Angelika/Mike Schilli |
Wegen der engen Sitzreihen fragten wir beim Einchecken, ob nicht noch Plätze am Notausgang verfügbar wären, bekamen aber Bescheid, dass wir höchstens noch sogenannte Bulkhead-Sitze bekommen könnten, also die Reihe vor der großen Leinwand. Aus Angst, dann kein Tetris-Spiel zu haben, lehnte ich aber großzügig ab. (Im nachhinein stellte sich heraus, dass die Leute in der ersten Reihe natürlich kleine Bildschirme haben, die aus der Armlehne gefahren kommen. Und die Sitzabstände waren okay.) Wir daddelten dann auch wie die Spielratzen, die elf Stunden vergingen wie im Flug, und nur mit Mühe konnte uns die Stewardess am Zielort zum Aussteigen überreden.
Im Hotel angekommen, sausten die Angestellten nur so um uns herum und ruckzuck waren wir im Zimmer. Am schwierigsten war es, kein Trinkgeld zu geben. Aus Amerika bin ich daran gewöhnt, Dollar-Noten aus der Hosentasche zu angeln, aber in Japan gibt man absolut nichts -- nicht dem Taxifahrer, nicht dem Gepäckburschen, nicht dem Kellner. Tut man's doch, löst man Unverständnis bis beleidigte Gesichter aus, das wussten wir aus dem Reiseführer. Trotzdem ist der Service hervorragend. Also vergrub ich die Hände fortan tief in den Hosentaschen.
(Michael) Aber zurück zum Ausgangspunkt unserer Reise: In Tokio kann man vor allem zwei Dinge: einkaufen und essen. Wir waren eine Woche lang dreimal am Tag essen, ohne dieselbe Kneipe zweimal aufzusuchen. Dabei ist Essen gehen als Tourist gar nicht so einfach, denn die Speisekarten sind meist nur auf japanisch ausgehängt. Und selbst wenn man wie wir recht fließend Hiragana und Katakana lesen kann und viele japanische Gerichte beim japanischen Namen kennt, hilft das meist nichts, denn die Karten sparen nicht mit Kanjii-Zeichen, von denen man etwa 3000 können muss, um einigermaßen Zeitung lesen zu können. Wir können etwa 80 Kanjii -- und das reicht bei weitem nicht, um auch nur die Speisekarte einer Sushi-Spelunke zu verstehen.
Auf Nachfrage beim Ober (auf japanisch natürlich) stellt sich aber dann manchmal heraus, dass es irgendwo eine englische Speisekarte gibt oder eine Sushikarte mit Bildern drauf. Das stellte sich am ersten Abend als Rettung heraus, denn auf etwas zu deuten und dann zu sagen "Davon bitte zwei", das können wir. Notfalls kann man den Ober auch mit nach draußen ans Schaufenster schleppen und die auf die dort präsentierten Plastikessensattrappen deuten. Während Abbildung 8 die Auslage einer Wirtschaft mit ziemlich europäischem Essen zeigt, könnt ihr in Abbildung 9 das Schaufenster eines Ladens sehen, der die Plastikteilchen an die Gastronomie verkauft. Ein einziges dieser täuschend echt nachgemachten Sushiteilchen kostet mehr als 5 Euro, ein Bierglas mit Plastikbier und -schaum über 30!
Eines Abends irrten wir in der Innenstadt herum, konnten aber die im Reiseführer empfohlene Spelunke nicht finden und suchten schließlich kurzerhand eine gutaussehende Sushibar aus. Dazu muss man sagen: Wenn man in Tokio eine U-Bahn oder eine Kneipe betritt, ist man bis auf ganz seltene Ausnahmen der einzige Weiße dort. Aus San Francisco sind wir schon sehr daran gewöhnt, dass immer eine bunte Mischung aus Leuten herumlungert, in Japan ist uns gleich am ersten Tag aufgegangen, dass wir weit und breit die einzigen Westler waren. Japan besteht zu fast 100% aus Japanern. Als wir die Bude betraten, hangen nur Japaner in Anzügen rum, die nach Feierabend (typisch: nur Männer und im Anzug) gern essen und zur Entspannung nach einem harten Arbeitstag mit den Kollegen einen heben gehen. Alle waren geschockt, als wir reinschlichen. Wir kamen uns vor wie im Zoo. Und das in Downtown Tokio, das muss man sich mal vorstellen! Ich wette, dass sich in den letzten Jahren in diese Bude kein Westler verirrt hat. Wir bekamen einen Tisch etwas abseits vom Geschehen und fragten den jungen Ober auf japanisch, ob er denn eine englische Speisekarte hätte. Der lachte und sagte nur ein Wort: "Nothing!". Ah, ja.
Wir bestellten vorsichtshalber ein Bier und schlossen messerscharf, dass es in diesem Laden wohl eine Sashimi-Kombination (nur roher Fisch ohne Reis) geben müsse. Begeistert nickte der Ober. Wir bestellten zwei, aber nachdem er uns entsetzt ansah, dann doch nur eins. Kurze Zeit später kam er damit angefahren und das waren wirklich abgefahrene Fische -- einer davon ein Süßwasserfisch, von denen man eigentlich wg. Lebensmittelvergiftungsgefahr kein Sashimi essen sollte, aber wir putzten es natürlich weg. Wir hörten die Angestellten schon tuscheln, aber alle waren begeistert, als wir von einer Bedienung zwei angebotene Gabeln ablehnten und mit den auf dem Tisch liegenden Stäbchen aßen. (Eigentlich lachhaft, ich kann selbstverständlich sogar daumengroße Entenstücke mit (!) Knochen oder eine Schüssel trockenen Reises mit Stäbchen essen.) Auch lobte ich das Sashimi mit "Oishii desu!" ("Das ist sehr wohlschmeckend!"), worauf wir hörten, dass eine Bedienung den kurzen Satz ihren Kollegen freudig ein paarmal wiederholte.
