Angelika/Mike Schilli |
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(Michael) Gleich zum heutigen Schwerpunktthema: Ballermänner in den USA, bäng, bäng! 86 Millionen Amerikaner besitzen insgesamt etwa 240 Millionen Waffen. Hier ist das Recht auf Waffenbesitz ja in der Verfassung verankert. An die Verfassung der USA sind, wie schon im letzten Rundbrief erwähnt, einige Anhänge angeschlossen, die sogenannten Amendments, deren erstes, die Redefreiheit, wir letztes Mal an praktischen Beispielen erläutert haben. Das zweite Amendment hingegen heißt:
"A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed."
Na, datt is ja'n Ding! Die Verfassung schreibt also vor, dass kein Bundes- oder Ländergesetz den Besitz und das Tragen von Waffen einschränken darf -- und zwar zu dem Zweck, so die Gründerväter, dass es jederzeit eine kampfkräftige Miliz (Bürgerwehr) gibt, die sich notfalls gegen eine verrücktspielende Regierung zur Wehr setzen kann.
Wer die für Europäer skurril erscheinende Liebe der Amerikaner zu ihren Knarren verstehen will, muss bis hierher vorstoßen. Das eigene Haus oder die Familie notfalls gegen Einbrecher zu verteidigen, spielt sicher eine Rolle, steht aber gar nicht immer im Vordergrund. Eine wahre Demokratie, so der amerikanische Gedankengang, erlaubt es jedem Bürger, sich zu bewaffnen und etwaige Unterdrücker, wie eine Militärdiktatur, wirksam zu zersprengen.
Kurz nach Abschaffung der Sklaverei war es übrigens den Schwarzen im Land immer noch nicht erlaubt, Waffen zu besitzen oder mit sich zu führen. Erst das vierzehnte Amendment, das im Jahr 1868 zur Verfassung hinzukam, regelte, dass auch die ehemaligen Sklaven nun Bundesbürger (Citizens) waren und deswegen Waffen tragen durften.
Die meisten Amerikaner misstrauen der Bundesregierung in Washington zutiefst -- viel stärker als in Deutschland, wo man zwar weiß, dass sich Politiker gelegentlich in Korruptionsskandale verwickeln, Schwarzgeld in die Schweiz verschieben oder Steuern hinterziehen, aber niemand annehmen würde, der nächste Militärputsch stünde an. Der Extremfall hier in den USA sind einige Verrückte in Montana, die sich in Festungen verschanzen, keine Kreditkarte und keine Sozialversicherungsnummer beantragen und den ganzen Tag in Tarn-Uniformen herumspringen.
Deswegen: "Every man be armed!" -- jeder anständige Bürger darf sich hier im Laden um die Ecke eine Knarre kaufen. Im wilden Westen war das lebensnotwendig, da wurde erst geschossen und dann verhandelt. Nun ist diese Regelung in modernen Großstädten natürlich unpraktikabel, schließlich will man nicht, dass einen der nächste Depp über den Haufen schießt. Legal wäre das zwar nicht, aber schließlich nützt einem das wenig, wenn man einmal tot ist.
Deswegen gibt es von Bundesstaat zu Bundesstaat verschiedene Regelungen, die das Herumtragen von Ballermännern in der Öffentlichkeit einschränken: Wer einer Straftat angeklagt oder wegen einer verurteilt wurde, darf keine Waffe mit sich führen. Geistig unzurechnungsfähige Leute, illegale Einwanderer, unehrenhaft aus der Armee Entlassene, Staatsbürger, die ihre Staatsbürgerschaft zurückwiesen oder Drogenabhängige -- auch nicht.
Diese Einschränkungen widersprechen natürlich der Verfassung etwas -- und verursachen erwartungsgemäß ständige Streitereien zwischen Waffennarren auf der einen Seite und aufgeschreckten Bürgern auf der anderen -- letztere zogen aus aus Massakern wie dem im April 1999 an der Columbine High School (15 Tote, 184 Verletzte) ihre Konsequenzen und machen fürderhin leichte Zugeständnisse an die Verfassung, wenn dadurch die Sicherheit ihrer Kinder gewährleistet ist.
Für den Normalbürger ist es meist nur verboten, eine "Conceiled Weapon", eine versteckte Waffe, mit sich herumzutragen. Fast nirgendwo darf man eine Pistole unter der Jacke tragen -- außer man hat eine spezielle Genehmigung. Und auch dann sind Regierungsgebäude, Flughäfen, Sportstadien und ähnliches tabu. In der eigenen oder gemieteten Wohnung und auf dem eigenen Grundstück darf man aber nach Lust und Laune mit geladenen Waffen herumhantieren, solange nur die Kinder nicht daran kommen können.
