Angelika/Mike Schilli |
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Michael In den USA erhalten politische Parteien kein Geld vom Staat, sondern finanzieren ihre Wahlkämpfe komplett mit Spenden von Parteifreunden. Um zu verhindern, das mächtige Industriemagnaten die parlamentarischen Abgeordneten direkt bestechen, beschränkt das Parteispendengesetz Zuwendungen von Einzelpersonen an einzelne Abgeordnete auf $2.500 (die Höchstbeträge für Parteispenden variieren je nach Spenderorganisation und Zuwendungsart). Um mit üppigeren Geldmitteln auf die Politik einzuwirken, heuern Interessengruppen deshalb heutzutage Lobbyfirmen an, die gute Kontakte zu einflussreichen Politikern pflegen. Die Lobbyfirma vermittelt dann zwischen Interessengruppe und Parlamentariern, trommelt auf der einen Seite Bürger zusammen, die je $2.500 an den Abgeordneten spenden und der Politiker verspricht dafür im Gegenzug, entsprechend den Wünschen der Interessengruppe im Parlament abzustimmen. Gruppen von finanzstarken Leuten formen auf der Spenderseite sogenannte Political Action Committees (PACs), die Fundraiser organisieren und ihr Geld zusammenlegen. Ein Blick auf die historische Entwicklung der PACs in Amerika lohnt sich: Nach dem Buch "So Damn Much Money" von Robert Kaiser, der die trockene Geschichte spannend erzählt, gab es 1974 insgesamt 608 PACs, die 12 Millionen Dollar spendeten. Zwei Bundeswahlen später, 1982, waren es schon 3371 PACs, die zusammen 83 Millionen Dollar in die Wahlkämpfe ihrer Favoriten butterten.
Sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus stimmen Abgeordnete in jeweils zwei unterschiedlichen Gremien über Anträge ab. Erst steht der Vorschlag als solcher zur Debatte, und einigen sich die Parlamentarier auf dessen Durchführung, bestimmt ein zweites Gremium, wer die damit verbundenen Tax-Dollars der steuerzahlenden Bürger zugeschustert bekommt. In dieser Zweiteilung erkannte 1978 die findige Lobbyfirma Schlossberg-Cassidy ein Schlupfloch. Sie fand einen bereits genehmigten Antrag zur Gründung eines nationalen Ernährungsforschungszentrums, und mischte sich in dessen zweite Phase, die "Appropriation" (Tax-Dollar-Zuwendung), ein. Über persönliche Beziehungen zu den abstimmenden Gremienmitgliedern gelang es der Lobbyfirma, die Zuwendung so umzumodeln, dass die Gelder nicht dem ursprünglich vorgesehenen Empfänger, sondern einem Kunden der Lobbyfirma, der privaten Universität "Tuft", zuflossen.
Heutzutage ist dieser Kniff unter der Bezeichnung "Earmark" kaum mehr aus der Gesetzesgebung wegzudenken. In der ersten Phase der Abstimmung, in der es um die Sache an sich geht, mauscheln die Abgeordneten deshalb nun schon auf Teufel-komm-raus, darüber, wer denn, falls der Vorschlag genehmigt wird, dann tatsächlich die Gelder aus dem Staatssäckel bekommt. Diese Vorbedingung heftet dann dem Antrag als Earmark (Ohrenmarkierung) an. Ein Abgeordneter signalisiert in den Vorverhandlungen, dass er dafür stimmt, falls zum Beispiel eine Institution aus seinem Bundesstaat einen Teil der Gelder in der zweiten Phase zugesichert bekommt. Abgeordnete im Senat vertreten jeweils ihren Bundesstaat, und das Zurücklotsen von Bundesgeldern in den Heimatbundesstaat ist unter dem Begriff "Bringing home the Bacon" ("Den Speck heimschaffen") bekannt. Wähler erwarten das einfach von den Abgeordneten ihres Bundesstaats.
Die zwischen Interessengruppen und Politikern vermittelnden Lobbyfirmen stellen den Interessengruppen ihre Dienste pauschal über sogenannte monatliche "Retainer" in Rechnung. Ein solventer Klient zahlt so etwa $40.000 im Monat, ohne dass die Lobbyfirma dafür Arbeitsstunden oder Leistungen nachweisen muss. Bei $60.000 im Monat spricht man in Lobbyisten-Kreisen von einer "Bonanza", und in "So Damn Much Money" steht gar die Story einer Indianergruppe, die so um ihre Spielkasinos besorgt war, dass sie $150.000 pro Monat hinlatzte, damit die Politik deren Steuerbefreiung (Rundbrief 02/2008) nicht durch neue Gesetze aufhob.
Der Begriff "Lobby" stammt angeblich vom Eingangsbereich des "Willard Hotels" in Washington DC. Während seiner Amtszeit (1869 -- 1877) hielt sich der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Ulysses S. Grant, bevorzugt in diesem Hotel auf und Horden von Gschaftlern, die etwas von ihm wollten, lungerten in der Hotellobby herum, um dem Präsidenten hastig Vorschläge zu unterbreiten, wenn dieser gerade ankam oder wieder nach Hause abfuhr.
Will ein Politiker heutzutage eine Wahl gewinnen, muss er möglichst viele Werbespots im Fernsehen schalten. Deren horrenden Kosten bekommt er am einfachsten durch Spenden von Interessengruppen herein, denen er, einmal im Amt, mitsamt den vermittelnden Lobbyfirmen dann den ein oder anderen Gefallen schuldet.
So entsteht in der amerikanischen Politik ein florierender Wirtschaftskreislauf: Interessengruppen zahlen Lobbyfirmen, Lobbyfirmen verschaffen Politikern dringend benötigte Parteispenden, und Politiker stimmen in den Gremien im Sinne der Interessengruppen ab. Scheidet ein Politiker aus einem Amt aus, wird es höchste Zeit für ihn, richtig dick Geld zu verdienen. Seine Freunde in den Lobbyfirmen verschaffen ihm dann gerne einen hochdotierten Job. Ein Abgeordneter verdient ja weniger als der CEO einer Software-Garagenfirma, aber ein erfolgreicher Lobbyist sackt schon ein paar Milliönchen pro Jahr ein.
Der Dumme bei dieser scheinbaren Win-Win-Situation ist der Bürger. Dringend benötigte Reformen, wie die des Gesundheitswesens, der Einwanderungsgesetze oder der Umweltpolitik kommen so niemals in Gang, weil wohlhabende Interessengruppen den Status Quo festzementieren wollen und dies mit Geld durchsetzen. In Deutschland lässt sich übrigens ein anderer Trend feststellen: Dort ist den führenden Bundestagsabgeordneten mittlerweile die nächste Wiederwahl weit wichtiger als das Land ordnungsgemäß zu regieren.
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