Dann kam der Ober mit einem Stift und ein paar Zetteln, auf derem obersten (von jemand anderem, wahrscheinlich einem englischkundigen Gast geschrieben) stand, dass, wenn wir noch was wollten, es vielleicht aufschreiben sollten (Abbildung 10). Wir lachten und ich schrieb auf japanisch "Bitte ein Bier" (in japanischem Krickelkrackel) und das warf alle völlig um, wir bestellten und aßen noch ein Tempura und wollten schon zahlen, da kam noch eine Platte mit Rindfleischröllchen um etwas wie Kartoffelsalat auf Kosten des Hauses und wir erzählten in unserem sehr gebrochenem Japanisch, dass wir aus Deutschland kämen und nicht etwa in Japan arbeiteten, wie vermutet wurde. Alle waren begeistert, ich glaube wir haben vorbeugend für gutes Wetter in den deutsch-japanischen Beziehungen gesorgt, als Vorarbeit für die bald eintreffenden Fußballrowdies -- da werden sich die Japaner noch umschauen, das gibt eine Katastrophe, die haben keine Ahnung, was da auf sie zukommt!
Dort ging's zu, das könnt ihr euch nicht vorstellen. Einkäufer flitzten im Laufschritt durch die engen Gassen zwischen aufgetürmten Styroporboxen mit toten und lebendigen Fischen, Schalentieren und sonstigem Gewürm, Fischverkäufer zerkleinerten die teilweise gefrorenen Fische mit Beilen, zersägten sie mit elektrischen Sägen und in einem unsagbar schnellen und lauten Tohuwabohu ging der Handel ab.
Wie eine Guerillatruppe (kleine Teams, schnell zuschlagen, schnell verschwinden) hechtete das dynamische Rundbriefduo durch die Gassen, schoss Fotos und sprang jedesmal zwischen Fischschachteln in Deckung, wenn ein mürrischer Fischeinkäufer angerannt kam oder ein verrückter Karrenfahrer vorbeiwollte.
Wir stürmten etwa 1 Stunde durch den Hexenkessel, begeistert von den unter grellem Scheinwerferlicht in übernatürlichen Farben leuchtenden Fischen, den blitzenden Eisstücken, der Professionalität der Säger und der Hacker, überwältigt vom Lärm -- und stets auf der Hut und bereit, zur Seite zu springen, um das Marktgeschehen nicht aufzuhalten. Nach 1 Stunde und 100 Fotos machten wir, dass wir rauskamen. Ein Wahnsinn!
Das Frühstück nahmen wir nach dem Erlebnis an der Theke eines am Rand des Marktes gelegenen, gut besuchten Sushi-Restaurants auf. Rohen Fisch und Bier um neun Uhr morgens, das vertragen nur die Saumägen der rasenden Rundbriefreporter! Das Sushi war herrlich frisch und auch die sonst eher zaachen Einheiten wie Tintenfisch und Muschelzeugs schön zart. Der Sushi-Chef dieses Etablissements verstand sich übrigens darauf, dem toten Fischstück auf dem Reisbatzen kurz vor dem Servieren noch schnell einen wuchtigen Schlag zu versetzen, worauf jenes sich, auf die Holztheke gelegt, von wo man es mit Stäbchen aufschnappt und vertilgt, mit einer langsamen Bewegung noch einmal aufbäumte.
Die Portion Seeigel (orange, sieht aus wie Lüngerl), die ich in San Francisco noch nie vom Laufband des schwimmenden Sushi-Restaurants genommen habe, schmeckte allerdings etwas modrig. Und Angelika konnte partout die kleinen weißen Würmchen, an deren Ende jeweils zwei starrende Augen hingen (Chirimen Jako), nicht runterbringen, die musste Härtefall Michael übernehmen, den ja bekanntlich nichts umwirft, was man mit Bier hinunterspülen kann. Die heimlich neugierig beobachtenden (und natürlich wie immer rein japanischen) Besucher und das Personal waren beeindruckt ob dieser zwei knallharten Europäer.
(Michael) In Japans Städten stehen an fast jeder Straßenecke diese Automaten mit Getränken aller Art: Von Softdrinks wie Coca Cola über Dosen mit kaltem Kaffee und sogar Bier und Whiskey gibt's dort alles was man will, 24 Stunden am Tag. Ihr habt richtig gelesen: Sogar Bier gibt's am Automaten und auch Whiskey haben wir gesehen. Und die Automaten schlucken bis zu 500 Yen-Münzen (etwa 4,30 Euro) und auch 1000-Yen-Scheine (etwa 9 Euro) und geben den Differenzbetrag zuverlässig zurück. Ein kleines Fässchen Bier von Asahi und das Flascherl Whiskey für etwa 20 Euro waren die teuersten Produkte, die ich gesehen habe, sonst kostet eine Dose etwa 140 Yen (1,20 Euro).
In den USA hätte ein derartiger Automat eine durchschnittliche Lebenserwartung von wenigen Stunden, bis ihn jemand aufknackte, aber in Japan scheint dieses System glänzend zu funktionieren, die Leute werfen sogar die Getränkedosen nach Gebrauch in die entsprechenden Müllcontainer, unerhört!
Andere Länder, andere Trinksitten: Ich habe für euch mal die aufregendsten neuen Geschmacksrichtungen der Getränkeauswahl durchprobiert, wir wandern in Abbildung 32 von links oben nach rechts unten:
Chinese Tea von Coca Cola (1): Unfermentierter chinesischer Tee, nicht ganz so hart im Nachgeschmack wie seine orginalen grünen Kollegen. Etwas freundlicher für den westlichen Gaumen. Kirin Fire (2) und Kirin Super Fire (3): Kühler Kaffee mit Milch und Zucker, schön rund im Geschmack, langer, feiner Abgang. Georgia Emerald Mountain Blend (4): Kühler Kaffee mit Milch, angenehm würzig, aber im Nachgeschmack leicht fischig. Natua (5): Wie dünner Kefir schmeckendes milchartiges Erfrischungsgetränk ohne irgendwelche anderen erkennbaren Zusatzstoffe, ähnlich dem türkischen Ayran. Acerola Drink (6): Wie künstliche Kirschen schmeckendes Getränk mit Vitaminen, ohne Kohlensäure. Gewöhnungsbedürftig. Kirin Kiki-Chi-ya (7): Oolong-Tee, etwas gewöhnungsbedürftig für westliche Gaumen, stark tanninhaltiger Nachgeschmack. Im Gegensatz zum unfermentierten grünen Tee und zum fermentierten schwarzen Tee, ist der Oolong-Tee halbfermeniert und schmeckt deswegen etwas weniger nach Gras als der grüne. Calpis Cool Soda (8): Wie Chabeso schmeckende Zitronenlimo. Suntory Green Tee (9): Kalter grüner Tee. Gewöhnungsbedürftig, aber sehr erfrischend. Suntory Gokuri (10): Ein leckerer Grapefruit-Drink, außergewöhlich reiner, frischer Geschmack, angenehme, ausbalancierte Süße, nicht so übersüßt wie der amerikanische Kram. Ich vermute stark, das wird ein Exportschlager, im Rundbrief lest ihr es -- wie immer -- zuerst. Grüner Tee von Kirin (11): Kalter grüner Tee, trinkbar. Kirin Milk Tea (12): Ein milder kühler schwarzer Tee mit Milch. Unangenehmer H-Milch-Beigeschmack.
