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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 125  
San Francisco, den 01.05.2018
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Rundbrief


Abbildung [1]: Millennials brausen mit Elektrorollern durch die Landschaft.

Michael Hier in der Stadt und weiter südlich im Silicon Valley nimmt nicht nur die Zahl der Teslafahrer stetig zu, auch immer mehr muskelverstärkende Elektrofahrzeuge für die Kurzstrecke zischen inzwischen deutlich sichtbar durch die Straßen, meist gesteuert von sogenannten Millennials, oder Internet-Lemmingen, wie ich sie gerne nenne.

Im Rundbrief 08/2017 habe ich schon einmal über das Stadtfahrradprogramm "Ford GoBike" berichtet, das traditionelle Tretfahrräder ausleiht, die man nach einer halben Stunde wieder an einer der vielen Dockstationen in der Stadt abliefern muss. Der nächste Schritt waren sogenannte "Jump Bikes", die man nach Gebrauch einfach irgendwo abstellt, denn sie melden sich selbständig bei der Zentrale, und funken ihren Standort mittels eines GPS-Empfängers heim, damit der nächste Kunde sie gleich buchen kann. Ein weiterer Vorteil der Jump-Bikes: Sie fahren mit Elektromotor, der den Radfahrer tatkräftig beim Treten unterstützt, so dass dieser die Hügel San Franciscos hochbraust wie nichts und sich dabei vorkommt wie Supermann. Aber Vorsicht: Die Räder zischen so schnell bei Grün an der Ampel los, dass sich angeblich schon einige Unfälle ereignet haben, weil Autofahrer, wie in San Francisco gang und gäbe, in der Querrichtung noch schnell bei Dunkelrot durchdrückten.

Seit kurzem hat auch Ford GoBike, bei denen ich letztes Jahr im September eine Jahresmitgliedschaft erworben habe, sogenannte "Plus"-Fahrräder im Angebot, deren Elektromotor kraftvoll beim Treten hilft. Während ich sonst immer auf den letzten Metern hoch zu unserer Wohnung auf der Chattannooga-Straße bei 8% Steigung in den ersten Gang schalten und kräftig treten musste, um nicht ganz stehen zu bleiben, ging's mit dem eBike im Affentempo hoch, wie ihr auf meinem Video sehen könnt.

Video: Handy-Video des eBike-Aufstiegs

Allerdings gab das eBike nach 20 Metern auf, als ich versuchte, die 23% steile Hill Street hochzuradeln, dafür ist der Motor wohl zu schwach.

Abbildung [2]: Die Firma "Jump" verleiht Elektroräder per App.

Der neueste Trend sind bis zu 30km/h schnelle Elektroroller, mit denen junge Leute teilweise über die Gehwege der Stadt brettern. Die New York Times brachte neulich einen Artikel über Travis VanderZanden, den Gründer der Leihrollerfirma "Bird" aus Los Angeles, die ähnlich wie die Taxifirmen Uber und Lyft nach dem Motto "erstmal loslegen, dann Genehmigungen einholen" einfach Roller auf San Franciscos Gehsteigen verteilte, die die jungen Leute dann begeistert über eine Handy-App mieteten.

Abbildung [3]: Sogar auf ungeteerten Wegen sausen die Leute mit elektrischen Skateboards umher.

Die Gewerkschaftsfritzen und obersten Bürokratiehengste der Abteilung "San Francisco Public Works" beschlagnahmten denn auch gleich Dutzende auf dem Gehweg abgestellter Roller. Interessant nur, dass die gleiche Abteilung offensichtlich in tiefem Büroschlaf verweilt, während auf den Gehsteigen Zeltstädte entstehen, in denen Drogenabhängige ihre gestohlenen Fahrräder horten und sich in aller Öffentlichkeit Heroin spritzen und zur Freude der Anwohner anschließend die Nadeln einfach fallen lassen (Rundbrief 02/2016). Einer reichen Firma die Roller wegzunehmen ist halt weniger kontrovers.

Abbildung [4]: Die Leihroller lässt man nach Gebrauch einfach auf dem Gehweg stehen.

