23.12.2024   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 156  
San Francisco, den 23.12.2024


Abbildung [1]: Willkommen bei der Krankenversicherung Kaiser Permanente

Angelika Wir haben uns ja schon oft im Rundbrief über das desolate Krankenkassensystem in den USA ausgelassen. Es ist völlig überteuert, ineffizient und bringt nur mittelmäßige Ergebnisse zustande. Ein riesiger, komplexer, bürokratischer Apparat, in dem alles aus den Fugen geraten ist und keiner mehr durchblickt, und das sowohl Ärzte als auch Patienten zum Verzweifeln bringt.

Wir meinen, dass das System kurz vor dem Zusammenbruch steht, wenn es nicht bald Reformen gibt, haben aber wenig Hoffnung, dass dies in naher Zukunft passieren wird. Wie überall macht man erst dann was, wenn es eigentlich schon viel zu spät ist. Erschreckend ist auch, dass es mittlerweile akzeptabel scheint, wenn ein CEO einer Krankenversicherung auf offener Straße erschossen wird, und der Mörder zum Helden stilisiert wird, weil die Frustration über das Gebaren der Krankenkassen so groß ist.

Abbildung [2]: Einchecken am Empfang geht ruck-zuck.

Obamacare hat zwar vieles verbessert und dazu geführt, dass weit mehr Amerikaner versichert sind. 2024 war zum Beispiel ein Rekordjahr, in dem über 21 Millionen Amerikaner mit Hilfe von Obamacare eine Krankenversicherung abgeschlossen haben. Aber auch Obamacare ist Teil des Systems mit steigenden Kosten und immer höheren monatlichen Beiträgen. Vor allen Dingen erhält der Versicherte auch keine andere Krankenkassenoptionen über Obamacare sondern nur die großen bekannten Krankenversicherungen bieten ihre Verträge unter Obamacare an. Zur Zeit gibt es noch steuerliche Vergünstigungen, die die Prämien für die meisten Leute signifikant senken, die über den "Affordable Care Act" (also Obamacare) Krankenversicherungspolicen kaufen. Diese staatlichen Bezuschussungen laufen allerdings Ende 2025 aus, falls der amerikanische Kongress nicht beschließt, diese zu verlängern.

Abbildung [3]: Bei Kaiser geht jede Interaktion zuerst über den Hausarzt.

Meines Erachtens ist einer der empfindlichen Nachteile des amerikanischen Krankenkassensystems, dass der Arbeitnehmer in der Regel seine Krankenkasse über den Arbeitgeber erhält. Je nachdem, wie groß oder klein die Firma ist, für die man arbeitet, kann die Firma ihren Mitarbeitern entsprechende Krankenkassenverträge, genannt "Pläne", anbieten. Große Firmen mit Tausenden von Mitarbeitern wie Apple oder Google haben dementsprechend viele verschiedene Pläne bei unterschiedlichen Krankenkassen mit hohen Leistungen im Programm.

Die Krankenkassen sind natürlich sehr daran interessiert, diesen Firmen gute Konditionen anzubieten. Als Michael noch bei Apple war, hatten wir beide einen top Plan mit der Versicherung United Healthcare. Es war nie ein Problem, Leistungen zu erhalten, denn da hatte Apple stets den Daumen drauf. Nun arbeitet Michael bekanntlich nicht mehr bei Apple und unsere Cobra-Versicherung (Rundbrief 12/2022) ist nach 18 Monaten ebenfalls ausgelaufen.

Was nun? Obamacare ist nicht wirklich eine Option, wenn man über den Arbeitgeber die Möglichkeit hat, versichert zu sein, denn dann zahlt der Versicherte immer die vollen teuren Prämien ohne Zuschüsse. Meine Schule bietet aber natürlich auch eine Krankenkasse für mich an und erlaubt, Partner und Kinder gegen höhere monatliche Beiträge mitzuversichern. Nun ist meine Schule nicht so eine große Firma wie Apple, und kann dementsprechend nicht unendlich viele Krankenkassenpläne anbieten. Genauer gesagt gibt es nur zwei Pläne zur Auswahl und bei nur einer Krankenkasse, nämlich Kaiser Permanente.

Abbildung [4]: Auf der Webseite von Kaiser kann man allen Bürokram erledigen.

Nun ist Kaiser Permanente eine sehr interessante Krankenversicherung, denn sie betreibt ihr eigenes Netzwerk aus Krankenhäusern, Kliniken und Ärzten. Mitglieder erhalten in der Regel nur Leistungen in Kaiser-Einrichtungen, können somit also nicht einfach einen Arzt, der nicht im Kaiserverbund ist, auswählen oder sich in einem anderen Nicht-Kaiser-Krankenhaus operieren lassen. Ausnahmen werden nur dann zugelassen, wenn der Kaiser-Versicherte einen lebensbedrohlichen Notfall hat und kein Kaiser-Krankenhaus in der Nähe ist oder der Patient etwas so Kompliziertes hat, dass Kaiser überfordert ist, z.B. eine irre komplizierte Gehirnoperation.

