Angelika/Mike Schilli |
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(Angelika) Schon beim Landeanflug auf Anchorage wurde uns klar, wie menschenleer Alaska ist. Aus dem Fenster schauend, sahen wir rechts nur endlose Weite: keinerlei Häuser oder Straßen in Sicht. Links lag Anchorage mit seinen 260.000 Einwohnern. Es ist die größte Stadt Alaskas, in der 40 Prozent der Gesamtbevölkerung leben.
Ganz Alaska zählt schlappe 660.000 Einwohner und -- nach meiner Rechnung -- mindestens genauso viele Bären. Da Alaska ja von den anderen Bundesstaaten durch Kanada abgetrennt ist, sprechen waschechte Einheimische übrigens von den "Lower 48" ("die unteren 48"), wenn sie sich auf die kontinentale USA beziehen. Hawaii, der weit im Ozean liegende 50. Bundesstaat, fällt dabei unter den Tisch.
Alaska kam (anders als zum Beispiel Kalifornien) übrigens nicht als Eroberungsbeute zu den USA, sondern wurde im Jahr 1867 von den Russen für 7,2 Millionen Dollar an die Amis wie ein Grundstück verkauft. Der arme amerikanische Außenminister William Seward, der das Geschäft besiegelte, holte sich damals böse Schelte ein. Das muss damals ein Haufen Geld gewesen sein, das man sicher für "vernünftigere" Dinge ausgeben hätte wollen. Aus heutiger Sicht ist der Betrag natürlich lächerlich, es gibt Häuser in San Francisco, die soviel kosten. Der Kauf war, wie Michael mehrmals während unseres Urlaubes bemerkte, jeden Cent wert.
Weite Teile des Landes sind nur per Flugzeug zugänglich. Deswegen gibt es in Anchorage den größten Wasserflugzeughafen der Welt. Man kann Angeltouren in Gegenden buchen, in die man mit dem Wasserflugzeug hinfliegt, ein paar Stunden angelt und dann mit hoffentlich fetter Beute wieder zurückfliegt.
Bei einem Land, in dem im Schnitt 7 Monate im Jahr winterliche Temperaturen herrschen, verbunden mit nur wenigen Stunden Tageslicht, konzentriert sich der Tourismus auf die Sommermonate Juni bis August. Das führt dann in den leichter erreichbaren Gegenden in Alaska zu einer Touristenschwemme, die der Alaska-Tourist in der Regel tunlichst vermeiden will.
Die von uns besuchte Kenai-Peninsula sollen die Wohnmobile im Sommer zum Beispiel schlicht erdrücken. Da die Gegend aber auch schon im Mai bereisbar ist, beschlossen wir, dem vielleicht noch etwas unbeständigerem Wetter zu trotzen. Ein goldrichtige Entscheidung. Es waren nämlich kaum Touristen unterwegs, und alle zeigten sich erfreut, uns zu sehen und hielten so manches längere Schwätzchen mit uns. Das Wetter zeigte sich am Anfang zwar noch von seiner etwas kühleren Seite, was Michael doch tatsächlich zu einem Mützenkauf verführte, vermutlich der ersten seit Kindertagen. Aber dann strahlte die Sonne sogar vom Himmel. Hurra!
(Michael) Wegen des langen und harten Winters sind die Alaskaner im Frühjahr überglücklich und rennen beim ersten Sonnenstrahl (aber immer noch 5 Grad Kälte) im T-Shirt und kurzen Hosen auf der Straße herum. Die beste Reisezeit ist in vielen Gegenden im Mai oder im September. Dann ist es zwar teilweise noch (oder schon wieder) etwas kalt, aber es gibt weder Mücken- noch Touristenschwärme.
Im Mai geht in Alaska die Sonne um 5:30 auf, aber erst um 22:30 unter. Und danach bleibt es noch mindestens eine Stunde hell. Das ist toll für Urlauber, denn man kann noch bis spät abends wandern, ohne Angst, den Wanderweg wegen hereinbrechender Dunkelheit nicht beenden zu können. Auch gehen die Leute in Alaska sehr spät essen. Es ist keine Seltenheit, dass man in Anchorage um zehn Uhr abends noch volle Restaurants sieht, während dies in San Francisco eher die Ausnahme ist.