Ausländern bieten die Verteiler die Tempos übrigens meist nicht an. Im Gedränge an den U-Bahn-Stationen gelang es uns aber doch, einige Male zuzuschlagen. Für die Benutzung der Taschentücher gilt: *Vor* dem Händewaschen auf die Ablage legen -- nach dem Händewaschen mit nassen Fingern in der Hosentasche rumzuwühlen, ist uncool.
Übrigens gilt es in Japan als äußerst flegelhaft, sich in der Öffentlichkeit die Nase zu putzen. Das ist noch einen Grad strenger als in den USA, wo man sich nur am Tisch nicht die Nase putzen darf, sondern sich entschuldigt und auf's Klo geht.
Die Pose gehört keineswegs zu einer rechtsgerichteten politischen Gruppe, sondern stammt aus der beliebten japanischen Fernsehserie "Kamen Rider" (http://www.kamenrider.net), deren Superman-ähnlicher Held immer, wenn er zum Superman wird (auf japanisch: in "Rider"-Modus geht), diese Pose einnimmt und "Shuwattchi!" ruft. Die Geste und der Ausdruck werden in Japan allgemein verstanden und das Plakat wirbt, wenn man die Kanji-Zeichen versteht, lediglich dafür, dass Angestellte die Informationen über ihre Sozialversicherung aktuell halten sollen. Ha!
(Michael) Innerhalb von fünfeinhalb Jahren USA habe ich mich daran gewöhnt, so eine Art schlampigen California-Hacker-Look zu tragen: Kurze Surfer-Hosen bis kurz über's Knie mit geräumigen Seitentaschen (meist von Billabong, DKNY oder Quicksilver), tausendmal gewaschene T-Shirts (auch Surfer-Marken, aber auch Nike, Addidas und einige aus dem Costco-Supermarkt auf Mauii/Hawaii) und seit Jahren nicht geputzte, nur halb zugeschnürte Turnschuhe (Mizuno Wave Rider) sind das meistens -- meine Vorstellung eines Crossovers zwischen Beach Boys und Public Enemy.
In San Francisco und in der umliegenden Bay Area läuft man damit nur ganz selten auf: Mir sind nur zwei Etablissements bekannt, aus denen ich damit einmal rausgeflogen bin: Die Cocktail-Lounge des Bank-Of-America-Buildings (keine kurzen Hosen oder Turnschuhe ab 17:00) und den Bar-Room des Fairmont-Hotels (kein T-Shirt am Abend, muss Hemd oder Jackett sein). Diese Snob-Abhängen mied ich seitdem zu den kritischen Zeiten und fuhr bislang glücklich mit meiner Kleiderwahl.
In Japan hingegen herrscht ein strengeres Regiment: Die meisten Herren tragen Anzug mit Krawatte und die Damen Kostümchen und Stöckelschuhe. Das kommt daher, dass die Bürojobs diese Kleiderordnung vorschreiben und man eigentlich nur mit Geschäftskollegen nach Arbeitsschluss ausgeht.
Lustigerweise wird man aber selbst in den vornehmen Restaurants trotz verhauten California-Looks nicht rausgeworfen -- entweder genießt man als Westler den Exotenbonus oder dieser Affront wäre den Japanern viel zu peinlich. Ich hab's zwar nie in kurzen Hosen probiert (im Mai ist's in Japan auch nicht so heiß), aber auch im vornehmsten Restaurant wurden mir meine verhauten Turnschuhe am Ende wieder ohne Augenrollen schön ausgerichtet vor die Tatami-Matte gestellt.
Und die Taxifahrer können vom Fahrersitz aus die hintere Seitentür auf- und zumachen, wenn der Fahrgast also aussteigt, braucht er sie nicht schließen. Der Fahrer drückt aufs Knöpferl und flugs klappt die Tür ein. In unserem Reiseführer stand, dass die Autoren es sich nach mehrjährigen Aufenthalt in Tokio so angewöhnt hätten, die Taxitür nicht mehr zu schließen, dass sie dasselbe in New York wiederholten -- was freilich einen Tobsuchtsanfall des Fahrers nach sich zog.
Die mobile Telefonindustrie ist in Japan der restlichen Welt immer einen Tick voraus. Es gibt schon mobile Telefone mit eingebauter Kamera, mit denen man seinen Gesprächspartnern Bilder übermitteln kann! Außerdem finde ich es bemerkenswert, dass in Japan viel diskreter telefoniert wird. Niemand plärrt im Zug lautstark in sein Handy oder lässt es mit idiotischen Melodien klingeln, was sich der Amerikaner (wie in Rundbrief 07/2001 beschrieben) ja nicht entblödet, zu tun. Nein, im Zug oder in der Wirtschaft wird das Handy auf Vibrationsmodus gestellt, zum Telefonieren wird rausgegangen (im Zug ins Zwischenabteil) und gesprochen wird leise und mit (!) vorgehaltener Hand, sodass man wirklich fast nichts hört. Das nenne ich Benehmen! Der Rundbrief-Knigge geht heuer nach Japan!
Aber nicht nur telefoniert wird mobil. Wer öfter mal im Internet herumbraust, kennt wahrscheinlich die bei AOL so genannten "Instant Messages" (AIM). Ähnlich dem deutschen SMS klickern vor allem junge Japaner auf der minimalen Tastatur herum, um ihren Freunden kurze Nachrichten zu schicken. Dabei hat jedes Telefon außer der Zifferntastatur noch einen Drehknopf, mit dem man vom Telefoncomputer vorgeschlagene Begriffe auswählen kann. In Amerika macht das keiner. Hier kann man zwar mit Handies sogar im Internet brausen und Bücher vom Amazon bestellen, aber das wird als viel zu klobig kritisiert.
