25.09.2005   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 56  
San Francisco, den 25.09.2005


Angelika In Deutschland hat ja mittlerweile auch schon jedes Geschäft sein eigenes Bonusprogramm. Kauft der Kunde etwas, werden Bonuspunkte auf Chipkarten gebucht, die dieser dann später einlösen kann. Als ich kürzlich bei einem Deutschlandbesuch etwas in einer Apotheke kaufte, bekam ich glatt verschieden farbige Plastiktaler ausgehändigt und dazu einen Prospekt, der erläuterte, wieviele Taler ich brauche, um beispielsweise eine Packung Tempos umsonst zu erhalten. Amerikanische Verhältnisse!

Hier in den USA braucht man ja schon ein eigenes Portemonnaie, um dem Ganzen Herr zu werden. Denn nicht nur jeder Supermarkt händigt Clubkarten für künftig zu erwerbende Sonderangebote aus, sondern auch der Kaffeeladen um die Ecke lockt mit Stanzkarten. Bei zehn ausgestanzten Löchern, d.h. zehn bezahlten Kaffeegetränken, gibt es das nächste umsonst. Die Absicht ist natürlich, den Kunden an den eigenen Laden zu binden. Die Supermarktkarten erlauben darüber hinaus, das Kaufverhalten des Kunden zu studieren oder ihn später gezielt zu bewerben. Datenschutz wird in Amerika weniger ernst genommen als in Europa.

Mir sind diese Kärtchen mittlerweile nur noch lästig, denn ich vergesse sie andauernd, weil ich nicht ständig mit einem superschwerem Portemonnaie herumlaufen will. Um so mehr liebe ich deshalb Läden wie "Trader Joe's". Diese ungewöhnliche Supermarktkette händigt weder Clubkarten aus noch gibt es in dem Laden ein einziges Sonderangebot.

Ein fast schon revolutionäres und gleichzeitig unamerikanisches Konzept. Das Firmenmotto ist: "Trader Joe" bietet immer alles zu Tiefstpreisen an. Deutsche Touristen staunen in amerikanischen Supermarktketten wie "Safeway" immer, wie breit die Gänge dort sind und welches Überangebot an Waren (z.B. im Gang mit den verschiedenen Cornflakes-Sorten) dort herrscht.

"Trader Joe's" wartet in kleineren Läden in oft abgelegeneren Gegenden in schmalen Gängen mit einem begrenztem Sortiment auf. Waren tragen oft keine Markennamen, sondern das Label "Trader Joe's". Auch die typischen amerikanischen Großpackungen sucht der Kunde vergeblich. Eine Flasche Bier kostet genau ein Sechstel eines Sixpacks.

Das Sortiment lässt europäische Herzen höher schlagen: europäische Käsesorten zu vernünftigen Preisen, exklusive Weine, gutes Olivenöl, tolle Schokolade z.B. von Droste, Fruchtsäfte ohne Zuckerzusatz, Chips ohne Farbstoffe und künstliche Geschmacksverstärker, Eier von glücklichen Hühnern, ungeschwefelte getrocknete Früchte sowie diverse Bioprodukte, die das Ökoherz erfreuen.

Die Waren werden nur in Papiertragetüten verpackt. Auf die Frage "Paper or plastic?" wartet ihr vergeblich beim "Trader". Und auch über unsere riesige blaue Plastikwanne, die wir immer mitbringen und in die wir unsere Waren zum Transport packen, rümpft keiner die Nase. Die meisten Kunden packen ihre eingekauften Sachen selber ein. Das scheint irgendwie ein ungeschriebenes Gesetz in amerikanischen Alternativläden zu sein. Probiert das aber nicht in einem normalen Supermarkt, das könnte euch böse Blicke von den Kassierern einhandeln, die dann denken, sie wären nicht schnell genug.

Abbildung [2]: Kaffee der Hausmarke "Trader Joe's"

Vollzeitangestellte erhalten beim "Trader Joe's" Krankenversicherung und die Firma zahlt Beiträge in eine Betriebsrente ein, obwohl die Mitarbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Interessanterweise gehören nämlich in Amerika viele Angestellte in Supermarktketten wie Safeway der Gewerkschaft an und arbeiten unter ausgehandelten Gewerkschaftsverträgen. Das führt meist zu besseren Stundenlöhnen und sozialer Absicherung (sprich Krankenversicherung). Wenn ihr also von streikenden Safeway-Mitarbeitern hört, geht es darum, dass die Verträge neu ausgehandelt werden und meist erbitterte Kämpfe um die Leistungen wie Krankenversicherung entfachen. Die Stundenlöhne sollen beim "Trader Joe's" übrigens höher sein als bei Supermärkten, die unter Gewerkschaftsverträgen zahlen.

Ein gewisser Joe Coulombe gründete "Trader Joe's" in Südkalifornien. Er war stolzer Besitzer einer kleinen Lebensmittelladenkette, den "Pronto Markets" und musste in den späten 60er Jahren einen Weg finden, sich gegen die zunehmende Konkurrenz von 7-Eleven-Läden durchzusetzen. So beschloss er, seine Läden mit Feinkostartikeln und guten Weinen zu erschwinglichen Preisen aufzupeppen -- das war die Geburtsstunde von "Trader Joe's". In den späten Siebzigern verkaufte er alles und dreimal dürft ihr raten an wen: Theo Albrecht, einen der deutschen Aldi-Brüder. Während es an der Ostküste Amerikas schon Aldi-Läden gibt, sind sie in Kalifornien unbekannt. Von außen sieht man der Kette Trader Joe's ihre Aldi-Zugehörigkeit jedoch überhaupt nicht an, das käme bei der eher alternativen Kundschaft wohl nicht so gut an.

Abbildung [3]: Rainbow Groceries

Der politisch-überkorrekte Ökofreund geht in San Francisco allerdings zum "Rainbow", denn schließlich handelt es sich beim "Trader Joe's" um eine Kette mit mittlerweile über 200 Läden in den USA. Michael behauptet immer, dass man beim Rainbow nur einkaufen kann, wenn man mindestens ein Piercing oder eine Tätowierung hat und Vegetarier bzw. Veganer oder Alt-Hippie ist.

Der Supermarkt befindet sich im Besitz der Mitarbeiter, die nicht nur den Laden schmeißen, sondern auch gemeinschaftlich bestimmen, welche Produkte verkauft werden. Fleisch sucht ihr vergeblich beim "Rainbow". Anfang der Siebziger, zu San Franciscos Hippie-Zeiten, startete ein in dieser Stadt existierenden Aschram, also eine spirituelle Gemeinschaft -- ihr wisst schon mit Guru und so -- die Rainbow-Bewegung. Es sollte vegetarische, "reine" Lebensmittel zu kaufen geben. Das erste Geschäft wurde von ehrenamtlichen Mitarbeitern - also unbezahlten - geführt. Nach einigen Umzügen befindet sich der Laden jetzt auf der Folsom Street und ist recht groß. Am Anfang dachte ich immer, dass man Mitglied sein müsste, um beim "Rainbow" einzukaufen. Weit gefehlt: Rainbow ist sozusagen ein Ökosupermarkt für jedermann, mit eben der Besonderheit, dass die Mitarbeiter auch die Besitzer sind.

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 24-Jun-2017