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Angelika/Mike Schilli |
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Ihr lieben Daheimgebliebenen!
(Michael) Und hier bin ich wieder meine lieben Freunde aus dem fernen Deutschland! Euer Michael, der die letzten fünf Monate geackert hat wie ein Blöder, jedes Wochenende am Computer verbrachte und unter der Woche in der Endphase gerade noch mal auf vier Stunden Schlaf pro Nacht kam, hat sein Lebenswerk abgeschlossen und endlich die zweite Auflage seines Buches im Kasten: Im Juli kommt "GoTo Perl 5" in die Läden, möge es die Leser erfreuen und die Kassen klingeln lassen!
Nach wie vor fahre ich ja mit dem Fahrrad und dem Zug zur Arbeit, und als ich neulich in San Mateo wieder den Berg hinaufgestrampelt bin, ein Lieferwagen mich überholte und es einen dumpfen Knall gab, wäre ich fast erschrocken! Dann sah ich, dass das der Zeitungsjunge ist, der mit Tempo 20 km/h an den Bungalows vorbeifährt und im Fahren die in Plastikhüllen eingeschweißten Tageszeitungen im 5-Sekunden-Takt in die Einfahrten wirft. Wroom -- Tok! Wrooom -- Tok! Wroom -- Tok! Nachdem der Ami keinen Wert darauf legt, die Zeitung im Briefkasten zu haben, und es ihn nicht stört, dass die Zeitung so mal halb unterm geparkten Auto, mal beim liegengelassenen Kinderspielzeug landet, schafft der Zeitungsjunge einen Schnitt von 12 Zeitungen pro Minute. Clever!
Nachdem unser Team für das neue Projekt in der Firma recht hart arbeiten musste, dachte sich unser Chef, es wäre doch ganz gut, wenn wir etwas "Dampf ablassen" könnten und lud uns kurzerhand zum Laser-Tag (sprich: Leyser-Täg) ein. Das ist ein für deutsche Verhältnisse vielleicht recht martialisches Spiel (ich glaube, in Dasing oder so gibt es das auch schon), man bildet zwei Teams à 10 Leute, jeder bekommt eine Art Rüstung umgeschnallt und eine Laser-Kanone, die man wie eine Uzi-Maschinenpistole umhängt, und dann gehen beide Teams in einem etwa 20m mal 20m großen Raum, der ein Labyrinth von Hindernissen und Nebelschwaden enthält, unter Techno-Musik aufeinander los. Trifft man mit der Laser-Kanone, die einen richtigen Laser abfeuert, den man im Nebel toll sieht, einen Gegner an der Rüstung, gibt's 'nen Punkt, wird man selbst getroffen, gibt's 'nen Minuspunkt und für fünf Sekunden springt ein Schutzschild an, aus der Rüstung plärrt eine Automaten-Stimme: "Shield active! Shield active!". Dieser Zeitspanne folgen dann fünf weitere Sekunden, in denen man weder schießen kann, noch geschützt ist, da heißt es: In Deckung gehen, während die Stimme schnarrt: "Warning! Warning!". Das Ganze ist natürlich mit sehr viel Rennen und Auf-Den-Boden-Werfen verbunden: Nach einer Stunde waren wir alle total am Ende und nassgeschwitzt -- und auch der Muskelkater am Tag danach war nicht von Pappe. Natürlich erhält man nach Spielende einen Computer-Ausdruck, auf dem einzeln aufgelistet ist, welchen Gegner man wie oft getroffen hat und welchen Platz man innerhalb seines Teams einnahm. In einer der vier Runden musste ich viele Treffer einstecken, weil ich unbedingt das gegnerische Hauptquartier zerstören wollte, und prompt hieß es auf dem Ausdruck: "You're real cannon fodder".
