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  Rundbrief Nummer 51  
San Francisco, den 26.08.2004


Umziehen in den USA

Angelika: Wir wohnen ja bald schon 8 Jahre in San Francisco und hatten bislang noch nie die Wohnung gewechselt. Das lag zum einen an den unerschwinglichen Mieten in San Francisco und zum anderen an Michaels Weigerung umzuziehen -- ihm graute vor der vielen Arbeit. Dabei habe ich damals den Amerika-Umzug ganz alleine bewältigt, da Michael schon sieben Wochen vor mir abgezogen ist, mit nur zwei Reisetäschelchen bewaffnet!

Außerdem hingen wir sehr an unserer alten Wohnung. Der Blick war unbezahlbar und es war unsere erste Bleibe in San Francisco. Allerdings wurde der Platz in der Zweizimmerwohnung (in Amerika "One-Bedroom" genannt) wegen des über Jahre hinweg angehäuften Krempels denkbar knapp. Michael meint ja, dass er jedes Perl-Buch dieses Planeten besitzen muss und ich stehe mit meinen tausend und eins Schachteln, die mit meinen Fotos beladen sind, auch nicht nach.

Aber wer umzieht, will sich natürlich verbessern und so erstellten wir den folgenden Anforderungskatalog: Drei Zimmer ("Two-Bedroom" genannt), mit Balkon und bombastischem Blick sowie Garage (unverzichtbar im Parkplatznotstandsgebiet San Francisco) sollten es sein. Wir wollten im obersten Stockwerk des Gebäudes wohnen, damit uns im Erdbebenfall nicht der Nachbar auf den Kopf fällt.

Auch der Stampffaktor ist in amerikanischen Häusern diesbezüglich nicht zu vernachlässigen. Durch die leichte Holzbauweise hört sich normales Laufen schon wie Elefantentrampeln an. Wenn wir in einem zweistöckigen Motel absteigen, achten wir immer darauf, oben zu wohnen. Die neue Wohnung musste nicht auf die Straße sondern nach hinten rausgehen und in unserem geliebten Viertel "Noe Valley" liegen. Und die so genannte "Rent Control" brauchten wir auch noch. Sie sorgt dafür, dass die Miete stabil bleibt, wie schon einmal in Rundbrief 08/2000 beschrieben.

Abbildung [1]: Eine 4-Zimmer-(3-Bedroom)-Wohnung in der Mission ist zu vermieten ...

Lange Zeit hatten wir diese Liste als völlig unrealistisch abgehakt und hielten folgerichtig gar nicht Ausschau nach einer neuen Wohnung. Aber in den letzten Monaten tauchten in unserem Viertel immer häufiger "For-Rent-Schilder" (Zu Vermieten) an Haustüren und Fenstern auf. Das bedeutet nun nicht, dass die Mieten dramatisch gefallen sind, aber ganz so verrückt wie in den Dotcom-Boomzeiten ist die Situation in San Francisco nicht mehr. Man zahlt nicht mehr ein Vermögen für ein Rattenloch.

Das Prinzip des "For-Rent- Schildes" ist hier übrigens eine beliebte Variante, eine Wohnung an den Mann zu bringen. Auf dem Schild steht meist eine Telefonnummer, die der Wohnungssuchende anrufen kann, um mehr über die Wohnung zu erfahren und einen Besichtigungtermin auszumachen. Gerade in belebten Gegenden mit viel Fußvolk funktioniert das prächtig. Manche Wohnungen und Häuser stehen auch zum Verkauf bereit, auch dafür gibt es Schilder.

Und dann gibt es in San Francisco natürlich "Craigslist", eine richtige Institution, die nicht nur jeder kennt, der etwas verkaufen will, eine Arbeitsstelle sucht oder Kontakte knüpfen möchte, sondern auch jeder Vermieter und Wohnungssuchende weiß die Internetadresse "www.craigslist.org" auswendig.

Abbildung [2]: ... mit 2400 Dollar pro Monat allerdings nicht unsere Preisklasse.

Wie in einer Zeitung listet die Internetseite u.a. Wohnungsangebote. Craigslist startete übrigens 1994 in San Francisco damit, dass ein gewisser Craig Newmark (daher der Name) Auflistungen von Veranstaltungen in und um San Francisco per E-Mail an seine Freunde und Bekannten schickte. Die Liste erfreute sich großer Beliebtheit und wuchs ständig an, sodass mittlerweile 15 feste Mitarbeiter für Craig arbeiten. Die Zeitung "San Francisco Chronicle" brachte neulich ein lesenswertes Interview mit dem Lokalhelden. Es gibt "Craigslist" jetzt in 45 Städten der USA mit Ablegern in Kanada und England. Geld verdient die Internetfirma dadurch, dass Firmen und Arbeitgebern für das Auflisten eines Stellenangebotes $75 (in San Francisco) hinblättern müssen.

