08.12.2009   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 83  
San Francisco, den 08.12.2009


Abbildung [1]: Huch! Ein Polizeiauto verfolgt uns!

Michael In Kalifornien und den meisten anderen Bundesstaaten stellt die Polizei ja bekanntlich nicht einfach Radarfallen auf, um dann gierig per Post reihenweise Zahlungsbescheide zu verschicken. Der Polizist, der die Radarmessung vornimmt, schaltet vielmehr beherzt die Lichtorgel seines Ford "Crown Victoria" mit Sirene an, läßt den Motor aufheulen und hetzt dem Raser nach, um ihn zum Anhalten zu zwingen. Hält der Raser dann rechts auf dem Seitenstreifen an, stellt der Polizist sein Auto kurz dahinter ab, steigt aus, kommt üblicherweise ans Beifahrerfenster und fragt nach "License and Registration", also Führerschein und Fahrzeugpapieren. Tipp: Nie den Führerschein daheim vergessen. Kann man ihn nicht vorzeigen, darf der Polizist den Wagen sofort abschleppen lassen! Wird er allerdings nur in Ausnahmefällen tun, denn falls sich nachher herausstellt, dass das Fahrzeug von einem rechtmäßigen Führerscheinbesitzer gesteuert wurde, muss das Polizeipräsidium die Kosten erstatten. Nachdem der Polizist den Fahrer identifiziert hat, stellt der Herr in Uniform dann in einem etwa 15-minütigen Prozess Fragen und füllt mit der Hand ein "Ticket"-Formular aus.

Bewegt sich ein Fahrer im Rahmen der Verkehrsordnung und ist das Fahrzeug tadellos in Schuss, ist es Polizisten übrigens untersagt, den Wagen anzuhalten. Deswegen fahren die ganzen Besoffenen immer etwas langsamer als die Höchstgeschwindigkeit, was man oft zu später Stunde auf den Freeways 101 und 280 erleben kann. Heult die Sirene auf, kann man also annehmen, dass etwas vorliegt. Allerdings sind Polizisten sehr kreativ, wenn es darum geht, einen Grund zum Anhalten eines Fahrzeugs zu finden. Ein kaputtes Bremslicht reicht schon, und in manchen Hollywoodfilmen tritt der Polizist dazu schon mal den Scheinwerfer kaputt: "Welches Bremslicht? Na das (schepper) da!". Aber ihr dürft natürlich nicht alles glauben, was im Kino läuft.

Abbildung [2]: Polizisten essen gerne Donuts.

In Amerika nennt der Volksmund Polizisten "Cops". Das ist keineswegs anmaßend oder beleidigend, vielmehr nennen sich Polizisten untereinander selbst so. Die offizielle Bezeichnung für die Lichtorgelfahrer ist allerdings "Officer", und wenn man ganz höflich ist, redet man sie auch damit an. Niemals sagt man "Sir" zu einem Polizisten, das gilt als arschkriecherisch und läßt ihn Verdacht schöpfen. Der Polizist nennt die angehaltene Person hingegen "Sir" oder "Madam". Fragt man also nach dem nächsten süße Krapfen/Berliner verkaufenden Donut-Geschäft, sagt man einfach "Officer, can you direct me to the next Donut shop?" und hoffentlich weist einem der Ordnungshüter den rechten Weg.

Okay, diese Frage kommt vielleicht etwas provokant daher, denn praktisch alle amerikanischen Polizistenwitze beginnen damit, dass ein Ordnungshüter gerade diese amerikanischen Krapfen isst. Wir wohnen zufälligerweise direkt gegenüber einem 24-Hour-Donut-Shop, und ich kann bestätigen, dass dies durchaus kein Vorurteil ist: Amerikanische Polizisten sind geradezu vernarrt in die süßen kleinen Dinger.

Abbildung [3]: Der 24-Donut-Shop bei uns um die Ecke erhöht die Polizeipräsenz im Stadtviertel erheblich.

Noch ein Hinweis: Die in Deutschland abfällige Bezeichnung "Bulle", wirkt in Amerika nicht, denn mit Bullen verbinden Amerikaner Stärke und Ausdauer. Ein kraftvoller Börsenaufschwung ist ein "Bull-Market", und Basketball-Vereine wie die Chicago Bulls wählen diese Bezeichnung absichtlich. Der Amerikaner weiß wirklich nichts von der in der deutschen Sprache mit dem Begriff verknüpften rohen Gewalt und dem damit einhergehenden Deppentum.

