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Rundbrief
  Rundbrief Nummer 85  
San Francisco, den 06.03.2010
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Abbildung [1]: Brutal kalt im Winter: Fairbanks, Alaska

Michael Angelika hatte die verrückte Idee, mitten im Winter zehn Tage ins eiskalte Alaska zu fliegen. Als Vorbereitung für den Trip in die Kälte liehen wir uns vom DVD-Versand Netflix alle Folgen von "Northern Exposure" aus, einer Fernsehserie, die in den 80er Jahren in Deutschland synchronisiert unter dem Titel "Ausgerechnet Alaska" lief. In der Serie verdonnert der Staat Alaska den frisch promovierten Arzt Joel Fleischman dazu, zwecks Abarbeitung seiner Studiengebühren ein paar Jahre in der fiktiven Kleinstadt Cicily Dienst als Dorfdoktor zu leisten.

Abbildung [2]: Der New Yorker Doktor mit seiner indianischen Sprechstundenhilfe.

Der jüdische New Yorker Fleischman fügt sich grummelnd, mault dann natürlich ständig herum wie Woody Allen als Stadtneurotiker, findet schließlich aber nach und nach Zugang zu den teilweise exzentrischen Bewohnern des von der Außenwelt abgeschnittenen Nests. Letztendlich bleibt er in seinem dicken Winterparka aber immer ein Außenseiter. Einige Ideen der Serie sind wirklich zum Totlachen. Zum Beispiel wohnen einige indianische Ureinwohner in Cicily, die nicht viel reden, Cliquen bilden, und das amerikanische Fest "Thanksgiving" feiern, in dem sie Tomaten auf die weiße Bevölkerung werfen.

Abbildung [3]: Männer der fiktiven Kleinstadt "Cicily" in der Fernsehserie "Northern Exposure".

Die Serie hat ihre Höhen, Tiefen, und in den späteren Staffeln teilweise beträchtlich nervende Längen, aber eine Episode ist aus deutscher Sicht besonders sehenswert: Als Maurice, ein wohlhabender Dorfbewohner, eine riesige alte deutsche Uhr mit Glockenspiel ersteht und das Auktionshaus zur Inbetriebnahme aus Deutschland den Uhrmachermeister Rolf Hauser (Video) einfliegen lässt, stellt sich dieser als lederjackentragender Heavy-Metal-Fan im Billy-Idol-Look heraus.

Abbildung [4]: Rolf Hauser, deutscher Uhrmachermeister im Billy-Idol-Look, erklärt Maurice die Glockenspieluhr.

Der amerikanische Schauspieler Mark Pellegrino spielt die Rolle sehr überzeugend mit aufgesetztem deutschem Akzent und bedient so ziemlich alle Klischees, die Amerikaner den Deutschen zuschreiben. Schön als Video zusammengeschnitten unter dem oben erwähnten Youtube-Link, ein unverzichtbares Dokument deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs, unbedingt ansehen!

Mit dem Zug von Anchorage nach Fairbanks

Abbildung [5]: Der Rundbriefreporter steigt in den Polar Express ein.

Angelika Zugfahren eignet sich in Amerika bekanntlich weniger dazu, möglichst schnell von A nach B zu kommen, denn die Infrastruktur baut aufs Auto und bei weiteren Entfernungen aufs Flugzeug. Hochgeschwindigkeitszüge wie den ICE oder den japanischen Schinkansen sucht man in den USA vergebens. Dafür umweht das Zugfahren hier eine Aura der Nostalgie. Wir beschlossen daher, mit dem Zug von Anchorage nach Fairbanks zu fahren. Die Zugstrecke gilt als eine der schönsten in Alaska, denn der Zug fährt als Bonus am Denali National Park vorbei. Im tiefsten Winter Alaskas fährt er nur einmal die Woche und braucht für die 580km schlappe 12 Stunden.

Abbildung [6]: Am Fahrkartenschalter geht es gemächlich zu.

Im Sommer dauert es übrigens genauso lange. Erst war ich ja etwas skeptisch, ob der Zug auch wirklich immer zuverlässig fährt, denn in Alaska herrschen strenge Winter, aber die freundliche Dame von Alaska Railroad versicherte mir am Telefon, dass in den vier Wintern, in denen sie jetzt für die Eisenbahngesellschaft arbeite, erst einmal wegen schlechten Wetters die Verbindung ausfiel. Der Zug wird nämlich von robusten Dieselloks gezogen, denen ein bisschen Schnee und Kälte so schnell nichts ausmacht.