Auch bei elektrischen Skateboards (Rundbrief 10/2016) scheiden sich die Geister. Ihre Besitzer loben den Fahrspaß in den höchsten Tönen, doch die Autofahrer nervt der zusätzliche Verkehr auf den Fahrradspuren und alteingesessene Skateboardfahrer verachten die jungen reichen Flitzer als faul und eingebildet.

Wie immer, wenn etwas Neues kommt, streiten sich in San Francisco nun die Fraktionen der NIMBYs mit den forschen Trendsettern. NIMBY steht für "Not in my Backyard" und bezeichnet die Alteingesessenen, die am liebsten gar nichts verändern würden, alles beim Stand von 1985 belassen, und die Neuen zum Teufel wünschen. Die Neuen wollen mehr hässliche Wohntürme bauen und mehr Menschen in die eh schon zum Bersten überlastete Infrastruktur pressen. In dem oben zitierten New-York-Times-Artikel vermutet denn auch eine alte Frau, die Neuen wollten die "alten Fürze" mit ihren Rollern auf dem Gehweg über den Haufen fahren, um an deren mietpreisgebundene Altwohnungen zu kommen. Ob dieses Tauziehen wohl jemals endet?

Hunde im Flugzeug

Abbildung [5]: Damit Fifi mitfliegen darf, wird er kurzerhand als "Emotional Support Animal" deklariert.

Angelika Wir fliegen ja nicht so häufig, aber immer wenn wir fliegen, stellen wir fest, dass es mittlerweile gang und gäbe ist, dass Passagiere ihren Hund ins Flugzeug mitnehmen. Dabei handelt es sich durchaus nicht immer um kleine Hunde oder Hunde, die in einer Hundereisetasche mitreisen. Nein, die Hunde spazieren an der Leine ins Flugzeug und sitzen dann auf dem Schoß des Besitzers. Fliegen ist ja mittlerweile eh zu einer reinen Qual geworden, weil die Sitze zu klein und eng sind und jeder meint, seinen halben Hausstand ins Flugzeug mitnehmen zu müssen, denn für eingechecktes Gepäck verlangen alle Fluggesellschaften mittlerweile Gebühren. Ich bin schon immer ganz genervt, wenn ich ins Flugzeug einsteige. Die Vorstellung, dass ich jetzt auch noch unter Umständen einen Hund neben mir sitzen habe, der überall rumschlabbert, verleidet mir das Fliegen noch mehr. Gut, ich bin nicht gerade ein Hundefan, aber Hundeliebhaber müssen mir jetzt auch keine bösen E-Mails schreiben. Ich habe nichts gegen Leute, die einen Hund besitzen, solange diese nicht das System ausnutzen und ihren Vierbeiner auf dem Schoß sitzend im Flugzeug mitfliegen lassen. Übrigens bin ich auch nicht die Einzige, die sich über diese Unsitte aufregt und für Fluglinien wird die Sache immer mehr zum Problem, denn einige Hunde drehen in der ungewöhnlichen Situation durch und lassen ihre Häufchen im Gang ab, bellen ununterbrochen oder beißen gar den Sitznachbarn.

Abbildung [6]: Obwohl's verboten ist, bringen die Leute ihre Hunde in Lebensmittelgeschäfte mit rein.

Wie schaffen die Hundebesitzer es nun, ihren Fifi kostenlos fliegen zu lassen? Sie erklären ihn kurzerhand zum "Emotional Support Dog" (übersetzt etwa "emotionaler Unterstützungshund"), also ein angeblicher Therapiehund, der dem Hundebesitzer seelisch zur Seite steht. Nicht zu verwechseln mit einem richtig ausgebildeten Servicehund, der zum Beispiel Blinden im Alltag hilft oder seinen Besitzer vor epileptischen Anfällen warnt. Servicehunde sind dazu ausgebildet, bestimmte Aufgaben für ihre Besitzer zu übernehmen, die diese aufgrund einer Behinderung nicht ausführen können. Diese Hunde kosten, bedingt durch das rigorose Training, viel Geld (im Schnitt $20.000). Da diese Art von Hunden lebenswichtig für den Besitzer sind, dürfen sie überall mit hin, also auch dort, wo Hunde normalerweise nicht erlaubt sind. In Kalifornien dürfen Hunde zum Beispiel nicht in den Innenbereich eines Restaurants oder in Geschäfte, wo Lebensmittel verkauft werden.

