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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 129  
San Francisco, den 30.04.2019
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Rundbrief


Abbildung [1]: Ein Bürger hat gemeldet, dass ein Verrückter in unserem Viertel mit einem Besen auf parkende Autos eindrischt.

Michael So wie ich regen sich immer mehr Leute über die zunehmende Verwahrlosung und Gesetzlosigkeit in der Stadt San Francisco auf, und deshalb nimmt es nicht Wunder, dass sich geschäftstüchtige Internetleute Gedanken machen, wie Technik die verfahrene Lage wieder in den Griff bekommen könnte. So sammelt die App "Citizen" (ihr Slogan heißt: "Protect the World") Meldungen der Polizei, arbeitet sie nach Ort und Zeit auf, bewertet sie, und dann schlägt das Telefon des Nutzers sofort Alarm, falls im eingestellten Aktionsradius etwas passiert ist.

Abbildung [2]: Zwei Schlingel haben einem Fahrgast in der BART U-Bahn den Laptop entrissen.

Und passieren tut in San Francisco alle paar Minuten etwas: Hier schlägt einer eine Autoscheibe ein, dort steigt ein Penner übern Zaun, hier entreißt ein Räuber einem Touristen die Brieftasche, dort schlägern sich ein paar Halbstarke. Dabei dürfen Anwender zu den Verbrechen lustige Kommentare abgeben oder sogar "live gehen", also ihre Handykamera einschalten, falls sie ein brennendes Haus von ihrem Fenster aus sehen oder oder die Einsatzkräfte an einem Unfallort abfilmen wollen. Das Ganze ist richtig spannend, und teilweise sogar zum Totlachen, weil eben auch dauernd völlig verrückte Dinge passieren, wie dass ein Penner Passanten mit Müll bewirft oder ein Irrer eine lange Eisenstange herumwirbelt.

Abbildung [3]: Die Polizei ist ausgerückt, weil in der Stadt ein Irrer Passanten mit Müll bewirft.

Dabei beschäftigt Citizen Spezialisten, die die Polizeimeldungen in zwar formal korrektes, aber äußerst unterhaltsames schnoddriges Amerikanisch übersetzen. Wenn ein Penner mit einem Besen auf parkende Autos eindrischt, meldet Citizen "Man Whacking Cars with Broom", was vielleicht eher ein Jugendlicher als ein Erwachsener sagen würde, aber genau das macht den Unterhaltungswert aus.

Da Citizen weiß, wo der Anwender zuhause ist (oder wahlweise wo er sich gerade aufhält), kriegt der sofort eine Nachricht auf den Schirm, falls sich etwas im näheren Umkreis ereignet. Letzten Freitag arbeitete ich von zuhause, da ging plötzlich die Meldung ein, dass fünf Straßen weiter die Feuerwehr gerade ein brennendes Auto löschte. Ich rannte sofort runter, schnappte mir ein elektrisches Leihfahrrad, fuhr mit gezücktem Handy am Ort des Geschehens vorbei und ging "live". Was ihr dort seht, ist mein trotz stinkender Rauchschwaden todesmutig aufgenommenes Video! Allerdings stellen sich die Citizen-Fritzen Live-Reportagen wohl etwas professioneller vor, denn ich bekam gleich eine Email (Abbildung 4), die mich darauf hinwies, dass ich statt schweigend nur ein paar Sekunden aufzunehmen lieber länger draufhalten und das Geschehen live kommentieren hätte sollen. Daran gibt's noch einiges zu verbessern!

Abbildung [4]: Citizen weist den Amateurreporter an, länger draufzuhalten und das Geschehen live zu kommentieren.

Die App ist relativ neu, deckt momentan nur die San Francisco Bay Area und New York City ab, aber sie breitet sich aus wie ein Lauffeuer, besonders alle hippen Stadtkids scheinen sie zu benutzen. Sogar die besorgten Hippies bei der New York Times echauffieren sich schon. Sehr zu empfehlen!