In Anchorage mieteten wir uns also die Nacht vorher in ein Hotel in Bahnhofsnähe ein, um am anderen Morgen zu Fuß zum Zug zu laufen. Das gestaltete sich allerdings schwierigerer als vermutet, denn scheinbar hält es niemand in Alaska für notwendig, Straßen und Gehwege zu räumen. Unser rollendes Gepäck streikte deshalb ab und zu im Schnee. Auch mussten wir uns schon eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof einfinden, um unsere Platzkarten zu erhalten und unser Gepäck aufzugeben.

Abbildung [7]: Das Gepäck kommt in Container, die ein Bahnangestellter mit dem Gabelstapler zum Zug bringt.

Das Gepäck kommt nämlich eigens in einen Gepäckwagen und wird nicht etwa in Gepäcknetze über die Sitze verteilt. Es erstaunte uns doch sehr, wieviele Leute vorhatten, den Zug zu besteigen. Die Gruppe war bunt gemischt: Touristen und Einheimische. Einwohner Alaskas erhalten übrigens 20% Rabatt, wenn sie die Alaska Railroad benutzen. Auch viele Hotels gewähren Alaskanern Preisnachlässe, eine interessante Praxis im sonst so kapitalistisch geprägten Amerika. Die hohe Dichte an japanischen Touristen fiel uns besonders auf, aber Alaska im Winter ist ein beliebtes Hochzeitsreiseziel für Japaner. Das überrascht euch jetzt vielleicht, aber die frisch Verheirateten kommen, um die Polarlichter zu sehen. Angeblich besagt nämlich eine japanische Legende, dass Kinder, die unter den Nordlichtern gezeugt werden, besonders erfolgreich im Leben sein werden. Und Fairbanks, die Endstation des Zuges, gilt als das Mekka der Nordlichter. Davon später mehr.

Abbildung [8]: Der Schaffner erklärt Leuten, die noch nie Zug gefahren sind, das Verfahren und reißt lustige Witze.

In der Wartehalle des Bahnhofs begrüsste dann alle Zugreisenden der Schaffner, der sich als "Steve" vorstellte. Der Veteran mit 30 Dienstjahren bei Alaska Railroad gab uns eine kleine Einführung zur bevorstehenden Reise. Der Mann kontrollierte nicht nur unsere Fahrkarten, sondern unterhielt uns während der Zugfahrt mit allen möglichen Anekdoten.

Abbildung [9]: Nicht so berauschend: Die Waggons sind aus den 50er-Jahren.

Steve wurde nicht müde, auf Sehenswürdigkeiten und Tiere am Rande des Weges aufmerksam zu machen. Auch hatte er auf einem Zugsitz ein kleines persönliches Museum aufgebaut. Dazu gehörten neben einem persönlichen Fotoalbum mit allerlei Fotos von diversen Zugstrecken, Zügen, seiner Hütte im Wald und seinen Kindern, auch echte Kopfskelette von Kleintieren. Auch kannte Steve die Strecke wie seine Westentasche und wusste genau, wer in welcher Hütte am Wegesrand lebt.

Abbildung [10]: Die Sonne geht auf, um 10 Uhr morgens.

In Alaska gibt es überall solche Blockhütten ("Cabins"), in denen verrückte Naturburschen in der Wildnis leben. Oft sind diese Hütten nur zu Fuß oder im Winter mit dem Schneemobil zu erreichen. Zur Wildnis sagt der Alaskaner übrigens "Busch" und zum Schneemobil "Snow Machine", denn "Mobil" klingt nach Mobile oder Spielzeug, ist also wohl nicht männlich genug, behauptete zumindestens Schaffner Steve.

Mitten auf der Strecke fuhr der Zug kurzfristig mal im Schneckentempo, weil Steve einige Zeitungen für einen der Hüttenbewohner abwerfen musste. Der Zug ist übrigens einer der wenigen in den USA, der noch einen sogenannten "Flag Stop" Service anbietet, d.h. man kann den Zug mitten auf der Strecke anhalten, um ein- oder auszusteigen, indem man wild mit den Armen fuchtelt oder ein weißes T-Shirt über seinem Kopf hin und her schwenkt. Eine weiße Flagge tut es natürlich auch (daher der Name "Flag Stop"), aber die hat ja nicht jeder griffbereit. Allerdings existiert dieser Service nicht auf der gesamten Strecke, sondern nur zwischen den Orten Talkeetna und Hurricane.