Nein, um einen amerikanischen Polizisten zu beleidigen, benutzt man das Wort "Pig" (Schwein). Das ist nicht einmal strafbar, denn die amerikanische Konstitution stattet den Bürger mit beinahe unbegrenzter Redefreiheit (Rundbrief 12/2000) aus. Allerdings schöpft der beleidigte Polizist danach alle legalen, halblegalen, und manchmal illegalen Mittel aus, um dem Beleidiger eins auszuwischen. Schaut euch nur mal das heimlich gedrehte Video eines in San Francisco verhafteten Skateboard-Fahrers an, um einen Hauch der Aggressivität amerikanischer Polizisten zu erhaschen.

Abbildung [4]: Radarfalle auf Amerikanisch: Meist gut sichtbar.

Ein "Ticket" fällt in eine von drei Kategorien: Eine "Parking Violation" (ein harmloser Parkstrafzettel, den man einfach bezahlt), eine "Notice to Appear" oder eine "Notice to Correct". Erwischt der Cop einen Raser mit der Radarpistole, stellt er eine "Notice to Appear" aus, also eine Aufforderung, vor Gericht zu erscheinen. Ihr habt richtig gehört, jede sogenannte "Moving Violation" (auch ein überfahrenes Stoppschild oder verbotenes Abbiegen zählen dazu), wird vor einem Verkehrsgericht verhandelt. Man muss nicht immer dort erscheinen, aber mehr davon später.

Abbildung [5]: Ein Polizeiauto hat einen Wagen zum Anhalten aufgefordert. Jetzt heißt es, kühlen Kopf zu bewahren.

Hat der Polizist den Wagen hingegen nur angehalten, weil ein Bremslicht kaputt war, erhält der Fahrer eine "Notice to Correct", im Volksmund auch "Fix-it Ticket" genannt. Dieses fordert den Fahrer auf, das kaputte Licht innerhalb einer vorgeschriebenen Zeitspanne zu reparieren. Nach Erledigung zahlt der Fahrer auch noch die Strafgebühr, dann kommt es zu keinem Verfahren.

Hat der Polizist das Ticket fertig geschrieben, fordert er den Fahrer auf, es an Ort und Stelle zu unterschreiben. Mit der Unterschrift bekennt der Fahrer keinerlei Schuld, sondern stimmt lediglich zu, vor Gericht zu erscheinen. Vorsicht: Wer die Unterschrift verweigert, wird ruckzuck verhaftet und muss die Nacht (und vielleicht sogar das Wochenende) in Untersuchungshaft verbringen. Denn wenn der Radarpolizist seine Sirene einschaltet, tut er nichts anderes, als den Raser unter Arrest zu stellen. Statt harmlose Raser zu verhaften, Gefängnisse auszulasten und Kosten zu verursachen, wurde mit dem "Ticket" eine Möglichkeit geschaffen, den Rechtsprozess von der Verhaftung bis zum Urteilsspruch zu beschleunigen. Der Fahrer muss keine Kaution zahlen, um bis zum Gerichtsverfahren frei herumzulaufen, doch mit seiner Unterschrift bestätigt er, zum Termin zu erscheinen.

Abbildung [6]: Ganz schlecht: Gleichzeitig Saufen, Rauchen und Autofahren.

Das später zu entrichtende Bußgeld setzt sich zusammen aus einem Basis-Bußgeld ("Base Fine") und einem Strafzuschlag ("Penalty Assessment"), wobei letzterer ein Vielfaches auf das eigentliche Bußgeld draufsetzt. Mit dem Zuschlag fördern die Gemeinden ganz offiziell Polizeitraining, drücken Geld an den Bundesstaat ab, und finanzieren den Bau von Gerichtsgebäuden und Gefängnissen. Fährt man zum Beispiel 85 wo 65 erlaubt sind, beträgt das Basisbußgeld $50, aber mit allen Zuschlägen werden ratz-fatz $290 daraus. Dafür erhält das neue Justizgebäude aber auch einen 1-A weißen Anstrich und Horden von neuen Polizeilehrlingen durchlaufen die Ausbildung zum Radarpistolenschwenker.

Jetzt kommt's: Dieses Bußgeld ist, technisch gesehen, die Kaution im Schnellprozess! Ficht der Fahrer das Ticket nämlich anschließend nicht an, beraumt er einfach keinen Gerichtstermin an, sondern zahlt das Bußgeld, und überlässt diese "Kaution" dem Gericht durch Nichterscheinen zum nicht stattfindenden Gerichtstermin. Damit ist das "Verfahren" dann beendet.