Inzwischen arbeite ich ja nur noch drei Tage in der Woche im Büro: Montag, Mittwoch und Freitag. Dienstags und donnerstags darf ich von zu Hause aus arbeiten, "Tele-Commuting" ist das große Stichwort, mit "Pendeln per Telefon" ließe sich das wohl noch am ehesten übersetzen. Das spart mir 30 Kilometer Anfahrt von San Francisco nach San Mateo und wird von immer mehr Amerikanern genutzt, die eh den ganzen Tag am Telefon oder am Computer arbeiten. Da wir eine zweite Telefonleitung (kostet nur $15 im Monat) haben und hier die Ortsgespräche nichts kosten, kann ich den ganzen Tag über das Internet am Rechner der Firma rumspielen und meine Programme entwickeln. Einmal stimmte um Mitternacht das Datum auf www.aol.com nicht, da habe ich mich von zu Hause aus in das supersichere interne Netzwerk eingewählt und eine korrigierte Webpage draufgespielt. Angesichts der Tatsache, dass diese Seite von mehr als 10 Millionen Leuten gesehen wird, hatte ich schon ein wenig Bammel, aber man gewöhnt sich an alles. Findet in der Firma gerade eine Besprechung statt, an der ich teilnehmen will (oder muss!) wähle ich mich über die andere Leitung in eine Konferenzschaltung ein und kann so mit mehreren Leuten gleichzeitig ratschen, die entweder auch zu Hause sind oder im Büro arbeiten. Sitzt man tatsächlich mal in einem Meeting in der Firma ist es nicht ungewöhnlich, dass aus einem Lautsprecher im Konferenz-Tisch auch Stimmen von Leuten kommen, die gerade nicht am Ort sind. Daheim bei uns sieht das Ganze natürlich so aus, dass ich am Morgen gemütlich um neun Uhr aufstehe und zunächst ungewaschen -- zu Angelikas Freude -- in meiner alten Jogginghose am Rechner sitze. Wenn dann mal der erste Teil der Arbeit erledigt ist und alles halbwegs läuft, wird irgendwann mal gemütlich geduscht und gefrühstückt, mittags hole ich dann dienstags vom Mexikaner einen Burrito und donnerstags vom Supermarkt ein Salami-Sandwich und Sushi, ganz lässig schlappe ich in kurzen Hosen die 24te Straße hoch und grüße die Ladenbesitzer, die uns schon gut kennen. Nachmittags nehme ich dann gerne mal ein Bad zwischendurch ... mein Traum wäre es ja, dass ich irgendwann mal von der Badewanne aus an einem Meeting teilnehme, aber leider haben wir noch kein drahtloses Telefon ...Arbeiten von zu Hause
Zugfahren ist in Amerika völlig unpopulär -- wer verreisen will, nimmt wegen der großen Entfernungen lieber das Flugzeug. Beim Amtrak kommt einem schon auf dem Bahnsteig ein Schaffner entgegen, zeigt einem, wo man einsteigen kann, ein andrer legt ein kleines Brückchen an den Einstieg, damit man sich an der 20cm hohen Stufe ja nicht verletzt. Die Sitze in der "Coach" (normaler Zugwaggon) sind ein gutes Stück breiter als die Erster-Klasse-Sessel bei uns und so weit auseinander, dass man bequem die Beine ausstrecken kann, und zwar ganz! Speisewagen gibt's natürlich auch und als Besonderheit einen Aussichtswaggon, in dem die Sitze nicht nach vorne sondern zu den sich vom Boden bis zur Decke erstreckenden Fenstern hin ausgerichtet sind. Dort haben wir -- wieder mit einem Flascherl Wein -- mehrere Stunden nur im Vorbeifahren beobachtet, wie Pazifik-Wellen an die Steilküste krachten.
In Oxnard (bei L.A.) angekommen, übernachteten wir im Motel und setzten am nächsten Tag auf die Channel Islands über, vorgelagerte Inseln, die völlig unbewohnt sind und auf denen man schön wandern kann, nachdem man vom Schiff aus mit einem Schlauchboot an Land gebracht wurde.
Die Schiffstour dorthin dauert einfach 2 Stunden und wir haben einen sicher 10m langen Finnwal und dutzende putzige Delphine gesehen, die mit dem Boot mitgeschwommen und in den Bugwellen rumgesprungen sind. Am Tag darauf ging's wieder mit dem Amtrak zurück -- das war schließlich nur ein Wochenende. Mit den zehn Tagen Urlaub im Jahr, die man hier in Amerika kriegt, müssen wir sparsam umgehen.
Nachdem Angelika "toooootal" im Stress ist wegen ihrer vielen Kurse kann sie diesmal garnix beitragen! Die feine Dame hat ja jetzt an der Berkeley-Uni sogar einen Fotokurs mit Dunkelkammer-Erfahrung belegt und schon ihren ersten Schwarz-Weiß-Film entwickelt.
Mit verbundenen Augen hat sie daheim immer wieder geübt, die Filmdose zu öffnen und den belichteten Film auf eine Entwickler-Spule aufzuspannen, denn in der Dunkelkammer gibt's für diesen Arbeitsgang kein Licht. An der Uni darf sie nun, solange der Kurs andauert, ein Labor benutzen und mit Chemikalien rumwerkeln, bis schließlich die ersten Schwarz-Weiß-Abzüge entstehen. Ganz ungefährlich freilich ist das Ganze nicht: Neulich hatte sie doch glatt eine Beule am Kopf, da sie im Dunkeln gegen eine Wand gerannt ist, hahaaaa ... Mittlerweile sind schon die ersten Abzüge fertig und die sind richtig gut geworden, jaja, die Frau Fotografin, bald im Ansel-Adams-Museum zu sehen ... Schluss für heute! Macht es gut! Lasst was hören!
Angelika und Michael
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