(Angelika) Anchorage ist eine aus dem Boden gestampfte typisch amerikanische Stadt. Neben der schönen Lage und einigen wirklich guten Restaurants kann die Stadt mit einem super Fahrradweg aufwarten, dem "Tony Knowles Coastal Trail". Er ist 11 Meilen lang (etwa 17 Kilometer), führt immer am Wasser entlang und ist gut von jeglichem Autoverkehr abgeschirmt. Tony Knowles ist übrigens nicht, wie Michael vermutet hatte, ein berühmter Skateboarder (vgl. Tony Hawk), sondern ein ehemaliger Gouverneur von Alaska.
Also liehen Michael und ich uns jeder ein Fahrrad aus und strampelten in die Pedale. Der Fahrradladenmann hatte uns dann gleich noch eine Route beschrieben, die das Ganze zu einem, zwar weiteren Rundweg machte, aber dafür fuhren wir dann auch noch an dem riesigen Flugplatz für Kleinflugzeuge vorbei. Hut ab, über dieses erstaunlich gute Netz von Fahrradwegen, das wir übrigens neben Anchorage sogar in der viel kleineren Stadt Homer fanden. Wer hätte das in Alaska vermutet?
Michael Um das Eismeer hautnah zu erleben, buchten wir in Homer eine Kajaktour, an der auch noch ein weiteres Urlauberpaar aus dem Bundesstaat Arizona teilnahm. Angelika und ich bekamen einen Doppelkajak, mit zwei Einstiegslöchern. Angelika saß vorne und ich hinten am Ruder, jeder erhielt ein Doppelpaddel. Jeder musste ein Kleidungsstück anziehen, das wie das Tutu einer Ballerina aussah. Dieses Röckchen aus wasserdichtem Neopren spannt man nach dem (vorsichtigen) Einsteigen im Wasser übers Einstiegsloch, damit beim Rudern von oben kein Wasser ins Kajakinnere hineinspritzt.
Kippt ein Kajak im eiskalten Wasser um und beide Ruderer zeigen plötzlich mit dem Kopf nach unten, muss man möglichst schnell aussteigen, indem man an einer Schlaufe zieht, die das Plastikröckchen vom Einstiegsloch ablöst. Dann kommt der Kajakführer angepaddelt, hilft, das Boot zu drehen und zu stabilisieren, damit man wieder vorsichtig zurück ins vollgelaufene Boot steigen kann. Mit einer Handpumpe muss man dann an Ort und Stelle das Wasser rauspumpen. Das ist in 5 Grad kaltem Wasser natürlich etwas nervig. Dann wird an Land gepaddelt und man muss die nassen Klamotten aus- und einen lächerlich gemusterten trockenen Overall anziehen, den der Kajakführer für solche Notfälle bereithält. Angeblich muss man damit dann auch noch in die Kneipe, in der eine so jäh abgebrochene Tour begossen wird! Laut unserer Führerin, die schon viele Jahre Touren fährt, ist dies unter ihrer Leitung bislang exakt sieben Mal passiert, meist mit übermütigen Teenagern. Zum Glück blieben wir von solchen Notmanövern verschont, denn das Meer war gut gelaunt und ruhig an diesem Tag.
Da drängt sich natürlich die Frage auf: Wie kamen die Kajakbilder zustande? Oder: Wie cool muss jemand sein, um eine Nikon D-70 in einen Plastikbeutel zu stecken, auf einen Kajak zu schnallen, und dann auf dem Meer herauszuziehen und auf dem wackeligen Bötchen damit zu fotografieren? Antwort: Ziemlich cool, der Urlaub hätte ruckzuck um einiges teurer werden können.
Michael Der zwischen Alaska und Russland liegende Teil des pazifischen Ozeans, die so genannte Beringsee, ist die Heimat gigantischer Fischmassen. Laut dem Fischmuseum "SeaLife Center" in Seward (einer Art politisch korrektem Aquarium und Forschungszentrum) ist der meistgefangene Fisch der Pollock (deutsch: Seelachs), ein unscheinbarer, relativ kleiner Meeresbewohner, aus dem Fischstäbchen und die Fischmäcs von McDonalds hergestellt werden.
