03.05.2022   Deutsch English

  Rundbrief Nummer 143  
San Francisco, den 03.05.2022


Abbildung [1]: "Liberaler" Lifestyle in San Franciscos Tenderloin

Michael Wenn es um politische Denkrichtungen geht, verwenden Amerikaner Begriffe, die oft das genaue Gegenteil von dem meinen, was die wörtliche Übersetzung ins Deutsche bedeuten würde, und deswegen bringe ich heute einmal Licht ins Dunkel. Erstmal das Zwei-Parteien-System, man ist entweder "Democrat" oder "Republican". Einen "Grünen", einen "Liberalen", einen "Linken" oder einen AfDler gibt es nicht, 99% aller Denkrichtungen finden ihre Heimat in einer dieser beiden Gruppierungen.

Die Übersetzung in "Demokraten" und "Republikaner" ist aber allein schon deswegen bedenklich, weil beide Parteien demokratisch sind und der Vergleich der "Republicans" mit der in den Achtzigern in Deutschland in Mode gekommenen Rechtspartei "Die Republikaner" nicht korrekt ist. Aber belassen wir es einmal dabei. Außerdem gibt es natürlich Nuancen innerhalb dieser beiden Einheitsparteien, so ist der amtierende Präsident Biden eher mitte-rechts bei den Demokraten und Sozialist Sanders weit links. Das führt dazu, dass Biden innerhalb seiner eigenen Partei von jungen Radikalen laufend dafür kritisiert wird, nicht radikal genug zu sein. Bei den Republikanern war früher John McCain einer der Moderaten, und Ex-Präsident Trump weit rechts. Seit Obama (demokratischer) Präsident war, und besonders seit Trump (republikanischer) Präsident war, muss man moderate Republikaner allerdings mit der Lupe suchen, denn die Partei hat sich stark radikalisiert. Diese beidseitige Radikalisierung der beiden Parteien hat zur Folge, dass es zwischen Demokraten und Republikanern heutzutage praktisch keine Zusammenarbeit mehr gibt. Schlagen die einen was vor, torpedieren es die anderen reflexartig.

Abbildung [2]: "Progressiver" Haushalt in Noe Valley.

Ein amerikanischer "Democrat" ist politisch etwa bei der SPD angesiedelt: Er unterstützt Gewerkschaften, möchte die Reichen verschärft besteuern, Geringverdienern mit staatlichen Mitteln unter die Arme greifen, ein Waffenverbot durchsetzen, und ist generell dafür, dass der Staat die Dinge in die Hand nimmt und mittels aktiver Gesetzgebung lenkt. "Democrats" werden nicht müde zu behaupten, dass alle "Republicans" hinterwältlerische Idioten sind (fast alle Staaten in der Mitte der USA, also abseits der Küstenregionen, sind in republikanischer Hand) und möchten, dass das Electoral College (das komplizierte amerikanische Wahlsystem, nachdem die Staaten Wahlmänner abstellen, was den kleineren Bundesstaaten mehr Einfluss gibt als rein nach Wählerstimmen) abgeschafft wird. Das würde auf Jahrzehnte demokratische Präsidenten garantieren.

Ein "Republican" ist dagegen etwas rechts von der CDU angesiedelt, wirtschaftlich nahe der FDP, also arbeitgeberfreundlich. Steuern möchte er möglichst keine erheben, denn der Staat sollte einen möglichst schlanken Apparat betreiben, der sich nur in Ausnahmefällen in die freie Wirtschaft einmischt. Waffen bleiben, wie von der Konstitution vorgesehen, erlaubt. Republikaner zeigen mit dem Finger auf Mega-Großstädte der USA, wie New York City, Chicago oder Los Angeles, die allesamt in demokratischer Hand sind und mit hoher Kriminalität, Arbeitslosigkeit und genereller Verlotterung der Gesellschaft kämpfen. Da Demokraten-Wähler den Republikanern zahlenmäßig überlegen sind, weil die dichtbesiedelten Küstenstaaten fast alle demokratisch regiert werden, soll das komplizierte Wahlsystem bleiben.

Nun noch zu "liberal". Wer in Deutschland "liberal" sagt, meint automatisch FDP, weil das die liberale Partei ist, im Sinne von "Freiheit des Individuums" und "Wirtschaft mal machen lassen". In Amerika bedeutet es so ziemlich das Gegenteil davon, da ist ein "Liberal" eine Person, die sich nicht einmischt, wenn andere Leute fragwürdige Dinge tun. Wenn jemand zum Beispiel auf einem Online-Portal berichtet, bei ihm sei eingebrochen und sein Laptop geklaut worden, gibt es immer einen "Liberal", der Mitleid mit dem armen Einbrecher hat, der sich anscheinend keinen eigenen Laptop kaufen kann. Ich kenne "Liberals", die sind so extrem, dass sie sich aufs Finden von Ausreden spezialisiert haben, und nicht müde werden zu begründen, warum es okay ist, dass Gesetzesbrecher Gesetze brechen. Sie werden sehr kreativ dabei und ziehen ihre Kinder konfliktfrei zu verlotterten Gestalten heran, denen keine Grenzen aufgezeigt werden. Das gilt beileibe nicht für alle, aber die Tendenz dazu besteht.