Abbildung [11]: Ungehobelte Fahrgäste übertreten die Vorschriften.

Der Zug bot auch sonst noch so einige touristenfreundliche Zuckerl. Zum Beispiel befanden sich zwischen den Waggons Außentüren, die zweigeteilt waren, und deren obere Hälfte man zum Rausschauen und Fotografieren aufklappen konnte. Diese Türen heißen auf amerikanisch übrigens lustiger Weise "Dutch Doors" ("holländische Türen"). Allerdings mussten wir uns dazu warm anziehen, denn der Fahrtwind pustete uns ganz schön durch.

Abbildung [12]: Angelika fotografiert bei Minusgraden am offenen Fenster des fahrenden Zugs.

Abbildung [13]: Auch der Gepäckwagen fährt mit offener Tür, damit man fotografieren kann.

Dann durften wir auch in den Gepäckwagen vorgehen, der wie in Spielfilmen mit einer offenen Tür fuhr. Wie gesagt, das Ganze ging natürlich nur, weil der Zug nicht gerade mit einer irren Geschwindigkeit durch die Landschaft brauste. Aber wie selbstverständlich passten sich die Fahrgäste der ruhigeren Gangart an. Leute lasen oder schauten stundenlang aus dem Fenster, um die einsame Winterlandschaft zu bewundern. Im Speisewagen wurden die Brettspiele ausgepackt und nur selten benutzte jemand ein Handy, was auch damit zusammen hing, dass der Empfang auf der Strecke nur mäßig war.

Abbildung [14]: Fairbanks, Alaska: Stadt am Ende der Welt.

Als wir in Fairbanks ankamen, schlug uns gleich eine eisige Kälte entgegen, denn der Ort liegt schon sehr viel weiter im Norden als Anchorage und ist für seine eisigen Winter bekannt. Aber Schaffner Steve war vorher durch den Zug marschiert und hatte jedem, der ein Taxi brauchte, eins vor den Bahnhof bestellt, sodass wir nicht lange in der Kälte stehen mussten. Das nenne ich Service.

Tageslicht

Abbildung [15]: Fjord 50 Meilen südlich von Anchorage. Das Tageslicht ist immer leicht schummrig.

Angelika Alaska liegt ja am Polarkreis, was das Tageslicht je nach Saison stark beeinflusst: Im Sommer ist es extrem lange hell, im Winter lange dunkel. An manchen Orten in Alaska (zum Beispiel Barrow) geht die Sonne im Sommer für mehrere Wochen überhaupt nicht unter, und im Winter dementsprechend nicht auf. Ganz so extrem ist es in Fairbanks nicht, denn der Ort liegt ca. 200 Meilen (ca. 320 Kilometer) südlich des Polarkreises. Im Schnitt hatten wir etwa sechs Stunden Tageslicht, denn die Sonne geht Ende Dezember zwar erst gegen 11 Uhr morgens auf und um 15 Uhr schon wieder unter, aber es herrscht dafür auch eine längere Dämmerung. So gegen 10 Uhr zeigte sich das erste Licht am Horizont, um 9 Uhr morgens war es allerdings noch zappenduster. Untertags wirkt das Licht etwas seltsam, denn die Sonne steigt nie so richtig hoch am Himmel.

Abbildung [16]: Dunkel oder nicht: Anchorage ist die Ausgehstadt Alaskas, im Volksmund auch "Los Anchorage" genannt.

Erstaunlicherweise passten wir uns sehr schnell den örtlichen Gegebenheiten an, sodass wir trotz der kürzeren Tage viel unternahmen und zu Gesicht bekamen. Die Besitzerin unserer Bed-and-Breakfast-Unterkunft erzählte uns, dass sich in den Sommermonaten viele Einheimische absolut verausgaben, weil sie noch um Mitternacht draußen Sport treiben oder in Garten ackern oder einfach nicht schlafen gehen wollen, weil sie die langen Tage in vollen Zügen genießen.