Der Ort Seward ist einer der größten Umschlagplätze für Frischfisch, da kommen die Fischerboote mit ihrem Fang an, Hafenarbeiter verpacken die zum Teil abenteuerlich großen Geräte in Boxen, verladen sie schnell auf schon bereitstehende Lastwagen und ab geht die Post. Kurioserweise verbleibt kaum Ware im Ort. Nur ein winzig kleiner Laden verkaufte Frischfisch, und wir mussten lange herumfragen, bis wir ihn fanden. Als wir aus Versehen durch die Hintertür eintraten, sah ich eine Kiste mit Heringen und jubelte schon, denn Heringe sind in den USA (außer bei Ikea) ziemlich schwer zu bekommen. Ein brummeliger Fischersmann wies mich allerdings darauf hin, dass die Heringe in dem Trog nicht für den menschlichen Genuss geeignet seien, sondern als "Bait" (Köder) dienten, um größere Fische zu fangen! Wir kauften Heilbuttbäckchen (die fetten Backen der Flachfische) und ein paar "King Crab Legs", 45 Zentimeter lange fleischige Krabbenbeine. Die Hütte, in der wir abhingen, hatte einen Gasgrill, auf dem ich die Leckereien nicht etwa verkochen ließ (wie das leider in vielen amerikanischen Restaurants geschieht), sondern meisterhaft zubereitete. Das Ganze war zwar ziemlich teuer ($50 für den Fisch), aber sehr lecker.
Angelika Als wir mit unseren Kajaks in den Gewässern der "Katchemak Bay" herumpaddelten, fiel uns auf, dass hier und da kleine, recht rustikale Hütten hinter den Bäumen auftauchten. Wir dachten natürlich sofort an Sommerhäuschen, lernten aber von unserer Kajakführerin Alison, dass einige davon ursprünglich im Zuge des so genannten "Homesteading" gebaut wurden.
Um den Westen Amerikas zu besiedeln, beschloss nämlich der amerikanische Kongress unter Präsident Abraham Lincoln im Jahre 1862, dass jeder Amerikaner, der mindestens 21 Jahre alt war, 160 "Acres" (etwa 64 Hektar) Land gegen eine Gebühr von 18 Dollar bestellen durfte. Ziel war es, den Boden nutzbar zu machen. Nach fünf Jahren konnte der Siedler das Land sein eigen nennen. Er musste nur nachweisen, dass er auf dem Land lebte, eine Hütte hingestellt hatte und das Land beackerte.
Das Programm wurde 1976 endgültig eingestampft, nur Alaska erhielt eine Verlängerung bis 1986. Trotz dieser großzügigen Landvergabe sind nur 1% des Landes in Alaska in Privatbesitz. 60% gehören Vater Staat (z.B. die Nationalparks), 20% dem Bundestaat Alaska und der Rest wurde 1971 an die Ureinwohner zurück gegeben.
Uns fiel auf, dass die vereinzelten Häuslein am Rande der Landstraßen alle eines gemeinsam haben: Auf dem Grundstück ums Haus herum sieht's aus wie bei Hempels unterm Sofa. Verschrottete Autos, alte Kühlschränke und Waschmaschinen. Man gewinnt den Eindruck, als wäre es üblich, ein Ersatzteillager im Garten anzulegen, wenn man ein neues Gerät oder Gefährt erwirbt.
Leider ist auch Alaska in den besiedelteren Gebieten nicht vom obligatorischen "McDonald's", "Safeway" und "Starbucks" verschont geblieben. Selbst dem ungebrochenen amerikanischen Willen, auch in die noch so atemberaubenste Landschaft ein hässliches Einkaufszentrum zu setzen, konnte es nichts entgegensetzen.
Auf der anderen Seite trifft man wie in wohl keinem anderen amerikanischen Bundesstaat Individualisten, die sich ihren Traum vom Leben in der letzten Wildnis verwirklichen wollen. Alaska hat ja deshalb auch den Beinamen "Last Frontier". Unsere Kajakführerin Alison stammte zum Beispiel aus New York City und lebt jetzt etwas abseits von Homer in einem Haus ohne fließend Wasser, das nur über einen halbstündigen Fußmarsch zu erreichen ist. Auf unserer Kajaktour fragten wir sie dann auch, was für sie Urlaub bedeute, da sie ja schon das beruflich macht, was andere als Abenteuer in ihren Ferien suchen. Sie antwortete, dass sie sich gerne in ein gutes Hotel in Anchorage einmietet, um ein Vollbad zu nehmen.
