29.11.2025   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 160  
San Francisco, den 29.11.2025


Abbildung [1]: Der Mopedfahrer vom Bringdienst rast kreuz und quer durch die Stadt.

Michael Dass ich langsam wirklich richtig alt werde, merke ich unter anderem daran, dass es partout nicht in meinen Kopf hinein will, warum jemand Essen vom Bringdienst bestellt. Für Leute der Millennial- oder Gen-Z-Generation scheint es aber völlig normal zu sein, sich lauwarmes Essen zu exorbitanten Preisen auf ihre ungelüftete Bude schicken zu lassen. Ich habe mal von einem Sandwichladenbesitzer erfahren, dass er teilweise die Leute in ihren Zimmern im Haus gegenüber sitzen sieht, die bei ihm per App ein belegtes Brötchen bestellen und es für drei Dollar Gebühr auch noch 20 Meter über die Straße liefern lassen.

Abbildung [2]: Doordash, Grubhub, Kaviar sind alles Bringdienste.

Abbildung [3]: Ein Grubhub-Lungerer lungert vor einem Restaurant herum.

Ende der Neunziger, gerade als wir mit Karacho in San Francisco aufgeschlagen waren, galten Fahrradkuriere als der heiße Scheiß. Die waren damals eher weniger mit Bringdiensten verbandelt, aber damals war das Internet noch nicht so schnell wie heute und Firmen mussten öfter mal wichtige Dokumente oder Datenträger vom Standort A nach Standort B verschicken. In Städten mit hoffnungslosem Autoverkehr wie New York City oder San Francisco sprangen hierzu die Fahrradkuriere in die Bresche, schlängelten sich todesmutig durch den stillstehenden Berufsverkehr, um Lieferungen in grotesk großen Taschen durch die Stadt zu kutschieren.

Abbildung [4]: Oft lungern die Grubhub-Vespafritzen vor hippen Restaurants herum.

Das Berufsbild des durchtrainierten, tätowierten Langhaarigen, der auf Konventionen pfiff, furchtlos auf dem Rad durch die Megalopolis zischte und in seiner Outlaw-Tracht samt Fahrrad im Aufzug zu den Chefetagen mit Anzugträgern hochfuhr, um Bestellungen abzuliefern, hatte einen Coolness-Faktor von über 10.000 und spornte viele Nachzügler an.

Abbildung [5]: Grubhub-Fritze mit typischen Muff-Ärmeln und immer am Handy.

Zu Covid-Zeiten kamen dann die Bringdienste in Mode, denn im Restaurant zu sitzen war plötzlich mega-out. Und da Fahrradkuriere entweder zu langsam fuhren oder keinen Kubikmeter Essen transportieren konnten, sprangen tollkühne Fahrer von Vespa-ähnlichen Stinkmopeds oder Kuriere auf illegal aufgemotzten Elektrorädern in die Bresche. Die Branche stammt aus Großstädten der dritten Welt, in Bangalore oder Delhi wuseln auch die Mopeds durch die Straßen, um ihren Herren warme Mahlzeiten oder Getränke zu liefern.

Zu erkennen sind die Bringdienstfritzen an Mopeds mit Muff-Ärmeln (Abbildung 5), und den grotesk großen (circa ein Kubikmeter) Warmhalteboxen, in denen sie die lauwarme Pampe durch die Gegend fahren. Diesen Job machen übrigens interessanterweise oft entweder Lateinamerikaner oder Inder. Dabei rasen sie viel zu warm angezogen, eingemümmelt, und wie die Bekloppten durch den dichten Verkehr, und schlängeln sich halsbrecherisch durch die im Stau stehenden Autos. Oft achten sie nicht auf den Verkehr, sondern starren auf das am Lenker befestigte Handy, und tippen manchmal sogar darauf herum, wohl um die nächste Fuhre klarzumachen.

Abbildung [6]: Grubhub-Fritze holt die Bestellung vom Restaurant ab.

Oft beobachte ich die Lauwarm-Kuriere auch dabei, wie sie auf ihren Liefermopeds vor hippen Restaurants herumlungern, bei denen unsere Hipster anscheinend bevorzugt ihr Essen bestellen. Die zu diesem Zeitpunkt noch untätigen Kuriere tippen, im Sattel ihrer aufgebockten Mopeds sitzend, gelangweilt auf ihren Handys herum und warten, bis eine Bestellung über Lieferdienste wie Grubhub oder Kaviar eintrudelt, um den Auftrag blitzschnell anzunehmen. Dann spurten sie ins Restaurant, bekommen die in Schachteln und Plastiktüten verpackte Mahlzeit ausgehändigt und schwingen sich auf ihr Moped, um flugs davonzubrausen. Je nach Hipstergrad eines Restaurants und Tageszeit kann es schon mal vorkommen, dass vor einem beliebten Laden ein halbes Dutzend Kuriere im Sattel sitzen und auf dem Handy rumtippen. Bizarr!

Abbildung [7]: Immer am Telefon, auch während der Fahrt, ganz wichtig.

Wie gesagt, für mich persönlich wäre der Bringdienst nur in Ausnahmefällen interessant. Wie zum Beispiel, wenn ich eine ansteckende Krankheit hätte und wegen widerlicher Pusteln im Gesicht das Haus nicht verlassen könnte. Ansonsten würde ich die Mahlzeit lieber selbst abholen oder ich koche was Feines, oder wir gehen gleich ins Restaurant. Aber, hey, jedem das Seine, nicht jedem das Gleiche!

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Letzte Änderung: 23-Dec-2025