1.7.2001   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 31  
San Francisco, den 1.7.2001


Straßenbahn und U-Bahn

(Angelika) Michaels ausführlicher verkehrspolitischer Bericht weihte euch ja in so manches Geheimnis ein. Ich nutze Bus und Straßenbahn seit jeher, um meine sozialen Studien zu betreiben. Wollt ihr San Francisco wirklich kennen lernen, schwingt euch einfach in die öffentlichen Verkehrsmittel. So manches Abenteuer wartet auf euch. Ich spreche hier jetzt nicht von dem weltberühmten Cable Car, denn die Einheimischen in San Francisco nutzen das Cable Car in der Regel nicht um von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Nein, das Cable Car fahren auch die "Locals" mehr aus Spaß an der Freud; bevorzugt mit Besuchern im Schlepptau. Fahrt Bus, Straßenbahn oder Bart, wenn ihr wissen wollt, was diese Stadt ausmacht. Eine meiner Lieblingsbuslinien ist zum Beispiel die Nummer 30 "Stockton", denn dieser Bus fährt mitten durch Chinatown und in ihm wird hautnah spürbar, dass in San Francisco die meisten Chinesen außerhalb Chinas leben. Aber Vorsicht! Der Bus ist immer rappelvoll. Also nichts für Menschen, die unter Platzangst leiden. Von Asien nach Südamerika ist es in San Francisco nur ein Katzensprung. Steigt in den Bus No 14 "Mission" ein, der euch vorbei an Taquerias und einem bunten Mix von Geschäften durch das lateinamerikanische Viertel (genannt "The Mission") führt. Schillernden Persönlichkeiten begegnet ihr im Bus Nummer 48, der fast vor unserer Haustür abfährt. Der Grund für die Extraverganz ist eher traurig, denn die Buslinie fährt am "General Hospital" vorbei, das über ein Kriseninterventionszentrum für psychiatrische Patienten verfügt. Patienten werden in diesem Zentrum auch dann behandelt, wenn sie nicht versichert sind.

Abbildung [1]: Der 48-er Erlebnis-Bus in San Francisco, der fährt bei uns zu Hause vorbei.

Auch bin ich häufig Gast in der Straßenbahn "J", denn diese bringt mich von der Stadt aus in die Church Street, wo wir wohnen. Spannend wird es immer dann, wenn Schulschluss ist und die Schüler von der "Mission High", am Dolores Park zusteigen. Der Ruf dieser "High School" (amerikanische Gesamtschule) lässt schwer zu wünschen übrig und ich bedauere schon oft die Lehrer, wenn ich das Verhalten der Schüler beobachte, obwohl ich diesbezüglich durch meinen Beruf bedingt nicht gerade empfindlich bin. Neulich staunte ich nicht schlecht, als plötzlich einige Mädels dieser Schule, die so 13 oder 14 Jahre alt waren, mit lebensgroßen Babypuppen im Arm die Straßenbahn betraten. Da Amerikaner ja bekanntlich gerne Konversation betreiben, musste ich nicht lange warten, bis der erste die Mädels fragte, was es denn mit den Puppen auf sich hätte. Es stellte sich heraus, dass das "Babypuppenprojekt" eine Art von Sexualkundeunterricht ist. Die Mädchen (ich sah keinen Jungen mit Babypuppe bewaffnet) bekommen die Puppen übers Wochenende mit nach Hause. Hausaufgabe ist, sich um das "Baby" zu kümmern. Um das Ganze realitätsnaher zu gestalten, wurde den Puppen ein Computerchip eingebaut, der die Puppe in unregelmäßigen Abständen für längere Zeit schreien lässt (natürlich auch nachts). Dank der Technik schreit das "Baby" auch dann los, wenn es ungalant gehalten wird, beispielsweise mit dem Kopf nach unten. Füttern kann man die Puppe allerdings nicht und auch die Windeln bleiben sauber. Die Mädchen führen während des Wochenendes ein Tagebuch. Sie schreiben nieder, was sie fühlen, wenn ihr Baby schreit. Einer der Fahrgäste stellte dann die pädagogisch wertvolle Frage an eines der Mädchen, was sie denn daraus lernen sollen. Sie bekam die Antwort: "Mehr Verantwortung zu übernehmen!" FALSCH! Das Schreien der Babys soll im Idealfall die Mädchen so nerven, dass sie auf lange Zeit dem Sex widerstehen und nicht schwanger werden. Ich hatte ja gleich das Gefühl, dass das Babyprojekt nicht der richtige Weg ist, um die hohe Anzahl vom Teenager-Schwangerschaften in den USA zu drosseln. Zäumt man das Pferd bei dieser Sache doch von hinten auf, was bekanntlich nicht funktioniert.

