Angelika/Mike Schilli |
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Hallo, ihr Lieben!
Nachdem ich nach meinem Deutschlandbesuch schon wieder seit vier Wochen in San Francisco bin, ist -- so glaube ich -- einmal wieder ein Rundbrief fällig. Bei uns hat sich wieder eine Menge ereignet. Es ist doch immer wieder erstaunlich, dass, trotzdem wir jetzt schon eine ganze Weile in San Francisco leben, viele Dinge immer noch neu für uns sind, andererseits nehmen wir bestimmte Dinge mittlerweile auch anders wahr, was ich immer merke, wenn ich mir die alten Rundbriefe durchlese.
(Angelika) Zurück zu meinem Deutschlandbesuch: Ich habe die vier Wochen in Deutschland sehr genossen und mich besonders darüber gefreut, dass ich so viele von euch sehen und sprechen konnte. Auch wenn meine Besuche bei vielen von euch nur kurze Stippvisiten waren und somit natürlich viel zu kurz. Diejenigen, die ich nicht geschafft habe, zu besuchen, mögen bitte nachsichtig mit mir sein; vier Wochen sind eben nur eine begrenzte Zeit.
Viele von euch haben mir in Deutschland immer wieder diese zwei Fragen gestellt: a) Kannst Du noch deutsch? b) Erlebst Du Deutschland jetzt anders?
Ich glaube Frage a) brauche ich gar nicht richtig zu beantworten, wer mich reden gehört hat, weiß, dass ich genauso viel wie vorher quassele. Ich glaube, dass mir das in der deutschen Sprache nach wie vor perfekt gelingt (Der Korrekturleser: "Bescheidenheit, Bescheidenheit ..."). Vielleicht hätte sich so manch einer von euch gewünscht, dass mich die Zweisprachigkeit etwas verschwiegener machen würde, da muss ich leider passen und ich glaube, diesbezüglich braucht ihr euch keine Hoffnungen zu machen.
Die zweite Frage ist schon etwas schwieriger zu beantworten. Mit Deutschland verbinde ich in erster Linie ganz viel Vertrautes: meine Familie, gute Freunde, viele vertraute, wunderschöne Orte. Dies hat sich natürlich überhaupt nicht verändert, auf der anderen Seite sind mir schon einige Dinge negativ aufgestoßen, die ich sonst vielleicht nicht so wahr genommen hätte. Das Problem ist natürlich, wenn man über die Deutschen oder Deutschland schreibt, muss man immer pauschalisieren; das lässt sich einfach nicht vermeiden und wie ihr alle wisst, gibt es nicht den Deutschen oder den Amerikaner und Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Und doch sind bestimmte Charakterzüge der einen oder anderen Nation stärker zuzuschreiben. Zunächst ist mir aufgefallen, dass die Deutschen ein Volk von Nörglern und Pessimisten sind (wobei ich mich zumindest bei den zuletzt genannten durchaus mit einschließen würde). Das habe ich gleich beim Umsteigen in Atlanta gemerkt. Das Flugzeug war ungefähr zur Hälfte mit Amerikanern und deutschen Urlaubern besetzt. Da Atlanta bekanntlich einer der größten Flughäfen der USA ist und somit relativ viel Flugverkehr hat, standen wir beim Starten auf Warteplatz 46, was hieß, dass das Flugzeug mit einer Stunde Verspätung losgeflogen ist. Für mich war es nun sehr interessant, zu beobachten, wie unterschiedlich die Deutschen und Amerikaner mit dieser Situation umgegangen sind. Die Amerikaner saßen meist entspannt da und lasen, keiner schaute permanent auf seine Uhr oder regte sich sonst wie auf. Vor mir saßen hingegen vier Deutsche, ca. 25-jährig und gerade aus dem Urlaub kommend. Nicht nur, dass diese lauthals auf Deutsch (gut, dass die Amerikaner in der Regel kein Deutsch verstehen) über die Verspätung schimpften, so dass ich schon ganz peinlich berührt war, sondern alle zwei Minuten wurde auf die Uhr geschaut, gebracht hat das natürlich auch nicht viel. Später bestellten sich diese besagten Deutschen nicht nur ein Bier, sondern bestanden darauf, dass die Stewardess jedem von ihnen gleich zwei brachte. Peinlich!!!! Kein Wunder, dass jeder Amerikaner denkt, dass jeder Deutsche mit dem Bierfass geboren wird. ihr werdet jetzt natürlich einwenden, dass diese Deutschen die berühmten Ausnahmen waren, aber ich muss sagen, dass mich die Nörgelei auch weiterhin verfolgt hat. Der Tenor war allerortens, dass es Deutschland so schlecht wie noch nie geht, da wurden richtige Horrorszenarien beschrieben (und ich meine jetzt nicht nur in den Medien).