Eines Nachmittags im Mai schlenderten wir auf der 24ten Straße in unserem Viertel und sahen ein "For-Rent-Schild". Da auf diesem der gigantische Blick des Apartements angepriesen wurde, griff ich kurzer Hand zum Telefon und machte einen Besichtigungstermin aus. Und siehe da: Die Wohnung erfüllte unseren Anforderungskatalog und trumpfte auch noch mit einem offenen Kamin auf. Das überzeugte dann auch Umzugsmuffel Michael, denn der zündelt ja bekanntlich für sein Leben gern. Zudem war die neue Wohnung schon eine alte Bekannte: Von unserem alten Apartement aus konnten wir sie jahrelang sehen.

Da wir uns nach dem Besichtigungstermin ernsthaft für die Wohnung interessierten, füllten wir die hier übliche "Application" (Bewerbung) aus. Man gibt darauf in der Regel seinen Arbeitgeber, den monatlichen Verdienst, die Social Security Number (Sozialversicherungsnummer) und die Führerscheinnummer an. Der Vermieter hat das Recht, die Angaben zu überprüfen und den Credit Report (siehe Rundbrief 05/2004) einzufordern. Manche Vermieter verlangen auch, dass der potentielle Mieter den Credit Report gleich zum Besichtigungstermin mitbringt. Der Credit Report wurde Michael bei der Anmietung unserer ersten Wohnung übrigens fast zum Verhängnis. Frisch aus Deutschland kommend, war das nur ein weißes Blatt Papier. Gott sei Dank hatte der andere Bewerber damals eine Katze und der katzenlose Michael stach ihn deshalb aus. Dieses Mal klappte alles wie am Schnürchen und wir unterschrieben schließlich den Mietvertrag.

In San Francisco verpflichtet man sich in der Regel, die Wohnung für ein Jahr lang zu mieten, danach setzt eine monatliche Kündigungsfrist ein. Auch eine Kaution ("Security Deposit") wird gezahlt. Anderthalb bis zwei Monatsmieten sind üblich. Wie in Deutschland darf der Vermieter die Kaution einbehalten, wenn der Mieter die Wohnung beschädigt oder mit der Miete im Rückstand ist. Der Mieter erhält über die Jahre Zinsen auf die Kautionssumme. Das städtische "Rent Board" (Mieter-Amt) legt dabei den jährlichen Zinsatz fest.

Zieht man um, stellt man natürlich auch in Amerika für die Post einen Nachsendeantrag. Der United States Postal Service gibt sich dabei höchstmodern, denn die Adressenänderung kann über das Internet gegen eine Gebühr von $1 vorgenommen werden. Wer den Antrag direkt beim Postamt abgibt, zahlt allerdings nichts. Die meisten Postsendungen werden für ein Jahr lang kostenlos an die neue Adresse weitergeleitet. Bei Zeitschriften und Zeitungen ist das Ganze auf 2 Monate begrenzt. Und, oh Wunder oh Wunder, das Nachsenden der Post klappt sogar, aber das liegt an unserem klasse Briefträger George, der schon seit über 20 Jahren (ein absoluter Rekord für amerikanische Verhältnisse) in unserem Viertel arbeitet und weiterhin für uns zuständig ist. Hurra!

Jeder weiß, dass Amerika kein Meldegesetz hat. In Kalifornien muss man der Führerscheinstelle (DMV genannt) allerdings innerhalb von 10 Tagen seine Adressenänderung mitteilen. Und Greencard-Besitzer wie wir (ebenso wie Visumsinhaber) kommen nicht darum herum, ihre neue Adresse an die Einwanderungsbehörde zu schicken -- ebenfalls innerhalb von 10 Tagen.

Das Letztere sollte man übrigens tatsächlich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Obwohl diese Verordnung schon ewig existiert, verfolgte die Einwanderungsbehörde Schlampereien diesbezüglich nicht. Nach den Terroranschlägen am 11.9.2001 wurden allerdings plötzlich Leute verhaftet, weil sie das Formular mit der Adressenänderung nicht an die Einwanderungsbehörde geschickt hatten, weil die Behörden diesen Verstoß als Vorwand nutzten, um Leute festzusetzen.

