05.02.2014   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 106  
San Francisco, den 05.02.2014


Abbildung [1]: Das Yahoo-Shuttle macht keinen Hehl daraus, zu welcher Firma es gehört.

Michael Am Anfang war der Google-Bus. Schon anno 2008 (Rundbrief 05/2008) fuhr der Internetkonzern seine Mitarbeiter zur Arbeit von San Francisco runter ins Silicon Valley. Und schon damals regten sich die Anwohner auf, weil die schweren dunklen Reisebusse in den frühen Morgenstunden durch die kleinen Strässchen in unserem Viertel schaukelten und teilweise 10 Minuten lang mit laufendem Motor in sonst wenig befahrenen Gegenden warteten. Die Internet-Tratschseite allthingsd.com titelte schon im Juli mit "San Francisco May Crack Down on Corporate Shuttle Buses" ("San Francisco könnte bei Firmenshuttles durchgreifen") und spekulierte darüber, ob die Stadt San Francisco den Bussen nicht bald mit neuen Regulierungen zu Leibe rückt.

Abbildung [2]: Das Google-Shuttle weist mit "GBUS MTV" verschämt darauf hin, dass es zum Google-Campus nach Mountain View fährt.

Mittlerweile bieten alle großen Firmen im Valley diese Shuttles an, denn wer zwischen 7:30 und 9:00 morgens auf den Autobahnen 101 oder 280 im schweren Stoßverkehr fährt, wird über kurz oder lang im Stau wahnsinnig oder sucht sich einen neuen Job direkt in der Stadt. Heute nehmen wir mal durch, welcher Bus zu welcher Firma gehört, denn die meisten sind unmarkiert und nur die Mitarbeiter wissen, wo sie halten und wo sie hinfahren. Auf sfist.com hat sich mal jemand die Mühe gemacht, die Busse auf ihren geheimen Routen zu verfolgen und anschließend zu kartografieren.

Abbildung [3]: Das Apple-Shuttle erkennt der Fachmann an der Aufschrift "Main Campus Ridgeview"

Übrigens bieten die Busse auch Staufächer für Koffer und Fahrräder. Viele Hipster-Pendler, die etwas weiter von den Haltestellen weg wohnen, fahren morgens mit dem Fahrrad zum Treffpunkt und verstauen ihr Gefährt im Bauch des Busses, sobald der Fahrer die Seitenluken zum Öffnen freigibt. Im Bus kann man sich übers Wifi in der Firma einklinken und arbeiten als säße man am Schreibtisch.

Jede Firma fährt unterschiedliche Gegenden in der Stadt an. Google hat den besten Service, sage und schreibe 22 unmarkierte Haltestellen über die ganze Stadt verteilt (Abbildung 5), bewältigt von etwa einem halben Dutzend verschiedener Linien, die alle auf unterschiedlichen Routen durch die Stadt und anschließend ohne Zwischenstopp direkt runter nach Mountain View zum Google-Hauptquartier fahren.

Abbildung [4]: Wie jeden Tag quält sich das Shuttle im Stau auf dem Freeway 101 zwischen San Francisco und Sunnyvale rauf und runter.

Meistens halten die Shuttles an wenig genutzten Haltestellen der Stadtbusse der Verkehrsgemeinschaft MUNI in San Francisco. Das führt dann manchmal zu Verwirrungen, denn wenn zehn Leute in einer Reihe an einer Stadtbushaltestelle stehen, reihen sich manchmal Normalbürger und oder auch Penner mit ein, die dann feststellen müssen, dass die jungen Leute mit Rucksack auf dem Rücken und Smartphone in der Hand (untrügliches Erkennungszeichen eines Computerfritzen) in einen Privatbus einsteigen, auf dem nicht mal steht, wem er gehört oder wo er hinfährt.

Abbildung [5]: Google bietet die meisten Shuttlerouten mit quer über die Stadt verteilten Haltestellen an.

Manchmal stehen auch Google-Mitarbeiter verwirrt an der Yahoo-Haltestelle, werden aber dann freundlich darauf hingewiesen, dass ihr Bus eine Straßenecke weiter hält. Mitarbeiter erkennt man an kleinen Details: So tragen Yahoo-Angestellte einen Rucksack der Marke Targus mit einem kleinen "Y!"-Emblem und gerne auch Flickr-T-Shirts. Google-Mitarbeiter tragen ihren Laptop in einem unbeschrifteten Rucksack der Marke "Swiss Army" spazieren. Google-T-Shirts scheinen mittlerweile alle aus der Mode gekommen zu sein, die trägt keiner mehr. Die Busse selbst geben sich ebenfalls geheimnisvoll, nur auf dem lila Yahoo-Bus steht groß und breit "Yahoo" hinten drauf. An anderen findet man nur versteckte Hinweise, und außer den Angestellten können die nur wenige Leute zielsicher interpretieren.

