26.01.1997   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 1  
San Francisco, den 26.01.1997


Existenz durch Sozialversicherungsnummer Führerschein

(Angelika) Viele von euch wollen jetzt sicher wissen, was ich so den lieben langen Tag mache, wenn Michael in der Arbeit ist und seinen Computer traktiert. Ich bin zur Zeit immer noch dabei, die nähere Umgebung zu erkunden und die bürokratischen Dinge zu regeln. Zwei Dinge sind nämlich unerlässlich, um in Amerika bzw. Kalifornien zu leben:

1) die Sozialversicherungsnummer, "social security number" genannt 2) der kalifornische Führerschein.

Da es in Amerika keinen Personalausweis gibt, braucht man beides (Führerschein und Sozialversicherungsnummer), um sich ausweisen zu können. Das Problem war nun aber, dass man die Sozialversicherungsnummer nur bekommt, wenn man Amerikaner ist oder, so wie Michael, in Amerika arbeitet, was auf mich ja beides nicht zutrifft. Dummerweise braucht man aber für jeden Mist (Bankkonto eröffnen, einen Kurs an der Volkshochschule belegen, den kalifornischen Führerschein machen usw.) die Sozialversicherungsnummer. Ohne diese existiert man eigentlich gar nicht.

In meinem Fall mussten wir also wie folgt vorgehen: Zunächst musste ich die theoretische Führerscheinprüfung bestehen. Mit der Bescheinigung über die bestandene theoretische Führerscheinprüfung konnte ich die Sozialversicherungsnummer beantragen, weil ich diese ja brauche, um die praktische Führerscheinprüfung machen zu dürfen. Die Sozialversicherungsnummer wurde mir bereits zugeschickt, so dass ich jetzt endlich die praktische Prüfung machen kann. Meine Prüfung ist am 8. Februar, und Michael zieht mich natürlich jeden Tag damit auf, dass ich durchfalle.

Abbildung [1]: Angelika erhält die begehrte Sozialversicherungsnummer

Den kalifornischen Führerschein müssen übrigens nicht nur die Ausländer machen, sondern auch die Amerikaner, die aus einem anderen Bundesstaat kommen und nach Kalifornien ziehen. Den Amerikanern wird aber in der Regel die praktische Prüfung erlassen. Wer von euch nun meint, dass die Prüfung superleicht ist, hat sich leider getäuscht. Ich musste für die theoretische Prüfung richtig lernen, und auch bei der praktischen Prüfung muss man in Kalifornien nicht einfach einmal auf dem Parkplatz auf- und abfahren, sondern eine richtige Prüfung absolvieren. Michael musste sogar in drei Zügen auf der Straße wenden. Damit ihr eine Ahnunug davon bekommt, wie meine theoretische Prüfung war, hier eine Auswahl von Fragen (ich habe den Fragebogen mitbekommen):

1. Sie fahren ein langsames Fahrzeug auf einer kurvenreichen Straße mit nur einer Fahrspur in der jeweiligen Fahrtrichtung. Sie müssen zur Seite fahren und halten, wenn es sicher ist, und Sie müssen die anderen Fahrer vorbeifahren lassen, wenn Ihnen eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen folgt:

+ 3 Fahrzeuge + 4 Fahrzeuge + 5 Fahrzeuge

2. Wenn Sie zu einer Ecke kommen (gemeint ist eine Kreuzung), wo ein gelbes Licht blinkt, müssen Sie:

+ Anhalten, bevor Sie die Kreuzung überqueren. + Auf das grüne Licht warten. + Ihre Geschwindigkeit vermindern und vorsichtig die Kreuzung überqueren.

Na, hättet ihr die Antworten gewusst? Der Test war übrigens auf Deutsch. Die theoretische Prüfung kann man wirklich in allen Sprachen dieser Welt machen. In San Francisco trifft man übrigens sehr häufig auf Menschen, die hier leben und trotzdem kaum die englische Sprache beherrschen. Der Nachbarstadtteil bei uns heißt z.B. "Mission" und besteht fast nur aus spanisch sprechenden Einwanderern. Geht man dort in ein Restaurant, kann es einem durchaus passieren, dass man auf Spanisch bestellen muss.

