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  Rundbrief Nummer 1  
San Francisco, den 26.01.97


Sichere und unsichere Stadtviertel

Nun noch einmal zurück zu unserem Stadtviertel: Was noch sehr wichtig ist, Noe Valley ist sehr sicher, d.h. man kann sich zu jeder Tages- und Nachtzeit frei auf den Straßen des Viertel bewegen, ohne sich ängstigen zu müssen. Zur Zeit stört mich wirklich am meisten, dass ich immer überlegen muss, wo ich bedenkenlos hingehen kann und wo nicht. Manchmal hat das auch zur Folge, dass man lieber einen Umweg in Kauf nimmt, bevor man sich in ein unsicheres Viertel begibt. San Francisco ist diesbezüglich wirklich eine typische amerikanische Großstadt; völlig ruhige Wohngegenden werden zwei Straßen weiter zu einem total heruntergekommenen Viertel, das man bei Einbruch der Dunkelheit tunlichst meiden sollte. Leider hat Michael ein sicheres Gespür dafür, die etwas "verhauten" Viertel zu finden. So waren wir an einem Sonntag mit dem Bus unterwegs und sind durch ein Viertel gefahren, in dem wir auch bei Tag nicht hätten aussteigen wollen. Am Straßenrand standen nur noch ausgebrannte Autowracks herum, die Müllberge türmten sich und es war kein Weißer mehr auf der Straße zu sehen. Der Busfahrer öffnete in dieser Gegend nicht mehr die Türen, obwohl Leute an der Bushaltestelle standen. Wir hatten den Eindruck, dass er echt besorgt um uns war, weil er ständig in den Rückspiegel schaute und Blickkontakt zu uns aufnahm. Das hat uns dann doch etwas beunruhigt. In solchen Situationen sehne ich mich dann sehr nach dem sicheren Pflaster München.

Abbildung [1]: Die Umzugskiste aus München kommt in San Francisco an.

Ich hoffe, dass meine Schilderung euch jetzt nicht davon abhält, uns zu besuchen. Keine Angst, Michael zeichnet die wüsten Viertel immer gleich in unseren Stadtplan ein und ich schwöre, dass noch genug Viertel übrig bleiben, die nicht markiert werden müssen, also sicher sind.

Was uns beide schon sehr erschüttert, ist das soziale Elend, was einem auf Schritt und Tritt begegnet, wenn man in San Francisco unterwegs ist. So gibt es sehr, sehr viele bettelnde Obdachlose. Geht man unter einer Brücke durch, findet man immer zwei bis drei Obdachlose, die dort schlafen oder Schutz vor dem Wetter suchen. Besonders problematisch ist, dass zur Zeit die Bedingungen für die Sozialhilfe verschlechtert werden. Geplant ist, dass man nur noch zwei Jahre Sozialhilfe bekommen soll. Hat man in oder nach diesen zwei Jahren keine Arbeit gefunden, bekommt man auch die Sozialhilfe gestrichen. Es sollen zwar Hilfsprogramme eingeführt werden, damit der Sozialhilfeempfänger leichter Arbeit findet, die liberaleren Zeitungen diskutieren dies aber sehr kritisch, weil sie meinen, dass diese Hilfsprogramme nicht ausreichen. Liest man die einschlägigen Zeitungen aufmerksam, wird dort immer wieder diskutiert, dass die schlechte soziale Absicherung verantwortlich ist für das Steigen der Gewalt, der Kriminalität, die teilweise schlechte Schulbildung, vor allen Dingen an den öffentlichen Schulen usw.; richtige Proteste in der Bevölkerung gibt es aber nicht. Das alte Vorurteil über Amerika hat also tatsächlich auch weiterhin Gültigkeit: "Bist du gesund, jung, weiß und risikofreudig, kannst du in Amerika alles erreichen. Bist du arm, krank, schwarz oder alt, solltest du lieber nicht in Amerika leben."

Ich hoffe, dass ich jetzt nicht zu sehr Horrorszenarien aufgezeigt habe, aber ich denke, dass euch ein realistisches Amerikabild interessiert. Überhaupt ist es ganz anders, wenn man in dem Land lebt oder es als Tourist bereist. Auch als Tourist sieht man das soziale Elend und die soziale Ungerechtigkeit, man ist aber doch ganz anders betroffen und involviert, wenn man in dem Land lebt.

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Letzte Änderung: 08-Mar-2017