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Angelika/Mike Schilli |
It's an odd thing that anyone who disappears is said to be seen in SAN FRANCISCO.
Es ist merkwürdig, aber von jedem, der verschwindet, heißt es, er sei hinterher in San Francisco gesehen worden.
Oscar Wilde
Ihr Lieben!
(Angelika) Lange habe ich überlegt, wie dieses Jahr meine Weihnachtspost aussehen soll, aber da ich mitten in den Umzugskisten sitze, habe ich mich für einen vielleicht etwas unpersönlichen Rundbrief entschieden. Bei einem Rundbrief lässt es sich leider nicht vermeiden, dass einige von euch Dinge erfahren, die ihr schon lange wisst, aber wie heißt es doch so schön: "Doppelt hält besser!"
Hinter uns liegt ein sehr ereignisreiches Jahr mit vielen unvergesslichen Highlights. Ich denke da vor allen Dingen an unsere Hochzeit im August. Viele von euch haben mit uns gefeiert bzw. liebevoll an uns gedacht. Die Feier und die Hochzeitsreise nach Australien werden für uns noch lange unvergessen bleiben und wir schwelgen oft in Erinnerungen.
Vor und nach der Hochzeit hat Michael fleißig an seinem Buch geschrieben. Da er im Januar zwei Artikel für eine Computerzeitschrift geschrieben hatte, war der Verlag Addison-Wesley mit der Bitte an ihn herangetreten, doch ein Buch über das in den Artikeln erörterte Thema zu schreiben. Da es schon lange ein Traum von Michael war, einmal ein Buch zu verfassen, hat er sich nicht lange bitten lassen. So hat er neben seiner normalen Arbeit unermüdlich geschrieben. Anfang Dezember ist das Buch mit dem Titel "Effektives Programmieren mit Perl 5" erschienen. Und ich muss zugeben, dass ich, obwohl ich bis auf das Vorwort nichts verstehe, jedes Mal ganz aufgeregt bin, wenn ich das Buch in den Regalen einer Buchhandlung stehen sehe.
(Angelika) Ja, und dann geht noch ein ganz großer Traum für uns in Erfüllung: Wir werden für einige Zeit in San Francisco leben. Geplant haben wir, zwei bis drei Jahre zu bleiben. Viele fragen uns immer wieder, wie es dazu gekommen ist, dass Michael ein Stellenangebot in San Francisco erhalten hat, und da diese Geschichte fast ein wenig abenteuerlich ist, schreibe ich sie schnell noch einmal auf. Wer sie schon kennt, überspringt einfach den nächsten Absatz.
Im April rief ein ehemaliger Kollege bei uns an, um Michael zu fragen, ob er nicht für seine jetzige Münchener Firma arbeiten kommen wolle. Michael lehnte dieses Angebot zunächst ab, da er nicht schon wieder seine Arbeitsstelle wechseln wollte, er war zu diesem Zeitpunkt nämlich erst eineinhalb Jahre bei Softlab beschäftigt. Außerdem begründete er seine Ablehnung damit, dass er so gerne für einige Zeit in den USA arbeiten und leben wolle und auf ein entsprechendes Angebot warten würde. Der Kollege sagte dann nur: "Kein Problem, dann gehst du eben zu unserer Niederlassung nach San Francisco." Zunächst haben wir alles nicht so richtig ernst genommen, aber einige Tage später rief dann der Geschäftsführer an und wiederholte das Angebot für San Francisco. So kam der Ball ins Rollen. Schließlich hatte Michael einen festen Arbeitsvertrag in der Tasche.
Michael hat einen amerikanischen Arbeitsvertrag, was bedeutet, dass er vollständig nach amerikanischen Konditionen arbeitet, d.h. z.B. 10 Tage Urlaub im Jahr, amerikanische Krankenversicherung usw. Die Firma, für die Michael arbeiten wird, entwickelt neue Ideen für das Internet. Michael sagt immer: "Jetzt bekomme ich für mein Hobby auch noch Geld."
(Angelika) Was mich betrifft, so werde ich ersteinmal nicht arbeiten dürfen. Die Amerikaner sind sehr, sehr streng mit ihren Arbeitsgenehmigungen und ich habe nur ein Begleitvisum (Michael nennt es das "Rockzipfelvisum".) erhalten. Falls ich vor Ort und Stelle ein Stellenangebot erhalten sollte, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ich keinem Amerikaner die Stelle wegnehme, was praktisch bedeutet, dass man einen Rechtsanwalt beauftragen muss, um die Arbeitsgenehmigung zu erwirken. Ob eine Einrichtung diese Mühen und Kosten auf sich nimmt, ist fraglich; der soziale Bereich schwimmt ja bekanntlich nicht im Geld. So habe ich mir vorgenommen, verschiedene Praktika unentgeldlich abzuleisten, was natürlich erlaubt ist.
