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  Rundbrief Nummer 124  
Santa Fe, den 26.12.2017
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Abbildung [1]: Weihnachten 2017

Angelika Weihnachten ist hier und der Weihnachtsrundbrief muss noch wie jedes Jahr heraus. Ich bin sehr spät dran, aber dieses Jahr habe ich lange überlegt, worüber ich schreiben soll, denn Themen gibt es genug, seitdem Trump sich im Weißen Haus befindet, aber über ihn haben sich dieses Jahr schon ganz andere die Finger wund geschrieben und das ist genau, was unser werter Präsident will. Also ist es am besten, ihm möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken.

Das Weihnachtsfest im traditionellen Sinne sollte ja auch immer ein wenig zur Reflexion und zum Innehalten einladen, und deshalb möchte ich euch einen Podcast vorstellen, der von Häftlingen im berüchtigten San-Quentin-Gefängnis produziert wird und über das Leben in einem kalifornischen Gefängnis berichtet. San Quentin liegt 12 Meilen nördlich von uns an der Bucht von San Francisco und ist eines der ältesten und größten Gefängnisse in Kalifornien. Über 3700 Männer sitzen in San Quentin ein. Es gibt im Gefängnis auch einen Trakt, in dem die Häftlinge einsitzen, die zum Tode verurteilt worden sind. San Quentin ist das einzige Gefängnis mit solch einem Todestrakt ("Death Row") für Männer in Kalifornien. Die Frauen sitzen woanders ein. Hinrichtungen können allerdings nur in San Quentin vollstreckt werden in Kalifornien, was allerdings seit fast 10 Jahren nicht mehr passiert ist. Es wundert mich sowieso, dass es in Kalifornien die Todesstrafe gibt, weil Kalifornien ja ein eher liberaler Bundesstaat ist. Es gibt deshalb auch immer einmal wieder Vorstöße, durch Volksbegehren die Todesstrafe abzuschaffen, allerdings hat bis jetzt noch keines eine Mehrheit zutage gebracht.

Viele meinen, dass das San Quentin ein Hochsicherheitsgefängnis ist, weil es dort den Todestrakt gibt. Für die übrigen Häftlinge trifft dies allerdings nicht zu. Kalifornische Gefängnisse folgen einer numerischen Kategorisierung in vier verschiedene Sicherheitsstufen. In der Sicherheitsstufe 1 sind die Häftlinge in jugendherbergsähnlichen Schlafsälen mit Stockbetten untergebracht, mit nur geringer Überwachung. In Stufe 2 gibt es immer noch Schlafsäle, aber verstärkte Bewachung. In der Stufe 3 erfolgt die Unterbringung dann in Zellen, die an Außenwände angrenzen dürfen. In der höchsten Sicherheitsstufe 4 hingegen in Zellen, die nicht an Gefängnisaußenwände anschließen. San Quentin hat die meisten Unterkünfte in der Sicherheitsstufe 1 und 2 und, wie gesagt, den Todestrakt. Welcher Häftling in welche Sicherheitstufe fällt, bestimmt der Staat Kalifornien durch ein Punktesystem. Bei 0-18 Punkten landet der Häftling in der niedrigsten Sicherheitsstufe 1; 19 bis 35 Punkte führen zur zweiten Sicherheitsstufe. Wer 36 bis 59 Punkte hat, kommt in ein Gefängnis mit Stufe 3. Und bei Stufe 4 hat der Häftling mehr als 59 Punkte auf dem Konto. Das Punktesystem berücksichtigt Alter, Art des Verbrechens, Mitgliedschaft in einer Gang, uns so weiter.

Ihr fragt euch jetzt vielleicht, woher ich das alles weiß, aber das "California Department of Correction and Rehabilitation" erklärt das System genau auf seiner Webseite. Viele Häftlinge wollen gern nach San Quentin verlegt werden, denn das Gefängnis bietet viele verschiedene Programe an, wie Gartenarbeit, Yoga, eine Fahrradreparaturwerkstatt, Kurse, um Aggressionen zu bewältigen. Man kann sogar seinen Uniabschluss machen. Desweiteren geben die Häftlinge eine Zeitung heraus. Externe ehrenamtliche Mitarbeiter halten die meisten dieser Programme am Laufen. Eine meiner Arbeitskolleginnen ist zum Beispiel eine dieser Helfer. Jeden Donnerstag fährt sie nach San Quentin und hilft Häftlingen, die kurz vor der Entlassung stehen, mit lebenspraktischen Dingen wie zum Beispiel beim Beantragen eines Führerscheins nach der Haftentlassung. Eine andere ehemalige Kollegin hatte ihren Vater übrigens in San Quentin wegen Drogendelikten einsitzen, und sprach mit mir oft über San Quentin.

