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Angelika/Mike Schilli |
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Michael Bei den Backwaren hat der Amerikaner irgendwann mitte des letzten Jahrhunderts total den Anschluss zu Europa verloren. Statt normalen ofengebackenen Laiben stellte er auf die maschinengefertige Produktion von "Wonderbread" um, einem gummiartigen Toastbrot. Auch im Semmelbereich hielt diese Unsitte Einzug, und selbst wenn man auf einem Jahrmarkt mal eine Breze findet, ist deren Rinde gummiweich. Kaut ein Amerikaner auf deutschem Brot oder Semmeln herum, fängt er an zu jammern, denn die harte Rinde traktiert sein verweichlichtes Zahnfleisch auf ungewohnte Weise.
Vor zwanzig Jahren war es deswegen noch fast unmöglich, irgendwo in Amerika normales Brot zu finden. Heutzutage bietet allerdings schon jeder Großstadtsupermarkt mehr oder weniger ordentlich gebackenes Baguette oder italienisch inspiriertes Ciabatta an. Doch wehe, man verlässt die Metropolen und fährt raus auf's Land, dann ist wieder Gummibrot angesagt, das selbst nach ausgiebigem Toasten noch irgendwie leer schmeckt und nicht richtig den Magen füllt.
Große Supermärkte wie Safeway bieten ein reiches Sortiment an teilweise mehrmals am Tag gebackenen semmelähnlichen Gebilden an. Die sogenannte Kaiser Roll sieht der deutschen Semmel am ähnlichsten, ist aber etwa doppelt so groß und schmeckt wie ein etwa zwei Tage altes Weißbrot. Nicht schlecht, wenn man nichts anderes findet. Die längliche French Roll gleicht einem norddeutschen Brötchen, schmeckt allerdings langweiliger und trockener. Der Teig der Dutch Crunch Roll kommt dem der deutschen Semmel am nächsten, und auf ihrer Oberseite pappen feingemahlene Rindenkrümel, was ihr eine feine Krustigkeit verleiht. Wegen des lustigen Krümelmusters hat sich in unserem Haushalt dafür vor vielen Jahren die Bezeichnung "Leopardensemmel" eingebürgert und wenn ich sonntags mal Semmeln holen gehe, dann kommen meist Leopardensemmeln auf den Tisch.
Anders als die deutsche Semmel behält eine Kaiser Roll übrigens im Brotkasten lange ihre Konsistenz bei. Neulich kochte ich am Donnerstag eine feine Gulaschsuppe und suchte nach einer Semmel, allerdings fand sich im Brotkasten nur eine vergessene vom Sonntag. Schmeckte einwandfrei!
Der Bagel hingegen ist lediglich eine falsch geformte Breze. Statt den Teig ordnungsgemäß dünn auszurollen und dann in Brezenform zu schlingen, wird er dick ausgerollt und zu einem Ring verbunden. Das hat zur Folge, dass er beim Backen nicht knusprig wie eine Breze, sondern teigig wie der dicke Teil einer Oktoberfestbreze wird. Maschinengefertigte Bagels (das Wort stammt von "beugen" ab) sehen aus wie eine braune Semmel mit einem Loch in der Mitte. Die Rinde schmeckt wie mit Lenor gespültes Leder. Es gibt eigentlich nur eine einzige Form des genießbaren Bagels: Man schneidet ihn quer durch, schmiert Philadelphia Frischkäse auf beide Hälften, legt Lachs mit Zwiebeln, und vielleicht noch Kapern hinein und klappt die beiden Hälften dann wieder zusammen. Das Ganze heißt dann entsprechend der jüdischen Tradition "Bagel with Lox", obwohl "Lachs" auf englisch eigentlich "salmon" heißt.
Noch ein Tipp für gute Backwaren: Wir touren ja bekanntlich öfter die Weingegend Napa-Valley und halten in Yountville immer an der hauseigenen Bäckerei des französischen Restaurants "Bouchon" an, um ein sogenanntes "Epi"-Baquette zu kaufen. Dieses Weißbrot kostet nur $2.50 und besteht aus einzelnen Versatzstücken, die man mit bloßen Händen abreißt, Butter draufschmiert und zum Zeitvertreib mit einem leichten französischen Rotwein vertilgt, während man in angeregter Diskussion wild mit den Händen fuchtelt. Das Restaurant serviert übrigens ausgezeichnetes Essen. Für angereiste Europäer ist das eher uninteressant, aber wenn man wie wir schlappe 14 Jahre in Amerika gelebt hat, und nur alle Schaltjahre Delikatessen wie Zunge, Leber und Blutwurst aufs Teller kriegt, gibt man in dem Laden gerne mal 200 Dollar für Vorspeise, Hauptspeise, Dessert und passende Weine für zwei Personen aus dem guten alten Europa aus.
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