Möchte man das Ticket aber tatsächlich anfechten, ruft man die auf dem Bußgeldbescheid stehende Telefonnummer an und lässt sich einen Gerichtstermin geben. Zu diesem muss man dann erscheinen, dies zu unterlassen wäre ein schweres Vergehen. Das Verfahren findet dann meist Monate später an dem "Superior Court" statt, der dem Ort des Vergehens am nächsten ist.

Vor Gericht besteht ein Ticket dann nur, falls der Fahrer entweder absichtlich oder grob fahrlässig (criminally negligent) gehandelt hat. Das muss der Polizist, der ebenfalls erscheint, dort dann nachweisen. Erscheint der Polizist nicht zum anberaumten Gerichtstermin, wird der Angeklagte automatisch freigesprochen. Auf dem Internet kursieren nun allerhand Gerüchte, die besagen, dass Polizisten oft nicht vor Gericht erscheinen, weil es ihren Feierabend beschneidet oder dass ganz schlaue Verkehrssünder im Präsidium anrufen, die Urlaubszeiten des Polizisten erfragen und dann anschließend um Umlegung der Verhandlung auf dieses Datum bitten -- aber angeblich ist das alles Humbug.

Um Gerichtsverfahren zu beschleunigen, versuchen manche Cops schon beim Strafzettelaufschreiben, einen kumpelhaften Eindruck zu vermitteln. Ihnen wurde in ausführlichen Schulungen eingetrichtert, jedem angehaltenen Fahrer ohne dessen Wissen bereits Geständnisse zu entlocken. Ermittelte Fakten vermerken sie bereits bei der Verkehrskontrolle auf dem Ticket, um später vor Gericht eine wasserdichte Beweislage herstellen zu können.

Abbildung [7]: Auch auf von hinten kommende Motorräder muss der professionelle Raser achten.

Experten warnen deswegen: "Ein Polizist mit einem Strafzettelblock in der Hand ist niemals dein Freund!". Eine typische Frage ist: "Wissen Sie, wie schnell Sie gefahren sind?". Sagt man da: "Naja, schon ein bisschen schneller als erlaubt", dann fängt der Ordnungshüter sofort wie wild in seinem Block zu kritzeln an, denn soeben hat der Fahrer zugegeben, zu schnell gefahren zu sein, und kann das dann später vor Gericht nicht mehr abstreiten. Besser ist es angeblich, auf die Frage einfach mit "Yes, I do" ("Ja, das weiß ich") zu antworten. Bohrt der Cop dann nach, und hat man vor, dem guten Mann vor Gericht eins auszuwischen, sagt man freundlich aber bestimmt "I don't want to talk about it". Das ist natürlich ein Balanceakt, denn wer den Polizisten gegen sich aufbringt, kriegt unter Umständen massiven Ärger. Wie bereits erwähnt werden amerikanische Polizisten sehr schnell sehr aggressiv, falls man Schabernack mit ihnen treibt. Ähnlich verhält es sich mit der Frage "Haben Sie etwas getrunken?". Die meisten Fahrer sagen dann, "So ein, zwei Bier, nicht mehr". Das ist laut Expertenrat falsch, wenn man tatsächlich zuviel getrunken hat. In derart prekärer Lage ist es angeblich auch besser, zu sagen, man wolle nicht darüber sprechen.

Und unter gar keinen Umständen sollte man dem Polizisten verklickern, dass man vorhat, vor Gericht gegen das Ticket vorzugehen, denn dann wird er den Sachverhalt extra genau protokollieren und sich jedes Detail einprägen, damit er später vor Gericht die richtigen Antworten wie aus der Pistole geschossen formulieren kann. Sagt man nichts, stellt der Polizist bis zum Monate später anberaumten Gerichtstermin oft hunderte von Tickets aus und kann sich an ein Einzelnes wahrscheinlich nur noch vage erinnern. Bringt er dann vor Gericht den Sachverhalt durcheinander oder verstrickt sich in Widersprüche, spricht der Richter den Raser oft frei.