Allerdings muss Kaiser dies dann erst genehmigen. Kaiser Permanente hat mittlerweile über 12 Millionen Mitglieder. Es betreibt circa 700 medizinische Einrichtungen wie Ärztehäuser und Kliniken in neun Bundesstaaten. Besonders in Kalifornien zeigt Kaiser starke Präsenz, denn der Firmenhauptsitz ist in Oakland, also gleich gegenüber von San Francisco auf der anderen Seite der Bucht.

Kaiser betreibt organisationstechnisch ein gemischtes Modell, und zwar sind der Kaiser Foundation Health Plan und die Kaiser Foundation Hospitals gemeinnützige Einrichtungen ("non-profit organizations"), was bedeutet, dass Einnahmen und Überschüsse wieder zurück in diese medizinischen Einrichtungen fließen. Dann gibt es als drittes Standbein die gewinnorientierte "Permanente Medical Group" bei der die Kaiser-Ärzte angestellt sind.

Abbildung [5]: Im Kaiser-Gebäude sind Apotheke, Labor und Fachärzte.

Die Geschichte von Kaiser Permanente reicht übrigens bis in die 1930er Jahre zurück. Ein junger Arzt mit dem Namen Sidney Garfield eröffnete zu dieser Zeit ein Krankenhaus in der Mojave-Wüste in Kalifornien, um Arbeiter zu behandeln, die am Bau des Los-Angeles-Aquädukts beteiligt waren. Die Arbeiter zahlten täglich fünf Cent für ihre spätere medizinische Versorgung voraus. Die Idee der modernen Krankenkasse war geboren. Henry J. Kaiser, ein Industrieller, arbeitete dann in den 1940er Jahren mit Garfield zusammen, um dieses Gesundheitsmodell für Werftarbeiter in Richmond in Kalifornien während des Zweiten Weltkriegs anzubieten. Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 stellte Kaiser Permanente dann dieses Krankenkassenmodell, nämlich die Integration von Krankenhäusern, Kliniken und Ärzte unter dem Dach einer Krankenkasse, der breiteren Bevölkerung vor. Ab den 1950er Jahren expandierte Kaiser über Kalifornien hinaus und eröffnete zum Beispiel medizinische Einrichtungen in Hawaii, Colorado und anderen Bundesstaaten.

Nun müsst ihr wissen, dass ich mir eigentlich stets geschworen hatte, nie bei Kaiser versichert zu sein. Das war lange Zeit meine absolute Horrorvorstellung. Denn mir war es aus Deutschland kommend extrem wichtig, freie Arztwahl zu haben und wenn nötig zu top Krankenhäusern wie dem Unikrankenhaus in San Francisco (UCSF) oder Standford in Palo Alto gehen zu können. Ich kannte entweder Leute, die absolut überzeugt und begeistert von dem Kaisersystem waren oder andere, die um Kaiser einen riesigen Bogen machten, weil ihnen in komplexeren Krankheitsfällen nicht adäquat geholfen worden war, mit dramatischen Folgen. Da meine Schule aber nichts anderes als Kaiser anbot, und ich nach intensiven Befragungen meiner Kollegen, die ja auch das deutsche System gut kennen, unterm Strich eher Positives hörte, dachte ich mir, jetzt probieren wir dies einfach mal aus.

Nun muss man wissen, dass Kaiser eine gewisse Metamorphose durchgemacht hat. Noch vor 20 Jahren wollte jeder Arzt seine eigene Praxis aufmachen, was manchmal dazu führte, dass Kaiser nicht immer die absoluten Spitzenmediziner rekrutieren konnte. Allerdings ist es mittlerweile völlig irre, eine eigene Arztpraxis zu betreiben. Die Bürokratie ist so zeitaufwendig und absurd und wird von Jahr zu Jahr umständlicher, so dass viele Ärzte kaum noch Zeit für ihre Patienten haben.

Ich hatte ja schon einmal berichtet, dass es fast unmöglich ist, einen neuen Hausarzt in San Francisco zu finden (Rundbrief 10/2023). Oft wartet man als Patient elend lange auf einen Termin, egal ob beim Hausarzt oder beim Spezialisten. Ich ging zum Beispiel früher zu einer Frauenärztin bei dem Unikrankenhaus UCSF. Einen Termin bei ihr zu bekommen, ging nur mit viel Vorlauf und Planung. Nun nutzt es dem Patienten wenig, wenn der Arzt zwar eine Koryphäe ist, aber der Patient keinen Termin kriegt. Deshalb gehen immer mehr Ärzte dazu über, in Gemeinschaftspraxen zu arbeiten. Das Kaisersystem als riesige Gemeinschaftspraxis ist für viele Ärzte deshalb besonders attraktiv, weil sie sich nicht mit den verschiedenen amerikanischen Krankenkassen mit hunderten von unterschiedlichen Plänen herumschlagen müssen, sondern als Angestellte in einem System agieren. Interessanterweise zieht Kaiser heute immer bessere Ärzte an.