(Michael) Mit Japans "Shinkansen"-Zug (gesprochen: "Schinkan Senn" mit säuselndem S.), dem Pendant zum deutschen ICE, brausten wir von Tokio nach Hiroshima, nach Kyoto und schließlich, mit Bummelzügen, zu einem buddhistischen heiligen Berg nach Koya-san. Wenn man als Ausländer etwa 250 Euro pro Woche latzt, kriegt man einen sogenannten JR Railpass und darf damit bis auf den superschnellen "Nozomi" alle Züge der japanischen Eisenbahn JR benutzen und mit ihnen kreuz und quer durchs Land brausen. Die Züge fahren auf die Minute pünktlich, sind super-sauber und halten nur in Großstädten -- eine beinahe futuristische Welt, wenn man aus Amerika kommt.
Weil Japaner, wenn sie in Urlaub fahren, ihren Kollegen hinterher unbedingt Geschenke (genannt O-miyage) mitbringen müssen, werden diese natürlich auf den Bahnhöfen und sogar im Zug angeboten. Auch gibt's, wie in Abbildung 43 gezeigt, hübsche Eki-(Bahnhof)-Bento-Boxen zu kaufen, in denen -- typisch japanisch -- allerlei Leckereien (meist fisch-basiert) in viereckigen Fächern zum sofortigen Verspeisen liegen.
In Abbildung 44 seht ihr Navigator Angelika am Bahnhof warten. Beachtet bitte unser Gepäck, das zur leichteren Identifizierung auf dem Rollband am Flughafen ("Welcher schwarze Samsonite war nochmal meiner?") ein von mir eigenhändig entworfenes Logo mit drei Streifen trägt. Japaner reisen übrigens nur mit sehr leichtem Gepäck -- mit unseren zwei Riesentaschen wurden wir immer wieder verwundert angesehen und ich musste den schmächtigen Hotelangestellten immer wieder beim Koffertragen helfen, sonst wären sie zusammengebrochen.
(Michael) Im Japanischen gibt es eine lustige sprachliche Eigenheit: Man antwortet auf eine verneinte Frage mit "Ja!", falls man sie verneint. Beispiel: Auf "Dieser Zug fährt nicht nach Shibuya, oder?" würde ein Japaner mit "Ja" antworten, falls der Zug tatsächlich nicht nach Shibuya fährt, während man im Deutschen oder Englischen zur Verdeutlichung "Nein" sagen würde. Dies führt zu allerlei lustigen Missverständnissen zwischen den Kulturen. Als wir zum Beispiel anfangs Probleme hatten, einen Geldautomaten zu finden, der unsere amerikanische Automatenkarte akzeptierte, sprachen wir mal mit einer Bankangestellten, die uns in gebrochenem Englisch auf die Frage "Wir können diese Karte also nicht an ihrem Geldautomat verwenden?" ein paarmal hintereinander "Yes! No!" antwortete und ich 10 Minuten später auf der Straße immer noch lachte.
Überhaupt gibt's in Japan kaum jemand, der fließend Englisch spricht. Geht man in ein Restaurant, findet sich zumindest in den Großstädten zwar manchmal jemand, der zumindest 10 Worte kann, sodass man zumindest ein Bier bestellen und vielleicht (!) ein bebildertes oder sogar englischsprachiges Menü anfordern kann. Aber Vorsicht: Manchmal ist das Gesprochene ein Fantasieenglisch, das mit dem richtigen nur wenig zu tun hat. Als wir am Narita Flughafen einen Bus bestiegen, um nach Tokio reinzufahren, klatschte der Gepäckmann mit der flachen Hand auf unsere Reisetasche und rief "No Breakup!". Fragend sahen wir uns an, denn "Breakup" heißt auf Englisch soviel wie "Trennen" oder auch in einer Beziehung Schluss zu machen. Ich dachte erst, er wollte sicherstellen, dass wir beide bis ganz nach Tokio reinfahren und nicht etwa einer zuerst aussteigt und dann schon einen Teil des Gepäcks braucht. Aber nein, er wollte nur sicherstellen, dass sich nichts Zerbrechliches in der Tasche befand!
Ein anderes Massenphänomen ist der von mir so genannte Volkslauf, eine Gruppendynamik, die entsteht, falls eine Menschenmasse plötzlich das Rennen anfängt. Zum ersten Mal fiel mir diese Eigenart auf, als wir bei der Einreise an der Passkontrolle Schlange standen. Für die Japaner waren etwa zehn Schlangen zum Anstehen offen, auf die sich der mit konstanter Gehgeschwindigkeit ankommende Menschenstrom gleichmäßig verteilte. Plötzlich öffnete sich am einen Ende ein weiterer Schalter -- und wie an einer Schnur gezogen beschleunigten die Ankommenden kontinuierlich zur Volkslaufsgeschwindigkeit. Dabei läuft alles äußerst kontrolliert ab, es kommt nur äußerst selten vor, dass jemand gerempelt wird. (Etwa so häufig wie in Westdeutschland, etwas weniger als in Ostdeutschland. In den USA oder Großbritannien hingegen kommt es *nie* vor, dass einen jemand rempelt, das gilt als Todsünde). Allerdings legt's der Japaner nicht aggressiv darauf an, im Zweifelsfall lässt er einem kurz vor dem Zusammenstoß den Vortritt. Auch sieht man öfter Menschen, auch schon in fortgeschrittenem Alter im Anzug durch die Stadt rennen -- wahrscheinlich weil sie zu irgendwas zu spät dran sind. In den USA hingegen rennt niemand -- außer Joggern und Verbrechern auf der Flucht. Rennt jemand in den USA in nicht-sporttypischer Kleidung, geht man besser in Deckung, denn dann könnt's gleich eine Schießerei geben.
(Michael) In der japanischen Gesellschaft dreht sich alles um Gruppenzugehörigkeit -- meist eine Kollegengruppe in der Arbeit. Die Gruppe definiert die Regeln, das lernen Kinder schon früh, denn sie machen kaum etwas außer Kindergarten und Schule (morgens 8 bis abends 6), manchmal sogar am Wochenende. Das führt übrigens dazu, dass es in Japan für Ausländer fast unmöglich ist, Freundschaften mit Japanern zu beginnen, selbst permanent dort lebende und perfekt japanisch sprechende "Gaijins" ("Fremde") finden keinen Einlass in abgeschottete Gruppen.
Da ist es natürlich für Jugendliche schwierig, auszubrechen -- man sieht manchmal lustige Versuche im Rahmen ihrer Möglichkeiten, so lassen die Buben schon mal ihre schön gebügelten weißen Schuluniformhemden aus der Hose hängen. Huch! Oder setzen sich einfach auf den Boden, obwohl das in Japan als völlig unmöglich gilt! Eine neue Generation X im Anmarsch!
