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  Rundbrief Nummer 83  
San Francisco, den 08.12.2009


Abbildung [1]: Mail-Art: Aquarium

Angelika Im Zeitalter von E-Mails, Twitter, Facebook, Handys, elektronischen Grußkarten flattert einem ja nur noch selten ein handgeschriebener Brief ins Haus. Briefeschreiben scheint vom Aussterben bedroht zu sein, genau wie Langspielplatten und das Fotografieren mit Film.

Nun bin ich absolut kein E-Mail-Muffel, aber ich habe schon immer gerne Briefe geschrieben und erhalten. Im zarten jugendlichen Alter hatte ich zum Beispiel diverse Brieffreundschaften, und auch Michael und ich tauschten, als wir uns gerade frisch kannten, mindestens einmal wöchentlich Briefe aus, denn wir wohnten in verschiedenen Städten, es gab noch kein Internet und Michael hasste es, zu telefonieren. Auch gehöre ich zu den Verrückten, die keinen richtigen Brief wegschmeißt und im Laufe der Jahre haben sich diverse Kisten angesammelt. Zu Michaels Leidwesen drucke ich auch alle E-Mails aus, die einen briefähnlichen Charakter haben. Es ist so schön, alte Briefe zu lesen!

Ich schrieb mich deshalb sogar in mehrere Kurse zum Thema Mail-Art (Postkunst) im "Center for the Book" (Rundbrief 04/2007) ein. Im herkömmlichen Sinne bedeutet Mail-Art, dass mit Hilfe der Post Kunstwerke und -objekte versandt werden: Briefe, Karten, Gegenstände -- und auch der Briefumschlag selbst -- werden zum Kunstwerk.

Viele Mail-Art-Freunde lieben es auszutesten, welche verrückten Dinge den Weg durch das Postwesen schaffen. Eine besondere Herausforderung im Zeitalter der Terrorangst und der immer weiter fortschreitenden Automatisierung, mit Scannern, Sortiermaschinen und Laufbändern, die die Arbeit leisten. Meine Freundin Conny schickte mir zum Beispiel einen in Folie eingeschweißten Küchenschwamm und einen großen Plastikbecher mit einem selbstgemachten, gehäkelten Fisch. Die amerikanische Post ließ sich nicht lumpen und stellte alles ordnungsgemäß zu. Unser Postbote klingelte sogar, denn das sogenannte "Aquarium" passte nicht in unseren Briefkasten. Er fand die Idee übrigens total klasse. Eine der goldenen Mail-Art-Regeln ist, dass man sich mit seinem Postboten und seinem Postamt gutstellt.

Die Mail-Art-Bewegung hat, genau wie das Internet in seinen Anfängen, als es noch nicht jeder Hinz und Kunz benutzte, fast anarchische Züge. Kommerzielle Interessen sind verpöhnt, denn die Mail-Art versteht sich gerade als Gegenbewegung zur Kunst- und Gallerieszene. Jeder kann Mail-Art betreiben. Es gibt kein Gremium, das bestimmt, wer zu dem Kreis der Mail-Art-Künstler gehört und wer nicht. Der Sender stellt keine Erwartungen an den Empfänger, obwohl es wiederum zum guten Ton gehört, dass der, der etwas erhält, auch etwas an den Sender zurückschickt.

Bei den sogenannten Mail-Art-Calls setzt jemand ein Thema und ruft die Mail-Art-Enthusiasten auf, dazu Mail-Art zu produzieren und einzuschicken. Beispielthemen: Schinken, Blick aus dem Fenster, Selbstportraits, Fliegen. Diese Aufrufe kommen sowohl von Einzelpersonen als auch von Museen und Gallerien. Aber es gilt wiederum: Es gibt keine Jury, keine Gebühren fallen an und das Eingesandte wird nicht zurückgesandt. Kommt es zu einer Ausstellung, ist jeder, der etwas einschickt, automatisch in der Ausstellung. Der Organisator des "Mail-Art-Calls" schickt dann eine Dokumentation des Projekts in Form eines kleinen Katalogs oder Heftchens an alle Teilnehmer, auch das ist ein ungeschriebenes Gesetz.

Mail-Art ist natürlich nicht nur ein amerikanisches Phänomen, sondern wird weltweit betrieben. Allerdings gilt der amerikanische Collagekünstler Ray Johnson als Gründervater der Mail-Art. Schon in den späten 50ern schickte er Kunstprojekte an Freunde und Bekannte mit Instruktionen, diese zu ergänzen, weiter zu entwickeln und dann zurück oder weiter zu schicken.

Zwei weitere amerikanische Künstler sind durch ihre Eigenkreationen von Briefmarken bekannt geworden: Michael Thompson und Michael Hernandez de Luna. Beide produzieren nicht nur Briefmarken mit hoch politischen oder kontroversen Inhalten, sondern kleben sie auf Briefe und hoffen, dass die Post es nicht merkt und sie befördert. Das Frankieren von Sendungen mit falschen Briefmarken ("faux postage") ist natürlich illegal und die beiden Künstler stehen deswegen auf der schwarzen Liste der amerikanischen Post. Es gibt viele Mail-Art-Künstler, die ihre eigenen Briefmarken entwerfen, aber die meisten kleben neben den falschen Briemarken auch die richtigen drauf, damit sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

Grüße aus der Stadt der hehren Künste:

Angelika und Michael

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012