Ich möchte jetzt auf keinen Fall falsch verstanden werden. Natürlich gibt es in Deutschland -- wie überall -- ernsthafte Probleme, die unbedingt bald in Angriff genommen werden müssten, damit sich keine größere Krise anbahnt. Unter ernsthaften Problemen verstehe ich aber nicht, sich erbittert über eine Rechtschreibreform zu streiten und mit dieser Thematik Gerichte zu beschäftigen. Allerdings sei hier fairerweise angefügt, dass der Amerikaner auch gern wegen jeder Bagatelle vor's Gericht zieht. Das ist aber wieder ein ganz anderes Thema, was ich lieber ein anderer Mal abhandeln möchte. Zurück zur deutschen Rechtschreibreform: Ich bekenne, ich bin für eine Rechtschreibreform und wäre für viel radikalere Veränderungen gewesen. Das halte ich mittlerweile übrigens auch für eine deutsche Spezialität: Sich an unwichtigen Dingen festklammern und nicht einen Millimeter bereit sein, richtige, notwendige Veränderungen anzustreben. Da erinnert man sich plötzlich wieder daran, dass man ja schließlich das Volk von Goethe und Schiller ist, wobei deren Sprache dann ja vielleicht doch auch etwas anders ausgesehen hat.
Wenn man mit etwas Abstand die Diskussion um die Rechtschreibreform verfolgt, fragt man sich echt, ob Deutschland zur Zeit nicht andere Probleme hat. Ich denke da z.B. an die hohe Arbeitslosenquote, die immer stärkere Armut, den gefährdeten Sozialstaat usw. Damit müsste man sich meiner Meinung nach dringend auseinandersetzen.
(Angelika) Ich habe bei meinem Deutschlandbesuch immer wieder zu hören bekommen, dass in Deutschland bezüglich der sozialen Absicherungen sowieso bald amerikanische Zustände herrschen würden. Freunde, diesbezüglich muss ich heftigst widersprechen und ich hoffe inständig, dass in Deutschland nie solche Zustände wie hier herrschen werden. Da ist zum Beispiel das leidige Thema Krankenversicherung. Erstens sind ca. 40 Millionen Amerikaner gar nicht versichert und da ja das gesamte Versicherungswesen hier in privater Hand ist, kommt es vor, dass z.B. Leistungen für Aidskranke nicht übernommen werden, weil deren Behandlung zu kostenintensiv ist oder bei einem Versicherungswechsel, der meist automatisch mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes verbunden ist, jede Erkrankung oder auch Schwangerschaft, die ein halbes Jahr vor dem Versicherungswechsel existiert, von der neuen Versicherung bis zu einem Jahr nicht übernommen wird. Chronisch Kranke sind in so einem System echt verloren. Außerdem habe ich gelesen, dass eine amerikanische Krankenversicherung die Kosten für ein behindertes Kind nicht übernommen hat, weil die Eltern vorher wussten, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % ein behindertes Kind kriegen würden. Und ich möchte noch einmal betonen, dass dies keine Einzelfälle sind. Aber man braucht gar nicht so weit ausholen. Auch wenn man hier krankenversichert ist, kann es passieren, dass die Krankenversicherung nicht das volle Arzthonorar bezahlt, weil es der Versicherung zu hoch erscheint. Und in diesen Fällen ist letztendlich immer der Patient der Dumme, d.h. er muss die Differenz zahlen. Genau aus diesem Grund gibt es immer mehr das sogenannte "managed care", d.h. man darf nur zu bestimmten Ärzten gehen, die Verträge mit der Versicherung haben. In diesen Verträgen wurde festgelegt, dass die Ärzte nur ein bestimmtes Honorar für eine bestimmte Leistung nehmen dürfen. Dann gibt es noch so Sachen wie Selbstbeteiligung oder Begrenzung der Leistungen auf 1 Million Dollar über das gesamte Leben des Patienten, d.h. ist die Million aufgebraucht, wird nicht mehr gezahlt und so eine Million kann unter Umständen schnell weg sein, wenn man schwer erkrankt. Und ich unterstreiche noch einmal, das sind in der Regel schon die besseren Konditionen. Ich denke, dass es in Deutschland da doch noch etwas anders zugeht. Nicht auszudenken, wenn man diese Diskussion noch auf die anderen Sozialleistungen in Amerika (z.B. Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Sozialhilfe, Urlaubsanspruch) ausweiten würde!