Abbildung [17]: Fatzentrockener Schnee am Flughafen von Fairbanks, der erst gar nicht geräumt wird.

Die meisten gaben dann auch zu, dass die Kälte im Winter nicht das Problem ist, sondern eher die Dunkelheit. Letztere schlägt nach einigen Monaten aufs Gemüt und den Mangel an Vitamin D müssen die Alaskaner durch Vitamintabletten ausgleichen. Wir hörten manche Leute in Fairbanks raunen, dass sie heute ja schon wieder zwei Minuten Tageslicht dazu gewonnen hätten. Die Kälte erträgt man in Fairbanks wirklich besser als anderswo, denn es herrscht ein trockenes Klima ohne Wind. Der Schnee sieht deshalb auch besonders hübsch aus, denn er ist total pulverig wie Wüstensand und bleibt lange weiß. Schneemänner oder Schneebälle lassen sich daraus allerdings nicht formen.

Modejournal Alaska

Abbildung [18]: Mit diesem Outfit outet sich Michael als Tourist, aber selbst bei Minus 25 Grad hält das dreilagige High-Tech-Material mollig warm.

Michael Einheimische Alaskaner würden niemals eine Gore-Tex-Jacke anziehen, sondern kleiden sich durchgehend im von mir so genannten Baustellenlook. Sie bestellen bevorzugt vom Internethändler Carhartt, der Arbeitskleidung für die diversen Berufszweige in der Fischerei-, Ölplattformschweißer- und Lastwagenfahrerindustrie verschickt.

Wenn die Teile dann nach 20 Jahren total verschlissen sind und wie Lumpen am Körper hängen, taugen sie den Alaskanern. Niemals würden sie in einem im Weltraumzeitalter gefertigten, atmungsaktiven, womöglich noch grell gefärbten Kleidungsstück, womöglich noch im Partnerlook, auf die Straße gehen.

Abbildung [19]: Ähnlich wie diese zwei Trendsetter ordert der modebewusste Alaskaner seine Klamotten aus dem Carhartt-Kalalog.

Als wir in Anchorage am Abend in Eiseskälte mal vermummt auf dem Gehsteig schlenderten, reduzierte doch glatt ein verbeulter Pickup-Truck seine Geschwindigkeit, und der Beifahrer kurbelte das Fenster runter und rief, dass wir so hübsch seien, dass er gleich ein Foto machen müsse! Und als ich einmal in meinen bis 40 Grad Minus zugelassenen Moon-Boots-ähnlichen Weltraumschuhen auf ein Taxi wartend auf dem Parkplatz stand, entstieg ein militärisch aussehender Typ seinem Jeep und sah mich langsam von oben bis unten an. Sein Blick blieb mehrere Sekunden lang auf meinen Schuhen haften. Wahrscheinlich dachte er, ich käme in der Tat -- vom Mond.

Nennt mich Nostradamus. Ich sage hiermit voraus, dass auch bald europäische Männer an der Baustellenmode Gefallen finden werden. Carhartt, das neue Ed Hardy! Bald schon stürmen verkleidete Bauarbeiter die angesagtesten Clubs der Großstädte. Die alten Schicki-Marken sind tot!

Das Nordlicht

Abbildung [20]: Fachbuch zum Thema Nordlicht: "The Northern Lights" von Syun-Ichi Akasofu.

Michael In Gegenden nahe oder nördlich des Polarkreises stellt sich nachts oft eine merkwürdige Himmelserscheinung ein: Ein grünes, manchmal auch rotes Licht, das oft auch in erstaunlichen Bewegungen, teilweise flächendeckend von Horizont zu Horizont, zu tanzen scheint. Die Rede ist vom Nordlicht, Fachterminus "Aurora Borealis", unter welchem selbst der sonst nicht gerade lateinfreundliche Amerikaner den Effekt kennt.

Wie man im Museum der University of Alaska in Fairbanks in einer Filmvorführung erfährt und auch in entsprechenden Fachbüchern nachlesen kann, hat die Erscheinung recht komplexe physikalische Ursachen: Es handelt sich um eine elektrische Entladung in der Atmosphäre, etwa 150km vom Erdboden entfernt. Die hierfür erforderliche Energie liefern Elementarteilchen des sogenannten Sonnenwindes, eines von der Sonnenoberfläche abzischenden Teilchenstroms. An der Erdatmosphäre angelangt, lenkt ihn das Erdmagnetfeld am magnetischen Pol um und lustige Muster entstehen. Der Sonnenwind frischt besonders nach beobachtbaren Eruptionen auf der Sonnenoberfläche merklich auf und trifft 2-4 Tage später hier ein.

