!" oder "That's ok!" heißt die Standard-Antwort auf "Sorry". Das ist übrigens für alle Lebenslagen wahr: Selbst wenn einem jemand aus Versehen einen Eimer Wasser über den Kopf stülpte, hieße die Antwort immer noch "Don't worry, that's ok!", alles andere wäre eine grobe Unhöflichkeit. "Socialising" im Arbeitsleben wird großgeschrieben, man redet mit Leuten, die man noch nicht kennt, ein paar Takte, erkundigt sich, woran sie gerade arbeiten und macht vielleicht ein paar Witzchen, auch wenn man sie nur kurz sieht. Eine Sache, die mir bei Besuchern aus Deutschland immer wieder auffällt: Man sagt nicht einfach "Yes" oder "No", immer hängt man was dran. Wenn die Bedienung in der Wirtschaft fragt, ob man noch einen Kaffee will, heißt es nicht "No", sondern "No, thanks, I'm just fine". Oder nicht einfach "Yes", sondern man sagt irgendetwas Originelles wie "Yeah, sounds great!" oder "Coffee'd be awesome, dude!". Letzteres natürlich nur, wenn man wie ein Snowboarder gekleidet ist :). In der Arbeit gilt auch: Wenn jemand etwas fragt, hilft man, auch wenn man eigentlich keine Zeit hat. Das kann total nerven, wenn man nämlich an etwas arbeitet und dauernd jemand angebraust kommt und irgendetwas Dussliges wissen will. Und wenn man, wie ich, in einem Stellwandquadrat arbeitet, ist man eigentlich nie allein, dauernd gibt's irgendwas. Nachdem jeder seinem Cubicle eine eigene Note verleiht, plane ich, demnächst einen Sessel reinzustellen, damit sich meine Besucher gemütlich hinsetzen können. Ohne Schmarr'n! Den Sessel habe ich schon daheim, muss ihn nur noch ins Büro schaffen.

Autokauf

(Michael) Und -- was lange währt, wird endlich gut -- wir haben schließlich doch ein Auto gekauft! Nachdem wir mehrere Wochenenden lang die Autohändler abgegrast haben, um einen günstigen Gebrauchten zu erstehen und uns diese schmierigen Verkäufer immer mehr auf den Geist gingen, habe ich dann nach zähen Verhandlungen doch das Auto von so 'nem Typen aus der Arbeit gekauft, vom Chef meines Chefs, um genau zu sein. Es ist ein acht Jahre alter schwarzer Acura Integra (ein besserer Honda) mit Gangschaltung, was sehr ungewöhnlich für Amerika ist, da hier jeder mit Automatik fährt und die meisten Amis überhaupt keinen Schaltwagen bedienen können. In San Francisco ist das natürlich eine echte Herausforderung, da hier Straßen mit 20% Steigung noch als flach gelten, und wenn man da in eine enge Parklücke muss, raucht die Kupplung. Der Automechaniker, von dem ich den Karren begutachten ließ sagte mir auch, dass eine Kupplung im Silicon Valley etwa 60.000 Meilen hält und in San Francisco nur 20.000. Angelika stand schon 100.000 Ängste aus, aber ich hatte versprochen, ihr am Wochenende den Intensivkurs "Anfahren am Berg" zu geben. An einem Sonntag sind wir dann nach Portrero Hill gefahren und Angelika musste auf den wenig befahrenen Straßen dort immer wieder anfahren, zuerst auf den flacheren, dann auf den immer steileren, und es klappte! Die Lebenserwartung der Kupplung ist zwar jetzt um 10.000 Meilen reduziert, aber es hat geklappt und sie hat ihr San-Francisco-Zertifikat gekriegt!