Eine weitere interessante Geschichte hörten wir von der Vermieterin unseres Häuschens in Seward: Sie arbeitete vor vielen Jahren in einem Süßwarengeschäft in New York City und stieß dort auf eine Postkarte, die Alaska zeigte. Sie sagte, dass ihr von diesem Zeitpunkt an klar gewesen sei, dass sie einmal dort leben würde. Nach der Trennung von ihrem ersten Mann packte sie ihre Sachen und fuhr mit ihrem Hund im Gepäck die Straßen Alaskas ab. Die Umgebung um Seward gefiel ihr gleich und so beschloss sie, ihre private Altersvorsorge (den so genannten 401k (siehe Rundbrief 08/2003) schon vor der Rente anzugreifen, sich davon Land zu kaufen und Blockhütten, die sie nun an Touristen vermietet, darauf zu setzen. Der Mann, der ihr die Hütten baute, wurde dabei gleich auch noch ihre neue Liebe. Als sie damals mit Sack und Pack nach Alaska zog, war sie übrigens schon jenseits der 40! Nur in Amerika.
Allerdings können romantische Vorstellungen über die Wildnis Alaskas durchaus auch zur Katastrophe führen. So gibt es wohl immer wieder Leute, die vom Robinson-Crusoe-Syndrom befallen werden und meinen, dass ein Einsiedlerleben jenseits jeglicher Zivilisation in der Pampa einfach zu bewerkstelligen wäre.
Die meisten Einheimischen in Alaska halten diese Typen eher für verrückt und sind nicht gut auf sie zu sprechen. Wer zu diesem Thema ein sehr interessantes Buch lesen möchte, sollte sich "Into the Wild" von Jon Krakauer zu Gemüte führen. Der deutsche Titel des Buches ist "In die Wildnis. Allein nach Alaska". Krakauer erzählt die wahre Geschichte des Christopher McCandless, der 1992 allein in die Wildnis Alaskas wandert und dessen Leiche nach einigen Monaten von Jägern gefunden wurde.
Michael Viele Haushalte in Alaska, die etwas abseits liegen, haben immer noch kein Telefon. Um diesen Leuten Nachrichten zuzuspielen, gibt es die so genannten "Bushlines", Textzeilen ("lines"), die der Rundfunkmoderator eines lokalen Mittelwellen-Senders ein paarmal am Tag jeweils zur vollen Stunde in den "Bush" (also die Pampa) durchgibt.
Damit auch persönliche Nachrichten und heiße Liebesschwüre durch den Äther gehen können, ohne dass gleich die halbe Welt davon weiß, haben viele Empfänger Code-Namen. Es ist angeblich ein beliebter Volkssport, den Bushlines zuzuhören und zu raten, wer da wieder mal mit wem anbandelt. Exklusiv im Rundbrief stellen wir euch eine aktuelle Radio-Aufnahme der Bushlines vor. Wie ihr euch überzeugen könnt, nutzen manche den Service wohl aus Nostalgiegründen -- wenn jemand eine Internet-URL durchgibt, ist es wohl offensichtlich, dass der Empfänger auch ein Telefon hat, oder?Bushlines
Angelika Jeder, der mindestens ein Jahr lang in Alaska gelebt hat, bekommt Geld dafür. Der "Alaska Permanent Fund" macht es möglich. Er zahlt nämlich jährlich eine Dividende an die Bewohner Alaskas, egal welchen Alters, aus.
Der Hintergrund: 1976 wurde per Volksentscheid die Verfassung Alaskas dahingehend geändert, dass 25% der staatlichen Erlöse aus dem Abbau von Bodenschätzen (in Alaska ist das hauptsächlich Öl) in einen Fond eingezahlt und investiert werden müssen. In dem Fond befinden sich mittlerweile 33 Milliarden Dollar. Nach der Höhe der Rendite richtet sich der Betrag der jährlich ausgeschütteten Dividende. Im Schnitt sind es 600 bis 1500 Dollar pro Person. Das Jahr 2000 schoß aber bisher den Vogel ab. Es gab fast 2000 Dollar pro Kopf!
Politiker versuchen immer wieder durchzusetzen, den Fond anders zu nutzen, d.h. anstatt das Geld an jeden auszuzahlen, es für kommunale Zwecke wie die Finanzierung von Schulen und Krankenhäusern zu verwenden. Das mag die Bevölkerung aber so gar nicht. Die Einheimischen erzählten uns: Kommt ein Politiker mit dieser unbeliebten Idee im Wahlkampf daher, zahlt er an den Wahlurnen bitter dafür.
