Angelika/Mike Schilli |
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Obwohl der Parteitag der amerikanischen republikanischen Partei, an dem Bushs offizielle Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten erfolgt, noch aussteht, weiß jeder längst: Kerry tritt gegen Bush an.
Amerika verfügt bekanntlich über ein recht ausgeklügeltes, für Europäer äußerst verworren wirkendes Wahlsystem (Rundbrief 12/2000). Das geht schon mit den so genannten Primaries (parteiinternen Vorwahlen) los. Zwischen Januar und Juni des Wahljahres wird der offizielle Kandidat der einzelnen Parteien in fast allen amerikanischen Bundesstaaten durch Vorwahlen bestimmt.
Dies geschieht entweder durch "open primaries" (offene Vorwahlen) oder "closed primaries" (geschlossene Vorwahlen). Die offene Variante lässt jeden Wahlberechtigten seine Stimme für seinen favorisierten republikanischen oder demokratischen Kandidaten abgeben, während bei geschlossenen Vorwahlen der Stimmberechtigte eingetragenes Mitglied in der entsprechenden Partei sein muss, um an der parteininternen Vorwahl teilzunehmen.
Dann gibt es in einigen Bundesstaaten, wie zum Beispiel Iowa, die Alternative der "Caucuses". Unter "Caucus" müsst ihr euch Veranstaltungen auf unterer politischer Ebene vorstellen, in denen Delegierte gewählt werden, die dann einen bestimmten Wunschkandidaten auf den verschiedenen regionalen und überregionalen Parteitagen unterstützen.
Bis in die 60iger Jahre hinein gab es übrigens nur in 10 bis 12 Bundesstaaten Vorwahlen, die als reines Stimmungsbarometer vor den nationalen Pateitagen galten. Die Delegierten hatten das letzte Wort über die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten. Heutzutage entscheidet sich alles am "Super Tuesday" im März, da dann die bevölkerungsstarken Bundesstaaten wie Kalifornien und New York ihre Vorwahlen abhalten. Die Nominierung auf den nationalen Parteitagen im Sommer mutiert deshalb immer mehr zum Formakt. Für die der republikanischen Partei Nahestehenden gab es dieses Jahr sowieso kein Kopfzerbrechen, denn Bush hatte in der eigenen Partei keinen Gegenkandidaten. Bei den Demokraten machte Kerry schließlich das Rennen, obwohl zunächst Howard Dean als Favorit galt.
Nun befinden wir uns also schon seit Monaten in dem auf Bildzeitungsniveau geführten Wahlkampf. Es ist zum Weinen. Zunächst gab es keine wichtigere Frage, als wer denn das bessere Haupthaar besitzt: Kerry oder Bush. Dann gingen einige eifrige, der Regenbogenpresse nahestehende Journalisten dazu über, zu spekulieren, ob sich Kerry mit Botox seine Falten wegspritzen lässt.
Auch die Frauen der beiden Kandidaten sind bevorzugte Opfer. Gilt Teresa Heinz Kerry für die konservative Presse doch als zu vorlaut und überhaupt als suspekt, da sie Millionenerbin des Ketchupimperiums Heinz ist. Laura Bush spielt hingegen bewusst das Heimchen am Herd.
Mittlerweile verlagerte sich die Schmierenkampagne dann aber doch auf mehr politische Themen. Da Bush sich als Kriegspräsident brüstet, der Amerika mit fester Hand vor Terroristen schützt, darf Kerry nicht nachstehen. Es gilt zu beweisen, dass er als Präsident die Rolle des Oberkommandierenden der Streitkräfte ausfüllen kann. Was kommt ihm da besser gelegen, als seine Vietnamerfahrung? Schließlich kehrte Kerry damals in den Siebzigern als dekorierter Soldat aus dem Kriegsgebiet zurück und hatte sich auch noch freiwillig gemeldet. Bush hingegen schob Dienst in der Nationalgarde auf amerikanischem Boden.
Ein Plus für Kerry, um Wählerstimmen bei den Vietnamveteranen zu sammeln. Mit Vietnam "hat's" der Ami eh. Das Trauma steckt ihm noch tief in den Knochen. Nun behaupten aber einige freche ehemalige Vietnamkameraden von Kerry, die sich den bezeichneten Namen "Swift Boat Veterans for Truth" gaben, in einem Fernsehspot, dass Kerrys Heldentaten nur heiße Luft sind. Die New York Times berichtete daraufhin, dass der Fernsehspot von Leuten mitfinanziert wurde, die der Bush-Familie nahestehen. So beschäftigt sich das Land also mit dem Wahrheitsgehalt alter Heldengeschichten, anstatt die aktuellen Themen zu diskutieren. Seufz!
Aber wer wird die Wahl gewinnen? Michael macht mich immer ganz verrückt mit seinen düsteren Prognosen, dass Bush haushoch als Sieger hervorgehen wird. Ich glaube, dass das Land völlig gespalten ist und es im November ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit äußerst knappen Wahlausgang gibt. Kerry stolpert nämlich über dieselben Steine wie Gore. Er will es allen Recht machen und wirkt dadurch völlig wischi-waschi -- ein Charakterzug, den die Amerikaner so gar nicht lieben.
Für viele Demokraten in San Francisco ist Kerry hingegen nicht links genug, obwohl die meisten hier jedem ihre Stimme geben würden, solange er nicht Bush heißt. Alles hängt von der Wahlbeteiligung ab, die in den USA in der Regel nur 50% beträgt. Die Demokraten versuchen vor allem, die Jungwähler an die Urnen zu bringen, denn die Wahlbeteiligung in der Altersgruppe der 18- bis 24- Jährigen ist miserabel. Bei der letzten Wahl 2000 betrug sie schlappe 36%.
In unserem Viertel sammeln schon seit Wochen junge Leute des "Democratic National Committee" (demokratisches nationales Komitee) Geld, um in den so genannten "swing states" (Bundesstaaten, die mal republikanisch, mal demokratisch wählen) von Tür zu Tür zu gehen und ihre Altergenossen zum Wählen zu animieren.
Die entscheidende Frage bleibt: Warum unterstützen noch immer so viele Amerikaner Bush? Selbst wenn man von dem außenpolitischen Disaster im Irak absieht, gibt es auch innenpolitisch genug zu bemängeln. Dem Durchschnittsamerikaner geht es unter Bush wesentlich schlechter: Er muss sich häufug mit einem schlechter bezahlten Job bei astronomisch ansteigenden Ausgaben im Krankheitsfall und hohem persönlichen Schuldenberg rumschlagen. Trotzdem folgen viele Bush wie dem Rattenfänger von Hameln. Ach, manchmal bringt mich dieses Land einfach zur Verzweifelung.
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