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  Rundbrief Nummer 41  
San Francisco, den 06.12.2002


Abbildung [1]: Die Aufstellung beim Baseballspiel

Seht euch einfach Abbildung 1 an. Die gelben Nummern markieren die Spielerpositionen. Der rosafarbene Kreis links im Bild ist die so genannte Homeplate. Dort stehen, von rechts nach links, der Mann mit dem Knüppel ("Batter", 2), der Fänger mit Helm und Handschuh ("Catcher", 3) und der Schiedsrichter, genannt "Umpire" (4). Weiter rechts im Spielfeld ist ein zweiter, kleinerer rosa Kreis, in dem der Werfer (1) steht. Weiter rechts folgt eine breite rosa Straße, das so genannte "Infield", in der drei weitere Figuren, die so genannten Infielder (5 bis 8), stehen. Und rechts von der Straße ist das Grün des "Outfields", das den Rest der Stadionfläche einnimmt.

Abbildung [2]: Der Fänger wirft, Fänger und Batter lauern.

Im Prinzip geht Baseball so: Der Werfer (1) wirft den Ball zum Fänger (3) und der dazwischenstehende Batter (2) versucht, ihn mit seinem Knüppel wegzuschlagen. Gelingt ihm das, wirft er den Knüppel weg, und rennt, so schnell er kann, an der weißen Linie entlang zur in Abbildung 1 mit einer roten 1 markierten so genannten "First Base", einem weißen Kissen, das in der Ecke auf dem Boden befestigt ist. Von dort geht's weiter zur roten Nummer 2 ("Second Base"), weiter zur mit 3 markierten "Third Base" und schließlich weiter zum Ziel, dem vierten Eckpunkt, der "Fourth Base". Kommt er dort an, kriegt die Mannschaft einen Punkt.

Abbildung [3]: Im Outfield stehen kaugummikauende Outfielder und langweilen sich

Während der Batter rennt, versuchen die Infielder und auch vier weiter rechts im grünen Outfield stehende, mit Fängerhandschuhen bewaffnete "Outfielder", den Ball zu fangen und wieder ins Infield zu befördern. Und jetzt kommt's: Rennt der Batter gerade auf eine Base zu und ein Infielder wartet dort grinsend und mit dem Ball in der Hand auf ihn, hat der Batter verspielt -- er ist "out".

Jetzt werdet ihr euch fragen: Wer gehört denn eigentlich zu welcher Mannschaft? Wer aufgepasst hat, weiß es: Alle gehören demselben Team an -- bis auf den Batter, der für die andere Mannschaft spielt.

Der Pitcher, der Fänger, die Infielder und die Outfielder gehören alle zum verteidigenden Team, der Batter ist der Angreifer von den anderen. Der Pitcher versucht, den Ball so zum Fänger zu werfen, dass ihn der Batter nicht mit dem Knüppel zu fassen kriegt. Dazu signalisiert er dem Fänger öfters mit geheimen Zeichen, wie der Ball kommen wird: Je nachdem, ob er sich ans Ohr fasst oder in der Nase bohrt, kommt der Ball hoch oder tief, mehr nach links oder rechts, angeschnitten oder super-schnell.

Nach drei erfolgreichen Würfen (Strikes) ist Schluss und der Batter muss gehen. Allerdings muss der Werfer den Ball in vorgeschriebenem Abstand knapp am Batter vorbei zum Fänger werfen, sonst ist der Ball aus. Passiert das mehr als dreimal, ist der Werfer aus und der Batter darf ungeschoren zur nächsten Base laufen.

Abbildung [4]: Der Pitcher (links) hat geworfen, der Catcher gefangen, aber der Ball war aus.

Trifft der Batter den Ball aber mit dem Knüppel und die etwa tennisballgroße Kugel kullert ins Feld (wenn sie ins Aus knallt, gildet's nicht), bricht die Panik aus und die Feldspieler setzen sofort alles daran, den Ball aufzufangen und ihn zurückzuspielen, damit die Infielder die Bases so belagern können, dass einer von ihnen lachend mit dem Ball in der Hand auf den keuchend anstürmend Batter wartet und ihn damit zurück auf die Bank schickt.