Bei den etwa 16-jährigen gibt es mittlerweile eine recht gute Ausgeflipptenszene, natürlich lange noch nicht mit der in den USA vergleichbar, aber, jungejunge, die schmeißen schon mal den Müll auf die Straße! Was versierten Englischsprechern übrigens immer wieder auffällt, sind die unfreiwillig komischen englischen T-Shirt-Aufschriften (Abbildung 54). Das gibt's aber in Deutschland auch, da habe ich auch schon Tränen gelacht. Allerdings fand ich dort noch keine Hose, auf deren Hinterteil quer in 10cm hohen Lettern "GERMAN DOG" stand, wie im Kaufhaus "Isetan" in Tokio gesehen.
Totenwitzig war, den Kindern heimlich dabei zuzusehen, wie sie sich überwanden, den ersten Kontakt herzustellen. Einer Gruppe von zwei Mädchen und zwei Buben sprang ein schon älterer Lehrer bei, haute ein paar amerikanische Touristen an, die sich schon freudig bereit erklärten, die Fragen zu beantworten, worauf die beiden Jungs aber die Nerven verloren und panikartig über die Tempeltreppen ausbüchsten. Wir wurden insgesamt viermal von verschiedenen Gruppen an verschiedenen Tempeln gefragt, woher wir kämen ("Germany" kannten sie nicht, das japanische "Doitsu" war geläufiger), wie alt wir wären (so um die 20) und was uns an Japan gefalle (unter Augenrollen Angelikas sagte ich die verschiedenen Biermarken auf). Die Englischkenntnisse der Kinder waren noch nicht sehr ausgereift und so musste öfter der Lehrer einspringen und unsere Antworten übersetzen. In Japan scheint man im Englischunterricht japanisch zu reden und trockene Grammatikregeln zu lernen. Die meisten Kinder können überhaupt nichts. Nach unseren Ermittlungen haben die meisten 6 Jahre lang Englisch und das drei Stunden in der Woche. Was dort passiert, ist mir schleierhaft. Der Englischunterricht in Deutschland war zu meiner Schulzeit zwar auch ziemlich bekloppt (so realitätsfern, dass die meisten Leute nach neun Jahren Schulenglisch nicht mal eine telefonische Zimmerreservierung in einem Hotel bewerkstelligen können) aber ich kannte das Wort für "Seifenkistenrennen", wusste, was sich 1066 ereignete und konnte Diskussionen über allerlei Themen führen.
Die Läden glichen haargenau den amerikanischen. Köstlich amüsierte mich allerdings, dass der Starbucks in Japan einen Grünen-Tee-Frappucino im Programm hat. Allgemein lässt sich Tokio kulinarisch nicht lumpen: italienische, indische, französische, chinesische, thailändische, kalifornische und natürlich japanische Küche stehen auf dem Programm.
In Tokio gingen wir zu Testzwecken italienisch essen. Und wieder revidierten wir ein Vorurteil: Dem Essen mangelte es nicht an Authenzität. Wer hätte das gedacht? Normalerweise bringen ja die Einwanderer ihre Küche in das jeweilige Land mit. Nicht so in Japan: Hier lebt nur ein verschwindend geringer Anteil von Ausländern. Und ich schwöre, dass sowohl die Köche als auch die Ober in dem italienischen Restaurant durchweg Japaner waren. Uns fiel auf, dass niemand das Essen ummodelt, um es japanischen Geschmacksnerven anzupassen wie häufig in Amerika der Fall, wo dann auf einmal jeder Nachtisch pappsüß ist. Auch gibt es immer das richtige Besteck: Ich las im Reiseführer, dass der Japaner sehr großen Wert darauf legt. Michael aß Fisch beim Italiener und bekam doch tatsächlich ein Fischmesser. Das ist uns in unseren fünfeinhalb Jahren in San Francisco noch nicht einmal passiert. Und wir essen wirklich viel Fisch.
Auch gibt es Süßwaren wie Schweizerpralinen oder Torten, die aussehen, als wären sie der Wiener Hofbäckerei entsprungen. Und was entdeckten wir, als wir gemütlich durch die Gänge des Kaufhauses "Takashimaya" (Ausgesprochen: Takaschima Ya!) schlenderten? Wurstwaren vom Dahlmayer aus München - und zwar das Original! Es gab hübsche Präsentkörbe mit Schinken und allerlei verschiedene Würstchen. Allerdings kostete ein großzügiger Präsentkorb, ein Dreierset aus einem großen ganzen geräucherten Schinken, einem weiteren Fleischklotz und einigen Würsten 40.000 Yen, also 345 Euro.
Überhaupt sind die Kaufhäuser ganz nach unserem Geschmack. Es gibt äußerst schöne Dinge aus aller Welt zu kaufen und man kriegt wirklich alles, was das Herz begehrt. Diesbezüglich ist Tokio so richtig Weltstadt, San Francisco doch mehr Provinz, wenn wir ehrlich sind.
In besseren japanischen Kaufhäusern und in einigen wichtigen öffentlichen Gebäude stießen wir auf die von mir so benannten Fahrstuhldamen (auch hier weit und breit kein Mann in Sicht), deren Aufgabe darin besteht, den ganzen Tag den Fahrstuhl zu bedienen. Uniform, Hut, weiße Handschuhe sind obligatorisch. Die Fahrstuhldamen werfen nicht nur unentwegt mit japanischen Höflichkeitsformeln um sich, sondern geben durch Handzeichen an, ob der Fahrstuhl nach oben oder unten fährt oder sich die Türen schließen.
Auf der anderen Seite die hochmoderne Varianten: das obligatorische Bidet, angewärmte Klobrillen, automatisches Wasserrauschen, um unangenehme Geräusche zu übertönen. Man sollte sich in Japan wegen dieses technischen Firlefanzes übrigens hüten, wahllos auf irgendwelche Knöpfe an den Toiletten zu drücken, wenn man vermeiden will, gleich auch noch geduscht zu werden. In unserem traditionellen Gasthaus (Ryokan) verfügten wir über so ein hypermodernes Ding. An dem Klo befand sich ein Amaturenbrett mit verschiedenen Druck- und Drehknöpfen, mit Hilfe derer man verschiedene Bidetfunktionen aktivierte. Einzustellen war: Wassertemperatrur, Wasserdruck, Spritztechnik. Allen Warnungen zum Trotz probierten wir natürlich jeden erdenklichen Knopf aus. Und schwupps gab es die Quittung für so ein leichtsinniges Verhalten, als es mir nicht gelang, den Bidet-Wasserstrahl zu stoppen. Michael kannte zum Glück den Knopf zum Abstellen schon.