Abbildung [6]: Mit der Telefon-App kann man Termine mit dem Doktor machen ...

Aber nun zurück zu unseren persönlichen Erfahrungen bei Kaiser. Ich schickte zunächst einmal Michael vor, der bekanntlicherweise mittlerweile flexibler ist und mehr Zeit hat. Er war begeistert von der Effizienz und einem System, das relativ patientenfreundlich ist.

Michael suchte sich einen Hausarzt im hochmodernen Kaiserhaus im Mission-Bay-Viertel aus. Das Prinzip bei Kaiser ist, dass der Hausarzt die zentrale Anlaufstelle ist, der sich um alle Gesundheitsbelange kümmert und diese koordiniert, also einen zum Beispiel zum Spezialisten schickt oder zur Blutabnahme. Als neues Kaisermitglied sucht man sich zunächst über das Patientenportal einen Hausarzt aus. Es gibt auch die Möglichkeit, sich telefonisch diesbezüglich beraten zu lassen, aber wir haben es online gemacht. Auf dem Portal stehen die Lebensläufe der Ärzte und ob sie noch neue Patienten annehmen.

Abbildung [7]: ... und Testergebnisse abfragen.

Mit einem Klick wählten wir unsere Hausärzte aus. Es ist sehr einfach, den Hausarzt zu wechseln, das geht ebenfalls über das Portal. Frauen dürfen einen Hausarzt und auch einen Frauenarzt auswählen und brauchen keine Überweisung vom Hausarzt, wenn sie ihre Frauenärztin sehen wollen. Bei Kaiser sitzt der Hausarzt nicht isoliert in seiner Praxis, sondern ihr müsst euch das Ganze wie ein riesiges Ärztezentrum vorstellen, in dem alles unter einem Dach ist, Hausärzte, Internisten, Orthopäden, Hautärzte, Gynäkologen, Hals-Nasen-und Ohrenärzte. Auch die Röntgenabteilung, die Apotheke und das Labor sind alle Teile des gleichen Systems. Die Ärzte arbeiten alle zusammen, da sie bei Kaiser angestellt sind, und haben auch alle Zugriff auf die Patientenakte.

Der Arzt wird also nicht danach bezahlt, welche einzelnen Maßnahmen er am Patienten durchführt, sondern erhält ganz einfach ein Gehalt, was dazu führt, dass die Ärzte viel mehr Zeit für einen haben und ihre Patienten nicht im 10-Minuten-Takt durchschleusen müssen, um ihre Praxis am Laufen zu halten. Kaiser legt großen Wert auf Prävention und hat in diesem Bereich allgemein einen guten Ruf. Termine sind relativ schnell zu bekommen. In der Regel kann der Patient mittlerweile auswählen, ob er eine Videokonferenz möchte oder persönlich auftaucht. Videokonferenzen bieten sich für Folgetermine an, um Ergebnisse zu besprechen oder sind auch praktisch, wenn man sich nicht mit Grippe in ein Wartezimmer setzen will, wobei es dann manchmal doch wichtig ist, dass der Arzt einen untersucht.

Abbildung [8]: Sogar das Labor für Bluttests ist im gleichen Gebäude.

Ich hatte mittlerweile auch einen Termin bei meiner Hausärztin. In den USA ist es durchaus üblich, dass ein jährlicher Check-up mit Blutbild, Lunge abhorchen, Blutdruckmessen usw. gemacht wird, wofür ich mich angemeldet hatte, um die Ärztin kennenzulernen. Die nahm sich sehr viel Zeit für mich und plauderte erst einmal ausführlich mit mir, was ich denn arbeitete und über meine Weihnachtspläne. Zum Blutbild ging ich dann einfach drei Stockwerke tiefer. Ich muss sagen, dass ich meine Vorurteile bezüglich Kaiser doch etwas revidieren musste, wobei ich mich immer noch sorge, was passiert, wenn ich einmal etwas super Kompliziertes haben sollte, denn das beste System bewahrheitet sich erst dann, wenn man wirklich krank ist.

Was viele Versicherte bei Kaiser auch besonders schätzen, ist, dass sich das Herumärgern mit unerwarteten Rechnungen bei Kaiser in der Regel reduziert, da alles im gleichen Netzwerk stattfindet. Auch diesbezüglich haben wir schon einiges mitgemacht bei den diversen anderen Krankenkassen, bei denen wir schon versichert waren, da ist das Kaiser-System deutlich weniger nervenaufreibend.

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Letzte Änderung: 24-Dec-2024