Ein "Progressive" ist nun noch eine Unterform des "Liberal", denn der "Progressive" möchte die Dinge radikal ändern, mit dem Mantra, dass Staat und Polizei bisher alles falsch gemacht haben und es Zeit ist für einen neuen Ansatz, was im allgemeinen heißt, dass der Staat sich nicht mehr mit Polizei oder Strafen einmischen darf, denn das führt ja nur zu Zwist und Zorn und unangenehmen Situationen. Dass das Fehlen staatlichen Drucks auf Missetäter unter Umständen zu mehr Kriminalität führt, sieht der Progressive nicht so. Dass mit nach dem Gießkannenprinzip ausgeteilten Geld die Motivation der Leute schwindet, für sich selbst zu sorgen, ist unbekannt. Dass er mit irren politischen Programmen normale Wähler vor den Kopf stößt, die am Ende die Rechnung mit ihren Steuern zahlen, ist ihm wurscht. Die in Amerika ausgeprägten sozialen Unterschiede sind nach Ansicht der "Progressives" der Ursprung allen Übels.

Ironischerweise sind "Progressives" aufgrund der Immobilien-Blase in San Francisco oft zu wohlhabenden Bürgern aufgestiegene Hippies. Das führt mich abschließend zu dem Begriff "Champagne-Socialist". Das ist einer, der sich (angeblich) für den kleinen Mann und für's öffentliche Schulsystem starkmacht, aber seine Kinder auf die Privatschule schickt, denn sie sollen ja was lernen. Unser Gouverneur Gavin Newsom ist so einer, und im Hippieviertel Bernal Heights wohnen praktisch lauter solche Gestalten. Na, jetzt wisst ihr Bescheid, falls mal wieder einer dieser Begriffe fällt!

Grüße aus San Francisco:

Angelika und Michael

PDF Drucken
RSS Feed
Mailing Liste
Impressum
Mike Schilli Monologues


Auf die Email-Liste setzen

Der Rundbrief erscheint in unregelmäßigen Abständen. Wer möchte, kann sich hier eintragen und erhält dann alle zwei Monate eine kurze Ankündigung per Email. Sonst werden keine Emails verschickt.

Ihre Email-Adresse


Ihre Email-Adresse ist hier sicher. Die Rundbrief-Redaktion garantiert, die angegebene Email-Adresse nicht zu veröffentlichen und zu keinem anderen Zweck zu verwenden. Die Mailingliste läuft auf dem Google-Groups-Service, der sich ebenfalls an diese Richtlinien hält. Details können hier eingesehen werden.
Alle Rundbriefe:
2024 153 154 155
2023 148 149 150 151 152
2022 143 144 145 146 147
2021 138 139 140 141 142
2020 133 134 135 136 137
2019 129 130 131 132
2018 125 126 127 128
2017 120 121 122 123 124
2016 115 116 117 118 119
2015 111 112 113 114
2014 106 107 108 109 110
2013 101 102 103 104 105
2012 96 97 98 99 100
2011 91 92 93 94 95
2010 85 86 87 88 89 90
2009 79 80 81 82 83 84
2008 73 74 75 76 77 78
2007 66 67 68 69 70 71 72
2006 59 60 61 62 63 64 65
2005 54 55 56 57 58
2004 49 50 51 52 53
2003 43 44 45 46 47 48
2002 36 37 38 39 40 41 42
2001 28 29 30 31 32 33 34 35
2000 20 21 22 23 24 25 26 27
1999 13 14 15 16 17 18 19
1998 7 8 9 10 11 12
1997 1 2 3 4 5 6
1996 0

Rundbriefe 1996-2016 als PDF:
Jetzt als kostenloses PDF zum Download.

Spezialthemen:
USA: Schulsystem-1, Schulsystem-2, Redefreiheit, Waffenrecht-1, Waffenrecht-2, Krankenkasse-1, Krankenkasse-2, Medicare, Rente, Steuern, Jury-System, Baseball, Judentum
Immigration: Visa/USA, Warten auf die Greencard, Wie kriegt man die Greencard, Endlich die Greencard, Arbeitserlaubnis
Touren: Alaska, Vancouver/Kanada, Tijuana/Mexiko, Tokio/Japan, Las Vegas-1, Las Vegas-2, Kauai/Hawaii, Shelter Cove, Molokai/Hawaii, Joshua Nationalpark, Tahiti, Lassen Nationalpark, Big Island/Hawaii-1, Big Island/Hawaii-2, Death Valley, Vichy Springs, Lanai/Hawaii, Oahu/Hawaii-1, Oahu/Hawaii-2, Zion Nationalpark, Lost Coast
Tips/Tricks: Im Restaurant bezahlen, Telefonieren, Führerschein, Nummernschild, Wohnung mieten, Konto/Schecks/Geldautomaten, Auto mieten, Goodwill, Autounfall, Credit Report, Umziehen, Jobwechsel, Smog Check
Fernsehen: Survivor, The Shield, Curb your Enthusiasm, Hogan's Heroes, Queer Eye for the Straigth Guy, Mythbusters, The Apprentice, The Daily Show, Seinfeld
Silicon Valley: Netscape-1, Netscape-2, Netscape-3, Yahoo!
San Francisco: SoMa, Mission, Japantown, Chinatown, Noe Valley, Bernal Heights
Privates: Rundbrief-Redaktion
 

Kommentar an usarundbrief.com senden
Lob, Kritik oder Anregungen? Über ein paar Zeilen freuen wir uns immer.

In der Textbox können Sie uns eine Nachricht hinterlassen. Wir beantworten jede Frage und jeden Kommentar, wenn Sie ihre Email-Adresse in das Email-Feld eintragen.

Falls Sie anonym bleiben möchten, füllen Sie das Email-Feld bitte mit dem Wort anonym aus, dann wird die Nachricht dennoch an uns abgeschickt.

Ihre Email-Adresse


Nachricht

 
Impressum
Letzte Änderung: 18-May-2022