Damit die Leute wissen, was sie erwartet, stellt die University of Alaska in Fairbanks eine Nordlichtvorhersage auf dem Internet bereit. So kann der nichtsahnende Tourist dann auf einer Skala von 0 bis 10 ablesen, was ihn erwartet. Dummerweise schwankten die Werte während unseres Besuchs nur zwischen 0 und 1 und der Vermieter der Bed-and-Breakfast-Unterkunft teilte uns mit, dass dies die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, niedrigsten Werte überhaupt wären!

Abbildung [21]: Die Nordlichtvorhersage für Morgen: Entfällt wegen isnicht!

Eines Nachts stand ich aber tatsächlich um vier Uhr morgens auf, zog mich wegen der -25 Grad draußen warm an, warf mir sogar eine sogenannte Balaclava, eine vorher im Bergsteigerladen gekaufte Gesichtsmaske für Polarexpeditionen und Banküberfälle über, und baute mit dicken Daunenfäustlingen an den Händen draußen ein Stativ auf. Die mit dem Fish-Eye-Objektiv ausgestattete Kamera zeigte in Richtung des erwarteten Nordlichts und ich löste eine 30 Sekunden lange Aufnahme aus. Wie ihr in Abbildung 22 sehen könnt, zeigte sich absolut keine Aktivität am Himmel! Grummelnd stapfte ich zurück ins Bett.

Abbildung [22]: Glänzte durch Abwesenheit: Das Nordlicht.

Am vorletzten Abend unserer Reise, zurück in Anchorage, beobachteten wir allerdings einen grünlichen Schein, als wir vom Balkon aus in Richtung Fairbanks blickten. Wegen ein paar Nebelschwaden war die Sicht leicht verstellt, doch wir glaubten, sogar graduelle Veränderungen der Intensität wahrzunehmen. Fotografieren ließ sich das Schauspiel allerdings nicht, dazu war der Effekt zu schwach. Wir müssen nächstes Jahr wohl nochmal nach Alaska, um ein ordentliches Foto einzufangen!

Celsius und Fahrenheit

Abbildung [23]: -6 Grad Fahrenheit: -21 Grad Celsius.

Michael Auch nach 13 Jahren Amerika kann ich immer noch nichts mit der Fahrenheitskala für Temperaturen anfangen. Gut, ich weiß mittlerweile, dass ein Fieberthermometer bei einem gesunden Patienten 100 Grad Fahrenheit Körpertemperatur anzeigt und an einem arktisch kalten Wintertag in Alaska 0 Grad Fahrenheit herrschen.

Sagt der Flugkapitän durch, dass der Wetterdienst am Zielort 50 Grad Fahrenheit durchgibt, ziehe ich vor dem Aussteigen meine Fleece-Jacke an, bei 70 Grad reicht ein T-Shirt, und bei 110 Grad hofft man, dass das gebuchte Hotel über eine gut funktionierende Klimaanlage verfügt.

Das war's dann aber auch schon. Den Backofen stelle ich meist auf 350 Grad, ohne zu wissen, wie heiß das tatsächlich ist. Und als ich im Reiseführer erfuhr, dass es an kalten Wintertagen in Alaska schon mal minus (!) 50 Grad Fahrenheit hat, musste ich in einer Tabelle nachsehen, um herauszufinden, dass das minus 45 Grad Celsius sind. Die Umrechnung im Kopf ist ja nicht ganz einfach, denn es reicht nicht, einen Wert mit einer Konstante zu multiplizieren, sondern man muss auch noch einen Versatz subtrahieren. Über den Daumen gepeilt zieht man vom Fahrenheitwert 30 ab und teilt dann das Ergebnis durch zwei.

Abbildung [24]: 0 Grad Celsius entsprechen (plus!) 32 Grad Fahrenheit. Bei -40 Fahrenheit schneiden sich die beiden Skalen.