Mit dem Öl ist in Alaska allerdings nicht mehr das große Geld zu machen, denn die Ölfelder an der Prudhoe Bay trocknen aus. Bush und Konsorten sowie so mancher Politiker in Alaska wollen allerdings das einzigartige Naturschutzgebiet "Arctic National Wildlife Refuge" hoch im Norden Alaskas zum Ölbohren freigeben. Bisher sind die Vorstöße durch mancherlei politische Klimmzüge aber Gott sei Dank gescheitert.
Angelika In Alaska ist der Weg wirklich das Ziel, denn vielfach stellt es die eigentliche Herausforderung dar, zunächst irgendwo hinzukommen. Es gibt nur wenig Straßen in Alaska und kleine Flugzeuge, wie z.B. die netten Wasserflugzeuge und Boote sowie Fähren, erweisen sich als das Transportmittel der Wahl. Im Reiseführer las ich auch, dass nur wenige Gebiete in Alaska gut beschilderte Wanderwege haben. In unserer Ecke sei die Beschilderung aber vorbildlich. Hmm! Problematisch wird es nur, wenn der Winterschnee die Schilder und Bäume umhaut und der Trupp der Freiwilligen vor der Sommersaison noch nicht aufgebrochen ist, um den Wanderweg aufzuräumen. Auch scheint man in Alaska Unwegsamkeiten etwas anders einzuschätzen.
So wollten wir von Homer aus den "Glacier Lake Trail" (Gletschersee-Wanderweg) im Kachemak Bay State Park laufen. Dazu mussten wir allerdings erst ein Wassertaxi (sprich Boot) mieten, das uns von Homer aus auf die andere Seite der Bucht brachte, um uns am Anfang des Weges abzusetzen und fünf Stunden später am Ende des Rundweges in einer anderen kleinen Bucht wieder abzuholen.
Die Wassertaxis sind wirklich praktisch, aber nicht ganz billig. Wir zahlten pro Nase 65 Dollar, um an unseren Wanderweg zu gelangen. Der Besitzer (ein Mann namens Mako) von "Mako's Water Taxi" informierte uns freundlich, dass der Wanderweg dieses Jahr zwar noch nicht offiziell geräumt sei, dass ein Schild an einer Abzweigung am Boden liege und dass wir über einige umgeknickte Bäume zu klettern hätten. Na, und ein bisschen Schnee liege noch hier und da. Aber alles kein Problem.
Und ich sage euch, wir kletterten und kletterten. Da die Sonne herrlich warm schien, hatte sich der harte Schnee auf dem Weg stellenweise eher in ein Bächlein verwandelt, aber unsere wasserdichten Turbo-Wanderschuhe hielten durch. Die Belohnung war der wunderschöne, teilweise noch zugefrorene Gletschersee mit dem Grewingk-Gletscher im Hintergrund, den wir uns mit niemandem teilen mussten.
Am Tag zuvor hatte Michael die groben Koordinaten der einzelnen Wegpunkte aus dem Internet geholt und nach wilden Koordinatentransformationen auf seinem tragbaren GPS-System eingespeichert. So wussten wir stets, wie weit es noch bis zur nächsten Abzweigung war, das war sehr beruhigend.
Als wir schon fast unserer vereinbarten Treffpunkt mit dem Wassertaxi erreicht hatten, kletterten wir abermals über einen riesigen Nadelbaum und schwupps, war der Weg nicht mehr auszumachen. Michael ging ein paar Schritte voraus und stand im dichten Unterholz. Kein Weg weit und breit. Nach einigen unangenehmen Minuten beschloss ich, einfach wieder über den Baum zurück zu klettern, denn vor dem Baum hatten wir den Weg noch gesehen. Und richtig, der zweite Versuch führte zum Erfolg. Wenig später holte uns das Wassertaxi am vereinbarten Zielpunkt ab. Michael hatte während der Wanderung schon das Szenario entworfen, was wir machen würden, wenn das Taxi nicht käme. Ich hingegen konzentrierte mich lieber auf die Bärengefahr.