Toppprodukt "Stasher": Umweltfreundliche Plastikbeutel

Abbildung [5]: Im Tropenparadies Hawaii schwemmt der Ozean Plastikmüll an, den die Anwohner regelmäßig einsammeln.

Angelika Auch im Land des Verpackungswahns hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass es nicht so weiter geht mit dem Müll. Vor allen Dingen den Plastikmüll gilt es zu reduzieren. Aufgeschreckt haben viele Amerikaner vor allem die Unmengen an Plastikmüll, die im Ozean herumschwimmen. In Oahu, wo wir gerade im Urlaub waren, fand sich diesmal an unserem Lieblingsstrand in Waimanolo mehr Plastikmüll als üblich und störte das paradiesische Bild des super feinen, fast weißen Pulversandes. Natürlich wird je nach Wetterlage und Strömung mehr angeschwemmt, aber wenn nichts im Ozean herumschwimmt, kann auch nichts angeschwemmt werden.

Abbildung [6]: Traditionelle Ziplock-Tüte, in der Michael sein Wachs fürs Surfboard in den Urlaub transportiert.

Besonders dem Plastikstrohhalm wurde der Kampf angesagt, seitdem Bilder von Schildkröten, denen Strohhalme in der Nase stecken, im Internet kursieren. In Kalifornien erhält der Restaurantbesucher seit Januar nur noch einen obligatorschen Plastikstrohhalm, wenn er danach fragt. Ab Juli 2019 sind dann Plastikstrohhalme in San Francisco gleich ganz verboten und nur noch Strohhalme aus Papier erlaubt. Ein Anfang ist gemacht, wobei das Ganze eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein anmutet. Ich hoffe ja, dass wir eine Anti-Plastik-Kampagne in den USA erleben werden, vergleichbar mit der Anti-Raucher-Kampagne. Die Mühlen mahlen hier oft sehr langsam, aber wenn es einmal geklingelt hat, wird mit Enthusiasmus und fast schon Pedanterie daran gearbeitet: Rauchen ist hier mittlerweile so verpönt wie in keinem anderen Land. Vielleicht gelingt ein ähnlicher Siegeszug mit dem Plastikmüll.

Abbildung [7]: Wiederverwertbare "Stasher"-Plastikbeutel im Kaufhaus "Bed Bath and Beyond".

Zwischenzeitlich fragt man sich selbst immer wieder: Was kann ich tun, um möglichst wenig Müll zu produzieren? Wir trennen natürlich fleißig den Müll und recyceln, aber es sieht so aus, dass vieles dennoch in der Verbrennungsanlage oder auf der Müllhalde landet, seitdem China unseren angeblich wieder zu verwertbaren Müll nicht mehr haben will. Die ersten Städte in den USA stellen tatsächlich ihre Recycling-Programe wieder ein, weil sie den Müll nicht mehr nach Asien verkaufen können und nicht wissen, wohin mit dem Zeug. So verbrennt zum Beispiel Philadelphia den größten Anteil seines Mülls. Die Absurdität, dass Müll zur Wiederverwertung nach China verschifft wird, lässt jeden Umweltengel eh verzweifeln. Auch habe ich oft das Gefühl, dass einen die Plastikverpackungen richtiggehend verfolgen. Ich kriege zum Beispiel jedes Mal die Krise, wenn ich in Plastikfolie eingeschweißte Salatgurken sehe. Der tiefere Sinn dieser Maßnahme blieb mir bisher verborgen. Anscheinend bleiben die Salatgurken länger frisch in der Plastikumhüllung. Allerdings ist die Folie in der Regel schlecht abzukriegen und ich bevorzuge Gurken ohne Folie. Ich frage mich bei denen, die es ohne Folie gibt, allerdings, ob die nicht voher eingeschweißt waren und der Laden die Folie entfernte, um dem Kunden ein ruhiges Gewissen zu verschaffen.

Abbildung [8]: Die wiederverwertbaren Plastikbeutel wäscht der umweltbewusste Verbraucher einfach in der Spülmaschine aus.

