Angelika/Mike Schilli |
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Angelika Zugfahren eignet sich in Amerika bekanntlich weniger dazu, möglichst schnell von A nach B zu kommen, denn die Infrastruktur baut aufs Auto und bei weiteren Entfernungen aufs Flugzeug. Hochgeschwindigkeitszüge wie den ICE oder den japanischen Schinkansen sucht man in den USA vergebens. Dafür umweht das Zugfahren hier eine Aura der Nostalgie. Wir beschlossen daher, mit dem Zug von Anchorage nach Fairbanks zu fahren. Die Zugstrecke gilt als eine der schönsten in Alaska, denn der Zug fährt als Bonus am Denali National Park vorbei. Im tiefsten Winter Alaskas fährt er nur einmal die Woche und braucht für die 580km schlappe 12 Stunden.
Im Sommer dauert es übrigens genauso lange. Erst war ich ja etwas skeptisch, ob der Zug auch wirklich immer zuverlässig fährt, denn in Alaska herrschen strenge Winter, aber die freundliche Dame von Alaska Railroad versicherte mir am Telefon, dass in den vier Wintern, in denen sie jetzt für die Eisenbahngesellschaft arbeite, erst einmal wegen schlechten Wetters die Verbindung ausfiel. Der Zug wird nämlich von robusten Dieselloks gezogen, denen ein bisschen Schnee und Kälte so schnell nichts ausmacht.
In Anchorage mieteten wir uns also die Nacht vorher in ein Hotel in Bahnhofsnähe ein, um am anderen Morgen zu Fuß zum Zug zu laufen. Das gestaltete sich allerdings schwierigerer als vermutet, denn scheinbar hält es niemand in Alaska für notwendig, Straßen und Gehwege zu räumen. Unser rollendes Gepäck streikte deshalb ab und zu im Schnee. Auch mussten wir uns schon eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof einfinden, um unsere Platzkarten zu erhalten und unser Gepäck aufzugeben.
Das Gepäck kommt nämlich eigens in einen Gepäckwagen und wird nicht etwa in Gepäcknetze über die Sitze verteilt. Es erstaunte uns doch sehr, wieviele Leute vorhatten, den Zug zu besteigen. Die Gruppe war bunt gemischt: Touristen und Einheimische. Einwohner Alaskas erhalten übrigens 20% Rabatt, wenn sie die Alaska Railroad benutzen. Auch viele Hotels gewähren Alaskanern Preisnachlässe, eine interessante Praxis im sonst so kapitalistisch geprägten Amerika. Die hohe Dichte an japanischen Touristen fiel uns besonders auf, aber Alaska im Winter ist ein beliebtes Hochzeitsreiseziel für Japaner. Das überrascht euch jetzt vielleicht, aber die frisch Verheirateten kommen, um die Polarlichter zu sehen. Angeblich besagt nämlich eine japanische Legende, dass Kinder, die unter den Nordlichtern gezeugt werden, besonders erfolgreich im Leben sein werden. Und Fairbanks, die Endstation des Zuges, gilt als das Mekka der Nordlichter. Davon später mehr.
In der Wartehalle des Bahnhofs begrüsste dann alle Zugreisenden der Schaffner, der sich als "Steve" vorstellte. Der Veteran mit 30 Dienstjahren bei Alaska Railroad gab uns eine kleine Einführung zur bevorstehenden Reise. Der Mann kontrollierte nicht nur unsere Fahrkarten, sondern unterhielt uns während der Zugfahrt mit allen möglichen Anekdoten.
Steve wurde nicht müde, auf Sehenswürdigkeiten und Tiere am Rande des Weges aufmerksam zu machen. Auch hatte er auf einem Zugsitz ein kleines persönliches Museum aufgebaut. Dazu gehörten neben einem persönlichen Fotoalbum mit allerlei Fotos von diversen Zugstrecken, Zügen, seiner Hütte im Wald und seinen Kindern, auch echte Kopfskelette von Kleintieren. Auch kannte Steve die Strecke wie seine Westentasche und wusste genau, wer in welcher Hütte am Wegesrand lebt.
In Alaska gibt es überall solche Blockhütten ("Cabins"), in denen verrückte Naturburschen in der Wildnis leben. Oft sind diese Hütten nur zu Fuß oder im Winter mit dem Schneemobil zu erreichen. Zur Wildnis sagt der Alaskaner übrigens "Busch" und zum Schneemobil "Snow Machine", denn "Mobil" klingt nach Mobile oder Spielzeug, ist also wohl nicht männlich genug, behauptete zumindestens Schaffner Steve.
Mitten auf der Strecke fuhr der Zug kurzfristig mal im Schneckentempo, weil Steve einige Zeitungen für einen der Hüttenbewohner abwerfen musste. Der Zug ist übrigens einer der wenigen in den USA, der noch einen sogenannten "Flag Stop" Service anbietet, d.h. man kann den Zug mitten auf der Strecke anhalten, um ein- oder auszusteigen, indem man wild mit den Armen fuchtelt oder ein weißes T-Shirt über seinem Kopf hin und her schwenkt. Eine weiße Flagge tut es natürlich auch (daher der Name "Flag Stop"), aber die hat ja nicht jeder griffbereit. Allerdings existiert dieser Service nicht auf der gesamten Strecke, sondern nur zwischen den Orten Talkeetna und Hurricane.
Der Zug bot auch sonst noch so einige touristenfreundliche Zuckerl. Zum Beispiel befanden sich zwischen den Waggons Außentüren, die zweigeteilt waren, und deren obere Hälfte man zum Rausschauen und Fotografieren aufklappen konnte. Diese Türen heißen auf amerikanisch übrigens lustiger Weise "Dutch Doors" ("holländische Türen"). Allerdings mussten wir uns dazu warm anziehen, denn der Fahrtwind pustete uns ganz schön durch.
Dann durften wir auch in den Gepäckwagen vorgehen, der wie in Spielfilmen mit einer offenen Tür fuhr. Wie gesagt, das Ganze ging natürlich nur, weil der Zug nicht gerade mit einer irren Geschwindigkeit durch die Landschaft brauste. Aber wie selbstverständlich passten sich die Fahrgäste der ruhigeren Gangart an. Leute lasen oder schauten stundenlang aus dem Fenster, um die einsame Winterlandschaft zu bewundern. Im Speisewagen wurden die Brettspiele ausgepackt und nur selten benutzte jemand ein Handy, was auch damit zusammen hing, dass der Empfang auf der Strecke nur mäßig war.
Als wir in Fairbanks ankamen, schlug uns gleich eine eisige Kälte entgegen, denn der Ort liegt schon sehr viel weiter im Norden als Anchorage und ist für seine eisigen Winter bekannt. Aber Schaffner Steve war vorher durch den Zug marschiert und hatte jedem, der ein Taxi brauchte, eins vor den Bahnhof bestellt, sodass wir nicht lange in der Kälte stehen mussten. Das nenne ich Service.
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