27.04.2015   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 111  
San Francisco, den 27.04.2015


Abbildung [1]: Zwölf Dollar für knapp zwei Liter Bier? Nur in Amerika.

Michael Die Geschichte des Brauwesens in Amerika lässt sich in drei zeitliche Abschnitte einteilen. Bis circa 1985 herrschte die wässrige Periode, in der es landauf landab nichts anderes gab als das Dünnbier der großen Hersteller. Joe Schmoe trank Budweiser oder Coors, während europäische Touristen und ortsansässige Feinschmecker mexikanische oder holländische Exporte wie Corona oder Heineken bestellten. Dann begann Ende der 1980er der Umbruch, und trendige Jungunternehmer machten sich daran, den Biermarkt von unten her aufzurollen mit sogenannten "Microbrews". Mit viel Liebe und fast hobbymäßig betriebene Brauereien stellten kleine Mengen Spezialbier für Kennerkehlen her.

Abbildung [2]: Wenn's schön macht: Kürbisbier für 5.79 pro Flasche.

Heutzutage führt jede Dorfwirtschaft ein Microbrew, und in San Francisco könnte man Budweiser wahrscheinlich nur noch in einer Sportsbar bestellen ohne ausgelacht zu werden. Der Kampf ist nunmehr ausgefochten, zog sich aber über Jahrzehnte hin. Da in Amerika der Biervertrieb seit Prohibitionszeiten strengen staatlichen Kontrollen unterliegt, ist es bis heute gar nicht so einfach für kleine Firmen, ihr Gebräu in die Supermarktregale zu bringen. Großhändler, die die Läden beliefern, genießen eine vom Bundesstaat vorgeschriebene Monopolstellung, und bevor so ein Megavertrieb, der hunderte von Millionen Liter Budweiser verscherbelt, eine Microbrewery ins Programm nimmt, die ein paar tausend Liter absetzt, muss schon ein mittleres Wunder geschehen. Die Dokumentation Beer Wars zeigt diesen oft aussichtslosen Kampf David gegen Goliath eindrucksvoll.

Abbildung [3]: War schon immer teuer: Belgisches Bier.

Aber der Amerikaner macht ja bekanntlich niemals halt und treibt die Dinge gerne auf die Spitze, auch wenn's vielleicht nicht immer so schlau ist. Ein Reinheitsgebot kennt er natürlich nicht und so experimentiert heutzutage so ziemlich jede Brauerei mit den irrwitzigsten Zutaten herum und panscht teilweise Zeug zusammen, das kein Mensch mehr trinken kann.

Im Urlaub auf Hawaii trinke ich zum Beispiel immer Bier der ortsansässigen "Kona"-Brauerei, die ähnlich wie Gordon Biersch klassische Sorten komponiert. Allerdings war in dem im Costco-Supermarkt in Honululu erworbenen Sparpack "Big Kahuna" letztes mal ein Sixpack der Sorte "Koko Brown" dabei, das so absurd nach Kokosnuss schmeckte, dass ich nicht mehr als einen Schluck runterbrachte, den verbleibenden Flascheninhalt wortlos weggoss, und die restlichen fünf Flaschen im Kühlschrank für den nächsten Mieter des Ferienhauses zurückließ.

Abbildung [4]: Bier für 6.89 Dollar pro Flasche im Sonderangebot.

Deutsche Winzer machen sich ja bekanntlich gerne über amerikanische Weine lustig, die sie "Coca-Cola-Weine" nennen, weil der Amerikaner pragmatisch zu neumodischen Geschmacksverfeinerungsmethoden greift, die in Deutschland verboten sind. Im Napa Valley baut zum Beispiel jeder Winzer seine schweren Rotweine mit in den Fässern eingelagerten Holzchips verschiedener Geschmacksrichtungen aus. Die neuen Hipster-Biere, die trendige Brauereien heute skrupellos mit Hollunder, Grapefruit, Kürbisgeschmack oder chemischem Firlefanz anreichern, kann man beim besten Willen nicht mehr einfach zum Essen trinken, sondern vielleicht nur noch wie bei einer Weinprobe mit Crackern und Käse degustieren. Außerdem kostet eine Literflasche dieser Micky-Maus-Biere oft 10 Dollar und mehr. Restaurants schielen gierig auf die neuen Biersorten, denn endlich können sie die Halbe für 15 Dollar verkaufen! Aber nicht mit mir, diese Verweinisierung der Bierkultur mache ich aus Protest nicht mit.

Abbildung [5]: Das typische amerikanische Pint-Glas fasst 0.47 Liter bis zum oberen Rand.

Vor 20 Jahren kostete die amerikanische "Pint" (also 0,47 Liter) Bier im Pub noch $3, heutzutage sind eher $6 üblich. Die typischen amerikanischen Pint-Gläser (Abbildung 5) haben keinen Eichstrich und der Schankwart muss sie ganz bis zum oberen Rand füllen, so dass man sie oft kaum noch von der Theke heben kann, ohne einen Tropfen zu verschütten. Da schaumlose Ales mittlerweile vielerorts schäumenden Bieren gewichen sind, ist oft weniger im Glas als man annimmt. Viel schlimmer aber noch zocken Speiselokale die Biertrinker ab: Nachdem sie herausgefunden hatten, dass sich niemand aufregt, wenn das Glas Wein $6, $10 oder gar $20 kostet, schraubten sie auch die Bierpreise über die Jahre langsam in die Höhe. Neulich rieb ich mir verwundert die Augen, als mir der Kellner in meinem Lieblingsrestaurant "Chow" ein Bierglas für $4.50 vorsetzte, das etwa 0,2 Liter fasste. So nicht, Freunde der Sonne!

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 18-Jul-2015