Die Interessen der Waffennarren vertritt eine Organisation namens NRA, die "National Rifle Association", mit mittlerweile vier Millionen Mitgliedern. Wer sich mit Baseball-Kappen mit NRA-Logo oder T-Shirts oder Pullovern mit eindeutigen Beschriftungen ("My President is Charlton Heston" -- der Schauspieler Charlton Heston (z.B. "Planet der Affen") ist jetzt Präsident der NRA) -- eindecken will, sei auf den NRA-Online-Store verwiesen, unter http://store.nrahq.org/nra . Auf http://www.nra.org gibt's auch reihenweise Geschichten darüber zu lesen, wie bewaffnete Bürger im letzten Moment Verbrechen verhindern konnten. In der Literatur streiten sich die Experten übrigens, was nun zu weniger Verbrechen führt: Frei erhältliche Waffen, die Kriminelle eventuell davon abschrecken, Leute zu überfallen oder in Wohnungen einzubrechen, weil sie dann mit bewaffnetem Widerstand rechnen müssen, oder verschärfte Waffenkontrollgesetze, damit auch die Kriminellen nicht mehr so leicht an Waffen kommen, weniger Waffenunfälle passieren -- und auch Bürger nicht sofort ihre Familien ausradieren, falls mal was nicht so klappt.
Kaufen kann man Waffen einfach im Gun-Shop. Gerüchtehalber verkauft sogar der Walmart (ein Supermarkt) Waffen. Da es sich eingebürgert hatte, dass Räuber zuerst im Waffenladen und anschließend bei der Bank vorbeischauten, wurden Gesetze verabschiedet, die bei Pistolen eine Wartezeit von einigen Tagen auferlegten. Gewehre kriegt man im Gegensatz dazu übrigens sofort.
Lange Zeit konnte man in Amerika Waffen einfach wie Bier im Laden kaufen und sofort mit heimnehmen. Bis die Öffentlichkeit 1981 durch ein Ereignis aufschreckte: Ein Verrückter schoss damals auf Präsident Reagan, und zwar mit einer kurz zuvor gekauften Pistole. Zwar kam Reagan glimpflich davon, aber die Kugel verletzte seinen Pressesekretär Jim Brady schwer und der Arme musste fortan querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzen. Zusammen mit seiner Frau Sarah Brady kämpfte er daraufhin für ein neues Gesetz, das Verbrecher daran hindern sollte, mit frisch gekauften Waffen Straftaten zu begehen. Sieben Jahre nach dem Einreichen des Vorschlags, der fortan "Brady Bill" genannt wurde, wurde er schließlich vom Kongress 1993 genehmigt und von Präsident Clinton unterzeichnet, der sich damals für den Vorschlag stark machte, obwohl die Waffenlobby stark dagegen mobilisierte.
Jeder Käufer musste fortan das Formular "ATF form 4473" ausfüllen, auf dem unter anderem gefragt wird, ob man vorbestraft ist oder schon einmal in einer psychiatrischen Anstalt war. Kreuzt man "Ja" an, kriegt man die gerade ausgesuchte neue Knarre nicht. Kreuzt man "Nein" an, werden die Daten an die örtliche Polizeistelle übermittelt, die in den folgenden fünf Werktagen einen "vernünftigen Versuch" ("reasonable effort") unternehmen soll, anhand der Führerscheinstelle herauszufinden, ob der potentielle Käufer schon vorbestraft ist, ein Gerichtsverfahren schwebt oder ob er wegen Drogenmißbrauch oder allgemeiner Durchgeknalltheit schon einmal amtlich irgendwo aufgefallen ist. Ist der Käufer ein unbescholtener Staatsbürger der USA, kommt nach 5 Werktagen das Okay und die Pistole darf im Laden abgeholt werden.
1995 wurde durch den "Supreme Court" ein weiteres Waffenkontrollgesetz bestätigt: Im Umkreis von 1000 Fuß (etwa 300m) um eine Schule sind keine Waffen erlaubt.
Heutzutage hat jeder Bundesstaat sein eigenes Waffengesetz, manchmal folgen selbst verschiedene Landkreise unterschiedlichen Regelungen.
In Kalifornien dürfen seit Oktober 1993 nur noch Leute Pistolen kaufen, die ein "basic firearms safety certificate" vorlegen können, das belegt, dass der Käufer einen Grundkurs in Pistolenhandhabung absolviert hat. Nach einer Wartezeit von 10 Tagen darf der Käufer die Waffe im Laden abholen, wenn der Background-Check positiv verlaufen ist. In der eigenen Wohnung oder im eigenen Büro darf der Ballermann dann geladen und nach Belieben herumgetragen werden. Jeder Waffenhändler muss übrigens ein Schild im Laden haben, auf dem "If you leave a loaded firearm where a child obtains and improperly uses it, you may be fined or sent to prison." steht. Wer nicht sicherstellt, dass die Waffe gut verschlossen in einem Schrank ist, wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft, falls Kinder darankommen und Schaden anrichten.
Im Auto oder auf der Straße darf die Waffe in Kalifornien jedoch ohne eine spezielle Genehmigung, die teilweise sehr schwierig zu bekommen ist, nicht getragen werden. Ein geladener Revolver im Handschuhfach, unterm Sitz, in der Jackentasche oder im Hosenbund ist ein ernstes Vergehen, das unter Umständen mit Gefängnis bestraft wird. Lustigerweise verbietet es das Gesetz nicht, Pistolen offen im Halfter wie früher die Cowboys rumzutragen. Das scheint erlaubt zu sein, obwohl mir in der Stadt noch niemand so begegnet ist, aber wundern tät's mich nicht!
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