Das amerikanische Behindertengesetz ("The Americans with Disabilities Act" = ADA) sorgt nun aber dafür, dass Menschen mit Behinderungen nicht detailiert nachweisen müssen, dass ihr Hund ein Servicehund ist. Nur zwei Fragen sind erlaubt, um abzuklopfen, ob der Hund wirklich diese Funktion inne hat: "Wird das Tier gebraucht aufgrund einer Behinderung? Welche Aufgaben wurden dem Tier beigebracht zu übernehmen?" Und da jeder in Amerika gleich mit Klagen droht, kann ich gut verstehen, dass die Verantwortlichen im Zweifelsfall lieber nicht so genau nachhaken.

Abbildung [7]: Selbst Riesenhunde kriegen ihren eigenen Sitz, sobald man ein "Service Dog"-Schild draufpappt.

Der "Emotional Support Dog" ist hingegen nicht besonders ausgebildet, sondern wirkt auf seinen Besitzer beruhigend. Gibt man "Emotional Support Dog" bei Google ein, kommen eine Unzahl von Anbietern hoch, bei denen man durch einen Mausklick seinen Hund als solchen registrieren kann und dabei gleich einen Brief ausgestellt bekommt von einem Therapeuten, der bestätigt, dass der Hund für die eigene Psyche wichtig ist. Auch Westen, die den Hund als angeblichen Servicehund ausweisen, kann der Hundenarr problemlos im Internet zum Beispiel bei Amazon bestellen.

Leider ist es nun tatsächlich so, das die Fluggesellschaften durch den "Air Carrier Access Act" diese "Emotional Support Dogs" neben den richtigen Servicehunden im Flugzeug erlauben müssen. Es hat wohl keiner damit gerechnet, dass egoistische Hundebesitzer dieses Schlupfloch gnadenlos ausnutzen. Für die Menschen, die wirklich einen Servicehund brauchen, führt das zu vielen Problemen, denn keiner kann mehr den echten Servicehund vom fälschlich ausgewiesenen "Emotional Support Dog" unterscheiden. Deshalb fordern die Betroffenen schon lange, dieses Schlupfloch zu schließen.

Bei United Airlines und Delta Airlines gelten deshalb auch seit 1. März diesen Jahres strengere Bestimmungen für Hunde, die in der Passagierkabine mitfliegen. Bei Delta Airlines ist die Mitnahme von Hunden, die als Servicehunde oder "Emotional Support Dogs" ausgewiesen werden seit 2015 um 150% angestiegen und die Beschwerden über Tiere an Board sind um 84% hochgeschnellt. Der Hundebesitzer muss 48 Stunden vor Abflug neben einem Schrieb, der nachweist, warum der Hund als emotionale Stütze gebraucht wird, ein Gesundheitsattest einreichen, das zum Beispiel die Impfungen des Hundes auflistet und ein Zertifikat, dass versichert, das der Hund sich im Flugzeug benimmt. Ich bin gespannt, wie das wieder umgangen wird.

Abbildung [8]: Jemand hat diesen Mops gemopst, der vor dem Whole-Foods-Laden angeleint war.

Übrigens versuchen Passagiere nicht nur, ihren Hund als ihre seelische Stütze auszugeben, sondern bringen auch alle möglichen anderen Viecher an wie Schlangen, Papageien oder Schweine. Ganz zu schweigen von der Frau, die versuchte, mit ihrem Pfau auf einen United-Flug zu kommen, was ihr allerdings verwehrt wurde. Auch sehen wir ständig Hunde im Supermarkt, die ganz sicher keine Servicehunde sind, die Besitzer reden sich meist damit heraus, dass vor dem Laden angeleinte Hunde oft gestohlen werden (Abbildung 8). Restaurants sind da meist unnachgiebiger und lassen Hunde nur an den Tischen draußen zu (wo es legal ist), denn der Inspektor vom Gesundheitsamt würde ihnen ruckzuck die Lizenz entziehen, falls drinnen ein Hund säße.