Steht der Batter allerdings mit einem Bein auf einem Base-Kissen, kann ihn keiner ins Aus befördern. Nur wenn er zwischen den Bases herumrennt, ist er verletzlich und ein auf der nächsten Base positionierter Fänger kann ihn mit Ball stoppen. Das Ganze ist für den Batter also ein Pokerspiel. Sieht er, dass er es nicht mehr bis zur nächsten Base schafft, kann er sich einfach auf der aktuellen niederlassen und seine Mannschaft schickt, wie bei einem Flipper mit Multiball-Funktion, zusätzlich zum geparkten Spieler den nächsten Batter ins Rennen. Das führt zu so genannten "Loaded Bases", denn jeder Batter darf parken. Dann wird's spannend, denn mit jedem erfolgreichen Schlag des neuen Batters dürfen die geparkten Spieler versuchen, zur nächsten Base zu gelangen oder gar zur vierten Base, wofür das angreifende Team dann pro Mann einen Punkt bekommt. Und, das macht das dröge Spiel auch in den scheinbaren Ruhepausen interessant, denn auch während der Fänger sich vorbereitet und dem Fänger mit geheimen Handzeichen übermittelt, wie der nächste Ball kommt, dürfen die geparkten Batter versuchen, zur nächsten Base zu gelangen -- falls es klappt, nennt man das "Stolen Base".

Wenn der Batter mit seinem Knüppel (Bat) den Ball allerdings mit voller Wucht trifft und dieser in die Zuschauerränge oder gar aus dem Stadion hinaus fliegt, kann ihn natürlich kein Fänger mehr kriegen. Somit ist der Batter nicht mehr zu stoppen, und er kann in aller Seelenruhe grinsend von Base zu Base und zum Ausgangspunkt zurückrennen und einen Punkt kassieren. Das nennt man einen "Home Run".

Schlägt der Batter den Ball mit dem Knüppel weg und ein Gegenspieler fängt ihn auf, ohne dass er den Boden berührt, ist allerdings der Batter "out".

Ein Baseballspiel besteht aus 9 Durchgängen, so genannten "Innings", die jeweils eine "upper" und eine "lower" Halbzeit haben, in denen jeweils ein Team angreift und das andere verteidigt. Die Punkte jedes Innings zählen, so kann es sein, dass das erste 1:2 ausgeht, das zweite 0:0, das dritte 4:3 und so weiter. Wer am Schluss die meisten aus allen Innings zusammengezählten Punkte hat, gewinnt. Typisch gehen die Spiele irgendwie 6:8 oder 5:6 aus.

Abbildung [6]: Statistik: Hit-Ratio

Lustig ist, dass es im Baseball keinerlei Zeitbeschränkungen gibt. Das Spiel geht nicht 20 Minuten oder 1 Stunde, sondern solange, bis die verschiedenen vorgeschriebenen Spielzüge der 9 Innings durchgespielt sind. Theoretisch könnte ein Spiel unendlich lang dauern, aber typischerweise ist nach 2 bis 3 Stunden Schluss.

Am Rand des Spielfelds (unten Mitte und links Mitte in Abbildung 1) seht ihr mit weißen Linien auf den Rasen gezeichnete Kästen. Das sind die Aufenthaltsräume für den First- und Third-Base-Coach, beides Assistenten des Teamtrainers, die den auf den Bases stehenden Spielern geheime Strategien zustecken. Es gilt offensichtlich als schick ("Ich lass mir doch nichts vorschreiben!"), sich als Trainer nicht in die Box zu stellen, sondern leicht daneben.