Ich muss gestehen, dass ich "Ziploc Bags" super praktisch finde. Die wieder verschließbaren Plastikbeutel, die es in verschiedenen Größen gibt, eignen sich dazu, Lebensmittel im Kühlschrank aufzubewahren oder sicher zu transportieren. Auch Kosmetika sind sicher verpackt in diesen Beuteln und selbst wenn ein Malör passiert und das Shampoo ausläuft, bleibt alles im Beutel und landet nicht etwa im Koffer. Beim Megasupermarkt Costco gibt es "Ziploc Bags" in der Großpackung, zum Beispiel 216 Beutel in der Größe 17.7 x 18.8 cm, die zum Einfrieren geeignet sind, für 16 Dollar. Billig, aber nicht gerade umweltfreundlich, selbst wenn man die Plastikbeutel nicht gleich nach einmaliger Benutzung in den Müll schmeißt.

Aber seit neustem gibt es für alle Ziploc-Fans eine Alternative von der Firma Stasher, die ihren Firmensitz in Emeryville hat, etwa 17 Kilometer nördöstlich von San Francisco. Die Beutel sind aus lebensmittelfreundlichem Silikon und nicht aus Plastik gemacht und sollen angeblich ewig halten. Das Material ist wesentlich dicker als das der Plastikbeutel und die Stasher-Beutel sind wieder verschließbar und spülmaschinenfest und lassen sich zum Einfrieren, zum Aufwärmen in der Mikrowelle und sogar zum Kochen (Vakuummethode im Beutel) hernehmen. Ich habe jetzt einmal eine Testphase gestartet und bin bis jetzt zufrieden. Die Beutel wurden schon einige Male in der Spülmaschine gewaschen, haben bis jetzt nicht darunter gelitten und sind 1A sauber geworden. Der Verschluss ist etwas gewöhnungsbedürftig und man muss fest pressen, damit alles gut zu ist, aber die Idee ist gut und das unterstütze ich gerne. Die noch relativ jungen Firma kommt mittlerweile auch mit immer neuen Größen heraus und erlebt momentan ein wenig einen Boom, nachdem ihr Produkt in der Sendung "Shark Tank" vorgestellt wurde, und Mark Cuban mit 400.000 Dollar Investitonskapital mit dabei ist. Der Preis des Beutels ist natürlich nicht ganz ohne. Ein einziger Beutel, in den gut ein belegtes Pausenbrot passt ("Sandwich Bag"), kostet 12 Dollar. Ich habe übrigens gesehen, dass es die Stasher Beutel auch bei Amazon Deutschland zu beziehen gibt, falls ihr auch eine Testphase starten wollt.

Lamellenfenster auf Hawaii

Abbildung [9]: Bei geöffneten Glaslamellen weht die laue Brise durch die Wohnung und kühlt angenehm.

Michael Wir fahren ja bekanntlich jedes Jahr für ein, zwei Wochen nach Hawaii, und genießen unseren Urlaub dort jedesmal sehr. Da wir Privathäuser anmieten und nicht ins Hotel gehen, bekommen wir mehr davon mit, wie Hawaiianer leben. Auf den Inseln ist es ja nie brüllheiß, aber tagsüber klettert das Thermometer schon auf 30 Grad, und nachts kühlt es sich vielleicht auf 25 Grad ab. Klimaanlagen sind aber in Privathäusern eher ungewöhnlich, vielmehr nutzen Architekten die Tatsache aus, dass meist ein laues Lüftchen weht und bauen spezielle Lamellenfenster ein. Diese bestehen aus etwa zehn untereinander angebrachten Glaslamellen, die ein Mechanismus über einen Hebel am Fensterrand gleichzeitig rotiert, sodass man sie entweder alle senkrecht stellen kann, und somit eine (beinahe) geschlossene Glasfront erzeugt, oder alle waagerecht stellt, sodass das Fenster praktisch total offen ist, oder irgendeine Stellung zwischen diesen Extremen.

Abbildung [10]: Bei geschlossenen Glaslamellen bleibt der Lärm draußen.

