Angelika/Mike Schilli |
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Angelika Ich habe es ja geahnt: Kommt ein Erbeben, müssen wir uns selbst helfen. Die Bilder und Berichte über das Versagen der amerikanischen Regierung und auch der lokalen Politiker an der amerikanischen Golfküste, Hilfsmaßnahmen nach dem Hurrikan Katrina schnellstmöglich auf den Weg zu bringen, geben mir recht. Von weitreichenenden vorbeugenden Maßnahmen für eine voraussehbare Katastrophe ganz zu schweigen. Selbst Michael lästert nicht mehr über meine Erdbebennotkisten, die unter unserem Bett verstaut sind, und uns mit solchen Dingen wie Wasser, Lebensmitteln, batteriebetriebenem Radio, Erste-Hilfe-Kasten, warmen Klamotten im Falle eines schweren Erdbebens versorgen können (Rundbrief 04/1999).
Auch über unsere Kärtchen, die wir beide im Portmonnaie tragen und die neben Telefonnummer außerhalb Kaliforniens (die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass diese funktionieren) den Ort auflisten, wo wir uns treffen, wenn es gewackelt hat und unser Haus nicht mehr bewohnbar ist, macht er sich nicht mehr lustig. Nur meinte er neulich, dass wir noch eine Waffe bräuchten, um unsere Vorräte dann auch verteidigen zu können (haha!). Falls ihr denkt, dass San Francisco auf ein großes Erdbeben vorbereitet ist, hege ich da meine Zweifel. Der Hickhack um die Bay Bridge in San Francisco, die das Loma-Prieta-Erdbeben 1989 beschädigte und die danach nur notdürftig geflickt wurde, lässt Böses ahnen. Es dauerte mehr als 12 Jahre (Frühling 2002), bis schließlich die Baumaßnahmen zur Erdbebensicherung der Bay Bridge begannen.
Die Fertigstellung des neuen Brückenbogens, der Oakland auf halben Weg nach San Francisco mit den Inseln Treasure und Yerba Buena Island verbindet, dauert allerdings noch Jahre. Über die Bay Bridge zu fahren, bleibt weiterhin ein Spiel mit dem Feuer. Unser Bürgermeister Gavin Newsom startete zumindest die 72-Stunden-Kampagne. Plakate und Werbung auf Stadtbussen sollen uns Einwohner von San Francisco ermahnen, uns darauf vorzubereiten, uns im Notfall für 72 Stunden selbst versorgen zu können (siehe meine Erdbebennotkisten in Abbildung 1). Die Webseite www.72hours.org hilft bei den Vorbereitungen weiter. Und wenn alle Stricke reißen, hoffen wir auf eure Care-Pakete aus Deutschland.
Wunderten wir uns nun über das Chaos in New Orleans und Co nach dem Hurrikan? Eigentlich nicht! Michael meinte gleich zynisch, was erwartet man von einer Nation, die vieles nur notdürftig mit dickem, starkem Klebeband ("Duct Tape", Rundbrief 03/2003) repariert und auch sonst eine gewisse Wurstigkeit beim Bauen an den Tag legt. Hauptsache es geht schnell und funktioniert irgendwie. Auch der uneingeschränkte Optimismus der Amerikaner, dass alles schon nicht so schlimm kommen wird, spielte sicherlich eine Rolle. Von den Umweltsünden, die in New Orleans begangen wurden, ganz zu schweigen.
Bei einer Stadt, die unter dem Meeresspiegel liegt und regelmäßig von Hurrikans bedroht wird, dienen die Sumpfgebiete ("wetlands") als wichtiger Puffer für Wind und Wasser. Nur leider verschwanden diese immer mehr, um Bauland zu schaffen. Namhafte Experten meinen deshalb, dass beim Wiederaufbau in New Orleans nicht nur die Dämme zu erhöhen, sondern auch die Sumpfgebiete wiederherzustellen sind. Leider hören wir davon wenig bei den Verantwortlichen, besonders Präsident Bush. Der bestreitet auch, dass es so etwas wie eine Erderwärmung gibt, die zu stärkeren Hurrikans führen kann, da helfen die aufklärenden Artikel in der New York Times und im New Yorker wenig, denn Bush liest bekanntlich keine Zeitung, sondern lässt seine Berater berichten.
