Angelika/Mike Schilli |
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Michael Nicht alle Einwanderer in den USA haben eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Es wird geschätzt, dass etwa 12 Millionen Illegale im Land sind, davon etwa 5-6 Millionen Mexikaner (Stand 2007). Oft haben sie irgendein Dorf in einem südamerikanischen Land verlassen, einem Schleuser (genannt "Coyote", amerikanisch "Ka-i-ote" ausgesprochen) etwa $1500 bezahlt und sind dann bis zu 40 Stunden durch die Wüste marschiert, um irgendwo in den USA Arbeit zu finden und den amerikanischen Traum auszuprobieren. Oft arbeiten sie dann in einem Restaurant, arbeiten sich vom Spüler zum Geschirrabträger (Bus Boy), zum Salatzubereiter, und vielleicht zum Grillmann hoch.
Auf der Cesar-Chavez-Street bei uns um die Ecke stehen schon früh morgens hunderte junger Südamerikaner in kleinen Grüppchen und winken den vorbeibrausenden Pickups zu, in der Hoffnung, dass sie einer zu einer Baustelle mitnimmt, wo sie zu einem frei verhandelbaren Lohn für einige Stunden schwere Arbeit verrichten. Man nennt sie "Esquineros", von dem spanischen Wort für Straßenecke, "Esquina". Weitere Auflesestellen mit massenhaft Arbeitswilligen finden sich in den Parkplätzen großer Baumärkte wie Home Depot oder Lowe's. Dort kann man auch die Spezialisierung der Arbeiter erkennen: Wer weiße Kleidung trägt, führt Malerarbeiten durch, der Rest ist für Handlangertätigkeiten zuständig. Es gibt zwar Konkurrenz unter den Arbeitern, die, wenn ein Baumarktkunde Interesse am Anheuern einer Hilfskraft zeigt, sofort hinrennen und wild herumfuchteln, doch läuft alles im allgemeinen auffallend friedfertig ab. Viele Illegale wollen unter keinen Umständen mit dem Gesetz in Konflikt kommen oder auch nur unangenehm auffallen, da ihnen sonst die Deportation droht.
Weitere Aufsammelpunkte befinden sich vor den Garagen von Umzugsautoverleihfirmen wie U-Haul. Wenn ich mit dem Fahrrad morgens um halb acht durch die Alameda-Street brause, stehen vor dem U-Haul-Zentrum immer einige Dutzend Arbeiter und quatschen jeden, der ein Umzugsauto zu mieten scheint, in gebrochenen Englisch mit "Do you need any help?" oder "Want someone to do the work for you?" an.
Der Stundensatz beträgt so um die 5-10 Dollar, an einem guten Tag kann ein Esquinero also bis zu $100 verdienen, an einem schlechten Tag geht er allerdings mit leeren Händen nach Hause. Übrigens sind nicht alle Gelegenheitsarbeiter illegale Einwanderer, aber laut Studien etwa drei Viertel. Das Verfahren ist zwar nicht legal, wird aber von der Polizei nicht verfolgt, da sie für Einwanderungsfragen nicht zuständig ist. Außerdem weiß jeder, dass auf jeder Baustelle und in jeder Restaurantküche einige Illegale arbeiten -- das gehört zum Alltag in Amerika. Und es ist nicht so, dass sich "undokumentierte Einwanderer" in einem völlig rechtsfreien Raum bewegen. Es kommt durchaus vor, dass die amtliche, bundesstaatliche Stelle für Arbeit, das "Department of Labor", sich für Illegale einsetzt, die über's Ohr gehauen wurden oder unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten mussten. Das ist natürlich ein Balanceakt, denn die Illegalen fürchten, ausgewiesen zu werden und schweigen im Zweifelsfall.
Frauen sieht man auf der Cesar-Chavez-Street keine, denn meist kommen nur die Männer über die Grenze, verdienen in ein paar Jahren genug Geld für ein ordentliches Haus in Mexiko, und kehren dann zurück zu ihren alleingelassenen Frauen und Kindern. Außerdem ist die Rollenverteilung bei Südamerikanern eher "klassisch". An U-Bahnstationen sieht man aber öfter mal Frauen, die Blumen oder das mexikanische Gericht "Tamales" (aufwendig zu kochendes Fleisch in Maisblättern) feilbieten (Abbildung 4).
Wir in San Francisco sehen die illegalen Einwanderer eher mit einem zwinkernden Auge, aber es gibt durchaus Leute, die das nicht so witzig finden und Initiativen gründen, damit die Politik dem Spuk ein Ende bereite. Im Jahre 1994 gab es zum Beispiel in Kalifornien die Proposition (Volksabstimmung) 187, die den illegalen Einwanderern den Zugang zum öffentlichen Schulsystem oder Krankenhäusern verwehrte und mit 59% eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung erzielte. Der Federal Appeals Court, ein Bundesgericht, beendete den Unfug allerdings schnell wieder.
Die Damen und Herren Politiker zerreißen sich nicht gerade, das Problem anzugehen: Zu genau wissen sie, dass die amerikanische Wirtschaft die illegalen Arbeiter dringend braucht. So erließ Rudolph Giuliani ebenfalls im Jahr 1994 als Bürgermeister von New York die Anweisung, dass keine städtische Behörde irgendwelche Informationen über illegale Einwanderer an die Einwanderungsbehörde durchsickern lassen durfte. Und auch sein Nachfolger Bloomberg erließ 2003 eine Order, die Stadtangestellte stark in ihren Möglichkeiten einschränkte, neugierige Fragen nach dem Immigrationsstatus zu stellen -- und das zu einer Zeit, in der viele wegen dem 11. September 2001 nach einem Polizeistaat riefen. In San Francisco gilt, das überrascht euch sicher nicht, seit jeher die Regel "Don't ask, don't tell". Es werden keine Fragen gestellt, und niemand muss verlegene Antworten geben.
In Mexiko führt das zu verlassenen Dörfern, in denen irgendwann nicht mehr genug Kinder weilen, wegen denen es sich lohnte, eine Schule zu betreiben. Eltern wollen zwar nicht, dass ihre Kinder nach Norden in die USA immigrieren, aber bekommen üblicherweise von dort dann monatliche Zahlungen (remittances), die sie im Heimatdorf finanziell gutstellen, also drücken sie oft beide Augen zu.
Übrigens immigrieren Mexikaner nicht nur in die südlichen USA, sondern sind vor allem auch in New York City präsent. Warum zieht es illegale Einwanderer in den hohen Norden, in eine Stadt, die mit ihren strengen Wintern für viele sicher klimatisch ungewohnt ist? Erstmal muss in New York wegen der guten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel niemand mit dem Auto fahren, was ohne Führerschein oder Versicherung für Illegale ein unkalkulierbares Risiko bedeutet. Und natürlich fühlen sie sich dort gut aufgehoben, wo bereits hohe Einwandererpräsenz aus Mexiko herrscht, wo die Bevölkerung Illegale akzeptiert, wo man gut Kontakte knüpfen und über soziale Netzwerke schnell und zuverlässig Arbeit finden kann.
Interessiert euch das Thema? In dem schön geschriebenen Buch "The World of Mexican Migrants" von Judith Hellman steht alles genau beschrieben, all die kleinen Details des Alltags und die Lebensgeschichten der Mexikaner, die ihre Dörfer verließen, um auf "al otro lado" (der anderen Seite), wie die USA in Mexiko heißen, die Chance zu etwas Wohlstand zu suchen.
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