Sieht man sich den Graph in Abbildung 24 an, zeigen sich einige markante Punkte, mit denen man vielleicht nicht gerechnet hätte. Hättet ihr zum Beispiel gewusst, dass minus vierzig Grad Fahrenheit genau minus vierzig Grad Celsius entsprechen? Und die -6 Grad Fahrenheit auf dem Foto in Abbildung 23, das wir eines Abends in Fairbanks aufnahmen, als wir in unseren Moonboots auf ungeräumten Gehwegen durch den Schnee zum Restaurant stapften, könnt ihr damit auf -21 Grad Celsius umrechnen.

Chena Hot Springs

Abbildung [25]: An den Haarspitzen bilden sich Eiskristalle, während man bei -25 Grad (Celsius) im 41 Grad heißen Pool sitzt.

Angelika In Alaska gibt es nicht nur Permafrost, sondern auch noch den einen oder anderen aktiven Vulkan. Deshalb verwundert es nicht, dass auch heißes Wasser aus Thermalquellen sprudelt. Und siehe da, in der Nähe von Fairbanks liegen die sogenannten Chena Hot Springs, also heiße Quellen, die zum gepflegten Eintauchen einladen. Praktischerweise sind die Quellen gut mit dem Auto über eine Landstraße zu erreichen, die im Winter sogar super geräumt war. 1905 entdeckten zwei Goldgräber die Quellen und schon bald wurde das heiße Wasser für touristische Zwecke genutzt. Die Reise zu den Quellen dauerte anno dazumal natürlich noch etwas länger. Mittlerweile bietet Chena Hot Springs neben dem Badespaß unterschiedliche Übernachtungsmöglichkeiten und ein Restaurant. Allerdings weist alles nach wie vor den rustikalen Charme von Alaska auf. Es handelt sich keineswegs um ein schickes, neumodisches Wellness-Center.

Abbildung [26]: Auf dem Weg nach Chena: Heimwerkermarkt für Hüttenhiasl und Waldschrat.

Wir machten uns also von Fairbanks mit dem Mietauto auf, um einen Tag in Chena Hot Springs zu verbringen. Allerdings brauchten wir für die 90 Kilometer ewig, da wir ständig anhalten mussten, um Fotos zu machen, denn landschaftlich war so einiges geboten.

Abbildung [27]: Ein Elch schlägt sich bei Minustemperaturen im Wald durch.

Auch Elche entdeckten wir am Wegesrand. Wie diese riesigen Kreaturen den Winter in Alaska überleben, blieb uns ein Rätsel, denn wir sahen sie nur immer an ein paar vertrockneten Zweigen knabbern. Während der Autofahrt machte Michael sich auch so den einen oder anderen Gedanken darüber, was wohl passieren würde, wenn man auf der doch teilweise recht einsamen Strecke in der Kälte (es waren -25 Grad Celsius) liegen bleibt und der Motor nicht mehr anspringt und deswegen auch keine Heizung. Vor allen Dingen nachts, wenn kaum mehr Autos unterwegs sind, könnte das zum Problem werden.

Wir hatten deshalb immer Hand- und Fußwärmer im Auto dabei. Das sind diese genialen Teile, die man sich in die Handschuhe oder an die Socken kleben kann und die mittels chemisch erzeugter Energie über Stunden angenehm die Füsse oder Hände wärmen. Übrigens war Michaels Gedanke gar nicht so abwegig. Als wir uns nämlich später in unserem Bed-and-Breakfast in Anchorage einquartierten, erzählte uns die Besitzerin, dass sie früher in Fairbanks gelebt hat und einer ihrer Freunde ein Haus auf der Strecke nach Cheyna Hot Springs bewohnte. Eines Nachts versagte sein Auto bei eisiger Kälte auf dem Weg dorthin. Er wog seine Optionen ab und beschloss dann, sein Auto stehen zu lassen und nach Hause zu rennen, um nicht zu erfrieren.

Abbildung [28]: Japanische Touristen empören sich, während der Rundbriefreporter sich wie ein Vollamerikaner im Pool ausbreitet.

In Cheyna Hot Springs angekommen, schlossen wir unser Auto an die wärmende Steckdose (siehe weiter unten) an und machten uns dick vermummt auf den Weg zum Badebereich und den heißen Quellen. Wir zahlten $10 pro Person für unsere Tageskarte und stiegen in den Umkleidekabinen, die mich an Schulzeiten und Schwimmkurse in Hallenbädern erinnerten, mutig in unsere mitgebrachten Badesachen.

