Angelika/Mike Schilli |
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Michael Altgediente Rundbriefleser wissen, was die "Lost Coast" ist, nämlich der abgelegene Küstenstreifen 300km nördlich von San Francisco, schon fast bei Eureka. Nicht einmal der Highway 1, der entlang der gesamten Westküste verläuft, geht hier durch, zu bergig und unzugänglich ist die Gegend dort (Rundbrief 08/2004, Rundbrief 10/1998). Gerade deshalb zieht's uns immer wieder dorthin, denn hier wohnt ein besonderer Menschenschlag, oberflächlich betrachtet vielleicht etwas abweisend und eigenbrötlerisch, aber bei genauem Hinsehen sehr herzlich und hilfsbereit.
Um nach Shelter Cove zu gelangen, muss der abenteurhungrige Tourist von dem kleinen Städtchen Garberville, das am Highway 101 liegt, etwa 40km über eine Hügelkette hinunter zum Ozean fahren. Unten angekommen muss man sich mit dem Angebot dort zurechtfinden, man kann nicht mal schnell noch in die nächste größere Stadt zum Einkaufen oder in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Bei jeder Unternehmung gilt es, diese 40km lange kurvige Strecke zurück in die Zivilisation zu überwinden. Es gibt im Ort genau ein Lokal mit angeschlossener Brauerei und genau einen Supermarkt, von der Art, die man in Amerika "Mom-and-Pop"-Store nennt. Der "General Store" am Ortseingang von Shelter Cove ist zwar klein aber erstaunlich gut sortiert, von Gemüse und Brot über Angelzeug gibt es dort alles was man zum täglichen Leben braucht. Gut, die Waren dort sind leicht teurer als in der Großstadt, aber nicht unverschämt sondern der Distanz angemessen.
Was die Versorgung betrifft, gibt es in Shelter Cove zwar Strom und Internet, allerdings nur an einigen Stellen schwachen Mobiltelefonempfang. So hatten wir zum Beispiel auf der gesamten Anfahrt über die Hügelkette keinerlei Verbindung, aber zum Glück kann man sich mangels Alternativen dort nicht verfahren. Heizen und kochen tun die meisten Anwohner dort unten mit Gas, das sie in großen Haustanks im Garten speichern, und zum Auffüllen kommt alle Monate der Gaslaster.
Da kaum Touristen nach Shelter Cove finden, ist man an dem sagenhaften meilenlangen Strand aus schwarzem Sand und Kieseln oft ganz allein und findet allerlei angespültes Meeresgetier, wie die sonst eher seltenen Seeigel und Seesterne. Alle halbe Stunde kamen uns rucksackbepackte Globetrotter entgegen, die auf dem sagenumwobenen "Pacific Trail" südwärts liefen, auf Mehrtagestouren, die man nur bei Ebbe machen kann.
Mit unserem "Brummi" genannten Honda Fit fuhren wir diesmal auch zu entlegeneren Dörfern an kleinen Gebirgsstraßen entlang der Küste, und besonders eine mit Schlaglöchern und amateurhaften Ausbesserungen gesähte Küstenstraße südlich von Cape Mendocino hatte es uns angetan. Derlei Touren erfordern allerdings gutes Sitzfleisch, denn teilweise kann man wegen der Schlaglöcher nicht schneller als 40km/h fahren, und hin und wieder geht es sogar über ungeteerte Sandpisten. Wir verbrachten eine tolle Woche, aber dann brach ein Regensturm los, der, für Kalifornien absolut unfassbar, sogar ein paar Zentimeter Schnee herhaute.
Bei unserem Besuch war es diesmal ungewöhnlich kalt. Trotz direkter Küstennähe sanken die Temperaturen während unseres Aufenthalts auf 0 Grad Celsius, das ist ebenfalls ein Rekord für Kalifornien. Als ein paar Regentropfen als Schnee herunter kamen, der wegen der Kälte sogar liegen blieb, überschlugen sich Zeitungen und Nachrichtensender mit Meldungen! Ebenfalls typisch für Kalifornien reichte dies für ein totales Verkehrschaos.