Wegen der zwei unterschiedlichen Systeme steht auf öffentlichen Toiletten außen meist entweder "Western Style" oder "Japanese Style", damit es nicht zu Verwechslungen kommt.
Auch Autofahrer kämpfen mit den beengten Raumverhältnissen. Sie fahren sehr gut, zügig und können sehr knapp einparken, knapper als sonst irgendwo auf der Welt (Abbildung 64).
Alles läuft aber recht diszipliniert und geordnet ab, sodass einem die vielen Menschen gar nicht so viel ausmachen und wir vermieden tunlichst die Rushhour. In den Bahnhöfen zeigten uns Pfeile an, auf welcher Seite die Treppen hoch- und herunterzugehen sind. Sehr schlau gemacht das Ganze, denn in der Mitte der Treppe gibt es eine Sperre, die aber nicht genau in der Mitte plaziert ist und somit berücksichtigt, dass der Pulk der Menschen zu den Treppen stürmt, wenn ein Zug ankommt. In Japan geht man die Treppen wegen des herrschenden Linksverkehrs übrigens links hoch und runter. Zu warnen ist allerdings davor, in Stoßzeiten nicht den Pfeilen zu folgen. Mir passierte das einmal und es gelang mir auch unter größter Anstrengung nicht, zurück auf die richtige Seite zu gelangen.
Der Shinjuku-Bahnhof in Tokio, eine Kombination aus S- und U-Bahnhof, schleust täglich bis zu 2 Millionen Menschen durch und lässt den Münchener Hauptbahnhof klitzeklein erscheinen. Es gibt 60 Ausgänge, ein Labyrinth von unterirdischen Gängen, Kaufhäuser, Restaurants. Völlig irre: Wie in einem Ameisenhaufen. Überall wuselt es.
Mädchen tragen Röcke und oft ein Oberteil, das einem Matrosenhemd ähnelt. An den Füßen befinden sich sowohl bei den Mädchen als auch bei den Jungen dann ganz modern Turnschuhe. Bei den Mädchen ist der neuste modische Schuluniformschrei, dicke Winterkniestrümpfe zu tragen, die man lässig aufgerollt am Bein schlabbern lässt. Es gibt wohl immer Mittel und Wege, den Uniformzwang aufzulockern. Japanische Schulkinder führen übrigens auch einen Rucksack mit sich, während dies sonst das 100 % Erkennungsszeichen des nicht-japanischen Touristen ist. Japanische Touristen sieht man meist mit adretten Täschchen. Auch die Empfangsdamen (ich entdeckte keinen Mann), die an der Information in besseren Kaufhäusern sitzen, tragen Uniform und sehen aus wie Stewardessen. Oft gehört bei Frauen ein Hut zum Outfit. Sehr nett das Ganze. Und auch die Uniformen der Straßenarbeiter faszinierten uns, weil sie so anders aussahen.
Natürlich wissen die Taxifahrer, wo der Bahnhof, größere Hotels oder andere Sehenswürdigkeiten liegen. Nur leider weiß der Tourist oft nicht, neben welcher bekannten Sehenswürdigkeit das Restaurant liegt, in das er möchte. Japanische Taxifahrer sind aber grundehrlich und hauen einen nicht übers Ohr. Können sie die Adresse nicht ausfindig machen, fahren sie das nächste Koban-Häuschen im gewünschten Stadtviertel an und fragen nach dem Weg. Hinter "Koban" verbirgt sich eine kleine Polizeistation. In jedem Stadtteil sind diese anzutreffen, oft nicht größer als ein Kiosk. Hier gibt es einen detaillierten Stadtplan von dem Stadtteil, in dem sich das betreffende Polizeihäuschen befindet.
In Tokio (und unserer Erfahrung nach auch in anderen japanischen Städten) kommt erschwerend hinzu, dass nur die größeren Straßen Namen haben. Etwas zu finden, stellt selbst für einen Pfadfinder mit Kompass eine Herausforderung dar, denn es gibt tausende von kleinsten Gässchen in Tokio, die alle nicht mit Namen in Straßenkarten eingezeichnet sind. Oft suchten wir nach einem im Reiseführer beschriebenen Restaurant und gaben trotz Karte frustriert auf. Hinzu kommt, dass Restaurantnamen in der Regel Kanji-Schriftzeichen beinhalten, die im gedruckten Reiseführer zwar wunderbar zu entziffern sind, bloß mit dem Schild in der realen Welt nicht viel zu tun haben, da diese designermäßig "verschönert" wurden.
(Angelika) So wie es mir immer kalt den Rücken herunter läuft, wenn sich ein Amerikaner die Nägel in der U-Bahn schneidet, so ergreift den Japaner das Schaudern, wenn ein Tourist nicht im richtigen Moment seine Schuhe auszieht. In japanischen Wohnungen, in japanischen Restaurants, in Unterkünften im japanischen Stil (traditionelle Gasthäuser genannt Ryokan oder Minshuku), in Tempeln heißt es runter mit den Tretern. Berühren jegliche Art von Schuhen (auch Hausschuhe) die Tatami-Matten (Tatami-Matten = Matten aus Reisstroh, die wie ein Teppich den Fußboden bedecken), erbleicht der Japaner vor Schreck. Nun hört sich das ja zunächst wenig kompliziert an: Schuhe ausziehen -- kein Problem. Aber ich sage euch, dass ist eine Wissenschaft für sich, denn bevor man das Zimmer mit den Tatami-Matten erreicht, wechselt man am Eingang des betreffenden Etablissements in bereit gestellte Hausschuhe.