So schläft auf Hawaii praktisch jeder mit im ganzen Haus wagenweit offenen Fenstern, aber die Glaslamellen verhindern, dass Bösewichte ungehindert aus- und eingehen können. Allerdings schützen sie nicht gegen den allgegenwärtigen Lärm, der in Wohngegenden schon ab 6:30 morgens einsetzt, wenn die Leute zur Arbeit fahren. Hawaiianer stehen ja gerne früh auf, damit sie bereits um drei Uhr nachmittags Dienstschluss machen, heimfahren, und noch an den Strand gehen können. Auch die von Gärtnern gerne eingesetzenen Höllenmaschinen zur Beseitigung von beschnittenen Palmen und Buschwerk, sogenannte Laubbläser ("Leaf Blower") erfordern oft das Schließen der Fenster, falls man sich anders als die Nachbarn tagsüber zuhause aufhält.

Abbildung [11]: Hohe Grundstücksmauern bieten trotz offener Fenster Privatsphäre.

Die ganzhäusig auf Durchzug gestellten Fenster sind übrigens auch ein Grund dafür, warum fast jeder auf Hawaii sein Grundstück durch übermannshohe Holzzäune oder schindelartig aufgeschichtete Steinmauern abgrenzt: So kann der Nachbar nicht einfach ins Schlafzimmer gegenüber schielen.

"Teachers Pay Teachers" Lehrer bezahlen Lehrer

Abbildung [12]: Materialien von "Teachers Pay Teachers" im Einsatz in Angelikas Klasse.

Angelika Durch meinen Jobwechsel bedingt, unterrichte ich jeden Tag in meiner zweiten Klasse das Fach "Soziales Emotionales Lernen" ("Social Emotional Learning"), eine 40-minütige Schulstunde über positives Sozialverhalten. Wir haben dabei Kernthemen, die wir in einem Schuljahr abdecken müssen, wie zum Beispiel friedliche Konfliktlösung, Förderung von Klassengemeinschaft und Freundschaften, Strategien zum Abbau von Aggressionen, Lernen zu verlieren usw., aber auch viel Freiheiten, wie wir die einzelnen Themen angehen und was wir für Materialien benutzen wollen.

Durch meinen vorherigen Job mit den autistischen Kindern und durch das Leiten der sozialen Gruppen für diese Kinder, sowie die von mir entworfenen Sommercamps habe ich schon viele Materialien und Aktivitäten in petto, die ich auch in meiner zweiten Klasse verwenden kann. Aber als im Februar meine Kollegin, die den Grundschulstoff unterrichtete, kurzerhand kündigte, übernahm ich für einige Wochen auch noch Sozialkunde, Naturwissenschaften und Kunst, bis wir eine Springkraft bis zum Ende des Schuljahrs fanden. Da ich ja keine ausgebildete Grundschulleherin bin, musste ich mich in die ganze Materie etwas einarbeiten. Auch in den USA gibt es so etwas wie einen Lehrplan ("Common Core Standards") in den einzelnen Bundesstaaten, in dem steht, was in den einzelnen Fächern unterrichtet werden muss und was die Kinder bis zum Ende des Schuljahres gelernt haben müssen. Ich konnte das auch nur übernehmen, weil wir eine private Schule sind und keine öffentliche, denn an öffentlichen Schulen kann man nur unterrichten, wenn man eine kalifornische Lehrerlaubnis besitzt ("California Teaching Credential"). Übrigens gibt es das Fach "Social Emotional Learning" in der Regel nicht als offizielles Fach an Schulen. Das ist etwas ganz besonderes an unserer Schule.

Abbildung [13]: Fertig gestaltete Karten für den Unterricht von "Teachers Pay Teachers".

Also stöberte ich in den Unterrichtsmaterialien, die wir in unserer Schule haben, aber befragte natürlich auch das Internet, um die Schulstunden für meine Schüler interessant zu gestalten. Das Internetportal "Teachers Pay Teachers" ("Lehrer zahlen Lehrer") ist mein absoluter Favorit. Auf der Webseite finden Lehrer Materialien und ganze ausgearbeitete Schulstunden, die sie für ein geringes Entgelt erwerben können. Die Idee ist genial, denn Materialien zu erstellen ist mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Außerdem profitiert jeder von den Ideen anderer. Ich kaufe zum Beispiel oft Materialien auf der Seite, die ich als Grundlage hernehme, aber dann für meine Zwecke und meine Schüler abändere.

