Angelika/Mike Schilli |
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Michael Unser Stadtteil Noe Valley in San Francisco liegt ja bekanntlich fast im Zentrum der Halbinsel, auf der sich die Stadt ausbreitet. Kaum ein Tourist kennt aber unsere kleine Oase, ein wohlbehütetes kleines Dorf mit eigenem Marktplatz, inmitten einer verkommenen Stadt, in der wegen verfehlter Politik seit Jahren das Chaos herrscht.
Auf unserem Marktplatz nun findet samstäglich ein Wochenmarkt statt, auf dem Bauern aus der Umgebung biologisch hochwertige Ware an eine wohlbetuchte Kundschaft verkaufen. Unter der Woche stehen auf dem Platz Tischlein mit Stühlen, auf denen komischerweise praktisch nie Obdachlose lungern sondern dem Anschein nach nur besserverdienendes Stadtpublikum, das sich offensichtlich nach dem Bummel durch die Modeboutiquen auf der 24. Straße ein Päuschen gönnt. Erstaunlich brave Kinder spielen unter Aufsicht ihrer Nannies auf der Rutsche des Kinderspielplatzes.
Eine Idylle, ein Juwel der Stadtplanung! Nur eines fehlte bis vor kurzem: eine öffentliche Toilette, denn die umliegenden Restaurants lassen aus Kostengründen eigentlich nur Gäste pinkeln. Nun begab es sich, dass im Jahre 2018 der damalige Supervisor Matt Haney einen Plan aus der Tasche zog, das Klo zu bauen. Aber natürlich kann auf dem prestigeträchtigen Marktplatz von Noe Valley kein Pixie-Klo stehen, wir sind ja hier nicht auf dem Heavy-Metal-Open-Air-Festival von Wacken! So wurden einige Entwürfe eingeholt, der beste ausgewählt und genehmigt.
Dass das geplante 20 Quadratmeter füllende Monument der Entschlackung nun schlappe 1.7 Millionen Dollar kosten sollte, schreckte Supervisor Haney nicht, denn bekanntlich fordert unsere Stadt ja für jeden Pups 42 kostenpflichtige Genehmigungen, und für jegliche Bauunternehmung halten 17 verschiedene Gewerkschaften die Hand auf. Das kommt euch jetzt grotesk vor, aber in San Francisco kassieren tatsächlich das Bauamt (Department of Public Works), die Behindertenkommission (Mayor's Office on Disability), Kunstgutachter (Arts Commission), der Stromversorger (PG&E), das Stadtplanungskommittee und viele weitere Organisationen horrende Gebühren für undurchsichtigen Bürokram und Gutachten, bevor so ein Projekt überhaupt Gestalt annimmt. Weiter dürfen von Gesetz her nur hochqualifizierte Gewerkschafler die Baumaßnahmen erledigen.
Nichtsdestrotrotz hatte Matt Haney die 1.7 Millionen bereits organisiert gehabt, das Geld sollte aus dem Steuersäckel von Stadt und Bundesland kommen, und das Projekt war, wie man so sagt, im Sack. Matt Haney hatte mittlerweile Karriere gemacht und war vom Stadtrat zum Abgeordneten der Regierung in Sacramento aufgestiegen. Überraschenderweise empfand aber unser sonst gar nicht geiziger Gouverneur Gavin Newsom die Klokosten als horrend und strich paukenschlagartig die Beteiligung des Bundesstaates Kalifornien. Damit war das Projekt erstmal auf Eis. Nun begann eine wilde Jagd nach Sponsoren, und eine Toilettenfirma aus Nevada erklärte sich bereit, das Bauwerk kostenlos zu errichten. Das Problem war nur, dass die Stadträte San Franciscos einige Zeit vorher vollmundig erklärt hatten, mit Bundesstaaten wie Nevada keine Geschäfte mehr zu machen, da Nevada die hehren LBTQ-Gesetze San Franciscos nicht im vollem Umfang implementierte. Parbleu!
Mit dem Rücken zur Wand lockerten die Stadtväter nun ihre moralischen Ansprüche an die Politik anderer Bundesstaaten, und das Klo wurde geliefert, wobei zwei verschiedene Firmen nicht nur die Konstruktions- sondern auch den Löwenanteil der gewerkschaftlich extrahierten Baukosten übernahmen. Die Stadt schoss lediglich 200.000 Dollar zu, ebenfalls an gewerkschaftlich organisierte Bauarbeiter.
Mittlerweile hat die "Toiletgate"-Affäre bereits US-weite Wellen geschlagen, und auch ein Wikipedia-Artikel besteht seit einiger Zeit (nicht von mir übrigens). Reist man heutzutage als kalifornischer Einheimischer in andere Bundesstaaten, ist es nicht ungewöhnlich, augenrollend auf derartigen "typisch kalifornischen" Unsinn angesprochen zu werden.
Auch die renommierte Tageszeitung New York Times hat das Thema bereits aufgerollt. Und Ex-Präsident Trump hat neulich das Thema als Wahlkampfrhetorik aufgegriffen, als Beleg verfehlter Politik seitens der demokratischen Partei. Als rasender Rundbriefreporter habe ich die Toilette, die nur etwa 500 Meter von unserem Haus entfernt ist, übrigens schon mal benutzt und kann bestätigen, dass sie funktioniert. In die Königsklasse einordnen würde ich sie allerdings nicht, da habe ich sogar auf Wanderwegen in der Pampa schon deutlich ansprechendere Konstruktionen gesehen.
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