Als erstes Zubehörteil habe ich dann gleich einen Kaffeebecher-Halter gekauft, denn der Karren hatte keinen, was eigentlich ungewöhnlich für amerikanische Autos ist, aber bitte. Da ich grundsätzlich, bevor ich zur Arbeit fahre (wenn ich mit dem Auto fahre) einen Kaffee und einen Donut (Krapfen/Berliner) vom Donut-Shop um die Ecke hole, brauche ich natürlich einen Halter für den Becher, sonst fliegt mir ja dauernd der Kaffee um! Eine halbe Stunde dauert die Fahrt, ich fahre gleich bei uns um die Ecke auf die Autobahn Nummer 280 (genannt: "Twoeighty!"), und dann geht's im konstanten 70-Meilen-Tempo (etwa 110 km/h) dahin und laut höre ich den Sender KSJO 92.3, der jede Stunde mindestens einen Metallica- und einen AC/DC-Song spielt, genial! Das hat natürlich dazu geführt, dass ich, um, äh, nun, tschja, mein Fahrrad etwas vernachlässigt habe, was Angelika immer wieder zu Sticheleien anregt, Tenor: ich würde immer dicker werden, was natürlich üüü-ber-haupt nicht stimmt, der absolute Blödsinn! Wenn das Wetter schön ist und ich nicht gerade das Auto wegen der Straßenreinigung umparken muss, werde ich natürlich auch wieder mit dem Fahrrad fahren, keine Frage! Und in ein Fitness-Center melde ich mich auch bald an. Seid gespannt auf diesen Bericht -- in einer neuen Folge dieses Rundbriefs: "Michael in der Tretmühle", stay tuned!

Auch hat das Auto keine Klimaanlage, worüber wir im Sommer, wenn es im Wine-Country oder im Silicon-Valley 40 Grad heiß wird, wohl noch fluchen werden, aber Hauptsache wir haben mal irgendeine Klapperkiste. Aber 120 PS hat das Teil (deswegen hab ich's gekauft, nicht weitersagen)! Das Nummernschild lautet momentan "2ZAP439", aber, nachdem man in Amerika, wenn man $100 im Jahr dafür zahlt (die an einen wohltätigen Zweck gehen), seine eigene Buchstabenkombination wählen darf, wird's wohl bald "PERLMAN" oder "PERLPWR" sein, ich habe schon nachgeschaut, beide sind verfügbar. Der TÜV in Californien ist übrigens auch nicht auf den Kopf gefallen: Da man für ein beim Händler gekauftes Auto 8.5% Sales Tax (Verkaufssteuer) zahlt, aber, falls man ein Auto von einer Privatperson erwirbt, diese Transaktion völlig am Staat vorbeigeht, verlangt der TÜV, der hier DMV (Department of Motor Vehicles) heißt, die Steuer bei der Zulassung des Autos ganz einfach nach, da hilft kein Heulen und Zähneknirschen, die Kreditkarte muss ran! Na, bislang läuft der kleine Japaner ausgezeichnet, ich hoffe, er bleibt uns erhalten.

Deutscher Akzent beim Englischreden

(Michael) Ich habe ja im letzten Rundbrief schon eine kleine Ausführung darüber geschrieben, was es mit dem "German Accent", dem deutschen Akzent bei der Aussprache englischer Sätze auf sich hat, mittlerweile bin ich an der Uni Berkeley für einen Kurs eingeschrieben, der "Pronunciation Skills in English" heißt, und der handelt nur davon, wie man seinen Akzent abstellt, so dass man einigermaßen wie ein Amerikaner klingt. Der Kurs wird von einer resoluten alten Matrone geleitet, die den 10 Teilnehmern, die aus China, Vietnam, Frankreich und Deutschland kommen, einhämmert, wie man die Wörter korrekt mit California-Slang ausspricht. So geht sie immer wieder darauf ein, welch eklatante Unterschiede es zwischen der britischen Aussprache, die man in den meisten Schulen außerhalb Amerikas lernt, und der amerikanischen gibt. Sagt der Brite zum Angebot "offer", klingt das Amerikanisch fast nach "aaffer". Anhand von ähnlich ausgesprochenen Wörtern müssen wir immer wieder die Aussprache der einzelnen betonen, was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen "few" und "view"? Na? Na? Wenn ihr das laut vorlest, werdet ihr vielleicht auf Anhieb gar keinen Unterschied feststellen, aber nachdem ich ja jetzt ein wenig vor- (und ein-!) gebildet bin, verrate ich's euch: Das "f" in "few" ist ein stimmloses (zischendes) "f", das "v" in "view" ist stimmhaft, fast wie ein deutsches "w". Oder was wäre der Unterschied zwischen "France" (wird im Amerikanischen "Fräänz" ausgesprochen) und "friends"? Na? Na? Nun gut, ich verrate euch auch das: "France" zischt am Ende, und das "friends" hat nicht nur ein mehr nach "e" klingendes "ä" sondern auch ein stimmhaftes "s" (wie in "Hase"), nichts zischt. Außerdem zieht man, wenn's nicht zischt, sondern brummt, das Wort auseinander, "France" ist also deutlich kürzer als "frieennnds". Am Schluss des Kurses müssen wir übrigens eine Seite amerikanischer Literatur (es darf keine britische sein!) vorlesen und auf Band sprechen, die Lehrerin wird dann ihre Kommentare dazu abgeben und ebenfalls auf das Band aufnehmen.