Die Idee dazu stammt von Paul Edelman, einem Lehrer aus New York, der im Jahr 2006 "Teachers Pay Teachers" gegründet hat. Mitterweile stehen drei Millionen ausgearbeitete Schulstunden oder andere Materialien auf dem Portal zum Verkauf. Fünf Millionen Lehrer nutzen den Service. Die Materialien sind nach Themen/Fächern und Altersstufe geordnet. Um Materialien auf der Seite zu erwerben, braucht sich der Käufer nur anzumelden, was nichts kostet, und kann dann per Kreditkarte oder PayPal einkaufen. Die meisten Materialien werden einfach im PDF-Format heruntergeladen und sind fertig zum Ausdrucken. Je nach Umfang der angebotenen Materialien kosten sie oft zwischen $2.50 und $5. Das ist in der Regel, was ich ausgebe. Es gibt auch ganze Lerneinheiten zu kaufen, die dann schon einmal $15 oder auch bis zu $30 kosten.

Abbildung [14]: Ein fertiges Brettspiel von "Teachers Pay Teachers".

Um etwas auf der Seite zu verkaufen, muss sich der Interessierte als Käufer registrieren. Dabei gibt es zwei Modelle. Das eine kostet nichts, das andere für den Verkäufer $59.95 im Jahr. Wählt der Lehrer, der seine Produkte auf der Seite anbieten will, die Gratisvariante, nimmt "Teachers Pay Teachers" als Gebühr 30 Cents per Transaktion und der Lehrer erhält 55% des Verkaufspreises. Die zweite Variante mit dem jährlichen Mitgliedsbeitrag erhöht den Anteil, den der Verkäufer erhält, auf 80%, und die Transaktionsgebühr sinkt auf 15 Cents für Bestellungen unter $3. Es gibt dann noch andere Regeln, an die sich die Verkäufer halten müssen, wie zum Beispiel dass die Materialien, die sie "Teachers Pay Teachers" verkaufen, nicht anderswo im Internet von ihnen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Übrigens bieten viele auch Dinge auf dem Portal an, die nichts kosten.

Es gibt einige Lehrer, die mittlerweile das Unterrichten in der Klasse aufgegeben haben und "Teachers Pay Teachers" als ihre Haupteinnahmequelle nutzen, weil es sich für sie mehr rentiert, wobei dies doch wohl eher die Ausnahme ist. Die meisten verdienen sich aber ein ganz gutes Taschengeld dazu. Es gibt übrigens kritische Stimmen, die sagen, dass der Austausch von Materilien zwischen Kollegen nichts kosten dürfe. Ich sehe das nicht so verkniffen. Wieso soll man nicht für etwas entlohnt werden, an dem man stundenlang gesessen hat?

Polierte Autos als Obsession

Abbildung [15]: Der Prospekt der Autowienererbedarfsfirma "Griot's Garage".

Michael Sagen wir mal so, ich arbeite in einer Firma, in der eine erkleckliche Zahl der Mitarbeiter nach deutschen Maßstäben unermesslich reich sind. Und wie denkt ihr fährt jemand zur Arbeit, der zum Beispiel 500 Millionen Dollar auf dem Konto hat, was keine Seltenheit ist? Natürlich mit einem statusgemäßen Auto. Sportwägen aus deutscher Produktion gibt's schon zum Saufüttern, also bevorzugt der Besserverdiener eher etwas in Richtung Lamborghini Huracan oder McLaren 720s.

Abbildung [16]: Michael wurde zwar noch nie beim Polieren seiner Autos beobachtet, liest aber gerne die Produktbeschreibungen auf dem Klo.