Es fällt mir schon schwer, meine Arbeit aufzugeben, zumal ich eine ganz gute Position in meiner Einrichtung hatte. Der Abschied fällt mir aber besonders schwer, weil ich sehr an den Kindern hänge, die ich betreue. Nun ja, man kann nicht alles haben. Schließlich werde ich nicht als Hausfrau versauern, dafür bin ich einfach nicht geschaffen.
Natürlich wollen Michael und ich auch die Zeit nutzen und möglichst viel vom Land sehen. Kalifornien bietet da ja so einiges. Ich freue mich besonders auf den Ozean, der ja sozusagen vor der Haustür liegt.
Michael ist übrigens bereits am 9.11. nach San Francisco geflogen, da er seit 11.11. drüben arbeitet. Ich werde dann am 30.12. folgen. Weihnachten verbringe ich dann noch in Oldenburg bei meinen Eltern. Es ist schon komisch, ohne Michael zu sein, aber nun sind es ja nur noch zwei Wochen und dann sehen wir uns wieder.
Silvester werden Michael und ich mit unseren Freunden Sylvia und Richard verbringen. Richard und Sylvia leben in San Jose, was ca. eine Autostunde von San Francisco entfernt ist. Silvester werden wir aber zusammen in San Francisco sein. Wir haben ein "Candle-Light-Dinner" auf einem Boot gebucht und werden in der Bucht von San Francisco herumschippern. Genial, nicht?
(Angelika) Michael hat übrigens in San Francisco schon eine Wohnung gefunden. Die Wohnungen in der Stadt sind recht teuer, aber wir haben uns trotzdem dafür entschieden, dort zu wohnen, wo das Leben tobt. Wären wir in die Vorstädte gezogen, hätten wir auf jeden Fall zwei Autos gebraucht, und ich wäre unter Umständen sehr isoliert gewesen, da ich ja nicht arbeite. In Amerika ist ein weiteres Problem, dass man für die Sicherheit der Gegend zahlen muss, d.h. eine Wohnung in einer sicheren Wohngegend ist entsprechend teuer. Das Problem stellt sich natürlich in der Stadt mehr als in ländlichen amerikanischen Gegenden.
Damit ihr euch vorstellen könnt, wie unsere Wohnung ausschaut, zitiere ich noch schnell aus einem Brief von Michael:
"Im Haus wohnen lauter junge Leute, die ich teilweise schon kennen gelernt habe, und die sind alle ganz nett. Der Blick aus dem Fenster ist atemberaubend: Ich bin im zweiten Stock und kann über ganz San Francisco blicken, einschließlich Teile der Skyline. Man sieht diese verwinkelten Häuser, echt affenstark.
Die Umgebung ist besser als Berkeley und alles, was ich bisher von S.F. gesehen habe: Unzählige kleine Läden für Schmuck, Klamotten und Lebensmittel, ein großer Supermarkt, der von sechs Uhr morgens bis 12 Uhr nachts geöffnet ist, Frisöre und natürlich mindestens 20 Restaurants, von japanisch über italienisch. Ich war echt gerührt, als ich heute das erste Mal um den Block gegangen bin. Und das alles eine Straßenecke weiter! Trotzdem ist die Wohnung total ruhig, da sie hintenraus geht. Besser geht es nicht, glaube ich!
Noe Valley, wie der Stadtteil heißt, ist absolut sicher. Noe Valley ist ungefähr wie Schwabing, nur halt amerikanisch.
Die Küche in der Wohnung ist so dunkelbraun-amerikanisch, leicht hässlich, aber schon zu gebrauchen..."
Ich hoffe, diese Ausführungen von Michael bewegen euch dazu, uns möglichst bald besuchen zu kommen.
Übrigens vergaß ich zu erwähnen, dass wir eine Zwei-Zimmer-Wohnung bewohnen (drei Zimmer sind unbezahlbar), die $ 1100 kostet.
Zum Abschluss komme ich noch einmal zu den Umzugskisten zurück: Am 23.12. werden die meisten unserer Sachen bei Michaels Onkel, der in der Nähe von Augsburg wohnt, auf einem großen Dachboden untergestellt. Für Amerika haben wir eine sechs Kubikmeter große Kiste verschifft. Wir haben vorwiegend Bücher, Geschirr, Klamotten und einige persönliche Dinge eingepackt. Auch unser Bett und die guten alten Ikea-Regale aus Studentenzeiten sind mit auf die lange Reise geschickt worden. Die Kiste ist letzte Woche gepackt worden und wird voraussichtlich in vier Wochen in San Francisco eintreffen.
So, das wären die wichtigsten Informationen. Ich wünsche allen ein wunderschönes Weihnachtsfest und hoffe sehr, dass der ein oder andere uns 1997 besuchen kommt. Natürlich gehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Damit wir uns in der neuen Welt nicht einsam fühlen, wären wir sehr glücklich, wenn ihr uns fleißig schreiben würdet.
Mein nächster Brief wird dann aus San Francisco kommen.
Alles, alles Liebe!
Angelika (in München) und Michael (in San Francisco)
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