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  Rundbrief Nummer 4  
San Francisco, den 23.08.97


Nörgelei und Pessimusmus

Um noch einmal auf die Nörgelei und den Pessimusmus zurückzukommen: Der Amerikaner ist da vielleicht das andere Extrem, nämlich der ewige, fast schon unrealistische Optimist. Der glaubt nämlich unerschütterlich daran, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will. Hier wird immer noch der Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" gelebt. Selbst der Obdachlose auf der Straße oder der Schwarze, der im schlechtesten Viertel der Stadt lebt, in dem Bandenkriege, Gewalt und Drogen das tägliche Brot sind, vertritt noch diese Philosophie. Angesichts der Tatsache, dass viele Schwarze aber nie dieses Ghetto verlassen werden und nicht einmal einen Highschool-Abschluss haben, ist dies schon bittere Ironie. Meiner Meinung nach führt diese Einstellung auch dazu, dass jeder meint, er schaffe es alleine und es der Amerikaner es gar nicht gern hat, wenn bestimmte Sachen staatlicherseits reguliert werden (z.B. Einführen einer Krankenversicherungspflicht).

Nur noch eine Sache möchte ich bezüglich meines Deutschlandbesuches anführen. In einem sind die Amerikaner uns wirklich meilenweit voraus, nämlich in ihrer Freundlichkeit. Hierbei beziehe ich mich hauptsächlich auf den mitmenschlichen Umgang im Dienstleistungsgewerbe, aber auch auf den alltäglichen Umgang miteinander. Zugegeben: Es war vielleicht auch ein Kulturschock, nach München einzufliegen, wo es ja bekanntlich herzlich, aber auch ein wenig bayerisch derb zugeht. Also erfreue ich euch schnell mit einem Erlebnis aus der Weltstadt mit Herz. Bei meinem Domus-Besuch bat man mich, in einer Münchener Bäckerei für alle Domus-Kinder Brezeln und Semmeln zu kaufen, d.h. für eine Summe von ungefähr 50 DM. Die Verkäuferin händigte mir zwar die gewünschte Bestellung aus, bemerkte aber gleichzeitig bissig, dass ich das nächste Mal gefälligst bei so einer Menge einen Tag vorher bestellen sollte, schliesslich hätte sie ja jetzt kaum noch Ware für ihre Kunden, was zwar nicht stimmte, weil ich mich in einer Bäckerei befand, die ständig selber neue Semmeln und Brezeln aufbackt, aber sei's drum. So etwas wäre einem in Amerika nie passiert. Hier wäre man eher dankbar, dass ich soviel Geld in ein und demselben Laden ausgebe und selbst, wenn ich nur etwas für 50 Cent gekauft hätte und es das letzte Brötchen im Regal gewesen wäre, hätte man es mir in Amerika doch gerne verkauft. In Deutschland hatte ich hingegen oft das Gefühl, dass man als Kunde froh sein kann, wenn man überhaupt etwas bekommt. Hier kann man wirklich dem Verkäufer ein Loch in den Bauch fragen und 10 Paar Schuhe anprobieren, ohne etwas zu kaufen, oder die Jeans, die man gekauft hat, am nächsten Tag wortlos ohne Begründung zurückbringen, man wird immer noch mit einem Lächeln begrüßt und das Lächeln ist in der Regel nicht gekünstelt oder aufgesetzt.

Im Restaurant, beim Frisör, im Supermarkt -- überall stößt man auf die gleiche Freundlichkeit. Viele meinen allerdings, dass die Amerikaner im Dienstleistungsgewerbe nur so freundlich sind, weil sie auf das Trinkgeld bzw. die Verkaufsprovision angewiesen sind. Da mag ja etwas dran sein, ich glaube aber mittlerweile eher, dass es sich um eine Einstellungssache handelt. Man hat hier das Gefühl, verkaufen macht denen Spaß und der Kunde wird nicht als lästiges Übel betrachtet. Und selbst wenn die Freundlichkeit nur wegen des Trinkgeldes ist, ist mir das immer noch lieber als von einem Muffelkopf bedient zu werden.

Es gibt in Amerika übrigens einen Ort, an dem man auch hier die Freundlichkeit verzweifelt sucht, nämlich auf der Behörde. Das scheint allerdings ein weltweites Phänomen zu sein.

Nun bleibt mir noch anzufügen, warum ich meine, dass auch der alltägliche Umgang miteinander freundlicher ist. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass der Amerikaner äußerst gesprächig ist und den Small Talk meisterhaft beherrscht. Egal ob man im Fahrstuhl steht, auf den Bus wartet oder in der Schlange am Postschalter ansteht, der Amerikaner richtet ganz unbefangen auch an Wildfremde einige freundliche Worte. Zugegeben sind diese Gespräche oft über belanglose Themen wie das Wetter, aber mir ist es auch schon passiert, dass mir auf der Straße eine Frau zugerufen hat, dass ich heute aber ein besonderes fröhliches T-Shirt anhätte oder die Kassierin meine Ohrringe bewunderte. Egal, ob dies nun ehrlich gemeint ist oder nicht, man fühlt sich dabei irgendwie besser.

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012