Aber ich wollte ja eigentlich von "Ear Hustle" erzählen. Der Podcast wird in San Quentin von Häftlingen produziert, mit Hilfe der Künstlerin und Fotografin Nigel Poor aus San Francisco, die seit Jahren ehrenamtlich in San Quentin arbeitet. Das Besondere ist, dass die Sendung für die Außenwelt produziert wird und nicht etwa ein gefängnisinternes Radioprogramm ist. "Ear Hustle" bedeuet im Gefängnis-Jargon dabei soviel wie neugieriges, unerlaubtes Lauschen. Nigel Poor und der Häftling Earlonne Woods moderieren die Sendung. Earlonne sitzt eine Haftstrafe von 31 Jahren bis lebenslänglich ab, wegen versuchten Raubs. Die Strafe erscheint euch jetzt wahrscheinlich drakonisch, was auch stimmt. Strafen sind in den USA generell viel höher als in Deutschland. In Kalifornien führt das sogenannte "Three-Strikes-Gesetz" zu langen Gefängnisstrafen. "Three Strikes" spielt dabei auf das Baseballspiel an, wenn der Spieler mit dem Knüppel nach drei Versuchen den Ball nicht trifft, ist er draußen. In Kalifornien galt bis 2012 für Wiederholungstäter, dass nach zwei schwerwiegenderen Staftaten die dritte, egal ob schwerwiegend oder mit Gewalt verbunden oder nicht, automatisch zu einer mindestens 25-jährigen bis lebenslangen Haftstrafe führte. 2012 befanden die kalifornischen Wähler aber, dass dies zuweit geht und jetzt muss die dritte Staftat auch schwerwiegend oder mit Gewalt verbunden sein, um die Erhöhung der Haftstrafe zu rechfertigen. Häftlinge, die vor 2012 verurteilt wurden, können durch eine Petition versuchen, ihre Haftstrafen nach der neuen Gesetzeslage zu reduzieren.

Aber zurück zu "Ear Hustle": Neben Nigel Poor und Earlonne Woods mischt auch der Häftling Antwan Williams mit. Er ist zuständig für den Ton und die Soundeffekte. Jeder Podcast widmet sich einem bestimmten Thema und interviewt dazu andere Häftlinge und Earlonne bringt seine eigenen Erfahrungen stets mit in die Sendung ein. Jede Sendung ist 3O Minuten lang. Dabei geht es nicht um sensationsheischende Berichte und es geht auch nicht um die Frage, wer schuldig oder unschuldig im Gefängnis sitzt, sondern das Alltagsleben im Gefängnis wird aus der Sicht der Häftlinge beschrieben. Ein Podcast widmet sich zum Beispiel Geburtstagsfeiern in San Quentin. Ein Insasse, Drew Sabatino, versucht diesen Tag für seine Mithäftlinge nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und kreiert nicht nur eine Geburtstagskarte sondern auch etwas Besonderes zu essen. In weiteren Episoden geht es um das Altern im Gefängnis, oder Isolationshaft, oder "Three-Strikes"-Kandidaten kommen zu Wort, die wahrscheinlich das Gefängnis aufgrund langer Haftstrafen nicht lebend verlassen werden. Wie verzweifelt man da nicht? In einer Episode kommt der Insasse Curtis Roberts zu Wort, der 50 Jahre bis lebenslänglich erhalten hat, für drei nicht gewalttätige Überfälle. Er fängt im Gefängnis an, Tagebuch zu schreiben, weil er keinen Kontakt zu seiner einzigen Tochter mehr hat und nutzt diese Tagebücher, um Briefe an sie zu schreiben, um nicht den Verstand zu verlieren. Der Podcast "Ear Hustle" hat für mich fast etwas Poetisches (trotz der manchmal recht farbenfrohen Sprache), denn die Häftlinge werden nicht als harte Typen dargestellt, sondern als Menschen, die versuchen, sich mit einer unmöglichen Situation zu arrangieren. Hört einfach rein auf https://www.earhustlesq.com /. Der Podcast kostet nichts (ein bisschen Werbung muss man allerdings ertragen) und ist abrufbar auf Google, Apple, Spotify, und so weiter. Euer Englisch könnt ihr dabei auch gleich noch aufpolieren.

In diesem Sinne wünschen wir euch fröhliche Weinachten und ein interessantes neues Jahr:

Angelika und Michael

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