Santa Fe, New Mexico, im Winter

Abbildung [9]: Die Rundbrief-Redaktion fährt im Winter in die Wüste.

Angelika Es ist schon über zehn Jahre her, dass wir in Santa Fe im Bundesstaat New Mexico waren (Rundbrief 10/2006) und da es uns dort damals sehr gut gefallen hat, beschlossen wir, den Jahreswechsel mal wieder in der Wüste zu verbringen. Apple schließt zwischen Weihnachten und Neujahr und ich habe mittlerweile mehr Urlaub als Michael, so dass ich locker ein paar Tage freinehmen kann. Wir flogen am 25.12. los. Nun ist der 25. Dezember hier nicht etwa nur der erste Feiertag, sondern auch gleichzeitig Heiligabend, denn morgens macht der Amerikaner in aller Frühe mit der Familie erst die Geschenke auf. Durch diesen Umstand ergatterten wir zwar einen super günstigen Flug am Vormittag nach Albuquerque, denn um die Zeit sitzt jeder noch unter dem Weihnachtsbaum, aber leider ist selbst im kapitalistischen Amerika alles geschlossen am 25. Dezember.

Abbildung [10]: Michael hat wegen der kalten trockenen Wüstenluft Reptilhände bekommen.

In weiser Voraussicht hatte ich uns ein Hotel an unserem Flugziel Albuquerque gebucht, dessen Hotelrestaurant auch am 25. Dezember in Betrieb war. Und tatsächlich es war sonst alles zu und die Innenstadt fast menschenleer. Nur ein japanisches Restaurant hatte noch auf, das man wegen Überfüllung allerdings nicht betreten konnte. Albuquerque gilt ein wenig als das Stiefkind von New Mexico im Schatten von Santa Fe und hat sicher nicht soviel zu bieten, aber wir verbrachten dort einen netten Abend. Santa Fe liegt etwa eine Autostunde von Albuquerque weg, wunderschön in 2194 m Höhe und obwohl Santa Fe nur ca. 84.000 Einwohner hat, bietet es zahlreiche Museen und 240 Galerien. Das Klima ist staubtrocken und im Winter ist es sonnig, aber kalt. Meine vom San-Francisco-Klima verwöhnten Nebenhöhlen meckerten auch gleich wegen der Trockenheit, aber die Broschüre unseres Vermieters in der Ferienwohnung versicherte uns, dass man sich an die Trockenheit plus Höhe gewöhnt. Wir haben auf jeden Fall tonnenweise Handcreme verbraucht.

Abbildung [11]: Typisches Adobe-(Lehm)-Gebäube in New Mexico.

Santa Fe und der Bundesstaat New Mexico faszinieren mich, weil sich hier Indianerkultur mit spanischer (durch die spanischen Eroberer) und mexikanischer Tradition sowie tiefer Naturverbundenheit, Spirtualität und Katholizismus vermischen. New Mexico hat dann auch den höchsten Anteil an Latinos (aus Südamerika) und Hispanics (aus Spanien) sowie den zweitgrößten Anteil an Indianern, verglichen mit anderen Bundestaaten. Wie San Francisco ist auch Santa Fe anders als das restliche Amerika. Kein Wunder, dass die Wüstenlandschaft mit ihrer klaren Luft und dem blauen Himmel und den im Sonnenlicht sich verfärbenenden Steinsformationen stets Künstler angezogen hat. Beim Wandern fiel mir immer wieder die Stille auf.

Abbildung [12]: Blöder Tourist auf Wanderweg bei Santa Fe.

Schon als ich das erste Mal in den USA war, hat mich erzürnt, dass es den Indianern nicht überall erlaubt ist, ihren eigenen Schmuck zu verkaufen. Geschenkeläden in den diversen Touristenhochburgen verkaufen dann auch nicht immer authentischen Schmuck oder streichen einen Großteil des Gewinns ein. Auf dem Marktplatz in Santa Fe unter den Arkaden des "Palace of the Governors" kann man sich allerdings sicher sein, dass der Schmuck, die gewebten und getöpferten Waren authentisch sind. Hier verkaufen seit über 60 Jahren indianische Künstler ihre Kunstwerke. Nur wer einem Indianerstamm angehört und seine Ware selbst zeichnet, darf hier eine Decke ausbreiten und den Schmuck verkaufen. Der Kunstmarkt findet fast jeden Tag statt und es gibt insgesamt 69 Plätze. Es war natürlich klar, dass ich mir dort etwas kaufen musste. Ich erstand einen Ring von Marvin Slim.

