Angelika Im Mai diesen Jahres teilte uns unser langjähriger Hausarzt mit, dass er in den wohl verdienten Ruhestand geht. Wir hatten schon lange befürchtet, dass der Abschied nahte, denn unser Doktor war nach unseren Schätzungen weit über 70. Dass er sich überhaupt solange mit dem maroden amerikanischen Gesundheitssystem herumschlug, ist ihm hoch anzurechnen. Er war ein Arzt der guten alten Schule: umsichtig, erfahren, verfiel aber auch nicht gleich in Panik mit unnötigen Tests. Auf der anderen Seite handelte er umgehend und sicher, wenn es nötig war. Er war derjenige, der damals Michaels Lungenembolie diagnostizierte, was die Notfallaufnahme leider übersehen hatte. Wir werden ihm ewig dankbar dafür sein.
In unserer Naivität machten wir uns zunächst keine Sorgen darum, einen neuen Hausarzt in San Francisco zu finden. Schließlich wohnen wir in einer großen Stadt mit, so dachten wir, vielen Optionen. Unser Doktor fand zwar keinen richtigen Nachfolger für seine Praxis, schickte aber einen Brief, der Ärzte auflistete, die bereit waren, seine Patienten aufzunehmen. Im Juli dachten wir, dass es jetzt an der Zeit wäre, sich dahinter zu klemmen, einen neuen Hausarzt zu finden, denn ohne Hausarzt zu sein kann bei plötzlichen Erkrankungen zum Problem werden. Auch brauchte ich ein Gesundheitszeugnis für meine neue Arbeit.
Michael und ich riefen beide einige Ärzte von der Liste an, nur um festzustellen, dass fast niemand neue Patienten aufnahm oder sich darum scherte, dass die eigene Praxis auf der Nachfolgerliste unseres Doktors stand. Oft ging niemand ans Telefon, und wenn wir eine Nachricht hinterließen, machte sich keiner die Mühe, zurückzurufen. Wir wählten uns die Finger wund und klapperten das Internet rauf und runter nach Möglichkeiten ab. Bekamen wir eine Person ans Telefon, kam das fast einem Lotteriegewinn gleich. Die meisten scherten sich wie gesagt null um unser Anliegen, aber einmal hatte ich Glück und ein netter Arzthelfer hatte Mitleid mit mir und gab mir drei Telefonnummern von großen Gesundheitsorganisationen wie Dignity Health, One Medical und Circle Medical.
Diese Organisationen verwalten große Arztpraxen und teilweise auch Krankenhäuser. Ärzte sind dann bei ihnen angestellt. Die meisten haben nicht gerade den besten Ruf, da sich der Patient mit ausufernder Bürokratie und einem riesigen Verwaltungsapparat herumschlagen muss. Oft herrschen chaotische Zustände. Als ich mich zum Beispiel auf dem Portal von Dignity Health anzumelden versuchte, um die Arztnotizen (siehe Rundbrief 12/2021) und meine Laborwerte einzusehen, bekam ich stets eine Fehlermeldung, obwohl ich dem Link, der mir per Email von Dignity Health zugeschickt worden war, gefolgt war. Das System antwortete mit einer Fehlermeldung, die besagte, dass mein Geburtsdatum nicht zu verifizieren sei. Als ich dann die Hotline für Schwierigkeiten beim Anmelden anrief, erklärte man mir, dass ich dem Link nicht hätte folgen sollen, sondern über die Webseite gehen müsste, um den Account einzurichten. Als ich dann freundlich, aber innerlich schon etwas genervt, nachfragte, warum dann das Problem nicht behoben würde, bekam ich die etwas wirre Antwort, dass das Portal von einer Drittfirma verwaltet wird und sich deren Kommunikation mit Dignity Health schwierig gestaltet. Ahh!!! Es ist mir bis heute übrigens immer noch nicht gelungen, mich auf dem Portal anzumelden, sodass mir unsere neue Hausärztin die Laborwerte per Post zuschicken musste.
Aber zumindest fanden wir überhaupt eine Hausärztin über die Dignity-Health-Gruppe. Allerdings nicht in San Francisco sondern in dem etwa 40 km südlich gelegenen Ort Belmont. Den Termin bei der Ärztin konnten wir sogar online buchen und die Gemeinschaftspraxis hat kostenlose Parkplätze, was in San Francisco nicht der Fall gewesen wäre. Warum ist es aber nun so schwierig, einen Hausarzt zu finden? Hausärzte werden in den USA wie in Deutschland auch am schlechtesten bezahlt, sodass das kein Mensch mehr machen will. Hinzukommt das marode amerikanische Gesundheitssystem, das äusserst ineffizient ist und von Ärzten einen hohen bürokratischen Aufwand abverlangt, der mit ihrem eigentlichen Beruf nichts mehr zu tun hat. Deshalb werden nach Hochrechnungen bis zum Jahr 2025 in Kalifornien 4.700 Hausärzte fehlen.