In Deutschland protzt ja keiner so offen herum, was sollen die Nachbarn denken, wenn auf einmal klar wird, dass der einfache Saubauer vom Land auf einem natürlich geerbten Millionenvermögen sitzt? Der kauft sich vielleicht einen 3-er BMW-Kombi, weil der Nachbar den gleichen hat, also geht nicht gleich das Getuschel los. In meinen Jugendjahren fuhr ich mal bei jemandem per Anhalter mit, der Filialleiter bei einem kleinen Edeka auf dem Land war, einen Honda CRX fuhr und erzählte, dass er sich keinesfalls einen Porsche kaufen könne, weil das im Dorf böses Blut gäbe und keiner mehr im Edeka einkaufen würde.

Da Amerikaner generell nicht so lackverliebt bei ihren Autos sind, wusste ich lange Zeit nicht, dass es auch eine stattliche Zahl totaler Autonarren gibt, die ihr Gefährt auf Teufel komm raus polieren bis sie sich drin spiegeln können. Der technische Begriff hierfür heißt "Detailing" und Autobesitzer bezahlen für diese Serviceleistung bei Autowaschbetrieben typischerweise ein paar Hundert Dollar, damit sie den Wagen anschließend zu einem hohen Preis verkaufen können. Dabei dringt dann ein Angestellter wirklich tief in die Poren vor und holt noch mit Wattestäbchen den letzten Dreck aus der kleinsten Ritze. Ich habe auch schon von Autonarren gehört, die für besondere Wachstechniken und Spiegellack ein paar tausend Dollar beim Detailer lassen.

Abbildung [17]: Damit der Lack so glänzt, dass man sich drin spiegeln kann, rollt der Polierer ein Stück Lehm darüber.

Der typische Autonarr ("car nut") wäscht und poliert sein Auto aber normalerweise zuhause selbst, weil die Arbeiter in den Autowaschstraßen angeblich zu rabiat polieren und kreisrunde Kratzer im Lack ("swirl marks") hinterlassen. Dazu kauft er sich im Spezialgeschäft allerhand Speziallappen und chemische Wundermittel, und genau so ein Laden ist "Griot's Garage" online. Ich erhalte deren Prospekt glaube ich weil ich Autoreifen typischerweise online bei Tirerack bestelle (Rundbrief 05/2010) und diese Lumpen meine Email wahrscheinlich an den Poliermittelversand weitergegeben haben, aber egal: Zwar wurde ich noch nie beim Polieren einer unserer Autos beobachtet, blättere beim Klogang aber sehr gern in diesen Prospekt. Da kostet ein in den höchsten Tönen angepriesener Speziallappen gerne mal 70 Dollar, oder ein Batzen Knetmasse ("clay bar"), der die letzen Dreckreste aus dem Lack saugt, 22 Dollar. Würde ich zwar nie kaufen, die Publikation von "Griot's Garage" ist aber ein großartiger Lesegenuss, und ich kann die Lektüre nur wärmstens empfehlen.

Ärger bei Amazon

Abbildung [18]: Fälschungs-Alarm bei Amazon: Auf einmal kommt statt hochgepriesenen Qualitätsprodukten Billigware beim Endkunden an. Ist "commingling" im Spiel?

Michael Ist es nicht erstaunlich, dass Amazon so viele Waren auf Lager hat, und meist mit atemraubender Geschwindigkeit ausliefert? Wohnt man zum Beispiel wie wir in San Francisco, kommen die bestellten Waren teilweise noch am gleichen Tag an. Das ist besonders in Amerika wegen der weiten Entfernungen äußerst bemerkenswert, denn damit der Versand eine Bestellung so zeitnah ausliefert, muss die entsprechende Ware bereits in einem Lager liegen, das näher als eine Tagesreise per LKW vom Zustellungsort entfernt liegt. Um diese schnelle Zustellung bei Waren zu gewährleisten, die Drittanbieter auf der Amazon-Plattform verhökern, bedient sich Amazon eines interessanten Tricks, dem sogenannten "Commingling". Und das geht so: Bekanntlich müssen ja Drittanbieter ihre Waren tatsächlich in einem Amazon-Lager ihrer Wahl einbunkern, damit Amazon sie in ihrem Auftrag feilbietet. Bestellt nun ein Kunde aus einem weiter entfernten Teil der USA die Ware, würde das auf dem Postweg ewig dauern. Stellt Amazon aber in diesem Fall fest, dass in einem anderen Lager, das näher am Endkunden liegt, die gleiche Ware eines anderen Anbieters liegt, schickt es dem Kunden vielmehr dessen Ware, ist ja eh das gleiche Trumm, und die Zustellung ist viel schneller und billiger!