Abbildung [13]: Angelika hat sich auf dem Indianermarkt einen Ring gekauft.

40 Meilen von Santa Fe entfernt liegt der kleine 3000-Seelen-Ort Chimayo, für Katholiken ein Walfahrtsort wie Lourdes. Die Erde hier soll heilende Wirkung haben und so pilgern jedes Jahr zig tausend Gläubige in die im spanischen Kolonialstil erbaute Kirche in den Bergen, um mit einem Schäufelchen die Erde aus der im Jahre 1816 erbauten Kirche in mitgebrachte Container umzufüllen.

Abbildung [14]: Chimayo, Wallfahrtsort mit heiliger Erde.

Die feine Erde kommt aus einem Loch in einem kleinen Raum der Kirche. Fotos durften wir dort nicht machen und wir ließen die Erde auch in der Kirche, aber mehrere Besucher füllten kleine Plastikbeutelchen voll. Die Erde muss übrigens immer wieder aufgefüllt werden und Kirchenangestellte holen sie angeblich jeden Tag aus den umliegenden Sangre de Christo Mountains. Einigen Gläubigen sagt man nach, dass sie die Erde essen oder trinken, um sich die heilende Kraft sozusagen einzuverleiben, wobei es reichen soll, entsprechende Körperteile mit der Erde einzureiben, während ein Gebet gesprochen wird. Die alte Kirche ist wunderschön mit dicken Adobewänden und Holzbalken und folkloreartigen Altarbildern.

Abbildung [15]: Der kleine Laden verkauft Erdeimer an die Pilger.

Das ganze Drumherum war für unseren Geschmack allerdings sehr touristisch und kommerzialisiert. In einem Nebenraum hingen zum Beispiel Hunderte von Krücken, die angeblich geheilte Besucher zurück gelassen haben. Ich glaube zwar nicht an Wunderheilungen, aber ich habe mal mehrere Semester Psychologie studiert, und wir haben das Phänomen des Placeboeffekts ausreichend untersucht. Dennoch faszinieren mich solche Orte und die Menschen, die für ein Fünkchen Hoffnung nichts unversucht lassen.

Ginger Beer

Abbildung [16]: Das australische Ginger-Beer "Bundaberg"

Michael Die Jugend von heute trinkt ja kaum noch Bier. Die Getränkehersteller haben sich umgestellt und bieten alle möglichen aufpeitschenden Energy-Drinks ohne Zucker an. Davon trinke ich vielleicht noch den Indianertee Yerba-Matte, aber das war's dann schon. Mir ist schleierhaft, wie jemand Gatorade oder Red Bull trinken kann, außer vielleicht auf den letzten Meilen eines Marathons kurz vor dem körperlichen Totalzusammenbruch. Ähnlich geht es mir bei Root-Beer, was ja keineswegs wie Bier, sondern wie flüssiger Bazooka-Kaugummi schmeckt, und auch das neuerdings in den Hipster-Supermärkten auftauchende "Birch-Beer" ist genau derselbe Dreck.

Allerdings muss ich sagen, dass das ebenfalls in Mode gekommene Ginger-Beer mir tatsächlich gut schmeckt. Es löscht den Durst wie Limonade, hat aber einen ganz intensiven Ingwer-Geschmack, der auch noch eine Weile nachhält. Eines der besten Ginger-Beers, die ich probiert habe, kommt aus Australien, heißt "Bundaberg", und basiert angeblich auf einem uralten Familienrezept. Als Durstlöscher brennt die Kohlensäure leicht in der Kehle, gefolgt von einem Ingwer-Schub wie beim Ouzo-Schnaps. Es schlägt mit ungefähr 100 Kalorien pro 0.33l-Flasche auf die Hüften und ist damit nicht ganz so füllend wie eine 0.33l-Flasche richtiges Markenbier.