Zunächst gelangten wir dann in den Innenbereich mit einem gewöhnlichen Schwimmbecken, aber der Hit in Cheyna Hot Springs ist der Außenpool mit dem 41 Grad Celsius warmen Thermalwasser. Nur mussten wir, um zu diesem zu gelangen, im Badezeug in die Kälte hinaus. Zugegeben, der Weg durchs Freie ins heiße Wasser war vielleicht 30 Meter weit, aber bei -25 Grad Celsius kostet das schon einige Überwindung, vor allen Dingen, wenn das Badezeug auf dem Rückweg nass ist. Das heiße Wasser entschädigt dann natürlich sofort dafür. Beim Entspannen im Wasser entstand übrigens ein lustiges Phänomen. Die Dämpfe feuchteten die Haare an und die Kälte bildete hübsche Eiskristalle in der feuchten Haarpracht.

Die Ölpipeline von Prudhoe Bay nach Valdez

Abbildung [29]: Die 1200km lange Alaska-Ölpipleline führt an Fairbanks vorbei. Links geht's 450 Meilen nach Prudhoe Bay, rechts 350 Meilen nach Valdez.

Angelika Alaska ist nicht nur mit Naturschönheiten gesegnet sondern auch reich an Bodenschätzen. Die Entdeckung von Erdöl Ende der 60er Jahre in der Prudhoe Bay brachte dem Bundesstaat einen unerwarteten Geldsegen und stützt seine Finanzen bis zum heutigen Tag. Doch auch manche Umweltsünde wurde begangen.

Als eines der umstrittensten Projekte gilt der Bau der Alaska-Pipeline, der ungefähr 1280 Kilometer langen Ölleitung, die von der meist zugefrorenen Prudhoe Bay im Norden quer durch Alaska bis zum eisfreien Hafen nach Valdez führt. Auf der einen Seite gilt die Pipeline als Meisterleistung des Ingenieurswesens, denn sie überquert nicht nur mehrere Gebirgsketten und Flüsse, sondern steht auch zum größten Teil auf dem in Alaska weit verbreiteten Permafrostboden, der Sommers wie Winters gefroren ist.

Abbildung [30]: Auf blankem Eis: Angelika schlittert beim Aussteigen aus dem Mietwagen.

Andererseits war die Pipeline Umweltschützern und den einheimischen Indianern stets ein Dorn im Auge. Umweltschützer besorgte der Eingriff in Alaskas weite unberührte Landstriche, und sie befürchteten mögliche Umweltschäden durch Lecks in der Pipeline, sowie negative Einflüsse auf die Tierwelt. Tier- und Umweltschützer fürchteten nämlich um den Bestand der Rentierherden ("Caribou"), da sie glaubten, dass sich durch die Pipeline zum Beispiel ihre traditionellen Wanderrouten verkürzen wüden und das Jagen der Rentiere somit erleichert würde.

Die Indianer beschwerten sich darüber, dass die Pipeline weite Strecken über Landstriche läuft, die rechtmäßig ihnen gehörten und verlangten eine Entschädigung. Nach jahrelangen Verhandlungen unterschrieb Präsident Nixon 1971 schließlich den "Alaska Native Claims Settlement Act", um den Streit zu schlichten. Die Indianer ("Native Alaskans") erhielten ca. 963 Millionen Dollar und 180.000 Quadratkilometer Land und erlaubten dafür den Bau der Pipeline.

Abbildung [31]: Ein sogenanntes Pipeline-Pig fährt durch die Pipeline und prüft, ob noch alles funktioniert.

Politisch half die Ölkrise von 1973, den Bau der Pipeline durchzusetzen. Im März 1975 erfolgte der erste Spatenstich und der Bau der gesamten Pipeline war in gut zwei Jahren abgeschlossen. Das Unternehmen brachte eine Goldgräberstimmung. Städte wie Fairbanks und Valdez erlebten nicht nur einen starken Bevölkerungsanstieg, sondern auch saftige Preisanstiege, vor allen Dingen für Häuser und Grundstücke. Die Gehälter der Bauarbeiter waren wegen der schweren Bedingungen überdurchschnittlich hoch, sodass sich das Lohnniveau auch in anderen Branchen nach oben verschob.