Abbildung [7]: Mehr absurde Statistiken

Baseballfans sind ruhig und friedlich. Jeder kann seine Mannschaft anfeuern, egal wo man im Stadion sitzt, tatsächlich sitzen alle bunt gemischt. Mein Kollege Jeremy hat sogar mal im Stadion von San Francisco laut die San Francisco Giants ausgebuht, und die rund um uns herum sitzenden Giants-Fans haben nur gelacht. In einem deutschen Fußballstadion würden da Köpfe rollen! Aber wie auch beim Eishockey oder Football identifiziert sich der Amerikaner zwar stark mit seiner Mannschaft, würde aber nie im Leben zu raufen oder pöbeln anfangen. Seiner Mannschaft ist der Amerikaner meist schon seit Kindestagen verbunden. Da viele Amerikaner nicht ihr ganzes Leben lang im selben Bundesstaat wohnen, ist es keine Seltenheit, dass jemand, der in San Francisco wohnt, z.B. eine Mannschaft aus Florida anfeuert.

Auch bleiben die Zuschauer nicht richtig am Ball. Da geht schon mal einer eine Wurst oder Bier holen oder unterhält sich mit dem Nachbarn. Meistens verpasst man auch nichts, denn das Spiel besteht zu 80% aus Stillstand, in denen sich der Werfer vorbereitet oder die Leute auf ihre Positionen zurückkehren. Die werbetreibende Industrie nutzt das im Fernsehen, um ständig Spots einzublenden. Einer der Gründe, warum sich in den USA Fußball (Soccer) nie durchsetzen wird, ist, dass es sich nicht dauernd und berechenbar unterbrechen lässt.

Das Fernsehen wartet, um das traurige Spiel aufzumotzen, mit irrsinnigen Statistiken auf. Der "Hit-Ratio" eines jeden Batters wird eingeblendet, wenn sein Name als Untertitel erscheint. Der Wert ist zwischen 0 und 1, also typischerweise 0.638 und bezeichnet den Prozentsatz der von diesem Batter getroffenen Bälle -- der vorliegende Wert besagt also, dass er in der laufenden Saison 63.8% aller korrekt geworfenen Bälle (Aus-Bälle gilden nicht) mit dem Knüppel traf und bei 36.2% danebenschlug oder den Knüppel im Sack ließ.

Tritt der Batter ab, nimmt er übrigens nie seinen Knüppel mit. Vielmehr wirft er das (laut Eastbay-Katalog) mehrere Hundert Dollar teure Teil lässig auf den Boden, von wo ihn eigens engagierte Bat-Boys (meist kleine Jungs, ähnlich den Balljungen beim Tennisspiel) aufschnappen und zur Mannschaftsbank bringen.

Wegen der immanenten Langeweile des Spiels kauten Baseballstars früher auf großen Batzen Kautabaks herum, den sie in grotesk ausgewölbten Backen spazierentrugen und in regelmäßigen Abständen einen Strahl brauner Soße ausspuckten. Da Kautabak Mundkrebs verursachen kann und Baseballspieler Vorbildfunktion für viele Jugendliche übernehmen, kauen die Stars heute ostentativ auf riesengroßen Kaugummis herum.

Unter den Spitzenspielern gibt es auffällig viele Mexikaner. Ich war erstaunt, wie viele "Hernandez" oder "Gonzales" heißen. Der Rest ist ungefähr 30% schwarz und 60% weiß.

Kinder, Schüler und Frauen spielen in den USA nicht Baseball, sondern Softball. Die Regeln sind ähnlich, allerdings ist der Ball etwa doppelt so groß und weicher. Außerdem wird er nicht von oben und aus dem Ellbogen herausworfen, wie im Baseball, sondern von unten aus Hüfthöhe.

Da praktisch jeder mit dem Sport aufwächst (American Football kann man selbst in der foul-freien Touch-Football-Form wegen der hohen Verletzungsgefahr fast nicht zu Hause spielen), kennen fast alle die höllenkomplizierten Baseball-Regeln, von denen es außer den heute beschriebenen noch dicke Bände voll gibt. Die wahren Fans sitzen mit so genannten Score-Cards im Stadium und notieren die Spielstände in den einzelnen Innings. Das Ganze ist irgendwie eine Mischung aus Schach und Handball, in dem es soviele strategische Züge gibt, dass einem schwindlig wird und eine "Vierer-Abwehrkette" dagegen als Kinderkram erscheint. Ich schaue, wenn's denn schon ein Sport sein muss, dann doch lieber Fußball.

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Letzte Änderung: 21-Nov-2017