Abbildung [17]: Scharfes Ginger Beer "Cock Bull".

Bundaberg steht auf Hawaii in den Regalen normaler Supermärkte, bei uns in der Bay Area habe ich es bei World Market gesehen, sogar im preisgünstigen 10er-Pack. Neulich in Los Angeles fiel mir eine weitere Ginger-Beer-Marke namens "Cock Bull" auf, die mir ebenfalls mundete. Sie ist sogar noch etwas schärfer im Abgang und brennt kurzzeitig, als wären Pepperoni in der Flasche, aber der erste Eindruck löst sich schnell in wohltuenden Ingwer-Geschmack auf. Sehr empfehlenswert.

Abbildung [18]: Costco verkauft das ultrascharfe Ginger Beer von Fever-Tree.

Der Megasupermarkt Costco verkauft seit neuestem ein Ginger-Beer der Marke "Fever Tree", und ich muss sagen, das Getränk haut einem wirklich den Schalter raus, so scharf ist es im Vergleich zu den anderen diesmal getesteten Ginger-Beers. Er brennt im Schlund und im direkten Vergleich schmecken die anderen Marken wir regelrechte Labberwasser. Sicher nichts für Anfänger, und das Zwölferpack kostet $14.99 bei Costco, der das Getränk anscheinend nur probeweise auf Lager hat. Greift zu, solange der Vorrat reicht!

San Francisco Ansichten: Liberty Hill

Abbildung [19]: Schöne Aussicht auf die Stadt vom Stadteil Liberty Hill.

Michael San Francisco als Touristenstadt bietet dem auf den ausgetretenen Pfaden kommerzieller Veranstalter wandelnden Besucher ausreichend Futter, so dass fast niemand auf die Idee kommt, die etwas versteckteren Schmankerln zu durchforsten. Neulich waren wir im Stadtteil Castro essen und anschließend so pappsatt, dass wir uns dachten, ein wenig sportliche Betätigung könne nicht schaden und so latschten wir nicht ums Karree sondern quer über den steilen Hügel "Liberty Hill" zurück nach Hause.

Abbildung [20]: Diese Sackgasse endet buchstäblich im Nichts.

Dort kommt man eigentlich sonst nur mit dem Auto hin, denn selbst für's Mountain Bike sind die Straßen zu steil, und wegen des schroffen Terrains endet jede zweite Sackgasse buchstäblich im Nichts, oft mit einem schönen weiten Ausblick auf die Stadt. Verkehr ist dort oben aber so gut wie keiner, da kaum jemand seinem Automobil Straßen mit bis zu 40% Steigung zumuten will, wenn man weiter unten im flachen Bereich zügiger vorwärts kommt.

Abbildung [21]: Die vielen Sackgassen erschweren die Navigation.

Oft liegen zwischen zwei durch eine Steilwand getrennten Straßenteilen öffentliche Betontreppen, die jeder Fußgänger benutzen darf, auch wenn sie oft privat aussehen und kein Mensch weit und breit zu sehen ist. Hier wohnen zurückgezogene Leute, wie zum Beispiel der kauzige Netscape-Dot-Com-Millionär Frederick Roeber, der, vielleicht erinnert ihr euch, nach der Trump-Wahl eine Hakenkreuzfahne an seinem burgartigen Haus gehisst und seine Nachbarn auf den Plan gerufen hatte (Rundbrief 12/2016).

Abbildung [22]: Nicht leicht zu findende Treppen verbinden die durch steile Hänge getrennten Straßen.

Abbildung [23]: Penner bleiben auf halber Strecke stecken und halten den höhergelegenen Stadteil sauber.

Wegen der Höhenlage verirrt sich auch kaum ein Penner in diese Stadtteile, und meines Wissens hat noch keiner sein Zelt auf dem Gehsteig aufgestellt. Deswegen plagen die Penner hauptsächlich die flachen Stadtgebiete San Franciscos, wie die Mission oder South of Market. Allerdings haben Berufsverbrecher herausgefunden, dass sie teilweise unbehelligt des Nachts in die teuren Häuser auf dem Liberty Hill einsteigen können, da die Polizei sich dort kaum zeigt. Auf den Nachbarschaftsforen im Internet liest man oft von nächtlichen Einbrüchen, die gemäß publizierter Überwachungsvideos von herumschleichenden Prius-Fahrern begangen werden.