Um meinen Standpunkt noch einmal ganz klar zu machen: Ich halte es für extrem wichtig, dass die Sozialleistungen und das Solidaritätsprinzip in Deutschland erhalten bleiben, d.h. jeder -- egal ob Sozialhilfeempfänger, Bankdirektor oder Angestellter bei Siemens; schwarz, weiß oder grüngestreift -- ist krankenversichert und bekommt dieselben Leistungen und hat Anspruch auf Sozialleistungen, wenn es ihm schlecht geht. Und ich bin gerne bereit, mehr zu zahlen, wenn es mir gut geht, wenn ich die Sicherheit habe, dass ich nicht total fallen gelassen werde, sollte ich selbst in eine Notsituation kommen.
Ich merke gerade, dass ich mich jetzt doch wieder länger über dieses Thema ausgelassen habe, aber es beschäftigt mich einfach immer wieder. Wer übrigens ein gutes Buch zum Thema "Deutschland" lesen möchte, sollte sich das Buch von der ehemaligen ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz "Jetzt mal ehrlich! -- Gedanken über Deutschland" zu Gemüte führen. Krone-Schmalz hat das Buch nach ihrer Rückkehr aus Russland geschrieben und ihr sind dabei ganz ähnliche Sachen wie mir aufgefallen.Deutschland als Ausländer
Sozialleistungen im Vergleich
Nächstes Wochenende feiern wir dann unseren 1. Hochzeitstag. Wir haben beschlossen, das Datum unserer kirchlichen Trauung als unseren offiziellen Hochzeitstag zu nehmen. Das hat vor allen Dingen den pragmatischen Grund, dass dieses Datum in unsere Ringe eingraviert wurde und somit Michael eine gute Gedächtnisstütze hat. Wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, ist wirklich unglaublich viel passiert und irgendwie ist das Jahr nur so verflogen. Natürlich wollen wir unseren Hochzeitstag entsprechend feiern. So fahren wir an die Küste in Richtung Norden und haben uns dort für zwei Nächte in ein romantisches Hotel mit Blick auf den Ozean eingemietet. Um an die Küste zu gelangen, werden wir uns den Weg durch das Weingebiet bahnen und vielleicht noch eine Weinprobe machen. Ein echt kalifornisches Wochenende also! Wir freuen uns auf jeden Fall schon sehr darauf.
Unsere Freunde Sylvia und Richard sind übrigens Ende Juli nach Portland umgezogen, da Richard dort eine neue Arbeitsstelle angetreten hat. Portland liegt im Bundesstaat Oregon und ist ca. 10 Autostunden von San Francisco entfernt. Für uns ist natürlich sehr schade, dass die beiden jetzt so weit weg wohnen, da spontane Treffen nun einfach nicht mehr möglich sind. Das Baby von Sylvia und Richard soll ja Ende September auf die Welt kommen und Sylvia und ich hatten schon davon geträumt, eine eigene Krabbelgruppe aufzumachen. Das geht jetzt natürlich nicht mehr.
Zum Abschluss dieses Rundbriefes möchte ich euch noch mit zwei unendlichen Geschichten unterhalten: die eine betrifft Michaels Firma , die andere meinen amerikanischen Führerschein.
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