Michael Wie gesagt ist es ziemlich normal, in Alaska auf Bären zu treffen. Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Sie hauen zwar normalerweise sofort ab, falls sie Menschen sehen, besonders wenn diese groß sind und/oder in Gruppen auftreten. Das setzt aber voraus, dass man den Bären nicht überrumpelt, denn das mag er nicht, da wird er grummelig. Wie etwa wenn man um eine unübersichtliche Ecke biegt und schwupp! steht ein Bär vor einem. Deswegen soll man dauernd Krach machen, und wem das auf die Nerven geht, der kann ein kleines Glöckchen ("Bear Bell") tragen, das dauernd leise bimmelt und so Bären in der näheren Umgebung laufend über die Position des Wanderers informiert und etwaige Überraschungen erspart. Der Bär geht Konfrontationen normalerweise weiträumig aus dem Weg, wenn ihm das ohne Mühe möglich ist. Aber Bären halten ja während der Wintermonate einen Winterschlaf und sind nach dem Aufstehen im Frühjahr einige Zeit lang noch total deppert im Kopf.
Wer den ausgezeichneten Film "Grizzly Man" (Regie: Werner Herzog) gesehen hat, weiß aber, dass Bären, wenn's ganz blöd läuft, Menschen durchaus töten und auffressen. Es gibt zwei verschiedene Bärenarten, den schwarzen "Black Bear" und den braunen "Grizzly". Sie werden bis zu einer halben Tonne schwer und reichen bis zu drei Meter hoch, wenn sie sich aufstellen. Der braune Grizzly ist berechenbarer, falls er doch einmal angreift, soll man sich totstellen, dann lässt er normalerweise von einem ab. Der "Black Bear" ist allerdings gemeiner, er verfolgt schon mal Wanderer, die dann alle möglichen Tricks anwenden müssen (groß machen, Rucksack aufn Kopf, schreien, fuchteln), um ihn zu vertreiben. Greift der "Black Bear" an, darf man sich keinesfalls totstellen, sondern muss ihm in die Schnauze boxen. Oder, wie uns ein Einheimischer erklärte: "A Grizzly will kill you. A Black Bear will kill you and then eat you".
Zur Selbstverteidigung für den äußerst seltenen Ernstfall kann man entweder eine doppelläufige Flinte mit Riesenkaliber mitschleppen ("Bärentöter", siehe Karl May) oder ein speziell für die Bärenverteidigung hergestelltes Pfefferspray mit dem martialischen Namen "Counter Assault". Das Spray ist allerdings irre teuer ($37.95), zum Glück hatte es der Bergsteigersupermarkt REI in Anchorage gerade im Sonderangebot ($24.95). Angeblich wirkt es auf bis zu neun Meter Entfernung. Weht der Wind aber in die falsche Richtung, entwickelt sich das Spray zum Bummerang.
Wir hatten die Dose entsichert und auf unseren Wanderungen stets griffbereit, mussten sie aber zum Glück nie anwenden, da uns auf unseren Wegen kein Bär überraschte. Allerdings sahen wir auf einer Bootstour schätzungsweise zehn (!) verschiedene Schwarzbären an verschiedenen Stellen, teilweise sogar an recht steilen Berghängen. Diese werden auch von Bergziegen frequentiert, der Leibspeise der Bären. Jedenfalls solange wie der Lachs noch nicht springt. Auch erfahrene Wanderer haben uns bestätigt, dass es laufend vorkommt, dass Bären den Weg kreuzen und auch die Dame, die uns ein Cottage vermietete, legte ein Bärenheft hinein und schrieb groß darauf, dass wir das ja durchlesen sollten, bevor wir irgendwelche Wanderungen unternähmen.
Angelika In der Stadt Seward stellten wir überrascht fest, dass Besucher des "Kenai Fjords Nationalparks" mit geringstem Aufwand an den so genannten "Exit"-Gletscher gelangen. Der Gletscher ist wirklich zum Greifen nah, weniger als einen Kilometer vom Parkplatz entfernt. Aber Alaska bleibt Alaska. Als wir vor dem Gletscher standen, rumpelte es ein paar Mal bedrohlich in seinem Inneren, wie als kleine Warnung, dass wir vor einem aktiven Gletscher stehen, der nicht zu unterschätzen ist.
Die globale Erwärmung ist dort übrigens recht klar sichtbar. Der Gletscher hat sich in den letzten Jahren immer weiter und schneller zurückgezogen, im Jahr 1970 war er noch fast am Parkplatz, etwa einen halben Kilometer von dem Punkt entfernt, an dem er heute endet. In fünfzig Jahren wird's ihn wohl nicht mehr geben.