Abbildung [24]: Manch ein Internetmillionär hat sich hier seinen Traumbunker hingestellt.

Abbildung [25]: Die steilen Straßen wurden schon manchen LKW zum Verhängnis, deswegen warnt das Schild.

Die Häuser variieren stark zwischen "Alter (Geld-)Adel" und "neureicher Internetfritze", und einige alte Hutzelhütten stehen laut Warnschild vor dem Abriss, weichen wohl bald eher neumodischen "iPods", wie ein NIMBY kürzlich die immer öfter von Wohnungsspekulaten hingeschusterten dreistöckigen Wohnhäuser bezeichnete. Die Straßen sind erstaunlich sauber, die Zypressen vor den Häusern sauber getrimmt, hier kümmern sich die Bewohner offensichtlich um ihr Zuhause und halten es im Tipp-Topp-Zustand. Bei manchen Immobilien dürfte es schwierig werden, größere Fahrzeuge wie einen Möbelwagen vorfahren zu lassen, da diese, wie manch ein gelbes Schild warnt, oft an den Übergängen von flach nach steil und umgekehrt hängenbleiben. Und Getränkekisten zu Fuß hochzuschleppen verbietet sich von selbst, aber das macht der Amerikaner sowieso nicht.

"Nail Valley"

Abbildung [26]: Der Bedarf an Nagelpflegesalons in Noe Valley ist anscheinend immer noch nicht gesättigt.

Michael Auf unserer ehemals so prenzelberghaften Straße, der 24th Street in Noe Valley, sperren immer mehr Restaurants und Läden zu und weichen scheinbar zwei bis drei narrensicheren Geschäftsmodellen: Nagelpflegesalons und Wohnungsmakler. Auch Bankfilialen scheinen gut zu gehen, aber auf Dauer nervt diese Monokultur die Anwohner, die lieber kleine Modeboutiquen oder Omaläden mit Heimwerkerbedarf dort sähen. Man munkelt übrigens, dass Nagelpflegesalons sich gut zur Geldwäsche eignen, allerdings wurde noch nichts dementsprechendes gemeldet. Jedenfalls nenne ich unser Viertel Noe Valley nun gerne "Nail Valley".

Abbildung [27]: Erfolgreiches Geschäftsmodell in Noe Valley: Überteuerte Häuser an neureiche Idioten verscherbeln.

Manche Geschäfte stehen nach der Schließung einfach monatelang leer, bevor ein wagemutiger Investor ein neues Projekt in Angriff nimmt. Wie sich das rechnet, weiß ich auch nicht, aber der Rekordhalter unter den leerstehenden Geschäften auf der 24th Street ist der Laden "Real Food", der im Jahre 2003 zugesperrt und bis heute nicht mehr aufgemacht hat. Bald 15 Jahre lang schauen wir Noe-Valleyaner schon ungläubig auf die leere Ladenzeile, für die der Vermieter gut und gerne $20.000 im Monat hätte kassieren können. Einfach so 3,6 Millionen Dollar zum Fenster rauszuwerfen ist schon der Gipfel der Dummheit.

Abbildung [28]: Steht seit 15 Jahren leer: Real Food.

Bei den Gaststätten vertun sich frischgebackene Wirte anscheinend oft bei der Kostenkalkulation, denn, und das gilt USA-weit, 59% geben in den ersten drei Jahren auf. Viele jammern über die zu schmalen Gewinnmargen, was ich ehrlich gesagt bei den horrenden Preisen nicht ganz nachvollziehen kann: Ein Abendessen für zwei in einer der Gaststätten auf unserer Straße kostet gut und gerne $100, und wenn's exklusiv beim Edeljapaner ist, eher $200.

Abbildung [29]: Die Bar "Caskhouse" hat aufgegeben.