Motivation von Tony Robbins

(Michael) Was ich noch loswerden wollte: Da ich, um mich zu motivieren, öfter mal Motivations-Cassetten von meinem Lieblings-Guru Anthony Robbins gehört habe (das ist der, der immer schreit: "Make a difference today! Take action! Now!") und es seitdem nur noch steil aufwärts geht, sei's weiterempfohlen: In Amerika sind in jeder Buchhandlung Cassetten für alles und jedes erhältlich, wie man besser verhandelt, wie man Ängste überwindet und den beruflichen Erfolg plant. Die Bänder kann man dann bequem im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln mit einem Walkman abhören und kommt jedesmal voll aufgepeitscht im Büro an. Anthony Robbins ist so der bekannteste unter den Motivatoren, der gibt auch Kurse, in denen man lernt, über glühende Kohlen zu marschieren, alles eine Frage der Motivation. Auch gibt er nützliche Tipps zur Fitness, so hat er zum Beispiel auf irgendeiner Cassette mal erzählt, dass man viel frischgepressten Fruchtsaft trinken sollte -- und, zack! haben wir uns einen Juicer gekauft, ein 160-Dollar-Teil, das frische Grapefruits und Orangen flugs 'versaftet' und so trinken wir immer öfter halbeliterweise Fruchtsaft, Mann der schmeckt! Unglaublich, ich sage euch, und gibt Energie zum Bäumeausreißen! Leider muss man anschließend fünf Minuten lang den Juicer putzen, aber der Saft entschädigt für alles, so cremig und sagenhaft wie er ist. Auch Joggen am Strand soll gesund sein, also werde ich ab sofort jeden Dienstag und Donnerstag, bevor ich mich an meinen Heimarbeitsplatz begebe, zum Strand fahren (20 Minuten), und eine Stunde im Sand laufen, knapp an den ankommenden Wellen vorbei. Tja, eben voll amerikanisiert, der Mann.

Benzinpreise

(Michael) In den Nachrichten war kürzlich zu hören, dass in Oakland eine Erdöl-Raffinerie gebrannt hat, und nur ein paar Tage später passierte ein zweites Unglück in Richmond, auch gleich in der Nähe von San Francisco. Nachdem auch noch die OPEC-Länder irgendwas mit den Preisen rumgewurschtelt haben, katapultierte es die Benzinpreise in und um San Francisco innerhalb von ein paar Tagen in schwindelerregende Höhen. Obwohl ja nur eine Benzin-Marke von dem Unglück betroffen war, sprangen auch die anderen Firmen, nicht blöd, auf den Wagen auf und zogen ebenfalls kräftig die Preise an. Dies hat nun zur Folge, dass das Benzin statt wie üblich $1.20 pro Gallone (58 Pfennig pro Liter) $1.65 (79 Pfennig pro Liter) kostet, ein Wahnsinn! Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich zwanzig Dollar für einen vollen Tank hinlatzen musste statt $15 sonst. Daß das Benzin in Amerika im Vergleich zu den europäischen Ländern immer noch relativ billig ist, liegt übrigens nicht daran, dass es billiger produziert würde, sondern daran, dass der Staat hier so gut wie keine Steuern auf Benzin erhebt -- weil der Amerikaner das Autofahren mit der Muttermilch eingesogen hat und ein Auto zu besitzen das Selbstverständlichste von der Welt ist, ein Amerikaner ohne Auto ist wie ein Cowboy ohne Pferd. Oder, wie es neulich jemand an der Bushaltestelle ausgedrückt hat, als der Bus mal wieder nicht kam und er sich über die öffentlichen Verkehrsmittel aufgeregt hat: "They're assuming everybody's got a car! Don't have one? Fuck you!". Die Übersetzung lasse ich lieber bleiben.

