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Angelika/Mike Schilli |
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Michael Nun ist die Präsidentenwahl ja gelaufen, aber die Rundbriefleser fragen sich sicher, wie wählen die Leute in Amerika überhaupt? Während in Deutschland oft in der nächstgelegenen Grundschule ein Wahllokal aufmacht, geht es hier in San Francisco auch manchmal etwas rustikaler zu. So betreiben in unserem Viertel einige Anwohner offizielle Wahllokale in ihren hauseigenen Garagen. Das ist kein Witz, sondern wie ihr an den Fotos sehen könnt, bekommen diese Freiwilligen offizielle Wahlurnen und -zettel und sind fürs ordnungsgemäße Abliefern der abgegebenen Stimmen an die offiziellen Stellen verantwortlich.
Wegen des in Amerika "Electoral College" genannten Wahlverfahrens bestimmt ja jeder Bundesstaat einzeln den Präsidenten. Teilweise gibt es in einigen Staaten aber historische Vorlieben, und da ein Kandidat pro Bundesstaat nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip gewählt wird, bräuchte in Kalifornien ein Anhänger der republikanischen Partei eigentlich erst gar nicht zur Wahl zu gehen, denn seit 40 Jahren hat Kalifornien immer für den demokratischen Kandidaten gestimmt. Gerüchtehalber hätte in Kalifornien selbst ein demokratischer Pappkamerad immer noch mehr Chancen als der moderateste konservative Politiker.
Aber wie immer wurde die Präsi-Wahl auch dieses Mal in einen Topf geworfen mit den in Kalifornien so üppig praktizierten Volksbegehren, den sogenannten "Ballot Measures". Über alles und jedes darf der Bürger hier direkt abstimmen, so zum Beispiel in der "Proposition 18", ob das Wahlalter auf 17 Jahre gesenkt werden soll (abgelehnt mit 56%). Oder "Proposition 16", die es dem Bundesstaat im Widerspruch zur Verfassung erlaubt hätte, ethnische Minderheiten bevorzugt zu behandeln (abgelehnt mit 57.2%). Oder "Proposition 22", die es den Taxiunternehmen Uber und Lyft erlaubt, Fahrer als freie Mitarbeiter (und nicht als Angestellte) zu beschäftigen (bestätigt mit 58.6%).
Geht also ein Kalifornier in so ein Garagen-Wahllokal, bekommt er einen Riesenwahlzettel und muss nicht nur "Trump" oder "Biden" ankreuzen, sondern mehrere Dutzend Kästchen mit numerierten Propositions. Die Ballot Measures werden je nach Gutdünken der Antragssteller benannt, und ist es oft gar nicht so einfach, herauszufinden was man mit der Wahl von "Ja" oder "Nein" erreicht. Die Wahl zur Proposition 16 zum Beispiel war folgendermaßen formuliert: "Repeal Prop 209 Affirmative Action Amendment". Es ging also um den Widerruf einer alten Proposition aus dem Jahr 1996, die es dem Staat untersagte, Bürger ungleich zu behandeln, nur um zurückliegenden Minderheiten Vorteile zu verschaffen.
Das war damals ein Stopp der sogenannten "Affirmative Action", einem Staatsprogramm, das versuchte, die Lebensumstände von Minderheiten wie Schwarzen oder Latinos mit staatlichen Eingriffen zu verbessern, indem es sie zum Beispiel bevorzugt bei der Vergabe von Studienplätzen berücksichtigte, natürlich zum Ärger anderer Gruppen wie Weißen oder Asiaten, die trotz besserer Noten den Kürzeren zogen. Also bestimmte Prop 206 im Jahre 1996, dass dies nicht rechtens sei. Prop 16 im Jahre 2020 rollte dieses alte Thema nun wieder auf und wollte diese Ungleichbehandlung wieder legalisieren. Wer also auf seinem Stimmzettel mit "Ja" stimmte, sprach sich für die Rücknahme der alten Proposition aus, also für die Legalisierung der Ungleichbehandlung.
Mit "Nein" stimmte man gegen das Zurücknehmen, also für die Beibehaltung der bisherigen Praxis der Gleichbehandlung. Damit das auch Leute ohne Abitur nicht überfordert, erklären Internetseiten wie ballotpedia.org was bei jeder Frage "Ja" und was "Nein" bewirkt, und die Wähler betreten die Wahllokale oft mit selbstgeschriebenen Tabellen, die bestimmen, bei welcher Nummer sie welches Kasterl ankreuzen, damit sie auch das politisch erreichen, was sie sich zuhause überlegt haben. Manche nehmen auch ein Aktivistenspickzetterl mit, auf denen andere Leute, denen die Wähler vertrauen, die empfohlenen Kreuze zum Abschreiben auflisten. Das Ergebnis: Wie oben schon erwähnt, wurde Prop 16 mit 57.2% von den kalifornischen Wählern abgelehnt, es bleibt also weiterhin illegal, dass der Staat Minderheiten Vorteile gewährt. Der Grundsatz der Gleichbehandlungs bleibt bestehen.
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