Durchsuchen darf ein Polizist den Wagen übrigens nicht. Glimmt aber eine Wundertüte im Aschenbecher, oder liegt eine ausgetrunkene Bierdose auf dem Beifahrersitz, darf er diese als Beweismittel einsammeln. Grundsätzlich erlaubt das kalifornische Verkehrsrecht keinerlei offene Behälter ("open container") mit alkoholischen Getränken im Fahrerraum. Schnuppert der Polizist etwas Verdächtiges, wird er fragen, ob der Fahrer mit einer Durchsuchung einverstanden ist. Sagt der Fahrer dann "Nein", darf der Polizist nur dann durchsuchen, falls er einen "hinreichenden Verdacht" ("probable cause") hat, dass sich im Wageninnern Waffen oder illegale Dinge befinden.

Noch einige Fakten aus der Welt der kalifornischen Verkehrspolizei: Die Polizei streitet vehement ab, dass es monatliche Quoten für Polizisten über die Anzahl der auszustellenden Tickets gibt. Gerüchtehalber werden die Gesetzeshüter am Monatsende nämlich besonders geschäftig, weil sie, wie alle Amerikaner, die Erfüllung ihrer Pflichten gerne aufschieben, bis es absolut nicht mehr länger geht. Egal ob das mit den Quoten nun offiziell stimmt oder nicht: Jeder Polizist wird beurteilt, und ein Radarmensch, der weniger Tickets ausstellt als seine Kollegen, wird zweifellos irgendwann rausgeworfen. Und es gibt sicher auch einen Stichtag, an dem der Vorgesetzte die Beurteilungen schreibt, also gibt es auch Zeitspannen, in denen Polizisten eifriger aufschreiben als sonst.

Abbildung [8]: Das Buch "Fight your Ticket and Win in California" gibt nützliche Tipps.

Woher ich das alles weiß? In dem Buch "Fight your Ticket and Win in California" (Abbildung 8) schildert ein auf Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt die Gesetze und die ungeschriebenen Regeln. Weiter empfehle ich die Website highwayrobbery.net, die vor den Gaunereien von Blitzampelbetreibern warnt und darüber informiert, wie man deren horrende Bußgelder anfechten kann.

Ich persönlich habe übrigens noch nie ein Ticket wegen zu schnellen Fahrens erhalten. Wenn 65 mph (105 km/h) erlaubt sind, stelle ich meist den Tempomat ("Cruise Control") auf 80 (130 km/h) und konzentriere mich darauf, den Wagen in der Spur zu halten und die Szenerie sowohl nach vorne als auch durch den Rückspiegel zu beobachten. Seit Urzeiten beliefert nämlich die Firma Ford die Polizeiregimenter mit dem Modell "Crown Victoria" für die Verkehrskontrolle. Zum Serienmodell bauen sie natürlich einen ziemlichen Höllenmotor ein, damit Polizisten auch Schnellfahrern mühelos hinterher kommen. Mit etwas Übung erkennt man das Modell auch auf weite Entfernung im Rückspiegel, selbst bei Nacht, denn die Scheinwerfer weisen eine charakteristische Form auf. Andere Modelle kommen vor, sind bei uns aber relativ selten.

Abbildung [9]: Nicht so mutig, wie es aussieht: Bei dem Polizeiauto handelt es sich um eine Attrappe auf dem Gelände der Universal Filmstudios.

Nicht alle Radar-Cops stellen sich am Straßenrand auf. Teilweise kommt ein Polizeiauto viel schneller als der restliche Verkehr von hinten daher, was im Rückspiegel aber sofort ins Auge sticht. Und Vorsicht: Manche Polizisten fahren auch auf der rechtesten Spur, und zwar mit etwas langsamer als der vorgeschriebenen Geschwindigkeit. Sie warten darauf, dass jemand fünf Spuren weiter links mit einem Affenzahn vorbeirauscht. Man muss aufpassen wie ein Luchs -- aber das ist im Straßenverkehr immer eine gute Idee. Viele Amerikaner sind bereits mit dem Geradeausfahren voll ausgelastet und schaffen es nicht, diesen Rundum-Blick aufrecht zu erhalten -- und rasen blind in die Radarfallen.

Mit meinem Verfahren bin ich schneller als die meisten Raser am Ziel, sehe praktisch alle Radarfallen Kilometer im voraus, und die Wahrscheinlichkeit, dass man mit 15 mph über dem Limit angehalten wird, ist vielleicht 50/50. Neulich bin ich übrigens auf dem Freeway 101 mit 82 mph (132 km/h) an einer außergewöhnlich gut versteckten Radarfalle vorbeigebraust, aber der Cop wartete wohl auf größere Sünder, denn er machte keinen Mucks.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012