AOL kauft Netscape

(Michael) Und, vielleicht habt ihr's ja in den Nachrichten gehört, bei AOL geht's zur Zeit drunter und drüber. Für zehn Millarden Dollar hat AOL ja kürzlich den Internet-Pionier Netscape geschluckt. AOL ist ja hauptsächlich an der Ostküste vertreten (mit 9000 Leuten) und verfügt nur über einen kleinen Ableger (100 Leute) an der Westküste bei uns in San Mateo. Die gekaufte Firma Netscape hat ihren Sitz in Mountain View im Silicon Valley, etwa 30 Kilometer von San Mateo entfernt, dort arbeiten etwa 2500 Leute. Mit dem Zusammenschluss kam eine große Umstrukturierungsaktion, in der Presse waren 450 Entlassungen bei Netscape und 450 bei AOL angekündigt. So kam es: Plötzlich wurde bekanntgegeben, innerhalb zweier Wochen würde entschieden, wer bleiben dürfe und wer gehen müsse. Am Tag der Entscheidung, drei Tage später, waren die Konferenzräume, in die man sonst durch die sie umgebenden Glasscheiben schauen kann, mit Papier zugeklebt und die Leute wurden zu Meetings gerufen, vorher wurde den Entlassungskanditaten die traurige Nachricht übermittelt. Ich war ganz schön geschockt, zu erfahren, dass es meinen Cubicle-Nachbarn Dan und meinen Kollegen Jeff erwischt hatte -- zwei von zehn Ingenieuren wurde einfach gekündigt! Nun hat man den beiden eine Übergangszeit von 4 Monaten anberaumt, in denen sie sich neue Stellen suchen können und auch das Entschädigungspaket mit drei Monatsgehältern ist besser als anderswo üblich (wo man nämlich sofort rausgeworfen wird), aber dennoch war dieser Mittwoch ein "tougher" Tag. Auch von den anderen Abteilungen wurden schließlich die Kündigungen bekannt und es gab viele Tränen, ein trauriger Tag. Tja, die Arbeitswelt in Amerika ist hart. Äh, ja, ich vergaß: Das Ganze hat natürlich zur Folge, dass ich statt nach San Mateo künftig nach Mountain View ins Büro reisen muss, was statt einer halben Stunde mit dem Auto fast eine Stunde ist -- aber ich werd's überleben. Die positive Seite daran ist, dass bei Netscape um die zwanzig Gebäude mit viel Platz stehen und es sich um eine richtige Internetfirma der ersten Stunde handelt: Man muss nicht nur lange Haare haben und ein Skateboard besitzen, um dort zu arbeiten, es gibt auch einen Campus mit 20 Gebäuden einschließlich Garten und Teich, eine Cafeteria, viele Billardtische, Räume mit Sofas auf denen man sich zum Überlegen hingrunzen kann, eine Concierge, der man Aufträge zum Erledigen hinterlassen kann (z.B. "Bitte ein halbes Pfund Wurst einkaufen") und dergleichen mehr. Na, ich bin gespannt.

Bis zum nächten Rundbrief!

Eure Amerika-Abenteurer:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 25-May-2024