Angelika Touristen in San Francisco fällt häufig auf, dass es in dieser Stadt relativ viele Obdachlose gibt. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Zunächst einmal sind die Mieten sehr hoch und der Wohnraum knapp. Das relativ milde Klima und ein vernünftiges Angebot an Sozialprogrammen für Obdachlose zieht ebenfalls viele an. Die meisten Obdachlosen sind völlig harmlos. Klar fragen sie nach Geld, aber wenn man freundlich "sorry" sagt, ist die Sache meist erledigt.
Um das Rathaus herum und in der Innenstadt ist das Stadtbild besonders von Obdachlosen geprägt. Das angrenzende Tenderloin-Viertel bietet viele Billigunterkünfte und gemeinmützige sowie kirchliche Organisationen geben Essen aus oder versorgen Obdachlose medizinisch. Direkt neben dem Rathaus befindet sich auch die Hauptzweigstelle der öffentlichen Bücherei. Viele Obdachlose wissen nun, dass es dort nicht nur öffentliche Toiletten gibt, sondern auch Sessel zum Ausruhen, Zugang zu Computern und Internet und Magazine zum Lesen. Sozusagen ein ideales Ersatzzuhause, wenn man über keinen festen Wohnsitz verfügt.
Nun fühlten sich aber die Angestellten in der Hauptbücherei etwas überfordert, das Heer der Obdachlosen zu betreuen, denn viele kämpfen mit Alkoholismus, Drogenabhängigkeit oder psychischen Störungen. Auch hatten sich Besucher der Bibliothek beschwert, wenn sich Obdachlose an den Waschbecken auf den Toiletten wuschen oder Drogen nahmen. Anstatt nun die Obdachlosen vor die Tür zu setzen, entschloss sich die Stadt zu einer kreativeren Lösung. Die Hauptbücherei stellte vor einem Jahr eine Sozialarbeiterin ein, die sich exklusiv um die Obdachlosen kümmert. Dazu gehört, dass sie die Obdachlosen über Sozialprogramme und Unterkünfte informiert, und das Personal der Bücherei anleitet, wie unerwünschte Verhaltensweisen zu handhaben sind. Obdachlose, die bereit sind, ein 12-wöchiges berufliches Wiedereingliederungsprogramm zu durchlaufen, haben die Chance, dass die Bücherei sie anstellt, zum Beispiel um die Toiletten zu kontrollieren. Nur in San Francisco.