Langfristig eliminierte der Bau der Pipeline und die Erdölförderung die Einkommenssteuer im Bundesstaat Alaska ("state income tax") und die Verkaufssteuer ("sales tax") vollständig. Alaska erhält von der fördernden Ölindustrie genug Geld, um auf diese sonst in vielen anderen Bundesstaaten üblichen Steuern zu verzichten. Auch erhält jeder Einwohner Alaskas jedes Jahr im Oktober eine Dividende aus dem Alaska Permanent Fund (Rundbrief 05/2006). Fraglich ist nur, was passiert, wenn die Erdölquellen versiegen, denn die Produktion ist schon jetzt reduziert und wird über die nächsten 10 Jahre stetig nach unten gehen.

Abbildung [32]: Im Permafrost stehen die Häuser auf Stelzen.

Wegen des Permafrostbodens läuft die Pipeline zu großen Teilen oberirdisch, denn Permafrostboden ist nicht nur hart wie Beton, sodass es etwas beschwerlich ist, tief in den Boden zu gelangen, sondern hat auch die Angewohnheit, teilweise aufzutauen, wenn der Boden sich zu stark erwärmt. Jagt man also heißes Erdöl durch die Leitung, erweicht der Boden darunter und lässt die Pipeline einsinken. Die Pipeline ist deshalb streckenweise auf hydraulischen Stelzen gebaut, die nicht nur dazu da sind, Wärme abzuleiten, sondern auch Bodeninstabilitäten auszugleichen.

In Fairbanks besichtigten wir ein Teilstück der Pipeline, das gut zugänglich am Freeway vorbeiläuft. Trotz der stetigen Angst in Alaska, dass irgendwelche Verrückte die Pipeline in die Luft sprengen könnten, war alles frei zugänglich und kein Mensch weit und breit zu sehen.

Motorenwärmer für kaltes Klima

Abbildung [33]: Der Plugin: Aus der Kühlerhaube spitzelt ein Kabel raus ...

Michael Bei Temperaturen unter 20 Grad Minus springt ein kalter Motor oft schlecht an, und deshalb spitzelt bei den Autos in Alaska aus der Kühlerhaube das Stromkabel eines sogenannten "Plugins" heraus. Im Motorenraum führt dieses zu einem Heizelement, das den Kühler des Fahrzeugs mollig warm hält. Steckt im Auto dann noch eine recht neue Batterie, springt der Karren auch bei 50 Grad Minus an.

Abbildung [34]: ... das man mit einer Verlängerungsschnur an eine Steckdose anschließt ...

Den Stecker stöpselt der Fahrer über ein mitgeführtes Verlängerungskabel in eine ganz normale Steckdose ein. Die geschmeidige Isolierung des Kabels verträgt auch tiefste Temperaturen ohne zu brechen, und die Autovermietung berechnet $35 Strafgebühr, falls man es verschusselt.

Abbildung [35]: ... aber der Alaskaner lässt oft den Motor einfach laufen, während er im Supermarkt einkauft.

Doch nicht jeder Parkplatz bietet Steckdosen an. Als wir an einem kalten Abend beim Supermarkt "Fred Meyers" einkaufen waren, ließen etwa ein Fünftel der Kunden während des Einkaufsbummels einfach ihre Motoren weiter laufen. In dem Buch Real Alaskan Livin' steht gar als Witz, dass man einen echter Alaskaner daran erkennt, dass er den Motor seines Autos den gesamten Monat Januar über nicht abstellt!

Im gleichen Buch steht, dass man auf keinen Fall zugeben sollte, dass man erst seit kurzem in Alaska wohnt, denn dann nennen einen die eingefleischten, rauhen Burschen einen Cheechako (Tschie-tschacko, mit der Betonung auf dem 'tschack'), also einen Neuling oder Grünschnabel. Das Wort ist aus dem Chinook Jargon entlehnt, also einem anfangs des 19. Jahrhunderts im Nordwesten der heutigen USA entstandenen Sprach-Mischmasch, mit dem die ersten Siedler mit den damals ansässigen Indianern kommunizierten.

Tschüß, bis zum nächsten Rundbrief, oder "klahowya" ("kla-hau-ja"), wie's auf Chinook-Englisch heißt!

Angelika & Michael

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Letzte Änderung: 26-Nov-2012