Angelika Einmal im Jahr, üblicherweise im Januar, gibt der amtierende amerikanische Präsident im Kongress vor den Abgeordneten und Senatoren sowie einigen geladenen Gästen einen Lagebericht ab, den man "State of the Union" nennt. Ich habe darüber schon einmal zu Clintons Zeiten im Rundbrief 03/2000 geschrieben. Das Gleiche gilt übrigens auch für die jeweiligen "Governors" (= Ministerpräsidenten) der Bundesstaaten und Bürgermeister der Städte, nur heißen die Reden dann "State of the State" bzw. "State of the City".
Die Rede des Präsidenten wird live im Fernsehen übertragen. Ich hatte mir ja eigentlich geschworen, nie mehr eine Rede von Bush anzuschauen, weil das immer damit endet, dass ich auf den Fernseher einschimpfe. Schon das Grinsen von Bush und sein Baden im Applaus finde ich unerträglich. Aber man muss ja informiert sein, um mitreden zu können. An der Rede zur Lage der Nation haben natürlich etliche Redenschreiber über Wochen gefeilt, so hört sich das Ganze toll an, aber mit der Realität hat das Gesagte nur noch wenig zu tun.
Die Rede dient natürlich sowieso dazu, dass Bush sich in möglichst gutem Licht präsentiert. So stellte er den Skandal, dass Amerikaner ohne Gerichtsbeschlüsse abgehört wurden, als legales Terroristen-Überwachungsprogramm ("terrorist-surveillance program") dar. Ansonsten bombardierte er uns mit den bekannten Platittüden: Kampf dem Terror und dem radikalen Islam, Steuersenkungen als Allerheilmittel, Reform der Rentenversicherung, Kampf den explodierenden Kosten im Gesundheitswesen, Amerika als Erretter der Welt. Gähn! Doch dann sagte der mit der Ölindustrie zutiefst verbandelte Präsident: "America is addicted to oil, which is often imported from unstable parts of the world" (Amerika ist süchtig nach Öl, das häufig aus instabilen Teilen dieser Welt importiert wird.).
Und er setzte gleich noch einen drauf, nämlich dass 75% der amerikanischen Ölimporte aus dem Nahen Osten bis zum Jahre 2025 durch alternative Energiequellen ersetzt werden müssen. Das schreckte den saudi-arabischen Botschafter auf, der nach der Rede bestürzt spekulierte, was Bush nun eigentlich genau damit gemeint hätte. Steckt in Bush vielleicht doch ein verkappter Umweltschützer und Demokrat? Nein, denn er sprach nur davon, Öl durch alternative Brennstoffe wie Ethanol zu ersetzen. Er sagte nicht, die Abhängigkeit von den Ölimporten sollte durch Einschränkung des amerikanischen Benzinverbrauchs verringert werden.
Aber die liberalere amerikanische Presse greift diese Idee zunehmend auf. Der Kolumnist und Nah-Ost-Experte Thomas Friedman schreibt sich in der New York Times die Finger darüber wund. Sein Mantra sind sparsamere Autos und eine hohe Benzinsteuer.
Nach der Rede erhält die Opposition die Gelegenheit einer Gegendarstellung, dem so genannten "Rebuttal". Das Ganze findet dann aber nicht mehr im Kongress mit Publikum statt. Dieses Jahr sprachen für die Demokraten Governeur Tim Kane aus Virgina und Bürgermeister Antonio Villaraigosa aus Los Angeles, der seine Antwort übrigens auf spanisch vortrug. Da staunt ihr, oder?