Hier einige Tipps von einem Kenner der Szene: Der Fachmann erkennt das Google-Shuttle an einem einen Doppeldeckerbus mit getönten Scheiben, an dem am unteren Seitenfenster eine LED-Anzeige "GBUS MTV" preisgibt, also dass es sich um den Google-Bus zum Haupt-Campus nach Mountain View an der Freeway-Ausfahrt "Shoreline Boulevard" handelt. Auf dem einstöckigen aber dennoch riesigen Facebook-Reisebus steht seitlich oben "MPK", als verschämter Hinweis darauf, dass er zum Facebook-Campus nach Menlo Park fährt. Auf dem Apple-Shuttle steht "Main Campus Ridgeview", was den Applern verklickert, dass der Bus sowohl zum Hauptcampus in Cupertino als auch zum 500m östlich gelegenen Campus am Ridgeview Court fährt.

Abbildung [6]: Auf sfist.com hat jemand die geheimen Shuttle-Routen in eine Karte eingezeichnet.

Es ist übrigens nicht üblich, an der Haltestelle mit den Kollegen zu reden, außer man kennt sich näher, denn eine Firma mit mehr als 10,000 Mitarbeitern ist irgendwie wie eine Kleinstadt, da quatscht man auch nicht jeden auf der Straße an. Eine der Yahoo-Haltestellen war bis vor kurzem gegenüber einem Sammelpunkt von südamerikanischen Esquineros (Gelegenheitsarbeiter, siehe Rundbrief 05/2009), die im Kapuzenpulli auf dem Gehsteig sitzend auf Pickup-Trucks warten, die sie zur nächsten Baustelle befördern, wo sie unter der Hand ein paar Dollar verdienen. Die müssen sich ihren Teil gedacht haben, als die Schlange gegenüber jede Minute um einen weiteren Rucksackträger wuchs, der schweigend auf seinem Telefon herumtippte.

Abbildung [7]: Randalierer halten das Apple-Shuttle auf.

Neulich blockierten aufgebrachte Randalierer gar einen vollbesetzten Google-Bus und hinderten ihn am Abfahren von der Haltestelle. Die Krawallschachteln beschwerten sich darüber, dass die privaten Firmen öffentliche Haltestellen nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Die Stadt plant jetzt, ab Juli pro Haltestellenstopp jedes Busses einen Dollar zu verlangen, was insgesamt 1.5 Millionen pro Jahr ins Stadtsäckel spült. Die Behörde versichert, dass das genau die Kosten des Eintreiberprogramms deckt und keinen Gewinn abwirft. Warum man's dann überhaupt macht, fragt sich anscheinend keiner dieser Gschaftlhuber.

Das lustigste an dem Protest war ein als Google-Mitarbeiter verkleideter Randalierer (richtig: mit Rucksack), der zum Schein aufgebracht auf die Randalierer einschrie. Er war Teil der Show.

Dieses Phänomen des eigentlich völlig unamerikanischen Sozialneids ist nicht neu in San Francisco. Während es im New York der 80er-Jahre völlig normal war, dass die Stretch-Limos der Superreichen (heutzutage fahren nur noch Touristen in Strech-Limos, wie die Zeiten sich ändern) an Bettlern am Straßenrand vorbeipreschten, gab es schon anno 1996, als euer werter Erzähler in San Francisco aufschlug, Randalierer, die in Gegenden wie dem damaligen mexikanischen Arbeiterviertel Mission teure Autos mit Schlüsseln verkratzten. Interessanterweise machten damals wie heute kaum ethnische Minderheiten Rabatz, sondern junge weiße Kapitalverschmäher, die sich als Milchschaumerzeuger in trendigen Kaffeehäusern durchschleppen und vielleicht fünf Jahre länger im Viertel wohnen als die jetzt verhassten Googler. Kasper, allesamt!

Im eher rustikalen Oakland ging es dann auch gleich derber ab. Auf dem Stofffetzen der Randalierer stand dort "Fuck Off Google" und ein geistig Minderbemittelter warf mit einem Stein ein Seitenfenster des Busses ein. Wird es bald zu fernsehreifen Szenen kommen, in denen Computerfritzen durchgedrehte Randalierer vermöbeln, um zur Arbeit zu kommen? Das Thema wird jedenfalls allerorts kontrovers diskutiert, und die Skandalpresse tut ein Übriges.

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 29-Jan-2015