Die erhöhten Benzinpreise als Folge des Sturms, weil u.a. die Erdölproduktion in den betroffenen Gebieten brach liegt, sorgen ihn hingegen schon. Und natürlich seine schwindenden Popularitätswerte. Wir glaubten diesen Tag ja nicht mehr erleben zu dürfen, aber die Presse -- selbst Bushs rechte "Propagandaorgane" -- fielen wie nichts Gutes über ihn her. Auch in der Bevölkerung machte sich plötzlich starker Unmut breit: Das reichste Land der Welt schaffte es nicht, seine eigenen Leute (sprich waschechte Amerikaner) aus den Fluten rechtzeitig zu retten und New Orleans verfiel in anarchische Zustände. Das kommt auch bei Konservativen nicht an, so dass Bush das erste Mal in seiner Amtszeit zähneknirschend eingestand, Mist gebaut zu haben.
Vor der angestrahlten Kathedrale St.Louis im French Quarter in New Orleans hielt er eine Rede ans Volk; auch um sein Image aufzubessern. Vor der Liveübertragung erwähnte der Kommentator übrigens witzigerweise, dass das Weiße Haus darauf hinweist, dass die Kathedrale durch eigens eingeflogene Generatoren im hellen Licht erstrahlt, denn in vielen Vierteln in New Orleans fehlte noch der Strom. Man wollte wohl bösen Stimmen vorbeugen, dass der Präsident Ressourcen vor Ort verschleudert, während die Bevölkerung im Dunkeln sitzt.
Die Rede enthielt die üblichen Versprechen der Hilfe zum Wiederaufbau, vor allen Dingen finanzieller Art. Interessant war, dass Bush das Thema der Armut, die in der Rassendiskriminierung verwurzelt ist, aufgriff. Ihr habt die Fernsehbilder gesehen: Hauptsächlich Arme, Alte und Schwarze blieben in New Orleans zurück, also die, die nicht über die Mittel verfügten, die Stadt zu verlassen, sprich weder Auto noch Kreditkarte besaßen.
Das liegt natürlich auch daran, dass die Schwarzen fast 70% der Bevölkerung in New Orleans ausmachen. Aber Schwarze gehören leider überproportional zu der Gruppe der amerikanischen Armen. Die Erwähnung von Schwarzsein und Armsein wirkt aber eher wie ein Lippenbekenntnis von Bush, denn unter seiner Präsidentschaft erhöhte sich der Anteil der Armen. Die Steuersenkungen für die Reichen im Land bei gleichzeitiger Weigerung, den Mindestlohn zu erhöhen, straft seine Worte ebenfalls Lügen. Und obwohl die Amerikaner enorme Summen spenden (wie auch jetzt im Fall des Hurrikans), vertreten noch viele die Ansicht, dass Armut selbst verschuldet sei und staatliche Programme der falsche Weg aus der Misere sind.
Die langsame Reaktion der Bush-Regierung, Hilfe ins Katastrophengebiet zu schicken, wurzelt auch in der Überzeugung der Republikaner, also Bushes Partei, dass dem Staat eine möglichst kleine Rolle im Leben der Amerikaner zukommen sollte. Schon Präsident Reagan prägte den Satz, dass der Staat nicht die Lösung, sondern das Problem ist ("Government is the problem not the solution."). Die angeschlagene Behörde des Katastrophenschutzes FEMA ("Federal Emergency Management Agency"), die unter Cllinton aufblühte und unter Bush verkümmerte, ist das beste Beispiel. Erschwerend hinzukommt, dass Bush gerne Vetternwirtschaft betreibt, d.h. Leute auf Positionen setzt, die mit ihm verbandelt, aber nicht unbedingt für den Job geeignet sind. Der FEMA-Chef Michael Brown, der mittlerweile sein Amt niederlegte, hatte z.B. keinerlei Erfahrung im Management von Katasthrophen. Da hätte man auch mich mit meinem einen Erdbebentrainig einstellen können.
Wir werden sehen, ob aus den Fehlern bereits gelernt wurde, denn der nächste Hurrikan, nämlich "Rita", steht vor der Tür. Auf jeden Fall ließen sich die Bewohner von Houston nicht zweimal bitten, die Stadt zu verlassen, was allerdings zu einem totalen Chaos auf den Autobahnen führte. Nichts ging mehr. Es wäre vielleicht schlauer und effizienter, wenn die Leute nicht alle mit dem eigenen Auto flüchten, sondern z.B. Sammelbusse bereit gestellt würden, die zu Notunterkünften führen, denn Hotelzimmer gibt es mittlerweile auch nicht mehr. Aber mich fragt ja keiner.
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