Abbildung [3]: Wohnung am Potrero Hill zu verkaufen

Das führte dann im Gegenzug dazu, dass alle Ausländer plötzlich wie wild ihre Adressenänderungen mitteilten und die Einwanderungsbehörde mit Formularen völlig zugeschüttet wurde. Ich schickte alles gleich per Einschreiben mit Rückantwort, damit wir auch ja beweisen können, dass wir den Kram rechtzeitg auf den Weg gebracht haben.

Nur gut, dass es das Internet gibt, denn die Formulare kann sich jeder vom Server der Einwanderungsbehörde runterladen. Hut ab, die meisten amerikanischen Behörden sind diesbezüglich wirklich auf Zack.

Michael: Nach fast acht Jahren USA haben wir schon geglaubt, uns könnte nichts mehr schocken. Man gewöhnt sich ja an vieles: Auf nichts ist hier Verlass. Dass etwas tatsächlich wie zugesagt funktioniert, ist die Ausnahme. Bestätigt mir irgendjemand etwas, habe ich es mir mittlerweile zur Angewohnheit gemacht, eine Notiz im Kalender anzulegen: Eine Woche später steht dann ein Eintrag, der mich daran erinnert, nachzuprüfen, ob das, was zugesagt wurde, auch tatsächlich stattgefunden hat. Zu 90% klappt das nicht, dann muss man den so genannten "Follow-up" durchführen.

Wenn man dann mahnt, muss man freundlich bleiben, denn niemand will an die eigene Schlamperei erinnert werden. Also nicht: "Wieso wurde das nicht erledigt?", sondern: "Hatten Sie Gelegenheit, sich XY zuzuwenden?" "Noch nicht? Hmm, denken Sie, Sie könnten diese Woche dazu kommen?" Man braucht dazu eine Eselsgeduld. Wer das nicht packt, sondern ausflippt, der läuft böse auf und kommt nicht weiter, da stellen sich die Leute stur.

Was allerdings beim Umzug passierte, haute uns beide um: Zwei Wochen vorher riefen wir bei der lokalen Telefongesellschaft "SBC" an, um zu beantragen, dass der Anschluss unter Beibehaltung der Nummer eine Straße weiter wandern sollte. "Kein Problem, erledigen wir!" hieß es und ich wurde stutzig. Warum geht das so einfach? "Muss ich wirklich nichts weiter machen, damit in vierzehn Tagen der Anschluss umgestellt wird?" "No, you're all set!". Glauben wollte ich das nicht ganz, aber gut.

Abbildung [4]: Michael hat ein Feuer im Kamin angezündet und sich gemütlich mit dem Laptop (Wireless Internet!) hingekuschelt.

Am nächsten Morgen war unser Telefon tot. Mit dem Handy rief ich bei der lokalen Telefongesellschaft an. Ja, der Anschluss wurde umgestellt. "Aber vereinbart war doch der 29. -- heute ist der 15." "Hmm, ja, Sie haben Recht, heute ist nicht der 29." "Richten Sie's?" "Klar, kein Problem, wo können wir Sie erreichen -- unter ihrer angemeldeten Telefonnummer?". "Nein. Deswegen rufe ich ja an." "Ach so." Gute Güte.

So ging das weiter. In der neuen Wohnung funktionierte weder das Telefon noch der DSL-Anschluss. Für beide musste ich bei zwei verschiedenen Firmen anrufen und stundenlang darauf beharren, dass nicht etwa mein Telefon oder mein DSL-Router defekt wären, sondern die Leitung schlicht nicht funktionierte: "Das kennen wir, das ist meist das Telefon." "Ich habe dieses Telefon seit sieben Jahren, es hat immer einwandfrei funktioniert." "Es könnte trotzdem kaputt sein." "Ich habe noch ein zweites, baugleiches Telefon. Das geht auch nicht." "Also gut, wir schicken jemanden vorbei, aber wenn's ihr Fehler ist, stellen wir's in Rechnung". Wahnsinn. Beim Kundendienst des lokalen Telefonmonopolisten "SBC" fühlt man sich wie in der DDR.

Aber dank der über viele Jahre gewachsenen Elefantenhaut eurer Amerika-Profis haben wir das Chaos Zug um Zug aufgeräumt. Im Zuge der Räumarbeiten wurden auch überflüssige Möbel verschenkt oder verkauft. Langsam zieht wieder Normalität ein. Aber in den nächsten zwanzig Jahren ziehe ich garantiert nicht mehr um.

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