Abbildung [2]: Der Bogen, den der Prüfer während der praktischen Fahrprüfung ausfüllt.

Abbildung [3]: Die Rückseite.

Ich mache in diesem Stadtteil übrigens seit 21.01. einen Englischkurs, der "English as a second language" heißt. Die Kurse werden beim City College angeboten. Man muss sich das City College ungefähr wie unsere Volkshochschule vorstellen. Anders ist allerdings, dass man auch ganze Ausbildungen (z.B. Krankenschwester) machen kann. Die Kurse "English as a second language" sind gebührenfrei. Um diese besuchen zu dürfen, muss man zunächst einen Einstufungstest machen. Diesen Test zu machen, war für mich ein echtes Erlebnis. Es haben mit mir zusammen ca. 30 Personen an dem Test teilgenommen. Von diesen 30 Personen sprachen ungefähr 25 spanisch, deshalb wurden die Erklärungen für den Test ins Spanische übersetzt. Leider vergaß der Lehrer ab und zu, dass auch fünf der Leute im Raum kein Wort Spanisch verstehen konnten. So mussten wir hin und wieder um die englische Erklärung bitten. Viele der Teilnehmer lebten übrigens schon mehr als fünf Jahre in den USA und konnten wirklich kaum Englisch. Der Test war dann ein sogenannter "Reading Test", d.h. man musste sich eine Geschichte durchlesen und dabei einen Lückentext schriftlich ergänzen, getestet wurde also das Verständnis und die Grammatik. Zunächst erhielt man einen relativ leichten Test. War man in diesem zu gut, musste man einen zweiten schwereren Test machen. Ich habe sehr gut abgeschlossen (Level 8 konnte man erreichen und auf Level 8 bin ich gekommen; protz!) und gemerkt, dass unsere Schulbildung vielleicht doch nicht so schlecht ist. Da ich Level 8 erreicht habe, darf ich jetzt jeden beliebigen Kurs am City College belegen; also theoretisch auch den Krankenschwesternkurs.

Ich bleibe aber trotzdem bei meinem Englischkurs. Für Level 7/8 wird ein Intensivkurs angeboten, der von Montag bis Freitag jeweils für zwei Stunden geht. Der Kurs ist zunächst ein Semester lang (von Januar bis Mai). Und so gehe ich jetzt jeden Tag in meinen Kurs. Das ist echt ganz witzig. In meiner Klasse sind ca. 24 Leute aus allen Ländern dieser Erde (vorwiegend Mexico und El Salvador). Wir arbeiten mit einem richtigem Lehrbuch und müssen teilweise sogar Hausaufgaben machen. Das ist richtig wie in der Schule. Aber ich lerne viel und komme unter Leute.

Abbildung [4]: Der Pazifik bei Point Reyes.

Ja, und was machen wir an den Wochenenden? Ich muss sagen, da sind wir ständig unterwegs. Entweder wir schauen uns San Francisco an oder wir erkunden die nähere Umgebung. So waren wir ein Wochenende mit Sylvia und Richard im Napa Valley und haben einige Weinproben gemacht, ein anderes Wochenende sind wir den Highway 1 am Ozean entlang gefahren und haben die phantastischen Ausblicke genossen. Da wir noch kein eigenes Auto besitzen, mieten wir uns für diese Unternehmungen meist eines, da das Auto mieten in Amerika ja nicht so teuer ist. Man kann hier wirklich unendlich viel machen, und es macht uns sehr viel Spaß am Wochenende auf Entdeckungsreise zu gehen. Am meisten liebe ich den Ozean und ich kann es immer noch nicht fassen, dass er jetzt praktisch vor unserer Haustür liegt.

Was mir fehlt, ist die Arbeit mit den Kindern und auch, wenn ich mich hier freiwillig sozial engagieren kann, so wird dies doch nicht mit meiner Arbeit im Domus zu vergleichen sein.

Also, ihr Daheimgebliebenen, denkt mal an uns und schreibt mal, denn auch wenn San Francisco sehr reizvoll und aufregend ist, so überkommt uns (vor allen Dingen mich) doch öfter das Heimweh.

Alles Liebe!

Angelika und Michael

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