Prompt wurde die einzige Verbindungsstraße zurück zur Zivilisation wegen Sturmschäden zeitweise gesperrt, und niemand konnte mehr runter nach Shelter Cove oder rauf in die Zivilisation des nördlichen Kaliforniens. Die einzige Wirtschaft im Ort hatte am nächsten Tag nur eine Bedienung, die darauf hinwies, dass die Fischgerichte auf der Karte mangels frischem Fisch leider heute nicht erhältlich wären. Und als ich dann einen Burger bestellte, wurde mir mitgeteilt, dass ich darauf zwar Avocado aber leider keinen Speck haben könnte, denn der war ebenfalls aus. Wir mögen's rustikal!
Als wir nach einer Woche Urlaub wieder heimfahren wollten, kam das nächste Problem: Zwar war die Verbindung von Shelter Cove zum Haupt-Highway 101 nun zeitweise wieder offen, aber auf dem Haupt-Highway 101, der einzigen Verbindung Richtung Süden, führten ein paar umgestürzte Bäume, Strommasten und deswegen quergestellte LKWs zu einer Totalsperrung Richtung Süden. Tagelang konnte man aus dem Norden nicht mehr runter in die San Francisco Bay Area fahren, außer man war gewillt, Schneeketten anzulegen und über abenteuerliche kleine Gebirgspässe rüber nach Osten zum I-5 zu zuckeln, was die 4-Stunden-Tour auf acht Stunden verlängert hätte.
Wir hatten für eine Woche über AirBnB eine Butze im Ort gebucht, und eigentlich geplant, am Samstag nach San Francisco zurückzufahren. Unser Vermieter, der zwar nicht vor Ort war aber die Situation in den Nachrichten verfolgt hatte, schlug uns vor, doch einfach abzuwarten, bis sich die Lage normalisiere, und bot uns großzügig an, doch kostenlos ein, zwei Tage länger im Haus zu bleiben.
Interessant war auch, dass die Kommunikation der staatlichen Straßenwartungsbehörden ausschließlich über Twitter und Facebook erfolgte. Wir schrieben uns auf der Facebook-Gruppe für Shelter Cove ein und dort berichteten Waghalsige von ihren abenteuerlichen und gescheiterten Überquerungsversuchen auf dem Pass zurück zum Highway 101. "Caltrans", die bundesstaatliche Behörde für Straßenverkehr in Kalifornien, berichtete auf Twitter mit Fotos über die Sperrungen des 101 und empfahl, die Lage zu beobachten und abzuwarten.
Am Sonntagmorgen tat sich dann für uns ein günstiges Zeitfenster auf, das Wetter hatte aufgeklart, Google hatte die Strecke auf dem 101 mit einer kleinen Umleitung freigegeben, und mutige Fahrer berichteten, dass auch der Pass raus aus Shelter Cove und rüber über den Hügel trotz einiger umgefallener Bäume und eisiger Stellen passierbar war. Jetzt oder nie, dachten wir, fuhren los, und es war dann ganz passabel. Ich fuhr unseren Honda Fit mit Sommerreifen langsam über die paar eisigen Stellen oben auf dem Pass und hielt zweimal rechts an, um Pickup-Trucks mit Ballonreifen vorbeizuwinken und durchbrettern zu lassen. Wie sich die Leser denken können, hätte ich solche Fahrzeuge unter normalen Bedingungen natürlich gnadenlos geschnupft aber das waren keine normalen Bedingungen!
Bis auf ein paar Stellen, an denen auf dem Highway 101 gen Süden dann nur eine Spur offen war, und Caltrans-Angestellte den Verkehr mit "Stop/Slow"-Schildern vorbeilotsten, indem sie den Verkehr jeweils in eine Fahrtrichtung freigaben, während die Autos in der anderen warten mussten, kamen wir schnell durch und wohlbehalten wieder in der Bay Area an.
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