Eine erhöhte Stufe kündigt den bevorstehenden Wechsel in die Hausschuhe an. Und schon geht es los mit dem Balanceakt, denn die Straßenschuhe dürfen auf keinen Fall auf die erhöhte Stufe und der strumpfsockige Fuß nicht den Boden berühren, der für die Straßenschuhe vorgesehen ist. Ich stellte mich dabei manchmal recht dämlich an, beobachtete aber die gleiche Verwirrung bei einigen japanischen Jugendlichen. Regale stehen dann zum Verstauen der Schuhe bereit. Mit den oft für uns viel zu kleinen Hausschuhen schlappten wir also durch die Gänge, uns gegenseitig ermahnend, ja aus den Hausschuhen zu schlüpfen, wenn wir auf eine Tatami-Matte traten. Wir vergaßen dabei allerdings oft, die Hausschuhe so auszurichten, dass man ohne sie umdrehen zu müssen wieder hineinsteigen kann (so macht es der Japaner). Eine besonders nette Variante sind die Toiletten-Hausschuhe. Ja, ihr ahnt es schon: Beim Betreten des Klos wechselt man in die so genannten "Bathroom-Slippers", widerliche Plastikteile. Wir warteten nur darauf, dass uns der Fauxpas passierte und wir mit den Toiletten-Hausschuhen außerhalb des Klos herumsprangen. Wie ein Wunder vergaßen wir aber nie, in die anderen Hausschuhe zu wechseln. Wir erinnerten uns nämlich an die Geschichte, die uns unsere Japanisch-Lehrerin in San Francisco erzählte. Sie trottete nämlich mit ihren Toilettenhausschuhen in den Tempel zurück, woraufhin gleich einige Mönche auf sie zusprangen und ihr die "unreinen" Hausschuhe von den Füßen rissen.
In unserem Japanisch-Kurs lernten wir auch, dass der Japaner sich nicht auf den Boden hockt, außer er ist mit einer Tatami-Matte bedeckt. Hier scheint aber ein deutliches Generationsgefälle vorzuliegen. Schulkinder und Teenager trafen wir häufig auf dem Boden sitzend an. Auf der anderen Seite beobachteten wir Japaner im mittleren und fortgeschrittenen Alter, die nicht einmal ihre Taschen auf dem Boden abstellten oder eine Zeitung unter ihre von Schuhen befreiten Füße im Zug legten, damit die Strümpfe nicht direkt den Boden berührten.
Michael lag mir zunächst in den Ohren, dass Hiroshima doch noch strahlt. Ich wollte aber unbedingt die Gedenkstätten für die Opfer des ersten Atombombenabwurfs sehen. Auf den ersten Blick ähnelt Hiroshima so manch anderer japanischen größeren Stadt: modern, bunt, hässliche Betonbauten, die an den deutschen Baustil in den 60er Jahren erinnern.
Hochhäuser, schicke Kaufhäuser. Gäbe es nicht den Friedenspark, der an den Abwurf der Atombombe mit einem Museum und verschiedenen Mahnmalen erinnert, erahnte der Besucher nicht, dass diese Stadt 1945 in Schutt und Asche lag. Im Friedenspark fällt zunächst die so genannte A-Kuppel ins Auge. Das ist die Ruine des einzigen Gebäudes, dass in Zentrum des Bombenabwurfs stehen blieb. Über den Park verteilt gibt es verschiedene Gedenkstätten, u.a. eines für die Kinder und die koreanischen Zwangsarbeiter, die die Atombombe tötete. Das Mahnmal für die koreanischen Zwangsarbeiter errichtete man erst 1970, da die Japaner bis dato fleißig totschwiegen und verdrängten, was sie den koreanischen Zwangsarbeitern angetan hatten. An dem Mahnmal für die Kinder legen ganze Schulklasse gefaltete Kraniche in Gedenken an das Mädchen Sadako ab. Ich berichtete ja schon einmal die Geschichte des Mädchen Sadako, die 1955 an Leukämie als Folge des Atombombenabwurfs erkrankte und Kraniche zu falten begann, um sich Gesundheit zu wünschen und dass die Kraniche heute als Friedenssymbol gelten. Die Niederlegung der an Fäden aufgezogenen Kraniche ist oft sehr feierlich und mit einer kleinen Zeremonie begleitet.
Wir beobachteten Schulkinder, die sangen, etwas vortrugen, Flöte spielten. Es gibt so viele Kranich-Ketten, dass hinter dem Mahnmal für die Kinder kleine durchsichtige zeltartige Häuschen stehen, in denen die Ketten hängen. Beeindruckend ist auch die Friedensflamme, die solange brennen wird, bis es keine Atomwaffen mehr auf der Erde gibt. Führt man sich die Folgen von Hiroshima vor Augen, ist mir unbegreiflich, warum überhaupt noch Atomwaffen existieren. Die Verantwortlichen in Pakistan und Indien waren wohl noch nie in Hiroshima. Leider!
(Angelika) In Kyoto mieteten wir uns in ein Ryokan ein - ein traditionelles japanisches Gasthaus. Gasthaus hört sich ja nun etwas zünftig an. Bei einem Ryokan handelt es sich aber mehr um die gehobene Variante. Man taucht dabei in das alte Japan ein.
Das Befolgen des Ausziehens der Schuhe ist im Ryokan ganz wichtig. Das eigene Zimmer besteht aus Tatami-Matten und einem niedrigen Tischchen, an dem sitzend die Mahlzeiten, die in einem Ryokan eine im Kimono bekleidete Dame in der Regel aufs Zimmer serviert, verspeist werden. Meistens gibt es sowohl japanisches Frühstück als auch Abendessen. Japanisches Frühstück besteht traditionell aus Fisch, Miso-Suppe, eingelegtem Gemüse, irgendeinem Eiergericht, Reis und oft Tofu. Zum Trinken gibt es schwarzen Tee. Häufig bekamen wir auch die kleinen Fischchen mit den Augen (Chirimen Jako), die mich immer so nett anschauten und mehr wie prähistorische Würmer aussahen.
Das Abendessen lässt sich am besten als japanische "High cuisine" (auf japanisch: Kaiseki) bezeichnen. Es folgt einer strengen Etikette: Die Frische der Zutaten und die Präsentation steht im Vordergrund. Das Essen wird liebevoll auf kleinen, sehr geschmackvollen Tellerchen und Gefäßen angerichtet und nacheinander serviert. Ihr müsst euch das so vorstellen, als ob es eine Vorspeise nach der anderen gibt. Zu den Gerichten gehören u.a.: Sashimi oder Sushi, Tempura, Miso-Suppe, gekochter oder gebratener Fisch, etwas Eingelegtes, Reis. Beim Kaiseki bewahrheitet sich: Das Auge isst mit.