Und nun noch eine kleine Geschichte, die die Kontrolleure der Münchner Verkehrsbetriebe aufhorchen lässt. Wir haben ja schon öfter erwähnt, dass die Muni (ihr erinnert euch, das sind die Verkehrsbetriebe in San Francisco) nicht gerade super zuverlässig ist. Seit geraumer Zeit versucht alles, was Rang und Namen hat, die Muni zu verbessern. Und ich gestehe, dass es nicht mehr ganz so schlimm ist, wie es schon einmal war. Es gibt zwar noch immer keinen richtigen Fahrplan für Busse und Straßenbahnen, aber die Wartezeiten haben sich etwas verkürzt. Im Zuge dieser Neuerungen führte man vor etwa sechs Monaten ein, dass die Fahrgäste, die über ein gültiges Ticket verfügen, an allen Türen von Bus oder Straßenbahn zusteigen dürfen. Als gültiges Ticket gilt die Monatskarte oder das sogenannte "Transfer", das man als Beleg beim Bezahlen erhält und zum eventuellen Umsteigen nutzt. Bis dato war es so, dass man nur beim Fahrer zusteigen durfte, dort bezahlte oder seine Monatskarte bzw. sein "Transfer" vorzeigte. Das Ein- und Aussteigen dauerte bei diesem Verfahren ewig. Da der Mensch ja bekanntlich ein Gewohnheitstier ist, bereitete man die neue Zusteigmethode auf lange Sicht vor. Es gab Broschüren, Lautsprecherdurchsagen und Hinweisschilder, denn dem Fahrgast musste eingehämmert werden, von nun an immer sein "Transfer" mit sich zu führen. Auch Kontrolleure braucht man von nun an, denn es könnte ja jemand einfach ohne Fahrkarte in den Bus oder die Straßenbahn springen. Das Konzept der Kontrolleure ist relativ ungewöhnlich in amerikanischen Städten mit öffentlichen Transportmitteln.

In der Regel hindert einen ein Drehkreuz oder ein Mensch beim Einsteigen daran, schwarz zu fahren. Kontrolleure scheinen dem Amerikaner suspekt zu sein. Sind sie doch autorisiert, die Freiheit des Einzelnen zu beschneiden und ein Bußgeld zu erheben. Die Kontrolleure tragen natürlich Uniform, damit sie gut zu erkennen sind. Sich in Zivil in den Bus zu schleichen; das würden die amerikanischen Fahrgäste als Zumutung empfinden. Ich wurde mittlerweile schon zweimal kontrolliert. Beim letzten Mal trug es sich doch zu, dass zwei Fahrgäste keine Fahrkarte vorzeigen konnten. Ich beobachte mit Spannung, was jetzt wohl passieren würde. Die Fahrgäste sprangen einfach zum Straßenbahnfahrer vor und bezahlten. Der Kontrolleur merkte nur höflich an, dass sie doch beim nächsten Mal bitte gleich beim Einsteigen zahlen sollten, damit es nicht zu Missverständnissen kommt und er ein Bußgeld erheben muss. Wow! Ich erinnere mich da an die Münchener Geschichte mit einem amerikanischen Touristen, der mit der S-Bahn vom Flughafen in die Stadt fuhr und vergaß, sein Ticket abzustempeln. Er wurde kontrolliert und musste das Bußgeld berappen, obwohl es sich offensichtlich um ein Versehen handelte. Manchmal zeigt sich San Francisco doch wirklich von seiner äußerst freundlichen Seite.

Abbildung [2]: Vorder- und Rückseite eines Transfertickets für die "Muni" in San Francisco -- Nachweis dafür, dass man bezahlt hat, falls der Kontrolleur kommt!
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