Wie neulich in einem Artikel in der Financial Times stand, führt das aber zu Problemen, falls Gauner-Anbieter minderwertige Waren ans Amazon-Lager schicken. Der Endkunde hat keine Ahnung, dass er die bestellte Ware durch Amazon gar nicht von dem von ihm ausgewählten Anbieter X bekommt, sondern indirekt von einem Gauner, und, das setzt dem Fass die Krone auf, der Kunde wird eventuell gefundene Mängel später nicht dem Gauner ankreiden, sondern Anbieter X, dem die Klappe runterfällt! Ich habe auch schon Reviews von Produkten gelesen, die das Teil bis zu einem bestimmten Datum in den höchsten Tönen preisen, aber dann driften sie schlagartig ins Negative ab, weil offensichtlich minderwerte Produkte beim Endkunden ankommen. Da muss Amazon wohl noch einiges richten, so geht's ja nicht.

Chow macht dicht

Abbildung [19]: Das "Chow" an der Ecke Market St./Church St. Foto: Brian McKechnie

Michael Eine unserer schönsten Traditionen in San Franisco war bis vor kurzem, mindestens einmal im Monat am Wochenende im Restaurant "Chow" an der Ecke Market/Church Street mittagessen zu gehen. Dazu muss man wissen, dass das "Chow" etwa 1,5 Kilometer von uns entfernt liegt, und man auf dem Weg dorthin einen mörderisch steilen Hügel von der Höhe der Zugspitze überqueren muss. Weiter führt der Weg durch den Dolores Park, in dem am Wochenende ein unbeschreibliches Remmidemmi herrscht. Sämtliche Bevölkerungsschichten San Franciscos liefern sich dort ein manchmal leicht raudihaftes Stelldichein, und die Marihuanaschwaden wabern nur so herum.

Abbildung [20]: Die Speisekarte des legendären Chow-Restaurants.

Meist war ich es, der ins Chow drängte, und trotz unzählig vieler Besuche habe ich dort während der gesamten 22 Jahre unserer Anwesenheit in San Francisco von der ellenlangen Speisekarte insgesamt nur zwei Hauptgerichte probiert: Immer habe ich entweder die "Chinese Noodles", Pasta mit einer exotischen Ingwer-lastigen gelben Soße, bestellt, oder "Spaghetti with Meatballs", die amerikanische Version von Bolognese mit Fleischbällchen. Angelika nahm immer "Thai Style Noodles", und dazu gab es als Vorspeise meist chinesische "Wontons" mit einer unbeschreiblich leckeren Essigsauce und scharfen Chilis, und natürlich hatte der Laden wechselndes aber immer allerfeinstes Microbrew-Bier vom Fass. Also schleppten wir uns, Angelika meist stark grummelnd, mindestens einmal im Monat, meist bei prallem Sonnenschein über den Hügel. Weil wir am Wochenende normalerweise erst spät gegen 15:30 Mittag essen, war der Asphalt des bestimmt 40 Grad steilen Gehwegs auf dem Weg dorthin oft knallheiß, und oft taten uns auch noch die Knochen vom kurz vorher besuchten Fitnessstudio weh. Freudig aßen wir dann unsere Leibgerichte im Chow, und anschließend ging's auf einem kleinen Umweg über die Valencia-Street, wo Angelika in den kleinen Läden immer etwas zum Einkaufen findet, zurück in unsere Bude.

Abbildung [21]: Nach geschlagener Schlacht: Die Rechnung kam im Chow im Glas.