Die aufmerksamen Leser unter euch fragen sich jetzt wahrscheinlich: Aber wo schläft man denn in einem Ryokan? Gibt es Betten, Kuschelmatratzen auf dem Fußboden? Nach dem Abendessen kommt die Kimono-Dame wieder, räumt den Tisch ab und die Sitzkissen zur Seite und breitet den Futon und die Decken auf den Tatami-Matten aus. Japanische Kopfkissen sind übrigens mehr auf der härteren Seite anzusiedeln. Die Füllung aus Gerste macht es möglich. Da schmerzten meine Ohren schon ein wenig. Morgens erscheint die Kimono-Dame vor dem Frühstück und verstaut Futon und Bettzeug wieder in einen dafür vorgesehenen Schrank. Mittagsschläfchen halten in einem Ryokan? Pustekuchen! Es sei denn man legt sich ohne Futon und Decke auf die Tatami-Matte, was ich nur für die ganz Müden und Hartgesottenen empfehle. Oft gibt es im Zimmer eine kleine Ecke mit Stühlen und Tisch im westlichen Stil.
Michael schaffte es aber, gleich am ersten Tag in unserem Ryokan die Stuhllehne von seinem Stuhl abzubrechen. Er haute den Stuhl zwar notdürftig wieder zusammen, aber am nächsten Tag ward er (der Stuhl, nicht Michael) nicht mehr gesehen (wir vermuteten ihn in der Reparatur), was die Anzahl der Stühle in unserem Zimmer auf Eins schrumpfen ließ. In traditionellen japanischen Zimmern findet man häufig einen Alkoven ("Tokonoma") mit arrangierten Kunstwerken oder Blumen. Der Japaner mag es dabei nicht, wenn der Tourist seine Koffer oder anderen Kram in dem Alkoven unterbringt. Ich gebe zu, dass man durchaus dazu neigt, weil es in japanischen Zimmern kaum Möbel gibt und wir oft verzweifelt versuchten, unsere Sachen irgendwie zu verstauen. Die Zimmer eines gehobenen Ryokans ermöglichen einem oft den Blick in einen japanischen Garten. Aber Vorsicht: Wollt ihr den Garten aus nächster Nähe betrachten, heißt es, in Holzpantoffeln ("Geta") einzusteigen.
Nach dem Baden und Abtrocknen schlüpft jeder in eine Art Bademantel ("Yukata"). Yukatas gibt es in jeder japanischen Unterkunft. Niemand stört sich daran, wenn man damit im Haus herumläuft, das Abendessen darin einnimmt oder den Bademantel als Schlafanzug benutzt. Die linke Seite des Bademantels wird über die rechte geschlagen. Ich konzentrierte mich immer sehr, dies richtig zu machen, denn rechts über links bedeutet, dass man nicht mehr unter den Lebenden weilt. Die einzige Frage, die unbeantwortet blieb: Was sollten wir unter dem Yukata tragen? Unterwäsche? T-Shirt? Socken? Kein Reiseführer beantwortete diese entscheidende Frage. Damit man nicht friert, gibt es noch eine Art Überjacke, die man über den "Yukata" ziehen kann, genannt "Tanzen".
Ein weiterer Gimmik sind die auf spezielle Zettel aufgetragenen Sorgen, die, wenn das Papier ins Wasser geworfen wird, sich völlig auflöst und verschwindet, ebenfalls verschwinden sollen. Meine größte Sorge zur Zeit ist natürlich der niedrige Kurs der AOL-Aktie, und ich habe pflichtschuldig die 200 Yen (1,70 Euro) Gebühr bezahlt, einen Zettel ausgefüllt und im Wasser auflösen lassen. Seither ist die Aktie wenigstens nicht mehr weiter gefallen!
Übrigens, seht ihr die Fahne in Abbildung 87, die eine Kapelle zeigt? Das spiegelverkehrte Hakenkreuz weist nicht etwa auf eine rechtsradikale Partei hin, sondern ist das buddhistische Zeichen für "Tempel".
Gegen eine Gebühr, die man nicht im Kloster sondern in einem Büro am Bahnhof zahlt, kriegt man ein Zimmer, Abendessen (sogar mit Sake oder Bier) und Frühstück. Man wird allerdings um 6 Uhr morgens zur buddhistischen Zeremonie der Mönche geweckt und es wird erwartet, dass man dort auftaucht.
Im Zimmer hatten wir ein sogenanntes Kotatsu, eine urjapanische Erfindung: Ein niedriger Tisch, an dessen Platte unten ein elektrischer Ofen hängt und eine dicke Daunendecke, die von der Platte auf den Boden reicht. Mit dem Ofen kann man unter dem Tisch einheizen, die Decke hält die Wärme drin. Man sitzt auf einem Kissen auf dem Boden, streckt die Füße untenrein und kann so lesen, arbeiten, oder sogar schlafen. So kuschlig, so praktisch, dass ich mir schon ernsthaft überlegt habe, etwas derartiges für unsere Wohnung in San Francisco anzuschaffen.
Zur Zeremonie um 6 Uhr in der Früh erschienen wir prompt, saßen fast die ganze Zeit im Lotussitz und lauschten dem Gesang der Mönche -- ein Erlebnis, halbverschlafen in einem kalten Tempel zu sitzen und die Mantras der Mönche zu verfolgen, wenngleich wir auch nichts davon verstanden. Nach 40 Minuten hatten wir uns unser Frühstück redlich verdient. Übrigens waren die Mönche Vegetarier, sodass wir am Mittag in einer nahegelegenen Wirtschaft gleich gierig ein Tonkatsu, die verblüffend ähnliche Form des japanischen Wiener Schnitzels, verschlangen.
Sie glauben, dass sie dadurch in erster Reihe stehen, wenn "Kobo Daishi", ihr verehrter und verstorbener Priester sowie Gründer der Shingon-Richtung, der nach ihrem Glauben nur in tiefster Meditation verharrt, auf den zukünftigen Buddha trifft und beide zur Welt zurückkehren. Der Friedhof ist riesig. Es gibt Grabsteine soweit das Auge reicht. Große japanische Firmen wie Sharp, Nissan, die Kaffeefirma UCC haben Firmengrabstellen für ihre Angestellten gesichert.
So stießen wir zum Beispiel auf eine große Kaffeetasse auf der Grabstelle der Kaffeefirma und eine Rakete, die eine andere Firma repräsentierte: Sozialleistungen für Arbeitnehmer auf japanisch.
Das war der Urlaub! Wir sind schon wieder zurück in San Francisco und arbeiten wie die Wilden. Bis bald! Eure Abenteurer:
Michael und Angelika
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