Wir konnten auch schön sehen, dass Gletscher an manchen Stellen tatsächlich blau sind. Das liegt laut einer im Nationalpark aufgestellten Tafel daran, dass die Schneemassen, aus denen sie bestehen, über die Jahre so zusammengestaucht werden, dass eine dichte Eismasse entsteht, die alles Licht außer dem energiereichen Blauanteil vollständig absorbiert, sodass Gletscher-Eis aussieht wie das gleichnamige Lutschbonbon!
Auch die so genannten Moränen, vom Gletscher kleingeschnetzeltes und vorneher geschobenes Gestein, konnte man gut sehen und sogar darauf herumspazieren. Mein alter Erdkundelehrer wäre ausgerastet!
Michael Natürlich dürft ihr jetzt nicht denken, dass man einfach auf einem Boot herumschippert und einen Wal sichtet. Das ist auch in Alaska sehr selten, manchmal sieht man auf einer ganztägigen Tour nur ein paar jämmerliche Seeotter. Wir hingegen hatten sogar zweimal Glück: Einmal auf dem Rückweg mit dem Wassertaxi von der Kajaktour und ein andermal auf einer ganztägigen Bootstour. Da waren etwa ein Dutzend Leute auf einem mittelgroßen Schiff, ich starrte auf die Wasseroberfläche und bemerkte plötzlich ein paar riesige Schwanzflossen in weiter Ferne, die aber gleich wieder verschwanden. Da ich aus Kalifornien bereits Wale kannte, schrie ich: "Whales, 10 o'clock!!" (für Nicht-Nautiker: "Wale, 60 Grad links!"). Der Skipper drosselte den Motor und lenkte das Boot in die angegebene Richtung, und nach 30 Sekunden tauchten etwa 7 Killerwale (auch Schwertwale genannt) auf, alle mindestens fünf bis sieben Meter lang. Sie schwammen auf das Boot zu, tauchten darunter hindurch und klatschten anschließend mit ihren Schwanzflossen ins Wasser. Die Leute waren begeistert und ein Herr aus Texas klopfte mir mindestens fünfmal hintereinander auf die Schulter und alle lobten das "Good eye, good eye" des jungen Herrn aus San Francisco.
Angelika In Alaska gibt es nun nicht nur Bären und haufenweise Weißkopfseeadler ("bald eagle", das Wappentier der USA) zu bewundern, sondern auch Elche ("moose") hüpfen freundlich durch die Landschaft.
Besonders wenn in den höheren Lagen noch Schnee liegt, kommen sie auch in die Nähe der menschlichen Behausungen in den niedriger gelegenen Gefilden. Elche sind in einer noch nicht grünenden Landschaft allerdings schwer auszumachen, da sich ihr braunes Fell perfekt der Umgebung anpasst. Da ich aber im zarten Jugendalter öfter in Finnland war, wusste ich, nach was wir Ausschau halten mussten.
Gleich am ersten Tag, als wir mit unseren ausgeliehenen Fahrrädern den Coastal Trail in Anchorage abfuhren, entdeckte ich einen riesigen Elch, der gemütlich an einigen Zweigen am Waldesrand knabberte. Allerdings sausten wir gerade bergab und ich ging etwas unsanft in die Bremse, was Michael nicht nur zu einem abrupten Bremmsmanöver seinerseits zwang, sondern auch zu ein paar Flüchen bezüglich meiner leichtsinnigen Fahrweise.
Elche sehen ja etwas treu-doof aus, was wohl einige Alaska-Touristen immer wieder dazu verleitet, sich ihnen zu sehr zu nähern, aber wir hielten respektvollen Abstand, als wir die langen Beine des Tieres sahen. Ein Sechsjähriger hätte da bequem drunter durchlaufen können. Während Michael den Elch fotografierte, strampelten einige Fahrradfahrer an uns vorbei und Michael gestulierte ihnen wild, dass sich im Wald ein Elch befände. Die hielten aber nicht mal an, es handelte sich wohl um Ortsansässige. Nach zwei Wochen Urlaub und einigen weiteren Elchentdeckungen verstanden auch wir: Einen Elch zu sichten, ist in Alaska ganz normal.
Eiskalte Grüße:
Angelika & Michael
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