Dennoch scheitern die Gaststätten bei uns immer nach dem gleichen Muster: Erst sparen sie beim Personal, eines Tages sitzt man in seinem Stammlokal und reibt sich verwundert die Augen, weil nur noch eine einzige Bedienung für's ganze Restaurant zuständig ist und es ewig lange dauert, bis sie auch nur angedackelt kommt um die Getränkebestellung aufzunehmen. Unser Lieblingslokal "Savor" stellte letztes Jahr sogar auf Selbstbedienung um, und die Gäste mussten ihr Essen zuerst an der Kasse bezahlen, eine Nummer mit zum Tisch nehmen, worauf eine Aushilfe irgendwann das Essen anschleppte.

Abbildung [30]: Die Gaststätte "Hamlet" hat nach einem Jahr mangels Erfolg zugesperrt.

Nicht nur wir weigerten uns fürderhin, dort zu essen, sondern anscheinend auch noch andere Leute im Viertel, denn nach 6 Monaten fanden wir eine Wurfsendung im Briefkasten, nach dem der "Table Service" im "Savor" nun wieder eingeführt würde. Allerdings stellte sich heraus, das der Laden seine bekannten Crêpes nun nicht mehr wochentags sondern nur noch an Wochenende servierte. War zur Zubereitung der Pfannkuchen ein hochbezahlter Spezialkoch zuständig, den sich die Wirtschaft wochentags nicht leisten konnte? Ich bezweifle es, aber nach einigen Monaten kam eine zweite Wurfsendung, nach der es auch wochentags nun wieder Crêpes gäbe. Man greift sich an den Kopf und fragt sich, welche Art Geschäftsmann solche irren Entscheidungen trifft.

Abbildung [31]: Die Reinigung "Cleaners" schloss nach 20 Jahren ihre Türen.

Auch das Restaurant "Hamlet" und die Bar "Caskhouse" haben letztens aufgegeben. Beide wurden von einem erfahrenen Hotelier geleitet, und beide waren teuer und jeden Abend rappelvoll. Dann sperrte die Bar nur noch an ungeraden Wochentagen auf und im Hamlet wurden die Bedienungen gekürzt, worauf die Kundschaft ausblieb. Irgendwie ist der Wurm drin. Wie kann eine Bedienung, die mit Nebenkosten vielleicht $30 pro Stunde kostet, und pro Stunde sagen wir fünf Tische bedient, an denen jeweils $100 umgesetzt werden überhaupt ein Faktor in der Kalkulation sein? Aber keine Angst, ich werde niemals ein Restaurant eröffnen.

Abbildung [32]: Hier lässt sich San Franciscos Damenwelt die Fußnägel lackieren.

Dass Geschäftsmodelle, die nicht viel Umsatz machen, in einem superteuren Viertel wie Noe Valley keine Chance haben, ist traurig aber allerdings wahr, und so wundert es mich nicht, dass nun eine unserer zwei Reinigungen zugesperrt hat oder der Gemischtwarenladen "Tuggey's" für Heimwerkerbedarf, bei dem ich immer schnell fehlende Schrauben oder Dichtungen kaufen konnte, falls ich gerade etwas repariert habe. Leider muss ich dafür jetzt zum Baumarkt fahren. Der Hardware-Laden "Cliff's Variety" im Nachbarviertel "Castro" läuft noch, verkauft aber auch Kinderspielzeug und sehr geschmackvollen Krimskrams für die Einrichtung von Intellektuellenwohnungen. Angelika kauft dort regelmäßig ein.

Auch die Anzahl der "Dog Groomers" (also Hundefriseure) nimmt stetig zu in Noe Valley. Neulich ging allerdings eine Petition rum, nachdem eine Kette aus Los Angeles einen neuen Hundefriseurladen auf der 24th Street eröffnen wollte und die Nachbarn sich echauffierten, weil es erstens schon zwei Hundefriseure gab, und zweitens lokale Oma- und Opaläden im Hundefriseurgenre generell Ketten vorzuziehen seien. Na, wenn's schön macht, soll's mir recht sein.

Grüße aus der närrischen Stadt der Internet-Lemminge:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 01-May-2018