Wie gesagt, das war praktisch seit unserer Ankunft 1996 bis 2019 jahrein jahraus eine heilige Tradition, aber kürzlich kam überraschend die Meldung, dass das "Chow" mir nichts dir nichts den Laden dichtgemacht hat. Es hatte auch noch zwei weitere Niederlassungen betrieben, eine am Golden Gate Park und eine in der East-Bay, aber jetzt sind alle zu, es sieht fast so aus, als hätte der Besitzer sie in die Pleite manövriert. Jammerschade! Nun stehen wir vor dem Nichts und ohne Lieblingsrestaurant da, und müssen uns in unserem Alter ein neues suchen, das ist doch auch nicht Rechtens!

Fotoshow in San Francisco

Abbildung [22]: Ein Touristenhotel als Galerie für ein Wochendende

Angelika Wer mich näher kennt, weiß, dass ich nicht nur in meiner Arbeit mit den Kindern aufgehe, sondern auch leidenschaftlich gerne fotografiere und unseren Umzug in die USA damals nutzte, um diese Leidenschaft weiter auszubauen und zu vertiefen. Ich durfte ja am Anfang unseres Aufenthalts hier mit meinem Rockzipfelvisum nicht arbeiten und hatte Zeit, Dinge zu entdecken und zu erforschen, die immer zu kurz gekommen waren. Damals, vor über 18 Jahren, bin ich auch dem Fotokollektiv Bay Area Photographers Collective beigetreten. Dort bin ich immer noch Mitglied, und wir treffen uns regelmäßig, um unsere Fotos gegenseitig zu kritisieren und zu begutachten.

Abbildung [23]: Angelikas gerahmtes Foto in der Ausstellung

Höhepunkte sind immer wieder, wenn wir unsere Fotos austellen können. Letztes Wochenende im April ergab sich wieder diese Gelegenheit, und zwar bei der sogenannten San Francisco "Startup Fair". Das ist ein super interessanter Kunstmarkt in San Francisco, und zwar an einem für Kunstausstellungen ungewöhnlichem Ort. Das Ganze findet nämlich nicht in einer Gallerie, sondern im Hotel del Sol in San Francisco statt. Drei Tage lang tümmeln sich dort dann nicht Touristen und Geschäftsleute in dem Hotel, sondern Künstler. Jedes Hotelzimmer wird zum Ausstellungsraum. Dabei geht es nicht nur um Fotografie. Es gibt Collagen, Skulpturen, und natürlich auch Gemälde zu sehen.

Abbildung [24]: Die Ausstellung "Start Up San Francisco"

Abbildung [25]: Die Exponate werden auf das Bett des Hotelzimmers drapiert.

Normalerweise muss man sich bewerben und eine Jury bestimmt dann, ob der Künstler bei der Veranstaltung ausstellen darf. Das Ganze ist dann auch noch mit erheblichen Kosten verbunden, denn der Künstler muss mehrere tausend Dollar hinblättern, um mit dabei zu sein. Jeder hofft natürlich, seine Kunst an den Mann zu bringen und zu verkaufen, aber das ist oft leichter gesagt als getan. Ein Vorteil ist, dass mitwirkende Künstler bei Verkäufen keine Provision an den Veranstalter abdrücken muss, was in Gallerien üblich ist. Wir hatten aber Glück, denn wir gelten als gemeinnütziger Verein und einige wenige Zimmer im Hotel werden für diese vergeben - wir mussten also nichts bezahlen! Jeder von uns Teilnehmern stellte ein gerahmtes Foto an der Wand im Hotelzimmer aus und dann noch weitere Fotos in Kisten, die die Besucher anschauen konnten. Jeder von uns übernahm dann auch eine Schicht, um im Hotelzimmer anwesend zu sein, die Besucher zu begrüßen und Fragen zu beantworten. Ich war für Sonntagnachmittag eingeteilt und ich muss gestehen, dass die Atmosphäre super war. Es gab einen steten Strom von Besuchern, und ich konnte mir auch die anderen Ausstellungen anschauen. Leider verkauften wir nichts, aber wir hatten alle viel Spaß.

Grüße ausm Westen:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 06-May-2019